Ich warf mich durch die Eingangstüren nach draußen – und blieb wie angewurzelt stehen. Der Wolf, unter dessen Arm Kevin zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen, hatte sich auf ein peinliches kleines Zwergoped gehockt und jagte nun vor meinen Augen davon.
Jedenfalls, soweit bei einem winzigen elektrischen Zwergenmoped von Davonjagen die Rede sein kann.
War der Wolf auf dem Zwergoped hergekommen? Ich stieg über das weggeworfene Schafskostüm und hielt Ausschau nach einem Fahrrad oder etwas Ähnlichem, das ich zur Verfolgung nutzen konnte, und dabei fiel mein Blick auf Goldies Fressmobil. Goldie selbst war nirgendwo zu sehen – vielleicht war sie ins Sekretariat gelaufen, um Schulleiter Haggard zu holen –, aber der Schlüssel steckte im Zündschloss.
Mit einem Satz sprang ich hinein, presste das Gaspedal durch und fuhr los. Die Feder der riesigen Kuchenreklame auf dem Dach quietschte wie bescheuert, und ich hoffte, dass das Kuchenstück den Wagen nicht umwerfen würde.
Kevin und der Wolf hatten zwar einen kleinen Vorsprung, aber ich glaubte doch, dass ich sie einholen konnte. Ich schrie den Golfwagen an wie ein Irrer und versuchte, ihn dazu zu bewegen, schneller zu fahren.
Ich gebe zu, dass eine Verfolgungsjagd mit einem Golfwagen und einem Zwergoped nicht ganz so dramatisch ist wie die in einem Hollywood-Blockbuster. Der pulstreibende Soundtrack fehlt, die dröhnenden Motoren, die Explosionen … und übrigens auch das Tempo. Was nicht fehlt, sind das leise Brummen der Elektromotoren, das nervige Quietschen des sich hin und her drehenden Kuchenstücks und das scheppernde Geräusch, wenn die auf dem Wagenboden herumkullernden Smammeldosen gegeneinanderstoßen. Aber mein Herz hämmerte jedenfalls wie besessen.
Ich spürte, wie das vertraute, wütend brodelnde Trollblut in mein Gehirn gepumpt wurde, und ich ließ es fröhlich weiterpumpen. Ich lag dicht hinter dem Zwergoped, als der Wolf auf die Hauptstraße abbog. Eine Elfenfamilie musste zur Seite springen, um nicht überfahren zu werden. Sie wirkten eher verärgert als besorgt, bis ihnen aufging, dass ein Wolf am Steuer saß. Da verloren sie ihren elfischen Verstand.
Der Wolf schaute sich nach mir um und ich erkannte eine Gelegenheit. Ich lehnte mich vor, griff um die Windschutzscheibe herum und packte Kevins lockigen Schwanz. Ich zog heftig daran, doch er dehnte sich weiter aus, als ich erwartet hatte.
Ich verlangsamte die Fahrt, hielt aber weiter Kevins Ringelschwanz umklammert und hoffte, dass er nun wie ein Korken unter dem Arm des Wolfs hervorschießen würde. Aber der Wolf hatte offenbar einen wirklich festen Griff, denn Kevin schrie nur noch lauter.
Dann glitt meine Pfote ab und Kevins Schwanz löste sich daraus mit einem lauten POINK. Der Wolf gewann wieder an Vorsprung. Ich drehte den Motor hoch und holte langsam auf, als wir am Laden des Kerzenhalterschmieds vorüberkamen. Verdutzte Gesichter tauchten hinter den Fenstern auf. Ich machte mich bereit für den Angriff und klemmte eine große Smammeldose zwischen das Gaspedal und die Unterseite des Armaturenbretts. Als ich sprang, kam ich mir vor wie Indiana Jones und ein fliegendes Eichhörnchen in einer Person.
Wie ein Spinnenaffe landete ich auf dem Rücken des Wolfs. Der Wolf stieß einen überraschten Schrei aus. Er versuchte, mich mit einer Hand zu erreichen, und schlug nach mir, als wir gerade am Metzgerladen vorbeibretterten. Ich hörte, wie Goldies Wagen hinter mir in etwas hineinkrachte, aber ich kniff nur die Augen zu und klebte mich an den Wolf wie ein billiger elektrisierter Pullover. Das Zwergoped geriet ins Schlingern und ein Geschäftsgnom musste sich mit einem Sprung in einen großen Pflanzkübel retten.
Ich legte dem Wolf einen Arm vor die Augen und zog so fest an ihm, wie ich nur konnte. Das Zwergoped eierte nach links und holperte über den Bordstein. Der Wolf versuchte, den Kurs zu korrigieren – allerdings in die falsche Richtung, und so wurden wir volle Kanne durch das riesige Schaufenster der Scherwutzer Bäckerei geschleudert.
Wir hatten insofern Glück, als der Bäcker, Mr. Schmidt, an diesem Tag die Fenster weit geöffnet hatte in der Hoffnung, der Duft des frischen Gebäcks würde Kundschaft anlocken. Wir hatten insofern kein Glück, als im Fenster jede Menge klebrige Zimtschnecken, Strudel, Pasteten und eine der größten Hochzeitstorten ausgestellt waren, die Mr. Schmidt wohl jemals gebacken hatte.
Das Meisterwerk hatte keine Chance. Es explodierte nach allen Seiten, als wir hindurchjagten.
Unter einem Regen aus Kuchen, Pasteten und Tortenfüllung landeten wir alle drei in der Bäckerei. Kaum spürte Kevin festen Boden unter sich, schlüpfte er dem Wolf aus den Klauen.
Mr. Schmidt und eine Handvoll Kunden stürzten aus dem Laden – umso schneller, nachdem sie den wütenden Wolf erblickt hatten, der sich nun die Vanillecreme aus den vor Zorn blitzenden Augen wischte.
Der Wolf trat mit seinem Hinterbein aus und traf mich damit heftig am Kinn.
Dann wetzte er hinter Kevin her und knurrte: »Komm her, du feines fettes Schwürstchen!«
Kevin quiekte wieder.
Angstvoll wich er so weit gegen den Verkaufstresen zurück, wie er nur konnte, und trat dabei mit aller Kraft nach der Pfote des Wolfs.
Aber es gab keinen Fluchtweg. Verzweifelt schnappte Kevin sich eine zertrampelte Heißwecke vom Boden und warf sie dem Wolf an den Kopf.
Ich achtete weder auf den Puderzucker in meiner Nase noch das Klingeln in meinen Ohren, sondern schnappte mir ein schweres Backblech und trat hinter den Wolf.
Gerade als der Wolf Kevins Knöchel packte, holte ich aus. Die Trollwut schäumte durch meinen Körper, und ich traf den Wolf mit solcher Wucht, dass es noch zwei Königreiche weiter zu hören war.