Saphira brauchte einen Plan. Einen Plan, an dessen Ende Rabias Blut an ihren Händen kleben würde.
Sie starrte die geschlossene Tür an. Sie hatte ganz genau gehört, wie Madox abgeschlossen hatte. Er hatte sie erneut eingesperrt. Sie sollte ihn dafür verfluchen, dass er sie wie ein verdammtes Haustier hielt.
Stattdessen ging sie zu der Couch, die unter dem Fenster stand, und ließ sich darauf nieder. Als sie nach draußen sah, unterdrückte sie einen enttäuschten Seufzer. Von hier aus konnte sie zwar die Stadt sehen, aber nicht das Meer. Nicht mal am Horizont war ein blauer Streif zu erkennen, und das Rauschen der Wellen konnte sie schon gar nicht hören.
Plötzlich sehnte sie sich nach ihrem Zuhause, ihrer Villa, dem Ort, an den sie gehörte. Egal, was Antonio gesagt hatte. Sie war eine De Angelis, ob mit oder ohne famiglia.
Die Vergangenheit konnte sie nicht ändern, das wusste sie natürlich. Die Zukunft dafür aber sehr wohl. Und Saphira hatte ein ganz klares Bild davon.
Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie sie ihr Ziel erreichte.
Sie wusste, dass sie Rabia vernichten musste. Aber wie sollte sie das anstellen?
Wie sehr wünschte sie sich in diesem Moment, mit einem Vertrauten zu sprechen. Aber da gab es niemanden mehr. Ihre beste Freundin war ihr ärgster Feind. Leandro und Emilio waren tot. Und Vito, ihr Onkel, hatte zusammen mit seiner Frau die Stadt verlassen, nachdem ihr Sohn ermordet worden war.
Sie war auf sich allein gestellt. Aber das würde sie nicht davon abhalten, zu tun, was getan werden musste. Sie hatte nichts mehr zu verlieren, das machte sie gefährlich.
Eine Möglichkeit wäre, sich wie schon vor so vielen Jahren in das Versteck ihres Feindes zu schleichen. Dann konnte sie ihrer Feindin eine einfache Frage stellen: Bist du für oder gegen mich?
Und die Antwort würde über Leben und Tod entscheiden. Dass sie dieses Mal Mitglieder ihrer eigenen famiglia töten musste, machte dabei keinen Unterschied. Sie hatten sie hintergangen und sich von ihr abgewandt. Ihr Vorteil lag darin, dass sie sich auf dem Gelände der De Angelis auskannte. Jeder Winkel war ihr vertraut. Sie würde wie eine Maus hineinschleichen, ohne dass sie jemand bemerkte.
Kurz dachte Saphira an ihre guardie. Sie ging davon aus, dass diese Männer ihr noch immer treu ergeben waren. Aber was bedeutete das für Federico und die anderen? Hatte Rabia sie getötet? Und wenn nicht, war es dann möglich, sie zu befreien und mit ihnen den Kampf zu führen?
Saphira musste herausfinden, wer sich Rabia nur aus Angst angeschlossen hatte. Zwar war auch das keine Entschuldigung, aber ein nachvollziehbarer Grund. Viele uomini d’onore hatten Frauen und Kinder. Das war ein wirkungsvolles Druckmittel, und so konnte Saphira diesen Männern noch einmal vergeben. Alle anderen, die sich Rabia aus freien Stücken angeschlossen hatten, würden sterben.
Aber für diese Variante brauchte sie Waffen. Und Männer, die damit umgehen konnten. Sie brauchte eine Armee. Und ihr fiel nur eine Person ein, die ihr all das geben konnte.
Madox Varga.
Der Mann, den man auch cerbero, Höllenhund, nannte. Der Mann, an dessen Händen bereits so viel Blut klebte. Der Mann, dem sie ihren Körper und einen Teil ihres Herzens geschenkt hatte. Nur damit er sie am Ende hinterging.
Aber konnte sie Madox erneut vertrauen? Konnte sie dieses Risiko noch einmal eingehen?
Darauf hatte Saphira keine Antwort. Sie wusste schließlich nicht, was wirklich in ihm vor sich ging. Er hatte zwar gesagt, dass auch er litt, aber konnte sie ihm das wirklich glauben? Oder war das nur ein weiterer Manipulationsversuch? Sie wusste nicht, was sie für ihn war. Woher sollte sie auch?
Aber er hatte sie gerettet. Als Rabia sich als Verräterin herausgestellt hatte und sich Saphiras Leute gegen sie gestellt hatten, war Madox bei ihr gewesen und hatte sie aus der Schusslinie geholt. Und damals, in dieser verhängnisvollen Nacht, als Giuseppe auf sie geschossen hatte, hatte Madox sich ohne zu zögern auf seinen Onkel gestürzt. Warum hatte er das getan, wenn er sie doch hasste? Nur um sie gegen die De Angelis einzusetzen und sich einen Vorteil zu verschaffen?
Egal, was der Grund dafür gewesen war, sie konnte seinen Betrug nicht vergessen.
Und dieser machte es ihr unmöglich, zu entscheiden, ob Madox auf ihrer Seite stand oder insgeheim nur auf die richtige Gelegenheit wartete, um sie endgültig zu zerstören. Denn es gab weitaus schlimmere Dinge, die man einem Menschen antun konnte, als ihn zu töten.
Madox war noch nicht zurück, als es dunkel wurde.
Nur Lauro war irgendwann vorbeigekommen und hatte ihr etwas zu essen gebracht. Nichts Besonderes, nur ein weiteres Sandwich. Aber als der junge soldato es ihr mit einem scheuen Lächeln überreicht hatte, hatte es sich irgendwie wertvoll angefühlt. Er hatte es selbst zubereitet, wie er ihr gestand. Dass er dabei leicht errötete, rührte sie.
In diesem Moment hatte Lauro sie so sehr an ihren kleinen Bruder Pippo erinnert, dass es sie beinahe körperlich schmerzte.
Sie hatte ihre Chance genutzt und Lauro gefragt, ob er etwas von ihren Leuten gehört hatte. Einen Moment lang hatte er gezögert, aber dann hatte er ihr schließlich zögerlich gestanden, dass es Gerüchte gab, dass Rabia ihre Leibgarde im Keller des Anwesens der De Angelis gefangen hielt.
Bei dem Gedanken daran, dass ihre treuen guardie so gedemütigt wurden, wäre Saphira am liebsten sofort aufgebrochen, um ihnen zu helfen. Aber noch hatte sie nicht die Mittel dafür.
Nachdem er gegangen war, hatte Saphira sich an den kleinen Tisch gesetzt und allein gegessen. Es hatte ihr geschmeckt, auch wenn es nichts gegen das Gefühl der Einsamkeit ausrichten konnte.
Als die Nacht hereinbrach, tauschte sie das Kleid gegen einen kurzen Schlafanzug, den Madox ihr gekauft hatte, und ging ins Bett. Die Laken rochen nach ihm und halfen ihr nicht gerade dabei, sich besser zu fühlen. Aber sie hatte eine Entscheidung getroffen. Sie brauchte Madox, er musste sie bei ihrem Kampf unterstützen. Aber sie würde sich ihm nicht mehr hingeben.
Das bedeutete, dass sie einen Deal mit ihm eingehen musste. Einen geschäftlichen. Dabei würde sie ihn ganz genau beobachten müssen, damit ihr nicht wieder etwas Wichtiges entging. Sie würde alles, was sie ihm gegenüber empfand, außen vor lassen. Nichts würde ihren Blick trüben.
Sie konnte das. Gefühle von ihren Handlungen trennen. Darin hatte sie jahrelange Übung. Deswegen hatte Madox sie immer Eisprinzessin genannt. Sie konnte kalt sein. Und auch wenn er bis jetzt immer ihre Mauern durchbrochen hatte, würde ihm das dieses Mal nicht gelingen. Wenn das alles dann vorbei war und sie endlich wieder capo ihrer famiglia war, dann würde sie dem, was zwischen ihnen beiden vorging, endlich ein Ende bereiten.
Ein Schlüssel wurde gedreht und die Tür geöffnet. Es war Madox. Sie wusste das nicht nur deswegen, weil er neben Lauro vermutlich der Einzige war, der einen Schlüssel hatte, sondern auch, weil ein Schauer über ihren Rücken lief, der ihre Nervenenden kribbeln ließ.
Saphira bewegte sich nicht, atmete ruhig und versuchte auch sonst den Eindruck zu erwecken, dass sie schlief. Sie wollte jetzt nicht mit Madox sprechen. Denn auch wenn sie einen Entschluss gefasst hatte, jetzt war es Nacht. Und in der Dunkelheit kamen immer mehr Geheimnisse an die Oberfläche als am Tag. Sie hatte ihm in der vergangenen Nacht schon viel mehr anvertraut, als sie es hätte tun dürfen. All das Gerede über Schmerz und dass sie ihn nicht brauchte. Nicht ein Wort davon hätte jemals ihren Mund verlassen sollen. Aber sie befand sich in einer extremen Situation, und Madox schien ihre einzige Konstante zu sein. Es war ein Moment der Schwäche gewesen, ausgelöst von einer stillen Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Nach einem Menschen, dem sie vertrauen konnte und bei dem sie sicher war.
Sie lauschte. Da war nur Stille. Madox hatte sich nicht mehr bewegt. War er etwa schon auf der Couch? Das Kribbeln, das ihre Wirbelsäule hinaufkroch, sagte ihr aber, dass er sie beobachtete.
»Saphira. Ich weiß, dass du nicht schläfst.«
Seufzend öffnete sie die Augen. Diesem Mann entging wirklich nichts. »Ich versuche es aber.«
»Es gibt da etwas, das du erfahren solltest.«
Die Ernsthaftigkeit, mit der er sprach, ließ sie aufhorchen, und Saphira setzte sich auf.
Er bewegte sich, seine Schritte kamen näher, bis er schließlich neben dem Bett stand. Seine Silhouette hob sich dunkel gegen das strahlende Mondlicht ab, das durch das Fenster hereinschien. Er beugte sich vor, und einen Augenblick später erfüllte sanftes Licht den Raum. Er hatte die Nachttischlampe angeschaltet.
»Was hast du mir zu sagen?« Saphira zog die Bettdecke hoch und lehnte sich ans Kopfende.
Als Madox auf der Bettkante Platz nahm, war er ihr dennoch zu nahe. Es war beinahe so, als würde eine Art magnetische Anziehungskraft sie zueinander ziehen. So war es schon immer zwischen ihnen gewesen.
»Ich war heute in der Stadt. In deinem Teil der Stadt.«
Sie schluckte hart. »Es ist nicht länger mein Teil der Stadt.«
Er schüttelte den Kopf. »Dieser Teil von Palermo wird immer dir gehören, Saphira.«
Da irrte er sich. Nur wer die Macht hatte, etwas zu verteidigen, konnte es auch besitzen. Und das hatte sie nicht geschafft.
»Wieso warst du dort? Das war gefährlich für dich.« Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen, vermutete aber, dass auch Madox auf Rabias schwarzer Liste stand.
»Ich kann auf mich aufpassen.« Er schenkte ihr ein kurzes Grinsen. »Aber ich habe mich dort mit ein paar Leuten unterhalten.«
Sie runzelte die Stirn. »Wieso?«
»Ich dachte mir, dass du vielleicht wissen möchtest, was dort vor sich geht.«
Saphira war verwirrt. Wieso hatte Madox das getan? Welchen Nutzen konnte er selbst daraus ziehen? Er hatte sich bestimmt nicht selbst in Gefahr gebracht, nur um ihr einen Gefallen zu tun. Viel wahrscheinlicher war, dass er sie damit wieder auf seine Seite ziehen wollte.
»Es sieht nicht gut aus, Saphira.«
»Wie kann das sein? Ich bin doch erst seit einem Tag weg.«
»Dennoch werden jetzt an jeder Ecke Drogen angeboten. Sie geben sich nicht einmal Mühe, es zu verbergen. Es wird offen gedealt, und viele Ladenbesitzer werden von den Dealern eingeschüchtert. Rabia unternimmt nichts deswegen.«
Sie schloss für einen Moment die Augen. Wut durchzuckte sie wie ein heißer Blitz. »Natürlich nicht. Sie steckt ja mit denen unter einer Decke.«
Überrascht sah Madox sie an. »Was?«
»Du hast mich schon verstanden.«
»Seit wann weißt du davon?«
»Emilio hat es mir vor seinem Tod gesagt«, gestand sie leise. Sie hatte die Drogenverkäufe bis jetzt erfolgreich verdrängt. Dadurch wurde Rabias Verrat nur umso schlimmer, immerhin wusste sie genau, wie sehr Saphira den Drogenhandel verabscheute. Und es erklärte auch die toten Mitglieder ihrer famiglia. Rabia wusste, wer zu ihnen gehörte und wer nicht. Sie hatte die Information weitergegeben und dadurch dafür gesorgt, dass Saphira nichts gegen die Drogengang unternehmen konnte, ohne ihre eigenen Leute zu gefährden.
»Es tut mir leid, Saphira.«
Sie warf ihm einen Blick zu. War das die Wahrheit? Sie konnte es nicht sagen.
Madox bemerkte ihren Blick und seufzte leise. »Du vertraust mir nicht.«
»Und das wundert dich?«
Er ballte eine Hand zur Faust. »Ich hatte keine Wahl, Saphira! Ich konnte dir nicht sagen, wer ich bin.«
»Ach wirklich? Du hattest also keine Wahl, als du dich in meine famiglia eingeschleust hast? Oder als die Vargas dafür gesorgt haben, dass unser wichtiger Waffendeal geplatzt ist? Als du Leandro getötet hast? Da hattest du keine Wahl?«
»Ich habe Leandro nicht getötet«, erwiderte er.
Sie verdrehte die Augen. »Natürlich nicht.«
»Warum sollte ich dich jetzt noch anlügen? Welchen Grund hätte ich dafür?«
Argwöhnisch sah sie ihn an.
»Ja, ich bin unter einem Decknamen zu euch gekommen, weil ich mir sicher war, dass du meinen Vater getötet hattest. Jedenfalls beinahe sicher. Ich war auf der Suche nach dem letzten Beweis. Und ja, ich habe dafür gesorgt, dass der Waffendeal geplatzt ist. Aber ich habe Leandro nicht getötet. Das war jemand anderes.«
Saphira verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich glaube dir nicht.« Das durfte nicht die Wahrheit sein. Aus einem ganz einfachen Grund: Dann konnte sie ihm vielleicht vergeben.
Denn sie konnte nachvollziehen, warum er sich in ihre famiglia eingeschleust hatte. Sie konnte verstehen, warum er den Deal hatte platzen lassen. Diese Dinge konnte sie ihm vielleicht sogar eines Tages vergeben.
Aber dass er ein Familienmitglied, ihren Cousin, getötet hatte, das konnte sie ihm niemals verzeihen. Denn die Familie war das Wichtigste. Und wenn Madox Leandro nicht getötet hatte, dann konnte sie ihm eines Tages vielleicht vergeben.
Ihr wurde bewusst, dass es keinen Beweis dafür gab, wer Leandros Mörder war. Außer einer goldenen Uhr, die sie auf seinem Bett, aber weder an ihrem Cousin noch an Madox jemals gesehen hatte.
»Warum denn verdammt noch mal nicht?«
Ihr Blick fokussierte sich wieder auf Madox. »Warum sollte ich?«, fragte sie und klang genauso aufgebracht wie er.
»Ich soll dir einen Grund geben?«
»Und es ist besser ein verflucht guter.«
Bevor sie auch nur blinzeln konnte, hatte er ihr die Decke weggerissen. Sie schnappte nach Luft, als er nach ihrem Knöchel griff und sie mit einem Ruck zu sich zog, sodass sie mit dem Rücken auf der Matratze lag. Sekunden später war Madox über ihr. Sein Gesicht nur wenige Millimeter von ihrem entfernt. Sein warmer Atem strich über ihre Haut, und sie konnte die feinen, dunkelblauen Linien erkennen, die seine ansonsten hellblauen Iriden durchzogen.
»Das ist der beste Grund überhaupt.«
Dann lagen seine Lippen auf ihren. Seine Zähne bohrten sich in ihre Unterlippe, bis sie heißer Schmerz durchzuckte. Im nächsten Moment schmeckte sie ihr eigenes Blut, und ein leises Wimmern entrang sich ihr.
Sie sollte widerstehen. Sie sollte nicht nachgeben.
Aber gegen Madox hatte sie noch nie eine Chance gehabt.
Er hatte ihr Zeit geben wollen, hatte Saphira ihren Freiraum lassen wollen. Bis sie schließlich selbst erkannte, dass er keine Gefahr für sie darstellte. Dass er ihr stattdessen helfen würde. Dass sie zusammengehörten.
Aber dass sie ihm einfach nicht glauben, nicht mehr vertrauen wollte, hatte seinen ohnehin kurzen Geduldsfaden reißen lassen.
Und als er jetzt ihr Blut auf seinen Lippen schmeckte, wusste er, dass er von Anfang an keine Chance gehabt hatte. Diese Frau war sein wunder Punkt. Sie war das Feuer, das ihn verbrannte. Dennoch dachte er nicht einmal daran wegzurennen.
Saphira wollte einen Grund, warum sie ihm wieder vertrauen konnte? Dann würde er ihr einen Grund geben.
Die Leidenschaft, dieses Brennen, das sie beide erfasste, sobald sie sich im selben Raum aufhielten, das war echt. Daran war nichts falsch oder hinterhältig. Hier gab es kein doppeltes Spiel, keine Geheimnisse, keine Intrigen. Es war echt. Und nicht einmal Saphira konnte das ignorieren.
Madox löste sich nur so lange von ihren Lippen, wie es dauerte, ihr und ihm die Oberteile auszuziehen. Da Saphira bereits im Bett gelegen hatte, trug sie keinen BH, und er spürte unmittelbar darauf die weiche, warme Haut ihrer vollen Brüste an seiner Brust.
Ein Stöhnen kam ihm über die Lippen, als er sie endlich wieder spürte. Nur wenn diese Frau ihn berührte, kam er zur Ruhe. Gleichzeitig stand er nie mehr unter Strom, als wenn er sie Haut an Haut fühlen konnte.
Madox biss Saphira erneut in die Unterlippe, leckte das Blut auf, bevor er sich langsam den Weg über ihren Hals zu ihren Brüsten entlang küsste. Saphira wimmerte, gab leise, verzweifelte Laute von sich, die sein Blut zum Kochen brachten.
Mit einer Hand stützte er sich auf die Matratze, schuf gerade genug Abstand zwischen ihnen, dass er ihre Haut küssen konnte. Mit der anderen Hand umfasste er ihre Brust, drückte das weiche Fleisch in seine Handfläche. Seine Lippen umschlossen ihren freien Nippel. Das Piercing, das sie sich dort vor einigen Wochen hatte stechen lassen, fühlte sich warm an seiner Zunge an. Mit einem Grinsen umfasste Madox das Metall mit den Zähnen und zog. Erst sanft, dann fester, bis Saphira ihn beinahe anfauchte.
Er entließ ihre Brustwarze und arbeitete sich weiter nach unten, leckte über den Schriftzug, der auf ihren linken Rippen tätowiert war. Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate! Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren! Von da aus küsste er sich eine Spur bis zu ihrem Bauch. Als er ihre neue Narbe erreichte, hielt er kurz inne, betrachtete die leicht gezackte Linie, die Haut, die jetzt dicker und heller war. Das hier verdankte sie Giuseppe. Und als er diesen Beweis vor sich sah, wollte Madox seinen Onkel gleich noch einmal umbringen.
Da er das aber nicht konnte, küsste er die Stelle, nahm sich einen Moment Zeit, um die vernarbte Haut zu liebkosen, bevor er sich weiter nach unten arbeitete.
An ihrer Hüfte hielt er wieder inne, öffnete den Mund und biss ihr in den Hüftknochen, bis sie leise aufschrie. Als er mit der Zunge über seine Zahnabdrücke fuhr, sah er nach oben. Saphira funkelte ihn wütend an, gleichzeitig glühte rohe Leidenschaft in ihrem Blick. Ihre Haut war leicht gerötet. Die Stellen, die er geküsst oder gebissen hatte, waren noch dunkler. Auf ihrer Unterlippe funkelte noch immer ein Blutstropfen im Schein der Nachttischlampe. Sie war das berauschendste Wesen, das er je gesehen hatte. Und er würde niemals genug von ihr bekommen.
Er wandte sich ihrer anderen Hüfte zu, fuhr das dortige Tattoo mit der Zunge nach. Die drei blutenden Rosen, die von Dornenranken umgeben waren und für ihre Eltern und ihren kleinen Bruder standen.
Madox ließ eine Hand zwischen ihre Schenkel gleiten. Sie war warm. Nass. Bereit für ihn. Willig spreizte sie die Beine für ihn, ihre Lider flackerten, dennoch wandte sie den Blick nicht von ihm ab. Er konnte sehen, dass ihre Begierde mit ihrem Hass auf ihn konkurrierte. Und noch war der Ausgang dieses Kampfes ungewiss. Aber Madox würde alles dafür tun, dass ihre Leidenschaft gewann.
Er rutschte noch ein Stück hinab, bis er einen Kuss auf ihre Scham pressen konnte und sein Atem über ihre erhitzte, feuchte Haut strich. Langsam ließ er zwei Finger in sie gleiten, genoss das Gefühl, wie sich ihre Muskeln um ihn herum anspannten.
»Fühlst du das hier, Saphira?« Er drehte den Kopf, biss sie in das weiche Fleisch ihres Oberschenkels. »Das hier ist echt. Du kannst mir vertrauen. Hier gibt es nichts Falsches zwischen uns.« Er strich mit dem Daumen über ihre Klit, bis sich ihre Lippen sacht öffneten und sie stöhnte. »Das sind wir.« Der Rhythmus seiner Finger wurde schneller. Härter. Bis Saphira die Beine anwinkelte, die Wangen gerötet waren und ihre Haut von einem feinen Schweißfilm überzogen war. Bis ihre Muskeln sich stärker um ihn herum verkrampften, ihr Rücken sich von der Matratze hob und sie den Atem anhielt, in Erwartung ihrer Erlösung.
Genau dann hörte Madox auf.
Saphira blinzelte, die Anspannung verließ ihren Körper, und sie sank schwer atmend auf die Matratze zurück.
Grinsend zog Madox die Finger heraus.
»Mistkerl«, zischte Saphira.
»Du kannst mir vertrauen.« Mit diesen Worten griff er in die Hosentasche und zog sein Lieblingsmesser hervor. Die scharfe Klinge glänzte im Licht der Nachttischlampe.
Saphiras Augen weiteten sich. Ihr Körper erinnerte sich sofort. Ihre Nippel zogen sich zusammen, und ein leichtes Zittern durchlief sie von Kopf bis Fuß.
»Erinnerst du dich daran?«
Als sie nicht antwortete, legte er die Klinge flach gegen die Innenseite ihres linken Oberschenkels. Das Zittern kam stärker zurück.
»Antworte mir.«
Sie schluckte. Ihre Zunge kam hervor, benetzte ihre trockenen Lippen. »Ich erinnere mich.«
Madox lächelte. »Ich mich auch.«
Er hatte sie schon einmal damit geschnitten, hatte ihre Haut mit feinen Linien gezeichnet. In dieser Nacht hatte sie ihm ihren Körper anvertraut, hatte darauf vertraut, dass er sie nicht ernsthaft verletzen würde. Und jetzt würde sie das wieder tun.
Der erste Schritt war, dass sie ihm wieder ihren Körper anvertraute. Der zweite Schritt war, dass sie ihm ihr Herz anvertraute.
»Du weißt, was du zu tun hast? Still halten. Ruhig atmen. Vertrau mir.« Die letzten Worte sprach er so eindringlich, wie er konnte. Das hier war wichtig, so unendlich wichtig.
Madox wusste, dass das Ritzen ihrer Haut für Saphira eine Form der Erleichterung war. So bekämpfte er ihren Schmerz. Und vermutlich würde jeder Psychologe einen Anfall bekommen, wenn er davon erfuhr, was Madox hier tat, aber es war nicht so, als ob er eine Wahl hätte. Saphira mit dem Messer zu verletzen, war für ihn ein genauso starker Drang wie ihr eigenes Bedürfnis nach dieser speziellen Erleichterung. Wahrscheinlich war das einer der vielen Gründe, warum sie sich so zueinander hingezogen fühlten. Sie waren beide angeknackst. Aber sie akzeptierten sich und verurteilten einander nicht.
Es dauerte. Sein Herz schlug schnell in seiner Brust. Sein Schwanz war steinhart. Saphira hielt seinen Blick fest. Er konnte ihre Unsicherheit spüren. Aber auch ihre Leidenschaft.
Schließlich nickte sie leicht, und er ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte.
»Hände ans Kopfende, Saphira.«
Da war ein leichtes Zögern in ihren Bewegungen, aber schließlich folgte sie seinem Befehl.
Madox stieg aus dem Bett, legte das Messer kurz ab, um aus der Jeans zu steigen, und legte sich dann wieder zu Saphira ins Bett. Aber nicht bevor er nicht ein Kondom aus der Nachttischschublade geholt und es auf die Matratze gelegt hatte.
Sein Gesicht war auf Höhe ihres Bauchs. Er konnte sehen, wie ihre Bauchmuskeln zitterten, als er vorsichtig das Messer an der Innenseite ihres Oberschenkels ansetzte. Sein Blick fokussierte sich auf die Klinge. Auf Saphiras zarte Haut. Er drehte das Messer, bis die scharfe Seite an ihrem Oberschenkel lag.
»Atme ein«, flüsterte er, und Saphiras Brustkorb hob sich. »Atme aus.«
Als er hörte, wie langsam ihr Atem entwich, schnitt er. Die Haut teilte sich ohne Widerstand, frisches, rotes Blut perlte hervor. Saphira zuckte zusammen, dann als der Schmerz durch Euphorie ersetzt wurde, stöhnte sie leise.
Madox schloss die Augen, speicherte diesen Laut genau in seinem Gedächtnis ab. Dann öffnete er die Lider wieder und leckte über die Unterseite von Saphiras Brust.
»Noch mal.«
Sie atmete ein, er setzte das Messer an. Saphira atmete aus, er schnitt.
Stöhnend bog sie den Rücken durch, und Madox wechselte seine Position, kniete sich zwischen ihre Beine. Er beobachtete, wie ihr Blut langsam auf die Matratze tropfte, und grinste.
Verdammt. Wie oft hatte er davon geträumt?
Er legte sein Lieblingsmesser kurz aus der Hand, aber nur, um sich das Kondom überzustreifen. Dann beugte er sich über Saphira und legte das Messer zwischen ihre Brüste.
»Sieh mich an.«
Ihr Blick fokussierte sich auf ihn. Da war dieses spezielle Leuchten in ihren Augen, das ihm sagte, dass die Euphorie sie fest im Griff hatte. Er hielt ihrem Blick stand, während er mit einem harten, festen Stoß in sie eindrang. Saphira keuchte, ihre Muskeln hielten ihn umklammert. Aber sie wendete den Blick nicht ab, konzentrierte sich nur auf ihn.
Madox beugte sich nach unten, nahm ihren Mund in einem Kuss gefangen, während er in dem Gefühl schwelgte, endlich wieder in ihr zu sein. Ihr Geschmack war genauso berauschend wie immer, und es fiel ihm schwer, sich wieder von ihr zu lösen.
Als er den Kopf hob, um sie anzusehen, war sie das schönste Wesen, das er jemals gesehen hatte. Ihr dunkles Haar war auf dem Kissen aufgefächert, ihre Wangen gerötet, die Lippen zeigten seine Spuren. Genauso wie ihr Hals und ihre Brüste. Ihre Augen leuchteten. Und während er sie anstarrte, zeigte sich langsam aber sicher ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen.
Das war der Moment, in dem Madox erneut nach dem Messer griff. Er setzte es unter ihrer rechten Brust an.
»Vertrau mir«, flüsterte er erneut, dann zog er einen präzisen Schritt von der Außenseite nach innen.
Saphira zischte, ihr Atem verließ sie in einem Rutsch. Ihre Muskeln umklammerten seinen Schwanz, und Madox musste die Zähne zusammenbeißen, damit er nicht sofort jegliche Kontrolle verlor. Das sollte er nicht. Nicht, solange er noch das Messer in der Hand hielt.
Er stützte sich mit einer Hand neben Saphiras Kopf auf, hob seinen Oberkörper ab. Jetzt legte er die Klinge an ihre linke Brust. Und dieses Mal sah er Saphira in die Augen, als er seinen Schnitt setzte. Sie erzitterte, ihre Pupillen wurden riesig. Ihre Lippen öffneten sich. Eine Sekunde verging, dann noch eine. Und dann ließ das Adrenalin sie stöhnen. Das war der Moment, in dem Madox das Messer vom Bett warf und sich seiner Leidenschaft hingab.
Mit einer beinahe besinnungslosen Verzweiflung stieß er immer heftiger in sie. Er schob ihr sogar ein Kissen unter den Hintern, damit er noch tiefer in sie eindringen konnte, jeden Winkel von ihr erforschte. Sie stöhnte, wimmerte, bog sich ihm entgegen. Aber ihre Hände verließen niemals das Kopfteil. Und plötzlich störte ihn genau das.
»Fass mich an«, befahl er mit vor Verlangen dunkler Stimme.
Sofort waren Saphiras Hände auf ihm, als hätte sie nur darauf gewartet. Sie strichen über seine Arme zu seinen Schultern, zogen die Linien seiner Sternentattoos nach, folgten den Linien seiner Muskeln bis zu seinem Rücken. Und bei seinem nächsten Stoß grub sie die Nägel in seiner Haut, und Madox knurrte, als sich der heiße Schmerz ausbreitete.
Immer härter und schneller wurde sein Tempo, bis er spürte, dass Saphira sich erneut anspannte. Ihr Rücken verließ die Matratze, ihre Beine legten sich um seine Hüften, und sie überkreuzte die Knöchel in seinem Rücken. Ihr Kopf flog nach hinten, und ein langes, beinahe verzweifeltes Stöhnen kam ihr über die Lippen, als sich die Erlösung einen Weg durch ihren Körper suchte. Sie zitterte, erbebte, ihre Muskeln verkrampften sich um seinen Schwanz. Und auch Madox spürte dieses spezielle Kribbeln an seiner unteren Wirbelsäule, er spannte sich an, und dann entlud er sich in einem mächtigen Orgasmus tief in Saphira.
Schwer keuchend ließ er sich auf ihr nieder, achtete dabei aber darauf, dass er sie nicht zu stark mit seinem Gewicht belastete. Sein Mund lag auf ihrem Hals, und er konnte ihren rasenden Puls unter seinen Lippen fühlen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich genauso schnell wie seiner.
Madox schloss die Augen, atmete Saphiras frischen und gleichzeitig süßen Duft ein, prägte sich ein, wie sich ihre Haut an seiner anfühlte. Er versuchte, sich einfach alles genau einzuprägen. Selbst das Geräusch ihres Atems. Er wollte nie auch nur ein winziges Detail vergessen, das diese Frau betraf.
Als sich Puls und Atmung wieder auf ein normales Maß beruhigt hatten, zog er sich zurück und ließ sich neben Saphira auf das Bett fallen. Sie schwiegen, und einen kurzen Augenblick später hörte er, wie Saphira sich bewegte. Dann ging das Licht aus, und Dunkelheit hüllte sie ein.
Madox starrte an die Decke, ohne wirklich etwas sehen zu können. Für ihn hatte das gerade alles geändert. Aber er war sich nicht sicher, ob es Saphira genauso erging.
Die Stille zog sich in die Länge. Nur ihr Atem war zu hören. Alles andere schien in den Hintergrund zu treten, bis Madox jedem ihrer Atemzüge mit seinen folgte. Bis sie im Gleichklang atmeten. Dennoch sagte sie kein Wort.
»Saphira …«, setzte er an, als er das Schweigen nicht länger aushielt.
»Nein, sag nichts«, bat sie leise.
Aber er konnte nicht anders. »Das hier ändert alles.«
Das Schweigen, das folgte, wog schwer. Er konnte seinen eigenen, jetzt wieder schnellen, Herzschlag in den Ohren dröhnen hören. Und Saphira lag einfach neben ihm und tat gar nichts.
Als sie wieder sprach, wünschte er sich, dass sie es dabei belassen hätte.
»Das ändert gar nichts.«