Es war keine gute Idee, sich zu Sophie Dubois hingezogen zu fühlen. Es war keine gute Idee, sie zu küssen. Und doch konnte er nicht anders. Als er ihre Lippen mit seiner Zunge teilte und seinen Kuss vertiefte, da wurde ihm klar, dass jeder Widerstand zwecklos war. Er hatte so lange keinen Menschen an sich herangelassen, dass er überhaupt nicht mehr wusste, wie das ging. Das einzige Gefühl, das ihn in den letzten Jahren begleitet hatte, war Verzweiflung gewesen. Und nun war er ebenfalls verzweifelt. Er wollte verzweifelt den Moment festhalten, in dem es keine Fragen und Antworten, keine Wahrheit und Lügen gab, sondern nur diesen Kuss. Dabei war dieser Moment so flüchtig wie sein restliches Leben. Er würde ihn nicht festhalten können. Würde sich irgendwann nur noch schwach daran erinnern können, denn loszulassen war nicht bloß sein Schicksal, wie er nun verstand, sondern auch Sophies. Was immer es war, das sie beide in diesem Kuss vereinte – es würde und konnte keinen Bestand haben. Mit jeder Sekunde, die verging, rann ihm das, was er so verzweifelt gesucht und endlich gefunden hatte, durch die Finger.
Valentin grub seine Hände in mein Haar und zog mich an sich. Unsere Lippen passten perfekt aufeinander und ich neigte den Kopf, um ihn zurückzuküssen. Mein eigenes Seufzen klang mir heiser im Ohr und ich legte meine Arme um Valentins Hals. Es war verrückt, ihn zu küssen. Ich kannte ihn kaum, doch mein Körper reagierte auf ihn, als würde ich ihn bereits ewig kennen. Ich zitterte, als er seine Finger über meinen Nacken streichen ließ. Als er über mein Schlüsselbein nach unten streichelte und schließlich meine Taille umfasste. Er presste mich an sich und ich sank gegen seine starke Brust. Sein Herz schlug so nah an meinem und ich spürte, dass nicht nur mein Puls viel zu schnell schlug. Dieser Kuss war keine Lüge. Dieser Kuss hatte Bedeutung.
Valentin legte seine Stirn gegen meine. Er unterbrach unseren Kuss, obwohl er seine Lippen kaum von meinen nahm. Sein Blick ging direkt in meine Augen. »Ich bin nicht der Teufel von Paris, Sophie«, murmelte er und küsste mich wieder. »Aber ich kenne ihn.« Er legte seine Hände an mein Gesicht, als fürchtete er, ich würde vor ihm zurückweichen. »Er kennt mich. Und ich stehe in seiner Schuld. Genau wie dein Bruder.« Valentin seufzte. »Und wenn du ehrlich zu mir gewesen wärst, dann hätte sich dein Bruder den Einbruch in mein Haus ersparen können.«
Ich stutzte und wollte zurückweichen, aber Valentin hielt mich fest. Er küsste mich noch einmal und lachte leise. »Denkst du, ich hätte das nicht bemerkt?«, fragte er, allerdings nicht wütend.
Ich runzelte die Stirn und legte ihm die Hände an die Brust. »Du wusstest das die ganze Zeit?«, fragte ich und rückte nun doch etwas von ihm ab, dabei hätte ich ihn am liebsten sofort noch einmal geküsst.
»Ich hätte hier keine vier Jahre überlebt, wenn mir etwas so Offensichtliches entgehen würde.« Er zwinkerte. »Dein Bruder hätte warten sollen, bis ich das Haus verlasse.«
Das Blut stieg mir in die Wangen und ich senkte den Kopf. »Es tut mir leid, ich … ich brauchte Gewissheit. Und du hast keine meiner Fragen beantwortet«, verteidigte ich mich. »Du hättest gar nicht merken sollen, dass Elian bei dir einbricht.«
Sein tiefes Lachen ließ meine Haut prickeln. »Tut mir leid, dass ich eure Pläne durchkreuzt habe«, meinte er schmunzelnd.
»Warum hast du nicht gleich etwas gesagt?«, fragte ich und suchte erneut seinen Blick. »Warum hast du mich dann hierher begleitet?« Die Kutsche hatte den Parc de Boulogne erreicht und fuhr langsamer.
Valentin lächelte nach wie vor, doch der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich. Er wurde intensiver. »Vielleicht wollte ich meine Wahrheit nicht mit dir vor deinem Bruder teilen«, flüsterte er und nahm meine Hand. Er küsste meine Handfläche, ehe er mich wieder ansah. »Sondern nur mit dir. Vielleicht wollte ich einfach mit dir allein sein, weil es seit Langem das erste Mal ist, dass ich mich in der Nähe eines Menschen nicht einsam fühle.« Er schloss die Lider und schüttelte den Kopf über seine eigenen Worte. »Ich weiß nicht, was du mit mir machst, Sophie, aber es gefährdet meine Zukunft. Und ich weiß nicht einmal, ob mich das noch kümmert.«
Die Kutsche hielt an und Valentin ließ mich los. Er rückte von mir ab, als das Wackeln des Gefährts zeigte, dass Rémi vom Kutschbock kletterte. Ich hatte noch tausend Fragen, wollte noch tausend Küsse, und es war echt übles Timing, dass die Fahrt gerade jetzt endete. Doch das tat sie. Rémi öffnete die Tür und die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach der Bäume im Park fielen, blendeten mich. »Parc de Boulogne, Mademoiselle«, erklärte er und klappte die Trittstufen aus.
»Danke, Rémi«, sagte ich und folgte Valentin aus der Kutsche. Er half mir beim Aussteigen, und als wir uns einige Schritte von der Kutsche entfernt hatten, legte er seine Hand auf meine. Der Weg war gewunden und von blühenden Rabatten gesäumt. Ein Springbrunnen funkelte vor uns im Sonnenlicht und das leise Plätschern hatte etwas Fröhliches an sich. Das passte überhaupt nicht zu dem Orkan an Gefühlen, der in meinem Innersten tobte.
»Du stehst also wirklich in der Schuld des Teufels von Paris?«, fragte ich, als wir außer Hörweite waren. Der Beutel mit Gold an meinem Handgelenk kam mir beinahe unbedeutend vor, im Vergleich zu dem, was Valentin mir anvertraut hatte, und über all meinen Gedanken dazu schwang das Echo unseres Kusses. Mein Herz schlug jetzt noch schneller und ich wollte und konnte nicht aufhören, daran zu denken. Dazu wirbelten zeitgleich tausend andere Fragen in meinem Kopf herum. Welche Schuld verband ihn mit dem Teufel? Konnte er ebenfalls durch die Zeit reisen? Hatte er doch eine Familie?
»Das tue ich. Und es bringt mich in eine Zwickmühle, Sophie«, gestand Valentin und unterbrach mein Gedankenkarussell.
Wir erreichten den Ort unter den Linden, an dem das Geld übergeben werden sollte, doch abgesehen von uns war niemand hier. Valentin sah sich argwöhnisch um. »Wir sind zu früh«, schätzte er und wir traten in den Schatten unter dem größten Baum. Ich lehnte mich gegen den Stamm und versuchte mein wild hämmerndes Herz mit gleichmäßigen Atemzügen zu beruhigen, doch Valentins sinnlicher Blick machte das unmöglich.
»Ich habe dir meine Wahrheit gesagt«, raunte er und kam näher. »Jetzt will ich deine Wahrheit hören.« Er nahm die Strähne in die Hand, die mir seitlich der Stirn ins Gesicht fiel und wickelte sie sich spielerisch um den Finger. »Ich finde, das schuldest du mir.«
Ich wollte ihm alles sagen. Ihm jede Lüge erklären, aber noch viel mehr wollte ich, dass er näher kam. Dass er seine Arme um mich legte und mich vergessen ließ, dass ich in wenigen Stunden aus dieser Zeit gerissen werden würde. Ohne Elian. Und ohne ihn. Unsicher griff ich nach seiner Hand und zog ihn dichter an mich heran.
»Du hast recht. Ich … war nicht ehrlich zu dir. Ich bin eine Lügnerin. Schon immer«, gestand ich und biss mir auf die Unterlippe. »Aber du musst mir glauben, dass es mir nie leichtgefallen ist, dich anzulügen.«
»Warum sollte ich einer Lügnerin glauben?« Seine Stimme war samtweich und er beugte sich über mich, sodass ich den Kopf an den Stamm lehnen musste, um ihm in die Augen sehen zu können.
»Weil …« Ich drängte die Tränen zurück, die mir hinter den Lidern brannten. Warum machte er es mir so schwer? »… Gott, Valentin!«, stieß ich hervor. »Spürst du denn nicht, dass ich dich mag? Dass ich …« Ich konnte nicht aussprechen, dass ich in ihn verknallt war. Dass ich ihn toll und superheiß fand. Wie sollte ich das denn sagen? »Vergiss es einfach«, gab ich auf und senkte den Kopf. »Wenn du es nicht merkst, dann …«
Er hob mein Kinn an und betrachtete mich unter seinen dichten Wimpern heraus. »Dann?«
»Dann weiß ich auch nicht, wie ich es dir mit Worten klarmachen soll!«
Valentin lachte und das Beben seiner Brust vibrierte in meinen Fingerspitzen wider. »Worte können täuschen, Sophie«, wisperte er und umfasste mein Gesicht.
» Aber Küsse nicht«, entgegnete ich und drängte mich an ihn. Ich hob mich auf Zehenspitzen und schlang ihm die Arme um den Hals. Ich wollte, dass er verstand, was ich nicht aussprechen konnte. Ich wollte, dass er begriff, wie leid es mir tat, dass ich nicht aufrichtig zu ihm gewesen war und ihn verdächtigt hatte. Ich kreuzte meine Hände in seinem Nacken, zog ihn näher und küsste ihn. Als unsere Zungen sich trafen, sank ich seufzend gegen ihn. Es war unwichtig, wo wir waren oder ob uns jemand sehen würde. Dieser Kuss war die Wahrheit. Und die wollte ich nicht länger verbergen. Ich krallte mich in Valentins Schultern und genoss seine Muskeln unter meinen Fingern, während er behutsam seine Arme um mich schloss. Er trat zwischen meine Beine, fühlte seine Oberschenkel an meinen.
Die Zärtlichkeit, mit der er mich berührte, mit der er mich küsste und hielt, war das Beste, das mir je passiert war, und ich dankte im Geiste dem Teufel von Paris – wer immer er auch sein mochte – mir Valentin zur Seite gestellt zu haben.
»Ich mag dich wirklich«, murmelte ich zwischen zwei Küssen, und zur Antwort drückte Valentin mich noch fester an sich. Schließlich löste er seine Lippen von meinen und streichelte meine Wange mit einem bedauernden Lächeln.
»Ich wünschte, das würde eine Rolle spielen«, meinte er mit sich verdunkelnder Miene. »Was wir fühlen, ist nebensächlich, oder? Uns läuft die Zeit davon. Dir – läuft die Zeit davon, richtig?« Er strich über mein Mieder, hinab zu meiner Taille und über meine Hüften auf meinen Rock. Dann ertastete er den Chronographen. »Wie viel Zeit hast du noch, Sophie?« Er sah traurig aus. »Und wohin bringt dich der Chronograph, wenn er dich hier wegholt?«
»Dass wir uns mögen, spielt für dich also keine Rolle?«, fragte ich ungläubig, denn ich verstand nicht, wie er nach diesem Kuss einfach seine Gefühle abstellen konnte, wo doch mein Innerstes mit aller Kraft nach mehr schrie. »Der Chronograph ist doch nicht wichtig! Ich kann zurückkommen. Der Teufel gewährt mir bestimmt erneut Aufschub, immerhin habe ich seinen Auftrag noch nicht erfüllt!«
»Was ist dein Auftrag?«
»Ich muss bloß die Goldene Libelle von Lyon für ihn finden. Elian hätte das erledigen sollen, doch dann …«
Valentin kniff die Lippen zusammen. »Das dachte ich mir.«
»Und dein Auftrag lautet also, mich zu begleiten oder zu beschützen, damit der Teufel seine Libelle schneller bekommt, oder wie?«, überlegte ich laut.
»Das ist nicht mein Auftrag«, meinte Valentin und trat ein Stück zurück. Zwei Reiter in dunklen Umhängen mit tiefhängenden Kapuzen näherten sich uns. Valentin bedeutete mir mit einer Handbewegung, ihm den Beutel mit den Münzen zu reichen. Er sah mich an und sein Blick war nüchtern und besorgt. »Mein Auftrag ist es, den Verdacht des Teufels von Paris zu bestätigen, dass dein Bruder etwas gegen ihn im Schilde führt.« Er zuckte leicht mit den Schultern. »Und herauszufinden, wer alles mit Elian unter eine Decke steckt.«
Im Galopp kamen die Reiter näher. Valentin trat aus dem Schatten hervor und stellte sich mittig auf den Weg. Das Donnern der Hufe schien ihm keine Angst zu machen und er wirkte kein bisschen nervös, obwohl die Reiter ihre Pferde bis direkt neben ihn preschen ließen.
»Habt Ihr das Lösegeld, Monsieur?«, fragte einer der Reiter und griff direkt nach dem sonnengelb bestickten Beutel. »Dann her damit!«
Widerstandslos übergab Valentin das Gold, und die Kerle verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
»Das war Thibault«, stellte er fest, als er zu mir zurückkam. Er klopfte sich den Staub, den die Pferde aufgewirbelt hatten, vom Umhang. »Dein Bruder paktiert also wirklich mit diesem Ganoven vom Hafen«, stellte er fest und rieb sich den Nacken, während mir eine Gänsehaut über den Rücken lief.
»Du hast gesagt, dein Auftrag ist es, Elian zu verraten, ist das richtig?« Ich rieb mir die Arme gegen die plötzliche Kälte, die in mir hochkroch. »Aber das wirst du nicht wirklich machen, oder?« Ich ging langsam auf ihn zu. »Du musst doch verstehen, warum er das tut, wenn du selbst in der Schuld des Teufels stehst.«
Valentin wich meinem Blick aus und schritt den Weg zurück, den wir gekommen waren. »Natürlich verstehe ich, warum er das tut.«
Ich raffte meinen Rock und rannte ihm nach. »Warte mal!«, forderte ich und holte ihn ein. »Und was wirst du jetzt machen?«
»Das ist es, was ich vorhin meinte, Sophie. Ich stecke in einer Zwickmühle.« Er blieb stehen und fuhr sich durchs Haar. »Ich muss diesen Auftrag erfolgreich abschließen. Unbedingt! Ich habe keine Wahl.«
»Man hat immer eine Wahl!«
Valentin lachte. »Das habe ich vor vier Jahren auch gedacht. Ich erhielt einen Auftrag, der gegen meine Überzeugungen war. Ich weigerte mich.« Sein Lächeln war bitter. »Ich glaubte, ich würde die richtige Wahl treffen, den Auftrag zu verweigern. Und es hat mich mein Leben gekostet. Meine Zukunft. Mein Zuhause.«
» Wie meinst du das?« Ich suchte in seinen Augen nach einer Antwort, dunkle Schatten lagen über seinen Zügen.
»Ich kann nicht zurück nach Hause, weil der Teufel von Paris im Besitz meines Chronographen ist. Er sagt, er könne mir nicht mehr vertrauen, also würde er mich nicht wieder in meine Zeit zurückkehren lassen.«
Ich rieb mir die Stirn, tat mich allerdings schwer, seinen Worten zu folgen. »Dann … steckst du hier fest? Seit Jahren?«
Valentin nickte. »Ich muss ihm nun beweisen, dass ich vertrauenswürdig bin. Sonst kann ich nie wieder nach Hause.«
»Dann willst du wirklich Elians Pläne verraten?«
Er sah mich mitfühlend an. »Ich will nach Hause, Sophie. Weg aus Versailles, weg von all den Lügen hier. Verstehst du das nicht?«
»Schon. Aber … aber vielleicht … gibt es einen anderen Weg«, überlegte ich, auch wenn mir absolut keiner einfallen wollte. Valentin schwieg. Vermutlich, weil auch er keine Möglichkeit sah. Doch es musste einen anderen Weg geben, als Elian zu verraten.
»Aus welcher Zeit kommst du?«, fragte ich, um die Stille zu durchbrechen. Denn inzwischen war auch in meinem Gehirn angekommen, dass er ebenso ein Zeitreisender war wie ich, wenn er einst im Besitz eines Chronographen gewesen war. Dabei schlang ich die Arme um meinen Körper, in der Hoffnung, mein Zittern zu verbergen.
Weil er nicht antwortete, ergriff ich die Initiative. »Ich komme aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert«, gab ich zu und hielt den Atem an. Es war verrückt, das auszusprechen. Verrückt, dass irgendjemand glaubte, dass ich durch die Zeit gehen konnte. Und noch verrückter war, dass ich damit nicht allein war.
Valentin schmunzelte. »Ich wusste gleich, dass mit dir etwas nicht stimmt.«
»Hey!«, lachte ich und folgte ihm, als er sich in Bewegung setzte, ohne mir mehr zu verraten. Es schien fast, als wollte er vor etwas davonlaufen. Doch anstatt zur Kutsche abzubiegen, ging er in Richtung des Sees, der das Herz des Parks bildete. Die Nachmittagssonne schien warm auf uns herab und am Ufer lagen Enten im Schatten violett blühender Schwertlilien. Als ich ihn eingeholt hatte, bot er mir wie ein Gentleman dieser Zeit seinen Arm an und ich legte meine Hand darauf. Wer uns begegnete, würde nichts Ungewöhnliches an uns finden, abgesehen vom Fehlen jeglicher Anstandsdamen. »Mit mir stimmt alles«, widersprach ich. »Wenn schon, dann stimmt mit dieser Zeit hier so einiges nicht.«
Valentin nickte. »Wem sagst du das.« Sein Blick schweifte in die Ferne ans andere Ufer. »Aber ich bin schon so lange hier, dass es langsam zur Normalität wird.«
Ich spürte, dass er litt. Und dass er nicht darüber sprechen wollte. »Darf ich fragen, welchen Gefallen dir der Teufel getan hat, dass du in seiner Schuld stehst?« Mein Herz blutete, als ich Valentin so sah. Er war vollkommen verändert. Das schelmische Schmunzeln verschwunden, der neckende Glanz seiner Augen verblasst und die mutige Entschlossenheit, die ich von ihm kannte, wie weggepustet. Ich wollte ihn trösten, ihn in den Arm nehmen, doch es war, als hätte er einen Schutzwall um sich errichtet. Mit trauriger Miene betrachtete er mich.
»Nicht ich habe den Vertrag mit dem Teufel unterzeichnet. Es ist eine alte Schuld, die mein Vorfahr auf sich geladen hat«, setzte er an und seine Miene verfinsterte sich. «Und trotzdem ist es nun an mir, diese zu begleichen.«
» So ist es bei uns auch«, sagte ich, in der Hoffnung, ihn mit meinen folgenden Worten aus der Reserve zu locken. »Mein Onkel Albert – der ja nicht wirklich mein Onkel ist – hat den Teufel um einen Gefallen gebeten. Und seitdem steht unsere Familie in seiner Schuld. Etliche Generationen, bis hin zu Elian!«
Valentin nickte. »Wir werden nie wieder frei sein«, war alles, was er darauf antwortete. Seine Niedergeschlagenheit passte nicht zu dem schönen Wetter und der herrlichen Umgebung. Ich wollte ihn schütteln, damit er diese Schwermut ablegte und wieder lächelte, und beschloss, ihn fürs Erste nicht weiter mit meinen neugierigen Fragen zu bombardieren. Die Erinnerungen an sein früheres Leben schienen sehr schmerzhaft für ihn zu sein, sodass ich es ihm vorerst durchgehen lassen würde, dass er wie so oft nur ausweichend antwortete. Vielleicht war ihm das während seiner Zeit hier schon zur Gewohnheit geworden, sich niemandem anzuvertrauen. Nichts zu sagen, war offenbar seine Art zu lügen.
»Es muss einen Weg geben! Vielleicht hat ihn nur noch nie jemand gesucht? Vielleicht hat Elian recht mit seiner Rebellion gegen den Teufel!«
Valentin drehte sich zu mir und fasste mich an den Schultern. Sein Blick war eindringlich. »Du kennst ihn nicht, Sophie! Der Teufel von Paris hat diesen Namen nicht zufällig! Er ist ein Teufel! Wir bedeuten ihm nichts, das kannst du mir glauben!« Er holte Luft. »Was dein Bruder vorhat, wird scheitern! Es wird ihn das Leben kosten – und solltest du Pech haben, dann auch den Rest deiner Familie. Dein Bruder ist ein Dummkopf, wenn er glaubt, er könnte es mit dem Teufel von Paris aufnehmen!«
»Woher willst du das alles wissen?«
» Gott, Sophie!« Er trat zurück und raufte sich frustriert die Haare. »Meinst du, ich habe in den letzten Jahren nichts anderes getan, als mich auf Bällen herumzutreiben? Ich habe natürlich versucht, den Teufel zu finden. Herauszukriegen, wer er wirklich ist und woher seine Macht kommt!« Ein Schatten legte sich über seine Züge und sein Kiefer zuckte vor Anspannung. Er senkte die Stimme und ein eisiger Schauer rann mir den Rücken hinab. »Der Auftrag, den ich abgelehnt habe, bestand darin, Madame de Montespan, die Mätresse des Königs, zu überführen, den König und ihre Widersacher am Hof zu vergiften. Ich sollte falsche Beweise streuen, die ihre Schuld beweisen würden.«
»Was?!« Mir wurde schlecht. Ich hatte in der Schule von der Giftaffäre gehört. Aber wie hatte ich Hunderte Jahre später davon hören können, wenn Valentin sich geweigert hatte?
»Ich habe mich geweigert – aber kurz darauf wurde mir klar, dass ich offensichtlich nicht der Einzige bin, der in der Schuld des Teufels steht. Denn ein paar Tage später wurde nicht nur der Verdacht laut, Madame de Montespan wäre an den Giftanschlägen im königlichen Umfeld beteiligt, sie hat auch wirklich die Zuneigung und das Vertrauen des Königs verloren«, fuhr Valentin nachdenklich fort.
»Warum sollte der Teufel von Paris das wollen? Was hat er denn davon?«
»Das weiß ich auch nicht«, gestand Valentin frustriert und schüttelte den Kopf. »Fakt ist allerdings, dass jemand anderes diesen heiklen Auftrag für ihn erledigt hat.« Er sah mich bedeutungsvoll an. »Wenn es nicht dein Bruder war, der diesen Auftrag erfüllt hat, dann gibt es noch mehr von uns!«
So weit hatte ich bisher gar nicht gedacht. Und daran, dass womöglich mein Bruder oder mein Vater an der Giftaffäre beteiligt sein konnten, wollte ich lieber gar nicht denken.
»Wir müssen mit Elian reden!«, stieß ich hervor und packte Valentins Hand. »Ich kann nicht glauben, dass jemand aus meiner Familie darin verwickelt sein soll, aber wir müssen das herausfinden!« Ich sah ihn an, während mich neue Energie durchströmte. »Das ist doch verrückt! Absolut verrückt! Die Giftaffäre ist geschichtlich belegt. Sie steht in Schulbüchern! Wie kann das alles gelogen oder erfunden sein? Wie …?«
Valentin lachte und zumindest ein wenig von dem ursprünglichen Glanz kehrte in seine Augen zurück. »Ich habe dir ja gesagt, dass in Versailles jeder lügt.«