Wir wohnten im selben Hotel, einer kleinen Pension im Engadin. Magdalena gehörte zu einer Gruppe von Leuten, die tagsüber wandern gingen und jeden Abend den ganzen Speisesaal unterhielten mit ihren Geschichten und Späßen. Sie war mir aufgefallen, weil sie stiller war als die anderen und trotzdem im Zentrum zu stehen schien. Sie war mit Abstand die Jüngste der Gruppe, und alle drei Männer machten ihr den Hof, aber auf eine so verspielte Art, dass die anderen Frauen sich nicht daran zu stören schienen.
Ich war in die Berge gekommen, um an einem Roman zu schreiben. Damals bildete ich mir noch ein, in einer ruhigen Umgebung besser arbeiten zu können. Ich saß die meiste Zeit an einem kleinen Granittisch im schattigen Garten des Hotels und schrieb oder las, ein Bild von einem Schriftsteller. Als ich eines Morgens zum Frühstück kam, war die Gruppe eben dabei aufzubrechen. Sie verhandelten lautstark die Pläne für den Tag, aber diesmal klang ihre Fröhlichkeit künstlich, und als sie endlich den Speisesaal verließen, blieb Magdalena zurück.
Später ging ich in den Hotelgarten, um zu arbeiten, da saß sie an meinem Tischchen, in den Händen einen Stapel Blätter. Ich konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen, es schien sich um ein Theaterstück zu handeln. Sie musste mein Zögern bemerkt haben. Ist das Ihr Platz?, fragte sie. Bleiben Sie nur, sagte ich, ich finde auch einen anderen Tisch. Sie zeigte auf den Stuhl, der ihrem gegenüberstand, und sagte, Sie dürfen sich gerne zu mir setzen.
Ich versuchte zu arbeiten, aber es gelang mir nicht, ich schielte immer wieder zu ihr hinüber. Dann schaute sie von ihren Papieren hoch, als habe sie meinen Blick gespürt, und lächelte mich an. Schreiben Sie Tagebuch?, fragte sie schließlich. Ich schämte mich damals immer ein wenig für meine Schreiberei, so gerne ich ein erfolgreicher Schriftsteller gewesen wäre, so peinlich war es mir, ein erfolgloser zu sein. Notizen, sagte ich. Ich führe Tagebuch, sagte sie, ich schreibe fast jeden Tag etwas hinein. Seit meinem zwölften Lebensjahr. Und was schreiben Sie in Ihr Tagebuch?, fragte ich. Alles Mögliche. Was ich mache, wen ich kennenlerne, Dinge, die mich beschäftigen. Habe ich eine Chance, in Ihrem Tagebuch erwähnt zu werden?, fragte ich. Nur wenn Sie mit mir einen Kaffee trinken, sagte sie und hielt mir ihre Hand hin. Magdalena. Die Szene hatte etwas Förmliches, was ihr zu gefallen schien. Ich ging ins Haus, um unsere Bestellung aufzugeben.
Jetzt müssen Sie etwas Außergewöhnliches sagen oder tun, sagte Magdalena mit einem Lächeln, nachdem ich mich wieder zu ihr gesetzt hatte, damit Sie in meinem Tagebuch eine gute Figur machen. Sie legte das Stück umgekehrt auf den Tisch, so dass ich den Titel nicht lesen konnte, und schaute mich erwartungsvoll an. Warum sind Sie nicht mit wandern gegangen?, fragte ich. Sie zögerte, als überlege sie, ob es sich lohne, mir den Grund zu nennen. Das ist eine andere Geschichte, sagte sie schließlich, nichts Interessantes. Wir spielen Theater. Nächste Woche fangen wir mit den Proben zu einem Stück an. Vorher wollten wir ein paar Tage in den Bergen verbringen, um uns besser kennenzulernen. Der Regisseur meinte, das würde uns zusammenschweißen. Hat wohl nicht geklappt. Sie zuckte mit den Schultern. Und jetzt sitze ich hier und langweile mich. Gehen Sie mit mir wandern?
Wir tranken den Kaffee aus und verabredeten uns in einer Viertelstunde vor dem Hotel. Als Magdalena eine halbe Stunde später kam, war ich dabei, die Wegweiser zu studieren, die in alle Richtungen zeigten. Aber sie wusste bereits, wohin sie wollte, sie wies den Abhang hinter uns hoch und sagte, den anderen war das zu anstrengend.
Der Weg führte steil bergauf durch einen Arvenwald. Wir gingen stumm hintereinander her und sprachen nur, wenn wir dann und wann kurz anhielten, um zu verschnaufen. Nach vielleicht einer Stunde kamen wir zur Baumgrenze. Der Weg führte hoch zu einer Geröllhalde, die einen weiten Kessel bildete. Wir waren inzwischen mehr als zwei Stunden gegangen und setzten uns auf einen Fels, um uns auszuruhen. Ich hatte nur eine Flasche Wasser dabei, ich hatte nicht geahnt, dass Magdalena eine richtige Bergtour vorhatte. Es war ein warmer Sommertag, und ich war nassgeschwitzt. Magdalena war ziemlich klein und ihr Körper zart, aber sie schien weniger erschöpft zu sein als ich und drängte bald wieder zum Aufbruch.
Gut drei Stunden nachdem wir losgegangen waren, erreichten wir einen winzigen See, der geschützt in einer Mulde lag. Aber Magdalena wollte weiter auf einen nahen Gipfel, dessen Name es ihr angetan hatte. Eine halbe Stunde später kamen wir endlich oben an, und die Landschaft tat sich vor uns auf, weit unten war das Tal zu sehen und die Seen und auf der gegenüberliegenden Talseite eine Kette schneebedeckter Spitzen.