Wir liefen an einer sechsspurigen Straße entlang, einem Bretterzaun, hinter dem eine riesige Baustelle lag. Ein kalter Wind blies uns ins Gesicht, aber Lena beklagte sich nicht, sie ging neben mir her, als hätte sie nie etwas anderes getan. Endlich kamen wir zu einer hellerleuchteten Kreuzung, an der eine Tankstelle lag und gegenüber das Universitätsgelände. Die Gebäude der Universität hatten etwas seelenlos Modernes, aber das warme Licht in den Fenstern strahlte Geborgenheit aus. Wollen wir uns ein wenig aufwärmen?, fragte Lena, als wir vor dem Studentenhaus ankamen. Nicht hier, sagte ich und führte sie um den Gebäudekomplex herum. Von der Autostraße drang ein konstantes Rauschen herüber. Auf den Grünflächen des Campus lag etwas mehr Schnee als im Inneren der Stadt, aber die Wege waren geräumt.

Sie kennen sich hier aus?, fragte Lena. Natürlich, sagte ich, ich war schon einmal hier vor langer Zeit. Mit mir?, fragte sie. Nein, sagte ich und hielt ihr die Tür zur Bibliothek auf.

Wir gingen durch die engstehenden Regale. Die Bücher waren nach einem schwer durchschaubaren System geordnet. Lena zog einen dicken Band aus einem der Regale, eine zerlesene Anthologie englischer Lyrik, und blätterte sie durch. Haben Sie jemals Gedichte geschrieben?, fragte sie. Jemand hat mal gesagt, Prosaautoren schrieben über die Welt, Lyriker über sich selbst, sagte ich. Glauben Sie, das stimmt?, fragte Lena. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht stimmt auch das Gegenteil.

Ich nahm ihr den Band aus der Hand und suchte

Lena ging vor mir her, ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, hörte nur ihre zögernde Stimme. Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass alles nur Einbildung sein könnte? Ich habe längst aufgehört, mich das zu fragen, sagte ich. Ich glaube nicht, dass ich verrückt bin, aber wenn ich verrückt wäre, woher sollte ich es wissen? Ich tue, was ich zu tun habe. Ich möchte Ihnen gerne glauben, sagte sie. Ich will gar nicht wissen, was die Zukunft mir bringt, aber ich mag die Vorstellung, dass sie festgeschrieben ist, dass alles, was mir geschieht, schon einmal jemandem geschehen ist, einen Zusammenhang hat und einen Sinn ergibt. Als wäre mein Leben eine Geschichte. Ich glaube, das ist es, was ich an Büchern immer gemocht habe. Dass sie unabänderlich sind. Man muss sie gar nicht lesen. Es reicht, sie zu besitzen, sie in die Hand zu nehmen und zu wissen, dass sie immer so bleiben, wie sie sind. Sie setzte sich an einen der Arbeitsplätze, und ich setzte mich ihr schräg gegenüber.