Schon während des Studiums hatte ich angefangen, an ersten Romanprojekten zu arbeiten, ambitionierten Konstrukten voller Binsenweisheiten und literarischer Anspielungen, die niemand lesen, geschweige denn publizieren wollte. Diese jahrelangen Bemühungen und das ewige Scheitern waren es schließlich, die mir zu Erfolg verhalfen. Der Held des Romans, mit dem ich nach Jahren einen Verlag fand, war ein ebenso desillusionierter Autor wie ich. Das Buch erzählte eine Liebesgeschichte, es hatte eine Art Porträt meiner Freundin werden sollen, aber während ich es schrieb, trennten wir uns, und so wurde es eine Geschichte über unsere Trennung und über die Unmöglichkeit der Liebe. Zum ersten Mal hatte ich beim Schreiben gespürt, dass ich eine lebendige Welt erschuf. Zugleich entglitt mir die Realität immer mehr, erschien mir der Alltag langweilig und schal. Meine Freundin verließ mich, aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich mich im Kopf schon Monate früher von ihr getrennt, war in die Fiktion entkommen, in

Der Roman kam gut an bei Buchhändlern und Lesern, und auch die Kritik wurde darauf aufmerksam. Dieses Debüt berge alle Möglichkeiten für die Zukunft in sich, schrieb eine Kritikerin. Tatsächlich glaubte ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an die Zukunft. Nachdem ich jahrelang von der Hand in den Mund gelebt hatte, verhalf mir der Erfolg des Romans zu keinem üppigen, aber einem anständigen Einkommen, und vor allem hatte ich endlich ein Buch in der Hand, das meine Bemühungen rechtfertigte. Die Jahre des erfolglosen Schreibens kamen mir jetzt schon vor wie eine längst vergangene Zeit, in der ich gefangen gewesen war in labyrinthischen Projekten, getrieben von überstiegenen Ambitionen.

Wie viel meine Geschichte mit mir zu tun hatte, gab ich nie zu. Wenn ich nach Lesungen darauf angesprochen wurde, wehrte ich ab und bestand auf der Unterscheidung zwischen Erzähler und Autor.

Mein Verlag hatte etliche Lesungen für mich organisiert, und ich genoss es, meiner leeren Wohnung zu entkommen, im Land herumzureisen, mir fremde Orte

Es war spät im November. Ich war kurz nach Mittag losgefahren, absichtlich viel zu früh. Ich hatte das Dorf seit vielen Jahren nicht besucht und wollte sehen, ob die Wirklichkeit noch mit meiner Erinnerung übereinstimmte.

Der Zug leerte sich von Station zu Station immer mehr, als nähere er sich einer verbotenen Zone, ich war der Letzte in meinem Waggon, der Schaffner hatte sich seit längerem nicht mehr blicken lassen. Als ich losgefahren war, hatte die Sonne geschienen, aber je weiter östlich wir kamen, desto nebliger wurde es, inzwischen war vor den Fenstern nur noch Grau zu sehen, Wald, kahle Bäume, brachliegende Felder, eine Herde Schafe und dann und wann ein einzelner Hof oder ein Weiler. Kurz vor dem Ziel machte die sonst fast gerade Strecke

Im Winter lag der Nebel in dieser Gegend oft wochenlang, es war die Wetterlage, die ich wie keine andere mit meiner Kindheit verband, eine kalte Welt, grau und diffus und zugleich geborgen, in der alles, was nicht ganz nah war, nicht zu existieren schien. Erst als ich nach dem Abitur das Dorf verlassen hatte und in die Stadt gezogen war, hatte ich gelernt, wie weit die Welt war und wie unsicher. Vielleicht hatte ich deshalb zu schreiben begonnen, um die Landschaft, die Sicherheit meiner Kindheit wiederzugewinnen, aus der ich mich selbst vertrieben hatte.

Obwohl es möglich gewesen wäre, nach der Lesung zurückzufahren, hatte ich den Buchhändler gebeten, mir ein Zimmer zu buchen, und zwar im Hotel im

Ich hatte vorgehabt, ein wenig durch das Dorf zu spazieren, aber schon auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel hatte mich die Mischung von Vertrautem und Neuem irritiert und beunruhigt. Selbst die Gebäude, die noch immer aussahen wie in meiner Jugend, kamen mir fremd vor, als stünden sie in einem Museum, losgelöst von ihrer Funktion und ihrem Kontext.

Die Luft im Hotelzimmer war trocken und roch dumpf nach einem Raumspray. Ich legte mich aufs Bett und dachte an das Dorf, wie es früher gewesen war. Wenn ich die Augen schloss, war alles noch da, die Häuser, die Straßen, die Menschen, die es bewohnt hatten. Ich erinnerte mich an den Betrieb an Markttagen, an die Umzüge und Feiern mit Blasmusik und Feuerwerk, aber auch an müde Frühlingstage, an die sommerliche Leere, an die Geborgenheit regnerischer Herbsttage. Jede Jahreszeit hatte ihre Gerüche gehabt, jenen des Regens auf dem Asphalt, des heißen Teers,

Ein Klingeln weckte mich. Im Zimmer war es dämmrig, und ich brauchte einen Moment, bis ich das Telefon gefunden und mich gemeldet hatte. Es war der Buchhändler, der sich erkundigte, ob ich gut angekommen sei und ob er mich im Hotel abholen solle. Ich finde den Weg schon allein, sagte ich, so lange war ich nicht weg.

Meine Befürchtungen waren umsonst gewesen. Ich kannte niemanden aus dem Publikum, und dass ich aus dem Dorf stammte, schien keinen zu interessieren. Nach der Lesung wurden die üblichen Fragen gestellt, nur jene nach dem Autobiographischen schienen die Zuhörer hier zu vermeiden. Später ging ich mit dem Buchhändler und einigen seiner Stammkunden auf ein Glas Wein in ein Restaurant. Obwohl wir uns nicht viel zu sagen hatten, wurde es spät. Ich erkundigte mich nach einigen Leuten aus dem Dorf, aber die meisten waren meinen Begleitern nicht bekannt oder nur dem Namen nach, waren weggezogen oder alt geworden und spielten keine Rolle mehr. Stattdessen sprachen die anderen über alle möglichen Dorfangelegenheiten, politische Intrigen, nebensächliche Geschichten über

Während des kurzen Weges durch die nächtlich leeren Straßen fühlte ich zum ersten Mal an diesem Tag so etwas wie Vertrautheit, aber es schien weniger mit dem Ort als mit der Zeit zu tun zu haben, mit der Nacht, die Erinnerungen wachrief an Heimwege nach langen Kneipentouren, an nicht endende Gespräche mit Freunden an Straßenkreuzungen, wo unsere Wege sich trennten, an hochfliegende Pläne und große Erwartungen.

Der Eingang des Hotels lag in einem nur schwach beleuchteten niedrigen Laubengang, die Glastür war verriegelt. Ich drückte die Nachtglocke. Erst während ich wartete, merkte ich, wie betrunken ich war. Ich lehnte mich mit einer Hand an das kalte Glas. Nach einigen Minuten klingelte ich noch einmal. Ich erinnerte mich an die Kontrollgänge während meiner Zeit als Nachtportier. Mit der Taschenlampe in der Hand war ich durch den Theatersaal gegangen, über die leere Bühne, durch kahle Flure und Konferenzzimmer und hinunter in die Tiefgarage.

Endlich hörte ich eine Tür knallen und sah kurz darauf Bewegung im Flur, die innere Glastür ging auf, und