»Das Aas?« – ich muß lachen, wenn ich daran denke, denn so bin ich doch noch niemals zum Narren gehalten worden, als von ihr, die sich selber und »Allem, was sie liebte«, diesen Kosenamen beilegte; von der »kleinen Anna«. Sie war ein reizender Racker, der Typus der Leipziger Confectioneuse, das richtige Studentenmädel. Hauptsächlich mochte sie die Corpsstudenten, und von den Corps erfreute sich besonders meines ihrer Gunst. Das war schon beinahe das diplomatische Prinzip von der meistbegünstigten Nation, das sie in dieser Hinsicht pflegte. Hervorragend treu konnte sie natürlich nicht sein unter solchen Umständen, schon deshalb nicht, weil jedhalbjährlich neue Füchse, und ach, gerade nach grünem Gemüse hatte sie so gesunden Appetit. Das Hauptfeld ihrer Thätigkeit war der »Schloßkellerschwof«, der Sonntagstanz der Studenten in Rendnitz. Ihre Briefe sind hauptsächlich Aufforderungen, dahin zu kommen. Sie pflegte in diesem Zusammenhange einen Stil von vieler Energie.
Mein süßes Aas!
Du kommst doch morgen in den Schloßkeller? Dein Corpsbruder P. hat mir zwar gestern gesagt, Du mußt mit nach Halle, er will schon dafür sorgen, daß du mitmußt, aber laß Dir nur nichts vorschwatzen und komm in den Schloßkeller. Ueberhaupt P.! das ist auch ein Rechter. Was bildet sich denn der ein? Mich hat er gewiß auch schlecht gemacht bei Dir. Na, wahr ist es doch nicht. Mit dem Doktor soll ich noch verkehren? Das ist doch gemein, so was zu behaupten! Als wie wenn ich gar kein Ehrgefühl hätte! Und der kleine Dicke ist ein Bekannter von meiner Schwester. Was kann ich denn davor? Also Du kommst natürlich in den Schloßkeller, aber zeitig, nicht wie das letzte Mal um 9 Uhr erst, wo ich mich schrecklich gemopst habe vorher.
Es hat Dich furchtbar lieb
Dein kleines Rabenaas.
NB. Wegen dem Dicken kannst Du meine Schwester selber fragen. In Eile. Ich muß noch aufwaschen.
Anna
Es dauerte nicht lange, und sie hatte einen Anderen »furchtbar lieb«. Auf die Dauer wär's auch zu viel gewesen mit ihr.
Ins Feuer, ins Feuer, kleine Anna!
Jetzt kommt so einige Dutzendwaare. Darunter Alice, die Mondscheinheilige, von der im Corps die Redensart ging: »Sie rempelt mit Versen und kneift dann.« Ja, sie war eine idealistische Dichterin und in ihrem »Busen« brannte ein heiliges Feuer. Ihre Gedichte waren so gräßlich schön, daß sie im Druck Furore gemacht haben würden, aber Alice sang nur im Verborgenen, auf rosaroth note-paper mit einer Lilie als Wasserzeichen. »Holder Jüngling« nannte sie mich in ihren seufzenden Versen und eines ihrer schönen Gedichte endigte mit der infamen dichterischen Freiheit:
»... im Auge mir die Thränen stehen, Seh' Deine blonden Locken ich im Abendwinde wehen.« |
– ich war damals kurz geschoren. Original fahre hin in deiner Pracht! Friß, Feuer, den Blaustrumpf, der statt des Buchs der Liebe eine Poetik im Herzen hatte. Ich muß wahrlich lachen, wie das Lilienpapier zusammenschrumpelt. Knick, kß, kß, st. Wo mag Alice jetzt die Harfe beklimpern?
Da, hinter dem lyrischen Rosaroth knalldickes Royal red, armstämmig derb, aber elegant. Hollah! Wer ist's? Sonderbar, – sollte ich mich auf dies brutal vornehme Roth nicht besinnen können? Ich wende die Briefe in der Hand hin und her, ich greife sie tastend ab, ja, ich beschnobere sie, – Donner und Wetter: was ist denn das für ein molkiger, warmer Geruch? Ja, ja, ich kenn' ihn. Irgend wo einmal ist eine Wolke von ihm mir entgegengeschwollen, breit, dick... Ja, und ein paar glühende Augen hinter dieser Wolke, und dann ein paar üppige, weiße Brüste... Wo aber, wo?... Ah! »Josepha« mit dem ungeheuren accent aigu, die mich in ihrer Brust zusammenquetschte wie einen schwindsüchtigen Frosch, die mich »fraß vor Liebe«, und vor der ich floh, wie Joseph einsten in Egypterland, denn ihrer Liebe Brünste, diese ewig wabernde Lohe nie zu sättigenden Begehrens, waren mir unheimlich, der ich damals an vergißmeinnichtiger, gretchenhafter Minnigkeit noch süßeste Freude hatte. Meine Rolle war auch etwas kläglich. Sie benutzte mich als Blitzableiter für die elektrischen Knatterentladungen ihres gluthschwangeren Herzens, das sich nach irgend einem Wladimir wüthend abzappelte. Eine Geruchserinnerung ist mir geblieben und ein stickiges Gefühl der Blamirtheit und des Widerwillens. Herunter mit dem dicken königlichen Roth. Es fällt gerade so faul in die Flammen, wie sie in die Chaiselongue zu fallen pflegte, indem sie sagte: »Komm' her, mein Liebling (Libblingue) Ach, was dicken Arme hast Du!« Pfui Teufel! Weg! Weg! Weg!
Und nun, du Packet, von blauseidenem Band umschnürt, – dich erkenne ich gleich und nehme dich, und küsse dich ab (Adolar, Du bist gerächt) und bin vergnügt, vergnügt, vergnügt! Es bummeln alle Glocken und Glöckchen unschuldiger, herzschwellender Seligkeit, Vergißmeinnicht, das blasse Blumenseelchen, blüht, und kleine Veilchen duften, und der Himmel ist schwärmerisch blau und durchflockt von niedlichen Schäfchenwolken, auf denen Amoretten mit rosarothen Hinterbäckchen reiten.
Das war die Zeit, da ich mein und ihr Herz malte in Gestalt eines rothen Radi, drumherum geschlungen eine Guirlande mit der Bandschleife: Martha!
Martha! Gott, wenn ich daran denke! Mitten im Lärm und Qualm Berlins sind wir zwei auf Rosendüften gewandelt und haben nichts gesehen als ein himmelblaues, leuchtendes, lachendes Glück in unseren Augen und nichts gehört als das Klimperliedchen unserer Zärtlichkeit. Du, Du, Du nur allein, Du, Du, Du sollst es sein!
Liebe? Na ja, wie soll man sie nennen, diese dumme Glückseligkeit? Säuseln, Schwärmen, mit kleinen Glöckchen bimmeln, unbeschreibliche Süßigkeiten und Duftigkeiten athmen und, ach! so selig, selig seufzen, wenn man beieinander war.
Ja: das war meine Jugendeselei, meine närrische Unschuld, mein erster, linder Sturm und Drang in bebender Ahnung... Natürlich hatte sie blaue Augen und einen blonden, etwas unfertigen Mozartzopf, und natürlich roch sie nach Butterbemmen, denn sie war ein Backfisch. Backfisch mit der Notenmappe. Backfisch mit den schlenkernd eckigen Bewegungen. Backfisch mit dem ruckweisen Kopfwenden. Backfisch mit den kolossalen Geographiekennziffern. Backfisch mit dem noch nicht völlig damenhaft langen Kleide. Backfisch mit den abenteuerlichen Romanreminiscenzen (einmal wollte sie durchaus mit mir nach den canarischen Inseln durchbrennen: sie wußte ja, wo sie liegen!) Backfisch mit der Sehnsucht nach Apfelkuchen mit Schlagsahne. Backfisch mit dem pfiffigen Stubsnäschen, das nach verbotenen Früchten schnobert. Backfisch mit den unmotivierten Schmollanfällen. Backfisch mit den apfelrothen Backen, den lustigen Lippen, den schalkischen Augen, den werdenden Psychebrüsten, den grübchenreichen, hie und da ein ganz, ganz kleinwenig schmutzigen Fingerchen... Backfisch! Backfisch!
Noch weiß ich genau, wie ich sie kennen lernte. Oben vom Verdecke des rumpelnden Omnibus herunter geschah's, der eben an der »Schule für Töchter der höheren Stände« vorüberfuhr, als dieser Zwitscherkäfig seine Vögel frei ließ. Sie guckte rauf, und ich guckte runter, und sofort spannen sich die Glitzerfäden herüber und hinüber. Schleunigst kletterte ich die gewundene Leiter herab, und der Himmel weiß, mit welchen Bemühungen ich dabei nach Grazie rang. Sehr fix machte sich die Kleine von ihrer Begleiterin los, und sehr fix war ich hintendrein und dann an der Herzensseite, und sehr fix hatte ich meinen Korb weg, so süß ich auch stammelte: Geehrtes Fräulein! Aber nein: Das erste Mal geht so was durchaus nicht. Oh nein: erst abfallen lassen, – diese Kunst ist ihnen angeboren, allen, allen. Dafür später, im Thiergarten, am Goldfischteich, bis uns die dumme und neidische Rosa Meyer beinahe verklatscht hätte (aber sie hatte natürlich selber irgend einen Sekundaner vom französischen Gymnasium), und das schönste: bei Kroll, wenn die Eltern dabei waren, die gar nichts merkten. – –
Die Briefchen der Kleinen, wahrhaftig: ich verbrenne sie ungern, so frisch und lustig sind sie, voll rührender Dummheit. Aber weg auch mit ihnen.
Schnell hat sie die Flamme gefressen, und wie sie sich wenden in braunen, brüchigen Röllchen, muß ich denken: Wer hat Dich wohl gepflückt, Du kleine Martha? Bei welchem deutschen Assessor oder Fabrikbesitzer oder Lieutnant duftest Du in der ganzen Stube, Du kleines, mildes Veilchen! Mögest Du's gut haben, mein erster Schatz.
Und nun schneller im Vernichten! Schneller, schneller zumal mit den ersten Blättern, darauf meine Sünde steht, mein böses Abwenden und Losreißen.
Schneller, schneller... mein Blick fürchtet sich... Gott, wie wenig Lustiges ist dabei und wie viel Bitteres. That ich denn immer weh, wenn mich die Sehnsucht in den dürren Armen hatte?...
Ich nahm es wohl immer zu ernst und zu herrisch zugleich, und, ja, meine tiefste Liebe, das ist's, blieb immer unausgesprochen in der That. Zu viel Verse habe ich gemacht, das sehe ich nun ein, und in den Versen, freilich, war viel Glück für mich, dafür verdarb das Genießen.
Seh' ich es recht an, dieses Auto-da-fé, so ist es wohl gut, daß ich meine Cassette leerte und ihn verbrannte, den Inhalt voller »Liebe«. Denn das Rechte war nicht daran, auch nicht in dem Ernsten, darüber ich kein Wort sagte.
Ob sie denn tot ist, meine Liebe? Ach, so lange war ich kalt und ohne Narrheit... Hab' ich mehr Gut verthan bei all zu Vielen, und meinen Schatz verworfen unter die Menge?
Ein schwermüthiges, wundervoll rührendes Volkslied, mir aufgeschrieben von einer lieben, zarten Hand, als ich einsam viele Wochen in einem oberbayerischen Dorfe lebte, soll zuletzt zu Asche werden, aber hier will ich mir's aufschreiben zur Erinnerung, denn die, welche mir's schrieb, war die letzte, zu der sich mein Sehnen hob. Aber wo war die Flamme denn hin in diesem Sehnen? Warum war es so herbstlich matt und voll Unglauben?
Ja, das alte Volkslied soll hier stehen.
Vevi nannte das Lied:
Der arme Knabe |
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Es reist ein Knab ins fremde Land, Derweil ward ihm sein Herzallerliebstene krank, So krank, so krank bis in den Tod, Drei Tag, bei Nacht sprach sie kein Wort. Als das der Knabe inne wur', Verließ er sogleich all sein Hab und Gut, Und reist zu seiner Herzallerliebsten zu. Grüß Dich Gott Herztausende mein, Was machstu hier im Bettelein. Grüß Dich Gott, Herztausender mein, Mir wird's heißen bald in's Grab hinein. O nein, o nein, es ist nicht so, Unser Lieben und Getreu soll noch länger sein. Bringt mir geschwind ein Kerzenlicht, Mein Schätzchen stirbt, das niemand siecht, Sie ist schon kalt und nimmer warm, Sie ist verschieden in meinen Arm. Holt mir geschwind ein altenes Weib, Sie mir mein Schätzchen zum Grabe g'leit, Ein altenes Weib und sechs junge Knaben, Sie mir mein Schätzchen zur Grabstätt tragen. Sechs junge Knaben sind schon bereit, In Gold und Silber und Trauerenkleid. Jetzt hab' ich gemeint, ich hab' eine Freid, Jetzt muß ich tragen ein schwarzenes Kleid, Ein schwarzenes Kleid und noch viel mehr, Jetzt nimmt der Traurigkeit kein Ende nimmermehr. |
Nun, alter Ahne, bist Du frei von Deines Enkels Liebe. Aber ich sage Dir: Wenn ich nicht bald neue Liebeslast auf meinem Herzen fühle und Dir sie auf Dein Bildnis legen kann, so will ich alle altenen Weiber der Welt zusammenrufen, daß sie mich zur Grabstätt g'leit'n und ich will mich begraben lassen, – ob von jungen Knaben oder jungen Mädchen: das soll mir gleich sein.