Als Mo, Ida und Tilda von der Schule zurück waren, liefen sie direkt in den Garten hinterm Haus und blieben dort wie angewurzelt stehen. Wie hatte er sich verändert. Alte große und kleine Schubladen standen fein säuberlich nebeneinander, gefüllt mit Erde und bereit, bepflanzt zu werden. An einem Ast des Baumes hing ein Sofa, das zum Schaukeln einlud, darüber drei Regenschirme, die Schatten spendeten, in einer Ecke befand sich eine gemütliche Sitzgruppe aus alten Autoreifen.
Die kleine Fee stand mit Malerkittel und Pinsel an einem Zaun, der aus verschieden langen Brettern zusammengenagelt war, und malte ihn bunt an.
Das restliche Gerümpel war so geschickt wie ein Steckspiel ineinandergestapelt, dass es auf einen kleineren Berg neben dem Gartenhaus reduziert war.
»Guckt mal!«, rief Fee und steckte den Pinsel in einen der Farbeimer. »Das is der Berg der Abenteuer!« Sie zeigte auf den Gerümpelberg, lief darauf zu, öffnete die Tür einer Kommode und verschwand darin.
Die drei Kinder sahen sich erstaunt an. Als Tilda die Kommodentür öffnete, war keine Fee mehr zu sehen.
»Da ist keine Rückwand, das ist ein Eingang!«, rief Mo erfreut aus und sogleich kletterten die Kinder ihrer kleinen Schwester hinterher. Sie krochen durch Gänge, die mal links, mal rechts abbogen.
»Is bin hier!«, rief Fee und ihre Geschwister folgten ihrer Stimme. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie eine geräumige Gerümpelhöhle.
»Das wird unser geheimes Lager«, flüsterte Tilda und guckte hinauf an die Decke, an der ein kleiner Leuchter hing.
»Wenn das Licht auch noch funktionieren würde, dann …«, begann Mo.
»Oh, das tut es, man muss nur snipsen, siehst du, so …« Fee kniff die Lippen vor Anstrengung aufeinander und versuchte, den Mittelfinger auf den Daumen zu pressen und die Finger schnipsen zu lassen. Aber es funktionierte nicht. »Mist! Des deht nis!«, rief sie enttäuscht aus.
»So?«, fragte Ida und schnipste so laut, dass es in der Höhle widerhallte. Sogleich ging das Licht an. Und jetzt konnten die Kinder die Wände der Höhle auch besser sehen. Sie bestanden tatsächlich aus all den Dingen, die sie gestern von einer Seite des Gartens zur anderen getragen hatten: Fahrräder, Schubladen, Stühle, Leitern und was man eben so in einem Gerümpelhaufen finden konnte.
Kurze Zeit später krochen vier glückliche Kinder aus der Kommode und sahen sich suchend nach Frau Honig um.
Da hörten sie sie fröhlich vor sich hin summen. Das Summen kam aus dem Gartenhaus. Schüchtern klopften die Kinder an die geschlossene Tür.
»Ihr müsst an der Schnur ziehen, damit ich höre, dass jemand draußen steht, der mich besuchen will!«, kam die Anweisung von Frau Honig aus dem Innern des Hauses.
Ida entdeckte die Schnur als Erste. Sie reichte fast bis auf den Boden, damit sie wohl auch kleine Menschen erreichen konnten. Die andere Seite verschwand oberhalb des Fensters in einem Loch.
Als Ida vorsichtig daran zog, hörten die Kinder innen im Haus einen Kuckuck rufen. »Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck!«
»Ah, vier Besucher, nehme ich an!«, rief Frau Honig erfreut aus und öffnete die Tür.
Das Häuschen war tipptopp aufgeräumt. Gelbe Vorhänge mit weißen Punkten hingen an den beiden blitz blank geputzten Fenstern, eine kunterbunte Überdecke lag auf einem schlichten Holzbett. Auf einem Tischchen standen eine Schüssel und ein großer Wasserkrug, und über einem gemütlichen Sessel hatte Frau Honig viele Kisten und Bretter als Regale befestigt, die gefüllt waren mit Büchern und Gläsern.
Ida ging auf die Gläser zu und musterte sie. Alle waren mit einem gelben Inhalt gefüllt. Honig. Das musste Honig sein. Doch in jedem Glas befand sich auch noch eine Blüte. Für Ida hatte das etwas Magisches. Sie konnte ihre Augen nicht von den Gläsern lassen. An einigen Haken hingen Tassen und Kännchen und in einer Ecke waren viele unterschiedlich große Koffer übereinandergestapelt. Ein besonders großer Koffer stand aufrecht an einer Wand.
»Das ist mein Kleiderschrank«, erklärte Frau Honig, als sie die neugierigen Blicke der Kinder sah. Sie öffnete ihn und zeigte auf ihre Kleidung, die ausschließlich gelb war. »Ja, ich liebe Gelb, wie man sehen kann: Zitronengelb, Birnengelb, Ananasgelb, Currygelb, Eidottergelb, Sonnengelb, Ampelgelb, Bananenshakegelb, Götterspeisengelb, Käsegelb, Klebezettelgelb, Kanarienvogelgelb, Korngelb, Maisgelb, Pommes-Fritesgelb, Schlüsselblumengelb, Mondgelb, Quietscheentchengelb und am allerliebsten mag ich natürlich Honiggelb. Wo ist denn mein honiggelbes Kleid?« Frau Honig trat in den Schrankkoffer und war kurz darauf verschwunden.
»Der Toffer hat Frau Honis versluckt«, flüsterte Fee und machte ein ängstliches Gesicht.
Doch kurz darauf erschien eine Hand, die ein honiggelbes Kleid hielt, gefolgt von der ganzen restlichen Frau Honig. »Die Tiefen eines Schrankes sind unergründlich«, lachte sie auf.
Mo sah zum Fenster und entdeckte die Kuckucksuhr darüber. »Und das ist also deine Klingel?«, fragte er und deutete auf die Uhr.
»Oh ja, das muss ich euch zeigen. Mo, geh mal raus und klingel!«, forderte sie den Jungen auf.
Als Mo draußen an der Schnur zog, öffnete sich das Türchen der Kuckucksuhr und ein Kuckuck kam heraus. Er blieb aber nicht, wie normale Kuckucke es tun, auf dem Brettchen sitzen, er spreizte seine Flügel und flog eine Runde durch den Raum. Dabei schrie er: »Kuckuck!«
»Aha!«, sagte Frau Honig, als hätte sie es nicht gewusst. »Da steht also eine Person vor der Tür.«
Die Kinder lachten laut auf und jeder wollte die Kuckucksklingel einmal ausprobieren. Sie stellten sich in verschiedener Anzahl vor die Tür und jubelten jedes Mal, wenn der Kuckuck die richtige Zahl anzeigte. Sie versuchten sogar, den Kuckuck auszutricksen, indem sich Fee hinter ihrer großen Schwester versteckte. Aber den Kuckuck konnten sie nicht täuschen. Er wusste immer genau, wie viele Besucher vor der Tür standen.
Schließlich streckte Frau Honig dem Kuckuck ihre Hand entgegen und rief: »Jetzt darfst du dich ausruhen, Caruso!«
Und sogleich nahm das Vögelchen ziemlich erschöpft auf Frau Honigs Finger Platz.
»Aber der ist ja aus Holz«, flüsterte Ida erstaunt. Bisher hatten sie tatsächlich geglaubt, es würde sich um einen echten Vogel handeln.
»Oh ja, es ist ja auch ein Kuckucksuhrenkuckuck!«, sagte Frau Honig und klang dabei, als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt.
Die Kinder nickten ebenfalls, als wäre es etwas ganz Normales, einen fliegenden Holzvogel auf dem Finger zu haben.