Am schnellsten wuchsen die Kartoffeln. Sie wuchsen sogar so schnell, dass die Kinder mit dem Ernten gar nicht mehr hinterherkamen. »Kartoffelwoche!«, rief Frau Honig fröhlich.
Doch die Kinder brachen nicht gerade in Begeisterungsrufe aus.
»Is maaag teine Tatoffeln!«, motzte Fee.
»Sollen wir etwa eine ganze Woche nur Kartoffeln essen?«, fragte Tilda und rümpfte die Nase.
»Kartoffeln sind das Herrlichste auf der Welt, also neben Honig natürlich«, schwärmte Frau Honig.
»Ja. Kartoffeln sind lecker, aber nicht eine ganze Woche jeden Tag«, sagte Leni. Und ihre Geschwister nickten zustimmend.
»Abwarten«, schloss Frau Honig die Diskussion und trug einen weiteren vollen Korb Kartoffeln ins Haus.
Am Montag gab es Kartoffeln mit Quark, am Dienstag Kartoffelfinger, am Dienstagabend selbst gemachte Kartoffelchips und am Mittwoch Kartoffelgratin, das so gut war, dass die Kinder gar nicht genug davon bekommen konnten. Am Mittwochnachmittag zeigte Frau Honig den Kindern, wie man wunderschöne Stempel aus Kartoffeln machen konnte, und sie stempelten begeistert kleine Wolken auf Einpackpapier, Sterne auf eine Stofftasche, Blumen und Schmetterlinge auf weiße ausrangierte T-Shirts von Fee und bunte Fische auf die weißen Geschirrhandtücher.
Frau Honig nahm das Messer, mit dem sie die Formen aus den Kartoffeln ausgeschnitten hatte, und schnitzte aus einer Kartoffel einen Kopf. Er hatte eine dicke Knollennase und sein Blick war äußerst streng.
»Der Kartoffelkönig!«, rief sie aus und ließ den Kartoffelkönig über den Tisch schreiten. Das sah sehr lustig aus und die Kramer-Kinder lachten laut auf.
Am Donnerstag gab es Gnocchi und Frau Honig beschloss, den gesamten Nachmittag als Couchpotatoe zu verbringen.
»Was is denn ein Kautschpotäto?«, fragte Fee, die sich neben Frau Honig auf das Sofa fallen ließ.
»Ein Couchpotatoe ist jemand, der den ganzen Tag wie eine faule Kartoffel, auf Englisch potatoe , auf dem Sofa, also auf der Couch, liegt, und es sich gut gehen lässt.«
»Da mach is mit!«, beschloss Fee und kuschelte sich zu ihrem Kindermädchen.
Da das Wetter an diesem Tag ungemütlich war, gab es nichts Schöneres, als es sich als Couchpotatoe gemütlich zu machen.
Am Freitag gab es Kartoffelpuffer mit Apfelmus und am Samstag, zum krönenden Abschluss der Kartoffelwoche, Pommes mit Ketchup. Auch Frau Kramer freute sich über die Kartoffelwoche und war jeden Tag gespannt, was es gab.
»Gut, dass eine Woche nur sieben Tage hat, sonst würden dir keine Kartoffelgerichte mehr einfallen, stimmt’s, Frau Honig?«, fragte Tilda.
Doch Frau Honig schüttelte den Kopf. »Ach, die Woche könnte 100 Tage haben und ich wüsste jeden Tag, was ich aus Kartoffeln kochen könnte. Zum Beispiel Kartoffel-Käse-Bällchen, Kartoffelsuppe, Kartoffel waffeln, Kartoffelklöße, Kartoffelauflauf, Kartoffelsalat, ach allein Salate gibt es unglaublich viele. Kartoffelkräutertaler, Kartoffelparmesanrolle, Kartoffelwedges, Kartoffelgulasch, Kartoffel…«
»Ja, langsam haben wir es verstanden – nichts geht über Kartoffeln und man könnte sein ganzes Leben nur Kartoffelgerichte essen!«, beendete Mo die Aufzählung.
»Aber ihr müsst doch zugeben«, begann Frau Honig, »dass das Essen diese Woche jeden Tag völlig anders geschmeckt hat, auch wenn es immer die gleiche Zutat war. Nämlich …«
»Kartoffeln«, fielen die Kinder im Chor ein. Und lachten.
»Was ist das eigentlich für ein Anbau da, an eurem Haus?«, fragte Frau Honig, als sie mit den Kindern mit Milch und Honigplätzchen im Garten vor ihrem Häuschen saßen.
»Der gehört dem Vermieter, dem Herrn Freudenberg«, erklärte Tilda. »Er ist nicht besonders nett. Der Anbau war wohl mal eine Garage oder eine Werkstatt.«
»Die Fenster sind mit Pappen zugeklebt. Aber es gibt ein Loch an der Vorderseite des Hauses, da haben wir mal reingeschaut. Drinnen liegen nur Papiere. Riesige Stapel«, fügte Mo hinzu.
»Und Papiere!«, bestätigte Fee noch einmal.
»Ach ja und Papiere!«, kicherte Ida.
»Was ist mit Papieren?«, fragte Frau Honig und die Kinder nickten lachend.
»Ja, ich glaube, Papiere waren da auch«, sagte Tilda.
»Juhu, ein Papierhaus!«, rief Fee.
»Wer möchte Honig in seine Milch?«, fragte Frau Honig spontan und sprang auf.
»Ich!«, riefen alle im Chor, und Frau Honig ging hinüber zu den Bienenstöcken, hob einen der Körbe an und brach ein kleines Stück Wabe heraus.
»Vielen Dank!«, sagte sie höflich zu den Bienchen, die aufgeflogen waren und direkt vor Frau Honigs Nase herumschwirrten. Mit einem Finger strich sie über den Honig und schleckte ihn ab. »Herrrrrrlich!«, schwärmte sie und brachte die Wabe zu den Kindern hinüber. »Stockwarm, besser geht es gar nicht«, sagte sie und die Kinder nahmen eins nach dem anderen die Wabe und rührten damit ihre Milch um.
Fee bekam die Wabe als Letzte und schleckte daran. »Honiglolli! Lecker!«, sagte sie und dann erstarrte sie plötzlich in ihrer Bewegung. Denn eine Biene flog direkt auf sie zu und blieb in der Luft vor ihren Augen stehen. »Die will mis stechen, weil is ihren Honis detlaut hab«, flüsterte sie.
»Keine Angst, Fee!«, sagte Frau Honig. »Ich glaube, sie will nur nachsehen, wie dir ihr Honig schmeckt!«
»Schmeckt schmackofatzig!«, sagte Fee und fügte dann noch schnell ein »Vielen Dank!« hinzu.
Die Biene schien zufrieden, flog einen Bogen um die Kinder herum und verschwand.
Frau Honig brachte noch eine andere Wabe zum Tisch der Kinder. »Königinnensaft«, erklärte sie. »Aus der Wabe der neuen Königin. Der ist etwas ganz Besonderes. Ein Tropfen auf der Zunge genügt und …« Sie träufelte jedem Kind einen Tropfen der kleinen Wabe auf die Zunge. Mehr gab es nicht zu sagen. Denn keines der Kinder konnte sich erinnern, je etwas Besseres gegessen zu haben.
Eine Weile sprach keiner etwas. Niemand wollte den Geschmack des Königinnensafts auf der Zunge verlieren.
»Schmackofatzig«, sagte Fee noch einmal, aber diesmal flüsterte sie das Wort, da sie Angst hatte, den Geschmack zu zerstören, wenn sie laut redete.
»Leckerschmecker«, schwärmte Mo.
»Ein Gaumenschmausi«, fügte Tilda hinzu.
»Eine Götterspeise«, meinte Ida.
Alle sahen nun Leni an, die immer noch die Augen geschlossen hatte. »Das schmackhafteste Schmäckerchen, das ich je geschmäckert habe«, sagte sie schließlich und alle lachten über Lenis Ausspruch. Auch Leni lachte laut los und das klang einfach bezaubernd. Das Mädchen hatte in letzter Zeit so viel im Haus und mit ihren Geschwistern zu tun gehabt, dass man sie schon lange nicht mehr hatte lachen hören.
Mit Frau Honig, da waren sich alle Kinder einig, war jemand ganz Besonderes in das Leben der Familie Kramer eingezogen.
Und immer öfter hörte man auch wieder das laute fröhliche Lachen ihrer Mutter durch das Haus, das die Kinder so vermisst hatten.