Ein trauriger Tag

Manchmal konnte es passieren, dass auf eine Reihe von lustigen Tagen ein trauriger Tag folgte. Er kam wie aus dem Nichts und hatte sich nicht angekündigt.

»Was ist denn los, Frau Honig? Ist etwas passiert? Ist was mit Mama oder dem Baby?«, fragten die fünf Kinder durcheinander, als sie an diesem Tag von der Schule kamen und Frau Honig sie bereits vor der Haustür in Empfang nahm. Sie sah ernst aus, hob aber mit einem kleinen Lächeln beruhigend die Hände, als sie die besorgten Gesichter der Kinder sah.

»Keine Angst, es wird alles gut. Allerdings gibt es eine nicht so gute Nachricht. Heute Vormittag war der Arzt hier, er hat eurer Mutter geraten, in ein Krankenhaus zu gehen, damit sie und das Baby optimal versorgt werden können.«

»Is Mama jetz im Tankenhaus?«, fragte Fee und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Frau Honig nickte. »Aber es geht ihr dort sehr gut und alle kümmern sich ganz lieb um sie. Und wenn das Baby dann da ist, kommt sie wieder nach Hause«, beruhigte Frau Honig die Kleine.

»Is will zu Mama!«, sagte Fee und begann zu weinen.

»Weiß es Papa schon?«, fragte Tilda, auch sie hatte einen Kloß im Hals.

»Euer Vater ist mit ihr hingefahren. Er hat sich heute freigenommen.«

Ja, es war ein trauriger Tag für Familie Kramer. Denn obwohl Frau Kramer schon einige Wochen in ihrem Zimmer gelegen und nicht direkt an dem Familienleben teilgenommen hatte, spürten die Kinder nun ihre Abwesenheit.

Und wieder einmal waren sie sehr froh, Frau Honig zu haben.

Im Laufe der nächsten Zeit gewöhnten sich die Kinder bereits wieder an die neue Situation.

Alle drei Tage besuchten sie ihre Mutter. Öfter war es leider nicht möglich, da das Krankenhaus über eine Stunde von ihrem Zuhause entfernt lag.

Doch dann kam Herr Kramer eines Nachmittags von der Arbeit heim mit einer zweiten schlechten Nachricht. Er versammelte seine Kinder im Wohnzimmer und Frau Honig kam ebenfalls dazu.

»Wir haben heute in der Bäckerei erfahren, dass direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine sogenannte Backfabrik eröffnet. Mein Chef wollte sowieso schon längst in Rente gehen, jetzt nimmt er das zum Anlass und gibt seine Bäckerei auf. Das bedeutet für mich, dass ich in diesem Sommer ohne Arbeit dastehe.« Er sah hilflos von einem Kind zum anderen.

»Aber könntest du nicht in der neuen Bäckerei anfangen?«, fragte Leni nach einer Weile.

»Die brauchen nicht viele Bäcker, denn die Brötchen werden von einer Maschine geformt. Die laufen auf Förderbändern und da sieht jedes genauso aus wie das andere. Außerdem möchte ich da gar nicht arbeiten, für mich hat das nichts mehr mit dem Beruf zu tun, den ich gelernt habe!« Jetzt vergrub er sein Gesicht in den Händen.

Fee näherte sich ihrem Vater und schlang ihre kleinen Ärmchen um ihn. »Sei nis trauris, Papa, dann kannst du wieder ganz viel mit uns spielen, und dann backst du immer was für uns! Is nis slimm!«, versuchte sie ihn zu trösten.

Die größeren Kinder wechselten besorgte Blicke. Sie wussten, dass es auch bedeutete, dass ihr Vater dann kein Geld mehr verdienen würde. Und so würden sie sich bald die Miete für das Haus nicht mehr leisten können. Betreten sahen die Kinder zu ihrem Vater.

Frau Honig ging wortlos in die Küche und kam kurz darauf mit einem Tablett wieder, auf dem sieben Tassen mit dampfender Honig-Milch standen.

»Das beruhigt ungemein«, sagte sie und reichte das Tablett herum.

Tatsächlich wärmte die Milch mit dem Honig von oben bis unten, und auch wenn es die Situation nicht verbesserte, gab sie den Kindern die Kraft, ihren Vater etwas aufzubauen.

»Papa, das schaffen wir schon!«, begann Tilda.

»Wir halten doch zusammen, also wird uns was einfallen«, fügte Mo hinzu.

»Und wir können ja auch Geld verdienen. Ich könnte zum Beispiel Zeitungen austragen, Mo könnte Flaschen sammeln und Pfand dafür bekommen, und wir können Kleidung designen. Das hat uns Frau Honig beigebracht: aus alt mach neu! Damit könnten wir sogar reich werden!«, sagte Tilda.

Herr Kramer strich seiner Tochter über den Kopf. »Ich hol jetzt erst mal meinen Schlaf nach. Dann werde ich zum Arbeitsamt gehen und fragen, ob irgendwo ein Bäcker gesucht wird«, sagte er müde lächelnd und verschwand im Schlafzimmer.

Als Frau Honig später noch die Küche aufräumen wollte, stand Leni bei schwacher Beleuchtung an der Arbeits platte und rührte mit einem Rührbesen Teig. Mehlnebel lag in der Luft.

»Was machst du denn noch hier? Es ist schon spät«, sagte Frau Honig leise.

Leni zuckte mit den Schultern. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Ist alles in Ordnung, Leni?«, fragte Frau Honig und berührte das Mädchen an der Schulter.

»Nichts ist in Ordnung, Frau Honig. Aber Sie glauben ja, mit einer Tasse heißer Milch mit Honig ist alles wieder gut. Sie denken, mit einem Keks fliegen die Sorgen einfach so zum Fenster hinaus wie ein Luftballon. So einfach ist das aber nicht im richtigen Leben!«

Frau Honig seufzte. »Nein, so einfach ist das nicht. Da hast du recht. Und ich weiß, dass ihr es momentan nicht leicht habt. Aber ich weiß auch, dass wieder bessere Zeiten kommen, die schon auf euch warten. Da bin ich mir ganz sicher!«

Leni füllte den Teig wortlos in die Kuchenform, stellte ihn auf die Arbeitsfläche und verließ die Küche.

Frau Honig betrachtete das Rezept, nach dem Leni gebacken hatte. Eine schön geschwungene Handschrift, in einem selbst zusammengebundenen Buch. Vorsichtig blätterte sie darin. Eine Notiz klang leckerer als die andere. Es waren alte Rezepte, das konnte Frau Honig erkennen, und vorne im Buch stand der Name »Isolde Kramer«. Lenis Oma!

»Omas Rezepte sind unbezahlbar!«, murmelte Frau Honig vor sich hin, schob den Kuchen in den Ofen und blickte auf einmal in Richtung des Anbaus des Hauses. Da zuckten erst ihre Augenbrauen nach oben, dann ihre Mundwinkel. Und als diese den höchsten Punkt erreicht hatten, sagte sie: »Ich glaub, ich hab da eine Idee!«