KAPITEL 11

»Mann – ein Spiel mit der C-Jugend!« Jan beugte sich vor. »Dass Huber die Anmeldung noch regeln konnte und wir jetzt dabei sind, ist schon ein tolles Ding!«

Frank war zwischen seinen beiden Freunden eingequetscht. Eigentlich war auf der Rückbank des großen Familienkombis von Franks Vater mehr als genug Platz für drei durchtrainierte Jugendfußballer. Aber Jan und Guido hampelten so aufgeregt herum, dass der zwischen ihnen sitzende Frank kaum noch Luft bekam.

»Passt nur auf«, sagte Karin, die sich gerade auf dem Beifahrersitz zu ihnen umgedreht hatte, »nachher sitzt ihr die ganze Zeit auf der Reservebank.«

»So was hat auch Vanessa angedeutet ... Autsch!« Frank drückte entnervt Jans Ellbogen beiseite, den ihm dieser gerade schmerzhaft in die Rippen gestoßen hatte. »Aber rein rechnerisch müsste zumindest einer von uns eingewechselt werden.«

»Ach ja?«, sagte Jan spöttisch und fuchtelte Frank mit seinem Ellbogen vor der Nase herum. »Und da rechnest du dir mal wieder die besten Chancen aus, oder?«

»Na ja.« Frank schob erneut Jans Ellbogen weg. »Ich bin doch nicht gerade der Schlechteste von uns, oder!«

»Aber bestimmt auch nicht der Beste«, sagte Guido sauer und kniff Frank in die Seite. »Schließlich hab ich in Sachen Taktik mehr im großen Zeh als du in beiden Füßen!«

»Ich dachte immer, Taktik sei eine Sache des Kopfes –und nicht deiner Käsfüße, Professor«, stichelte Jan.

»Halt endlich den Rand und nimm das hier!« Frank reichte Jan die Sonnenbrille, die er schon die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte. »Huber muss ja nicht gleich sehen, dass du ein blaues Auge hast. Sonst denkt er noch, dass du es warst, der sich vor zwei Tagen mit Eberhard und Thomy geprügelt hat!«

»Meine Güte!« Karin stöhnte laut auf. »Im Vergleich zu euch Kindsköpfen ist Luki ja fast erwachsen. Seid ihr immer so schräg drauf vor einem wichtigen Spiel?«

»Das sind sie allerdings«, sagte Franks Vater schmunzelnd. »Man könnte meinen, dass sie sich gleich gegenseitig an die Kehle gehen. Aber keine Sorge: Sobald sie auf dem Fußballplatz sind, spielen sie wieder wunderbar zusammen.«

»Hauptsache, wir kommen auch gemeinsam zum Spielen«, maulte Jan. »Da sehe ich nämlich rot.«

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis Jan rot sah – wenn auch gefiltert durch die Sonnenbrille. Denn kaum traten die Coolen Kicker aus der Umkleide, da rauschten auch schon Jacki, Luki und Vanessa heran, die mit jemand anderem mitgefahren waren. Sie wirkten vollkommen außer sich. »Ihr werdet es kaum glauben, wer auch da ist!«, rief ihnen Luki entgegen.

Frank hatte ein ganz ungutes Gefühl. »Doch nicht etwa Eberhard und Thomy?«

»Doch«, sagte Jacki. »Die haben echt Nerven!«

»Nach allem, was passiert ist«, fügte Luki hinzu. »Die müsste man glatt in den Knast stecken – und dort verrotten lassen.«

»Stimmt allerdings«, sagte Jan wütend. »Ich hoffe nur, dass die nicht wieder eine Schweinerei vorhaben!«

»Hier, mitten beim C-Jugend-Spiel in Rottenthal?« Vanessa schüttelte entschieden den Kopf. »Die müssen jetzt ganz, ganz vorsichtig sein. Mein Vater ist zwar noch nicht dazugekommen, sie sich zur Brust zu nehmen. Aber wenn die sich jetzt noch was zu Schulden kommen lassen ...« Sie ließ den Satz unbeendet, aber die anderen wussten auch so, was sie damit meinte.

»Na dann auf.« Frank packte den vor Wut kochenden Jan und schob ihn in Richtung Fußballplatz. »Suchen wir uns ein schönes Plätzchen auf der Reservebank!«

Sie mussten sich regelrecht durch die Menschenmenge drängen, um auf den Platz zu gelangen. Während der ganzen Zeit hielt Frank Ausschau nach Eberhard und Thomy. Aber er konnte sie nirgends entdecken. Das fand Frank beunruhigender, als wenn sie sich ihnen mit ein paar frechen Sprüchen in den Weg gestellt hätten.

»Ich glaub, das da ist die Reservebank.« Guido deutete mit dem Finger auf einige einfache Holzbänke, auf denen ein paar Spieler lümmelten.

»Die Zuschauer müssen stehen – und die Reservespieler haben 'nen Sitzplatz«, sagte Jan. »Nicht schlecht hier in Rottenthal!«

»Ich hätte überhaupt nichts dagegen, zu stehen«, sagte Frank »Hauptsache, ich werde irgendwann mal eingewechselt.«

»Ja«, sagte Jan finster. »Aber Huber wird das anders sehen ...« Er brach ab, als ihn Vanessa am Ärmel zupfte. »Was denn?«

»Da kommt mein Vater«, flüsterte Vanessa. »Ich würde jetzt lieber die lockeren Sprüche lassen!«

»Welche lockeren Sprüche?« Jan drehte sich zum Trainer der Auswahl um und lächelte wie ein Honigkuchenpferd. »Hallo, Herr Huber«, säuselte er. »Alles klar? Ich meine ... äh ... ist es okay, wenn wir uns hier auf die Bank setzen?«

Huber verzog keine Miene, aber Frank war, als würde er seiner Tochter ganz kurz zublinzeln. »Das ist schon in Ordnung«, sagte er. »Aber bildet euch nicht ein, dass ich euch einwechseln werde, weil man euch übel mitgespielt hat. Hier geht es nur um fußballerische Leistung.«

»Klar, Herr Huber«, sagte Jan eifrig.

»Und abgesehen davon.« Huber deutete auf Jans Gesicht. »Nimm diese alberne Sonnenbrille ab. Mit diesem Ding auf der Nase kommst du nicht auf den Platz!«

»Will ich ja auch gar nicht«, sagte Jan fast verzweifelt. »Aber ... aber ich bin heute irgendwie so lichtempfindlich. Kann ich sie nicht auflassen? Ausnahmsweise?«

Huber seufzte. »Von mir aus. Aber nur solange du auf der Reservebank sitzt!«

Jan nickte erleichtert und folgte Guido, der bereits in Richtung einer bislang noch leeren Bank unterwegs war, die er offensichtlich zum Sitzplatz der Coolen Kicker erkoren hatte. Frank wollte sich ihnen anschließen, doch Huber legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du nicht«, sagte er. »Du darfst gleich am Anfang für ein paar Minuten aufs Feld. Aber ich warne dich: Wenn du den anderen im Weg stehst, wechsle ich dich sofort aus!«

Frank war vollkommen baff, dass er gleich von der ersten Minute an mitspielen durfte. Aber zu der Freude darüber mischte sich Besorgnis, als Huber ihn heranwinkte – und ausgerechnet auf Carlos deutete! »Halt dich an ihn«, sagte er. »Ihr spielt beide auf der Verteidigerposition. Er links, du rechts.«

Frank zuckte erschrocken zusammen. Was, wenn Carlos immer noch sauer auf ihn war? Dann konnte die Sache ganz schön ins Auge gehen.

Seine Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten, als Carlos mit raschen Schritten auf ihn zukam und grimmig nickte. »Die Geschichte vor zwei Tagen tut mir Leid«, sagte er anstelle einer Begrüßung.

Frank begriff, dass das als Entschuldigung gemeint war. »Schon gut«, sagte er rasch. »Du konntest ja nicht wissen, warum ich mit Vanessa sprechen wollte.«

»Stimmt«, gab ihm Carlos Recht. »Aber trotzdem gebe ich dir den guten Rat, ihr nicht mehr hinterherzulaufen.«

»Hatte ich nie vor!«, verteidigte sich Frank.

»Dann ist's ja gut.« Carlos streckte ihm die Hand entgegen und Frank ergriff sie ohne zu zögern. »Also Schwamm über die Sache. Und jetzt sehen wir zu, dass wir den Rottenthalern kräftig einheizen!«

Frank nickte benommen und drehte sich zu Huber um, der gerade mit der Einweisung begonnen hatte. Er versuchte sich auf seine Worte zu konzentrieren, aber das wollte ihm nicht recht gelingen. Alles, was er mitbekam, war, dass Huber Raum- statt Manndeckung forderte.

»Und nun Kopf hoch«, raunte ihm Carlos zu, kaum dass Huber geendet hatte. »Gleich geht's los!«

»Was, jetzt schon?«, fragte Frank entsetzt. Er ließ seinen Blick über das Spielfeld gleiten. Die gegnerische Mannschaft im blauen Trikot hatte sich bereits formiert. Und auch von ihrer eigenen, rot gekleideten Auswahl standen die meisten Spieler bereits auf Position.

»Außer meinen beiden Freunden sehe ich nur einen Spieler auf unsrer Reservebank«, sagte Frank, während er neben Carlos auf die Mitte des Platzes zusteuerte. »Wie kommt denn das? Ihr habt doch in der Auswahl eigentlich genug Spieler!«

»Aber wir hatten jede Menge Ausfälle«, antwortete Carlos leise. »Und vergiss nicht: Wir spielen auf Raumdeckung. Also bleib in deinem Spielfeldabschnitt, wann immer es geht: Und lass da bloß keinen durch!«

»Ruhe jetzt!«, donnerte der Schiedsrichter.

Und Frank begriff, dass es gleich ernst werden würde.

Natürlich hatten die gegnerischen Blauen den Anstoß. Und natürlich machten sie mächtig Druck, kaum dass angepfiffen worden war. Als ein großer Blonder im blauen Trikot den Ball in seinen Besitz brachte und vorstürmte, vergaß Frank, dass er eben noch vor Aufregung keinen klaren Gedanken hatte fassen können.

Er sprintete los, um den großen Blonden abzufangen. Offensichtlich hatte Carlos die gleiche Idee. Zu dumm, dass sie nicht so aufeinander eingespielt waren wie Frank, Guido und Jan. Statt ihren Gegner in die Zange zu nehmen, kamen sie sich gegenseitig ins Gehege.

Carlos machte Anstalten, dem Blonden den Ball abzunehmen, bevor dieser ihn zu einem Vereinskameraden passen konnte. Doch da war Frank heran. Wie ein kleiner wilder Straßenfußballer trat er zwischen den Ball und Carlos' Fuß. Carlos sprang im letzten Moment hoch, um Frank nicht zu erwischen. Und Frank machte mit der Eleganz eines wild gewordenen Affen einen Satz über Carlos' Bein.

Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass der Blonde den Ball zu einem seiner Mitspieler flankte. Wenn der jetzt ein Tor schießt!, schoss es Frank durch den Kopf. Doch gottlob war da bereits einer aus ihrer eigenen roten Mannschaft heran, der sich den Ball erkämpfte und ihn nach vorne spielte.

Aber ganz ungeschoren kam Frank dennoch nicht davon. Carlos hielt ihn kurz am Ärmel seines Trikots fest. »Idiot«, zischte er Frank zu. »Bleib demnächst auf deiner Seite. Sonst ziehe ich dir wieder die Nase lang!«

Frank nickte benommen. Gleichzeitig sah er sich nach Huber um – in der Hoffnung, der Trainer habe sein kleines Missgeschick nicht bemerkt.

Einen Moment später wünschte er sich, er hätte es nicht getan. Denn Huber starrte ihn böse an und machte Anstalten, mit dem Daumen nach unten .zu zeigen. Doch dann schüttelte er nur wütend den Kopf und bedeutete Frank mit einem knappen Wink, auf seine Position zurückzukehren.

Das war knapp gewesen. Schon nach zehn Sekunden ausgewechselt zu werden, während Vanessa und Karin zuguckten! Es wäre nicht auszudenken gewesen.

Zwei Minuten später lief Frank der Schweiß in Strömen übers Gesicht. Es war ein brutal heißer Tag. Außerdem waren die Jungs der C-Jugend einfach größer als die Spieler, mit denen Frank es normalerweise zu tun hatte. Und sie hatten längere Beine. Zu allem Übel waren sie auch routinierter.

Carlos erwies sich als wahrer Abfangjäger. Ganz im Stil des zahnlosen Nobby Stiles, der vor einer kleinen Ewigkeit als Erster die Position vor der Verteidigungslinie genutzt hatte, um seinen Gegenspielern einen heißen Empfang zu bereiten, heizte er seinen Gegnern ein. Auf Franks Seite kam es dagegen mehrfach zum Durchbruch, und wenn Carlos nicht immer wieder in letzter Sekunde eingesprungen wäre, hätte es eng werden können.

Doch so wogten die Angriffswellen fast ausgeglichen zwischen beiden Toren hin und her.

Bis schon wieder der große Blonde heran war. Der Ball schien geradezu an seiner Fußspitze zu kleben. Frank stellte sich ihm in den Weg, willens, den langen Lulatsch auf keinen Fall an sich vorbeizulassen.

»Toor!«, schrie da jemand direkt neben ihm. »Toor! Toor! Toor!«

Frank war nur einen einzigen Augenblick abgelenkt. Aber das reichte.

Der Blonde umspielte ihn, kickte den Ball zu einem Vereinskameraden – und der jagte ihn aufs Tor zu. Alle Zuschauer und Kicker schienen gemeinsam die Luft anzuhalten.

Der Torwart von Franks Mannschaft sprang ab. Seine Fingerspitzen fegten das runde Leder in letzter Sekunde beiseite.

»Du spielst ja wie der erste Mensch!«, brüllte die Stimme, die Frank bekannt vorkam. »Mach nur weiter so, du Idiot!«

Frank verrenkte sich fast den Hals, bevor er Thomy erkannte, der gerade in der Zuschauermenge verschwand.

Natürlich. Eberhard und Thomy ließen nichts aus, um ihn fertig zu machen. Auch wenn sie selbst nicht direkt in ein Spiel eingreifen konnten, taten sie alles, um ihn rauszukicken. Aber so leicht würde er es ihnen nicht machen. Er würde sich jetzt durch nichts und niemanden mehr ablenken lassen – und den beiden Flaschen zeigen, wer der nervenstärkere Kicker war!

So weit die Theorie. Die Praxis sah ganz anders aus. Diesmal hielt Huber tatsächlich den Daumen nach unten.

Frank wusste, dass er wieder auf die Reservebank kam.