Intro

Seit dem Tod meiner Mutter lebe ich in einem Vakuum.

Nichts fließt mehr.

Außer immer mal wieder stoßweise meine Tränen.

Schleusenzeit, sagt meine Freundin.

Die Zeit zwischen Tod und Bestattung.

Besondere Zeit.

Schleusenzeit.

Lebe sie.

Ist wichtig.


Ich lebe sie.

Treibe in der Schleuse.

Es geht nur hoch und runter.

Das Wasser ist eingeschlossen in der Schleusenkammer.

Das Wasser und ich.


Kein Boot, auf dem ich ruhen kann.

Nur Wasser und ich.

Ich schlafe viel.

Meine Freundin holt mich immer wieder raus.

Gestern waren wir in der Stadt.

Was besorgen.

Auf der Rückfahrt bin ich fast neben ihr im Bus eingeschlafen.

Das Draußen erschöpft mich.

Doch es tut mir auch gut.


In der Schleuse gibt es keine Zeit.

Vor ein paar Tagen, oder war es nur vorgestern …?

Jedenfalls waren wir in einem Café.

Es kommt immer unvermittelt.

Eine Erinnerung.

Oder etwas, was ich doch noch machen wollte.

Mit ihr.

Hätte machen können.

Das Ungelebte ist das Schlimmste.

Umgehend ertrinke ich in Tränen.


Ich bin müde.

Ich bin langsam.

In allem, was ich tue.

Wobei ich kaum etwas tue.

Ich arbeite wieder ein wenig.

Und bin überrascht, dass ich zusammenhängende Texte schreiben kann.

Mama hatte Wasser in der Lunge.

Vielleicht war auch sie in einer Schleuse.

Vielleicht treibt sie jetzt mit mir in der Schleuse.


Wir nehmen Abschied.

Ich kann das noch gar nicht.

Das merke ich immer wieder.

Aber wir wollten doch noch …

Aber ich habe noch Fragen …

Aber …

Nutzt nichts.

Ist vorbei.

Aus. Punkt.

Jetzt ist jetzt.

Sie war gestern.

Ich bin heute.

Ohne sie.


Ich habe gerade den Mund voll mit Tod.

Ich muss ihn noch kauen.

Zerkauen.

Runterschlucken.

Und verdauen.

Das dauert halt.


Es hat geschneit heute Nacht.

Ich mag Schnee.

Die Welt wird umgehend leiser.

Alles wird einheitlich weiß.

Das tut mir gut.

Es gibt mir Ruhe.


Die Trauerrede für meine Mutter ist geschrieben.

Welch schöne Liebeserklärung an sie, sagt meine Freundin.

Mir war gar nicht klar, wie sehr ich sie liebe.

Man muss den Tod konsumieren, um das Leben zu lieben.