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Die Schiffe zogen sich nach und nach zurück wie Krähen, die von einem Feld auffliegen, wenn der Bauer mit einer Schlinge und einem Beutel voller Steine aus dem Haus kommt. Sie fuhren schnell und wurden vom Wind angetrieben. Sechzig waren von Malth Calien aufgebrochen. Etwa dreißig waren noch übrig. Sie streiften an der Küste entlang und hielten sich dicht an den Uferklippen. Nun wirkten sie kleiner, schwächer, die Planken an den Seiten eingedrückt wie die Flanken eines klapprigen alten Gauls.

Das Schiff des Königs war das letzte, wie es sich gehörte. Es segelte blind, der König starrte blind ins Leere, das tote Ding, das ein Omen für nichts darstellte, hing wackelnd am Mast, während sich die Krähen und Möwen um die ungeborenen Augen und die blaue Zunge, die aus dem ungeborenen Maul heraushing, stritten.

Es gibt keinen Rückzugsplan. Den gab es nie. Du hast das nicht im Entferntesten bis zum Ende durchdacht, nicht wahr?

Leuchtende Kreaturen stiegen aus den Tiefen des Wassers empor, hervorgelockt von der untergehenden Sonne. Die Wasseroberfläche schimmerte, wirkte fest wie Metall für das getrogene Menschenauge. Normalerweise traf man sie nur im tiefen Wasser an; Marith hatte sie erst wenige Male so nah am Ufer gesehen und selten so hell. Sie waren einmal in einem kleinen Boot hinausgefahren, Carin und er, hatten einen Fischer dafür bezahlt, dass er sie mitnahm. Trieben auf dem Wasser und holten Hand um Hand um Hand reine Farbe heraus. Sie floss durch die Finger wie geronnene Milch. Duftete süß wie verdorbene Früchte. Eltheias Tränen, nannten die Küstenleute sie. Die Tränen, die sie aus Freude und Trauer über den Tod ihres Gatten vergossen hatte.

Es gibt keinen Rückzugsplan. Den gab es nie. Für keinen von uns.

Aber er hatte nicht geglaubt, dass er scheitern würde. Alles war so einfach gewesen. Die tanzenden schwarzen Schiffe, der starke Wind in den glänzenden Segeln, dazu die im Licht aufblitzenden Rüstungen der Männer. Das tote Fohlen war ihm wie ein Omen erschienen. Er hatte gesehen, wie sie es anstarrten, es als Glücksbringer bezeichneten, darauf deuteten und miteinander flüsterten. Adler. Pferde. Die alten, alten Dinge der Weißen Inseln, noch aus der Zeit vor der Ankunft seiner Ahnen. Heilige Dinge, die zu den Füßen des Königs knieten. Die Männer in ihrer farbigen Rüstung wie ein Vogelschwarm auf den Schiffen, seine Männer, die ewig für ihn kämpfen würden, weiter und immer weiter, für immer für den König. Sie würden für ihn sterben. Sie würden für ihn töten. Hell erhoben sie die Stimmen und brüllten den Lobgesang, zogen die Schwerter, um es mit dem Feind aufzunehmen, voller Vertrauen in ihn. Alle Männer aus der Armee seines Vaters hatten die Seiten gewechselt und ihm die Treue geschworen. Sie liebten ihn. Sie kannten ihn. Sahen, was er war. Tis Männer hätten ihn auch lieben sollen. Ihn kennen sollen. Sie hätten die Schwerter wegwerfen und ihm freudig Einlass in den Hafen gewähren sollen, um seinen Namen zu preisen. Ihn in Wolken getrockneter Blüten in seiner Halle empfangen heißen und ihm seine Krone aufs Haupt setzen sollen.

Und dann der Kampf! Seine Soldaten wild und zuversichtlich, Tis Schiffe, die im Pfeilhagel auf ihre trafen, das tosende Wasser, das Feuer, aber er war sich dennoch so sicher gewesen, dass sie gewinnen würden. Tötet sie! Tötet sie alle! So wundersam, auf einem beengten Deck zu kämpfen, eingezwängt und ohne Ausweg, nichts als abschlachten. Einen Mann ins kalte Wasser zu schicken, Blut im Wasser, das hungrige Meer, das ihn für sich beanspruchte, die weißen Finger, die ihn packten, sein Leib zu schwach, um über Wasser zu bleiben, die Panik in seinen Augen, als er verblutete und ertrank. Wundersam. Reines Kämpfen ohne nachzudenken. Ohne Rückzugsmöglichkeit. Ohne Verstärkung. Ein falscher Schritt, und das Wasser rief. Nichts war kontrollierbar; er konnte nicht einmal seinen Männern Befehle erteilen. Ein Mahlstrom wie das Wasser. Der Tod wie brechende Wellen. Er war sich so sicher, dass er gewinnen würde.

Thalia hatte ihn kämpfen sehen. Und das wäre ebenfalls gut gewesen: dass sie dort war und alles beobachtet hatte. Ihr Kuss bei seiner Rückkehr zu ihr, befleckt mit dem Blut seiner Feinde, ihre Hand in der seinen, wenn sie in den Hafen einliefen, wie er sie über die Straßen der Stadt zu seinem Heim führte, während das Volk ihn feierte, ihr Gesicht voller Stolz und Verlangen. »Sei willkommen in deinem Heim und dem Heim unserer Kinder, meine Geliebte«, hätte er gesagt, sobald die Türen aufgerissen wurden, die Männer, Frauen und Diener beim Klang der Silbertrompeten niederknieten, eine Siegesfeier und dann hinauf in sein Schlafgemach mit den purpurfarbenen Vorhängen, das Meer hinter den offenen Fenstern, ihre weit aufgerissenen Augen.

So hätte es sein sollen. So und nicht anders. Er konnte es nicht einmal ertragen, sie anzusehen.

Ein Aufspritzen, die schillernden Farben des sich kräuselnden Wassers. Eine Leiche, die vom Nachbarschiff ins Meer geworfen worden war. Sie ging wie ein Stein sofort unter. Benetzt und bedeckt mit leuchtender Farbe. Er erinnerte sich an seine Hände, draußen auf dem Ruderboot, wie er sie hineintauchte, die winzigen Dinge, klebrig und glänzend, ein dünner Film, als hätte er die Hände in den Honig getaucht, in dem nun die Leiche seines Vaters lag. Carins Hände waren damit bedeckt. Das Wasser beruhigte sich, das Kräuseln lief aus. Sie konnten die Toten nicht an Bord der Schiffe lassen. Sie konnten sie nicht mitnehmen, wo immer sie auch hinsegelten. Ein Berg Leichen auf den Decks. Ein Haufen Sterbender, die Wasser und Hilfe benötigten. Werft sie in die Tiefen. Vergesst sie. Die schillernden Farben des Wassers. Die aufgemalten roten Augen der Schiffe. Tötet sie! Tötet sie alle! Tot ist tot.

Er hatte so viele getötet bei der Schlacht auf den Schiffen. Er hatte so viele Schiffe seines Bruders durchlöchert sinken sehen, mit Männern, die von den Seiten sprangen. Oh Götter, das war ein wundervoller, würdiger Anblick gewesen! Das laute Knacken, als das Holz zersplitterte an der Stelle, wo sich die beiden Schiffe ineinanderbohrten, das Wasser, das gierig hereinströmte, das feindliche Schiff, das schlingerte, aufklaffte und zerbrach, in tausend Stücke zerschellte, ausgeweidet. Wie ein aufgeschlitztes Tier, dessen Leben in wild um sich schlagenden Körpern entwich. Dessen Leben sich ergoss. Männer wie die Innereien einer großen blinden Bestie.

Thalia hatte zu diesem Zeitpunkt in Gefahr geschwebt, als Tis Soldaten mit gezückten Schwertern das Schiff enterten, während er die Sterbenden anstarrte. Er hätte sie nie mitnehmen dürfen. Sie hätte bei Matrina in Sicherheit bleiben sollen, damit man sich um sie kümmerte und ihr die Gebräuche des Ostens beibrachte, bis er sie triumphierend holen konnte, gekrönt und in Gold gekleidet. Aber sie hatte darauf bestanden. Sie hatte gesagt, ihr würde nichts geschehen. Und er hatte sich so sehr gewünscht, dass sie es mit eigenen Augen sah. Dann die Furcht in seinem Inneren, als Tis Männer auf sie zustürmten, es waren so viele zwischen ihm und ihr, und für einen Moment glaubte er, sie würde sterben, ihr wunderschöner Körper würde ins Wasser gleiten, wäre für ihn verloren. Der Gedanke, was er der Welt antun würde, wenn Thalia den Tod fand …

Er war zu ihr gerannt, hatte alles und jeden, was sich ihm in den Weg stellte, getötet, Tis Männer, seine Männer, die Dinge in der Luft, die Dinge im Schatten, die ihn König riefen. All das herabströmende Blut. Sie hatte sich selbst gerettet, war im Licht erstrahlt, die Männer waren vor ihr zurückgewichen, ins Wasser gestürzt, schreiend und mit den Händen vor den Augen auf die Planken des Decks gefallen, wo er sie getötet hatte, Tis Männer und seine Männer, bis sie in Sicherheit war, und in diesem Augenblick wusste er, dass er alles in der Welt töten würde, das es je gegeben hatte und je geben würde, mit Ausnahme von ihr.

Kämpfen. Töten. Nichts als töten. Vielleicht war es ihm da nach und nach entglitten. Und seine Männer hatten gekämpft. Und er hatte gekämpft. Und die Schiffe waren gegeneinandergeprallt, hatten einander ausgehöhlt und wie lebendige Wesen miteinander gerungen. Und die Schwerter waren blutig gewesen. Und das Wasser war blutig gewesen. Und seine Männer hatten gekämpft. Und irgendwie, irgendwie hatten sie den Kampf verloren. Die Schiffe hatten panisch beigedreht, während Osen ihn verfluchte und ihm vorwarf, sich geirrt zu haben, und er hatte keine Gelegenheit mehr bekommen, noch mehr zu töten. Und er hatte sein Königreich und seine Krone und seinen Vater und seine Mutter und seinen Bruder und alles in der Welt, das irgendwie von Bedeutung war, verloren, abgesehen von ihr.