Schließlich, als es vorbei war, humpelte Marith zurück in sein Lager. Erschöpft. Er wollte sich nur noch hinlegen und etwa eine Million Jahre schlafen. Sein Pferd war am Bein verwundet worden, sodass er irgendwann absitzen und zu Fuß weiterkämpfen musste. Ohne Pferd, in Blut getränkt wie alle anderen, war er fast nicht zu erkennen. Die Männer würdigten ihn kaum eines zweiten Blickes. Eine Frau verteilte Krüge mit Bier und Brotscheiben. Und Küsse. Marith ließ sich auf einen Stein sinken und stürzte das Getränk durstig herunter. Einige Fußsoldaten kamen vorbei und sangen das Lied über ihren geliebten König, sein großes, großes Schwert und seinen Umhang so rot wie die Augen der Witwen. Marith grinste in seinen Becher.
Oh, und da war sein Pferd. Es humpelte ebenfalls, hatte Blut am rechten Ohr, schien aber ansonsten unverletzt zu sein. Ein junger Kavalleriehauptmann hielt seine Zügel und war anscheinend so freundlich gewesen, sich darum zu kümmern. Er sah sehr erfreut aus. Marith ging zu ihm.
»Danke, dass Ihr mir mein Pferd bringt.«
»Euer Pferd?«, entgegnete der Hauptmann. »Ich würde eher sagen, es ist mein …« Er riss entsetzt die Augen auf. Fiel auf beide Knie, drückte das Gesicht in den Schlamm. »Mein König. Herr. Mein König. Vergebt mir.«
Marith hielt inne, musterte ihn, überlegte, erfreut, fröhlich, einen Becher Bier in der Hand. »Bei den Göttern, Mann, steht auf. Ihr habt selbstverständlich nur darauf aufgepasst. ›Das ist das Pferd meines Königs‹, habt Ihr gewiss gedacht. Es ist ein gutes Pferd; es wäre schade gewesen, es zu verlieren, daher bin ich Euch dankbar. Wären eine Börse voll Gold und ein Platz in meiner Leibwache eine angemessene Belohnung?«
Der Mann erhob sich mit breitem Grinsen und Schlamm auf dem blutigen Gesicht. »Danke. Danke. Mein König. Herr.«
»Bringt es zu den Pferdekoppeln, ja?« Marith lächelte ihn an. Der Hauptmann führte das Pferd weg und zitterte vor Freude am ganzen Körper.
Nun erkannte ihn selbstverständlich jeder; er war auf einen Schlag von Menschen umgeben, die auf den Knien lagen, jubelten, seinen Namen schrien. Befehle wurden erteilt, das Lager musste gesichert werden; er schickte Lord Bemann mit einem ausgewählten Reitertrupp und der Hälfte der Sarissakämpfer voraus nach Tyrenae. Eine ithische Kavallerieschwadron war gen Süden über den Fluss entkommen und musste ausgelöscht werden. Mehrere Hundert Fußsoldaten hatten den Tross durchbrochen und waren in den Wald hinter dem Lager gelangt: Er schickte Lord Parale mit einem Trupp Schwertkämpfer hinterher und befahl den Bogenschützen, die überlebt hatten, sich rings um das Lager aufzustellen, für den Fall, dass der Feind versuchen sollte, sich anzuschleichen. Einige ithische Adlige hatten sich ergeben; einen oder zwei lud er ein, zu ihm überzulaufen, einen oder zwei tötete er augenblicklich und mit eigener Hand. Zu guter Letzt setzte er sich in sein Zelt und begann, sich seiner Rüstung zu entledigen. Osen kniete sich vor ihn und half ihm mit dem Schwertgürtel und den Stiefeln. Steif und klebrig, voll verhärtetem Blut.
»Ihr habt es geschafft.«
»Ja, nicht wahr? Jedenfalls den Anfang.«
Thalia würde in den Hügeln sicher sein; von dort hatte sie auch die Schlacht mit angesehen. Kurz kam es ihm richtig und passend vor, dass ein alter Gefährte aus seiner Jugend in diesem Augenblick des Triumphs bei ihm war. Carins Geist hing schwach und verblassend in der Luft. Osen war gewiss schon immer sein Freund gewesen. Kein Band verbindet mehr als das des gemeinsamen Tötens. Selbst bei Carin war es nie so gewesen. Hätte es nie so sein können. In den alten Schlachthymnen pries man die im Krieg geschmiedete Freundschaft, das Vertrauen der Männer, die wussten, dass sie das Leben des anderen in der Hand hielten, dass das, was sie zusammen taten, mit nichts anderem zu vergleichen war.
»Wollt Ihr sie wegwerfen?«, erkundigte sich Osen und deutete auf Mariths Stiefel. Sie waren erstaunlich blutbefleckt.
»Ja. Auch die Rüstung. Sie ist nicht mehr zu gebrauchen. Die Schnalle jedoch lasst reinigen. Sie ist sehr schön.« Sein Umhang hing an einem Haken in seinem Schlafbereich, verbrannt und verschlissen am Saum, jetzt mit noch mehr Blut getränkt. Marith stand nackt auf und reckte sich. Osen half ihm in den Badezuber.
»Was soll ich den anderen Lords sagen, wann sie Euch zu sehen bekommen?«, wollte Osen wissen.
»Oh, bei den Göttern … Ja, ja. Es muss sein. Und die ithischen auch. Sagen wir, in zwei Stunden? Lasst Wein und Fleisch für sie bereitstellen. Und seht nach, ob es in Leos’ Tross Becher oder etwas gibt, das wir benutzen können.« Bei den Göttern, als Fußsoldat bei Skie und Tobias war alles viel einfacher gewesen: Menschen töten, keine Menschen mehr töten, wenn keine Menschen zum Töten mehr da waren, sich danach betrinken, um zu feiern, zu vergessen. Das heiße Wasser floss herrlich über seinen Kopf. Als er die Augen öffnete, reichte ihm Osen einen großen Becher Feuerwein.
»Bei den Göttern, wo kommt der denn her? Ihr könnt wahrlich Gedanken lesen. Danke.«
»Manchmal stehen Euch Eure Gedanken ins Gesicht geschrieben, Marith. Auf den König von Ith.«
»Auf den …«
Beinahe hätte er sich nach seinem Onkel umgesehen, doch dann begriff er, wen Osen meinte.
Die Lords trafen zur vereinbarten Zeit ein, manche noch blutig und gerüstet, da sie direkt vom zu sichernden Schlachtfeld oder den Vorbereitungen für den morgigen Tag kamen. Neben den Lords der Weißen Inseln waren zwei ithische Adlige zugegen, Lord Alleen Durith von Emralleen und Lady Kiana Sabryya. Bei Letzterer handelte es sich um eine junge Frau mit lebhaften dunklen Augen und wilden braunen Locken, die zahlreiche Blicke der Männer auf sich zog. Jeder kannte die Ither und wusste, dass es bei den Illyrianern auch Kriegerinnen gab. Nur wenige Stunden zuvor hatten sie gegen ithische Frauen gekämpft und diese getötet. Aber, bei den Göttern, so, wie sie sie anstarrten, hätte man fast auf den Gedanken kommen können, sie hätten noch nie zuvor eine Frau gesehen. Sie lächelte Osen an: Offenbar hatten sie gegeneinander gekämpft, und sie hatte ihn weggestoßen, um einen Ausbruch zu machen und ihren Kameraden zu helfen. Sie hatte tapfer gekämpft. Eine Zeit lang. Dann hatte sie sich zusammen mit den ihr verbliebenen Truppen ergeben, sich gegen die nächsten Ither gewandt und sie zusammengetrieben.
Er hätte ihr als Überläuferin eigentlich misstrauen müssen, aber …
»Leos ist unverletzt entkommen«, berichtete sie knapp. »Wünscht Ihr, ihn zu verfolgen?«
»Dafür ist es ein bisschen spät, würde ich sagen«, murmelte Yanis Stansel.
»Er wird nach Tyrenae reiten«, sagte Nasis Jaeartes. »Wir müssen ihn wohl kaum verfolgen, sondern können einfach hinter ihm herschlendern.«
»Das könnte etwas zu gewagt sein«, warf Yanis ein. »Bei allem gebührenden Respekt dem König gegenüber, natürlich.«
»Ihre Armee ist geschlagen. Vernichtet. Sie können keinen Widerstand mehr leisten.«
»Sie könnten versuchen, die Stadttore zu schließen.«
Lord Durith von Emralleen regte sich. Als Calboride war er entfernt mit Leos, Selerie und Marith verwandt. »Lord Leos ist in Tyrenae nicht gerade beliebt. Erst recht nicht jetzt …« Er sprach nicht weiter und schaute sich vielsagend um.
»Wieso jetzt?«, hakte Osen nach.
»Habt Ihr es noch nicht gehört? Ich dachte, Ihr wüsstet es … Leos hat sich nicht nur den Königstitel angeeignet. Sobald die Kunde eintraf, dass Selerie gefangen genommen worden war, ließ er den kleinen Prinzen und die kleine Prinzessin, Seleries Kinder, töten. Selbstverständlich geschah das nicht vor aller Augen, aber es wissen genug Menschen Bescheid oder vermuten zumindest etwas. Ich bezweifle, dass das Volk von Tyrenae jubeln wird, wenn er geschlagen zurückkehrt.«
»Sehr umsichtig von ihm«, meinte Osen. »Dadurch ist der König der nächste Erbe des ithischen Throns.«
Lord Durith grinste Marith an. »So ist es. Einige würden es gar als törichtes Vorgehen bezeichnen.«
»Manch einer könnte auch glauben, er wäre dazu ermutigt worden«, sagte Kiana und kniff die Augen zusammen. »Wenn die Ither schlau sind, öffnen sie Euch morgen die Tore und liefern ihn Euch in Ketten aus.«
»Wenn die Ither schlau wären, würden wir jetzt nicht hier sitzen«, murmelte Yanis Stansel. Bei den Göttern, welche Laus war Yanis denn über die Leber gelaufen? Er hatte den Angriff der schweren Kavallerie angeführt und den ithischen Speerkämpfern schwer zugesetzt. War er etwa immer noch verärgert, weil er sich leicht an der linken Hand verletzt hatte?
Es wurde Zeit, dass ihr König sie zur Räson brachte. »Wir marschieren nach Tyrenae, sobald der Morgen graut«, entschied Marith. »Wir werden davon ausgehen, dass es zum Kampf kommt: Die Götter allein wissen, ob sie noch immer versuchen werden, Gegenwehr zu leisten. Dann wären sie allerdings Narren. Wenn sie eine Belagerung wollen, werde ich ihre Mauern bis zum Abend durchbrochen haben und danach die Männer auf sie loslassen.«
Eine Nacht der Ruhe, dann marschierten sie. Lange, angespannte Stunden ging es durch sprießende Felder langsam gen Tyrenae. Die Stadt stand auf einem langen Felskamm, der über die Ebene ragte. In ihrem Herzen befand sich die Zitadelle von Malth Tyrenae auf einer Felsnase. Zuweilen verbargen hohe Wolken die Türme und das Aufblitzen der Kupferdächer, die Teiche aus Quecksilber so hoch oben. Einige sagen, dass daher der Name Festung der Schatten stamme. Eine uralte Stadt und eine uralte Festung. Älter als Amrath. Älter als die Gottkönige. Manche behaupten, sogar älter als die Menschen. Bevor sich die Welt aus dem Wasser erhob, stand Malth Tyrenae bereits da, gekrönt mit Quecksilber, allein über den endlosen, nicht brechenden Wellen der ersten See. Die Steine wurden von Wind und Wetter durchlöchert, über Abertausende Jahre geschliffen. Die Hallen hatten gesehen, wie sich der Mensch aus dem Schlamm erhob und vor seine Herren kroch. Hier hatte Amrath Eltheias Eltern bei lebendigem Leib gekocht. Hier hatte Eltheri, ihr Bruder, lachend zugesehen. Hier würde Marith Altrersyr, der Ansikanderakesis Amrakane, wirklich zum König werden.
Die Armee überquerte zur Mittagszeit den Ushenfluss, ohne auf Widerstand zu stoßen. Ein Reitertrupp überquerte die Hügel, zog sich zurück, dann ritten die Männer verteilt Richtung Stadt. Lord Bemann hatte die Nachricht überbringen lassen, dass Tyrenae sich auf die Kapitulation vorbereite, daher ließ Marith sie gehen. Ansonsten war niemand zu sehen, die Bauern hatten sich in ihren Häusern verkrochen oder waren geflohen. Die Kirschbäume in den Obstgärten, für die Geremela derart berühmt war, fingen gerade an zu blühen; rosafarbene Blüten waren überall auf den Ästen auszumachen. Marith flocht einige zu einer Girlande für Thalia, die sich prächtig vor ihrem schwarzen Haar abzeichnete. Osen machte wiederum eine für Marith: Er nahm den Helm ab, ließ sich damit krönen und atmete den schwachen Duft ein. Einige andere Lords machten es ihm lachend nach. Kiana Sabryya sah aus wie ein kecker junger Waldgeist, und Osen machte ihr schöne Augen. Es glich eher einem Jahrmarkt denn einem Marsch in die Schlacht.
Als die Sonne bereits golden hinter der Stadt versank, erreichten sie die Mauern und das Osttor. Der Turm der Schatten zeichnete sich wie ein Messer vor dem Himmel ab.
Die Torflügel standen offen. Auf der Straße vor ihnen hatte man zwei Holzpfähle aufgestellt. Auf einem davon steckte Leos Calborides Kopf, der die erobernde Armee anstarrte, als sie vor ihm anhielt. Auf dem anderen hatte man Leos Körper aufgespießt. Ein dunkelrotes Banner flatterte im Wind. Lord Bemanns Männer standen Spalier. Die Mächtigen und Potentaten von Ith knieten zu ihren Füßen.
Lord Bemann kam näher. »Mein Lord Marith Altrersyr, König von Ith und den Weißen Inseln und Illyr und Immier und der Ödnis und des Bittermeeres. Ansikanderakesis Amrakane. Die Menschen von Tyrenae wünschen, zu Euch zu sprechen. Werdet Ihr sie anhören?«
Marith blickte hinüber zu Selerie und dann ins Gesicht des toten Bruders. Ja. So fühlt sich das an, dachte er. So fühlt sich das an, Onkel, du hartherziger, grausamer, gnadenloser, dickköpfiger alter Mann. Soll ich dir sagen, dass er deine Kinder ermordet hat? Soll ich es tun? Was muss er für dich empfunden haben, dass er zu so etwas fähig war? »Ich werde sie anhören. Möglicherweise höre ich ihnen sogar zu.« Er trug noch immer den Kranz aus Kirschblüten, bemerkte er da, ebenso wie die meisten Lords um ihn herum. Thalia neben ihm sah aus wie die Statue einer Göttin, als die Nachmittagssonne auf ihrer Girlande und ihrem Kleid aus Silberfäden glitzerte.
Einer der ithischen Adligen stand mühsam auf. Ein alter Mann, grauhaarig, mit krummem Rücken. Blau-silberne Bordüren an seiner Kleidung: noch ein Mitglied der Königsfamilie. Vielleicht ein Großonkel, der Großvater der hübschen Prinzessin. Marith schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln.
»Mein König. Mein König von Ith. Seid willkommen. Eure Stadt öffnet die Tore für Euch. Wir frohlocken, dass Ihr eingetroffen seid.« Er kniete sich dicht vor Mariths Pferd, sodass sein Kopf beinahe die vergoldeten Hufe berührte. »Tyrenae kapituliert bedingungslos, mein König. Ebenso Malth Tyrenae. Wir stehen zu Eurer Verfügung und bitten Euch um Gnade, mein König.«
Marith hob den Blick zu den Türmen der Festung. Dinge, bei denen es sich um Wolken handeln konnte, kreisten um die Spitzen. Er hob die Stimme. »Ich nehme Eure Kapitulation an.« Der Mann atmete aus, was wie ein langes, zittriges Seufzen klang.
Mehrere Jungen traten vor und streuten Blumen. Zwei Mädchen in purpurner Seide brachten Becher mit Wein für Marith und Thalia als König und Königin. Zwei weitere Mädchen reichten ihnen beiden Geschenke, einen ersten Vorgeschmack auf die Schatztruhen von Malth Tyrenae, die ihm nun offen standen. Ein juwelenbesetztes Schwert mit Scheide und Schwertgürtel für Marith, goldene Filigranarbeiten und Smaragde sowie Quecksilber in einem klaren Kristall auf dem Schwertgriff. Eine Halskette mit weißen Diamanten für Thalia, die eng wie ein Kragen um ihren Hals lag. Ah, bei den Göttern. Er berührte ihre Hand. Mehr Blumen, als sie durch das Tor ritten, Stimmen, die sich nicht sehr erfolgreich um Jubel bemühten. Aus den Fenstern und Türen starrten die Einwohner von Ith sie düster und verängstigt an. Sie hatten Teppiche und Wandbehänge an die Fensterläden gehängt, warfen Blumen, zitterten vor Furcht, wenn der Zug vorbeizog. »Der König von Ith!«, rief jemand. »Der König von Ith!« Selerie war neben ihm im Sattel zusammengesackt und wurde von Fliegen zerfressen.
»Der König von Ith«, lispelte Selerie trotz seines geschändeten Munds.
Den langen Prozessionsweg hinunter, über Höfe und Marktplätze, immer umgeben von Stimmen. »Der König von Ith! Der König von Ith!« Blumen fielen vom Himmel; sie mussten alle Bäume der Stadt leer gepflückt haben. Die Blüten verfingen sich in Mariths Haar, in der Mähne seines Pferdes, in seiner Kleidung. Thalia schimmerte förmlich vor Blüten. Auf jedem Hof sangen Musikanten Loblieder Amraths. Aus den Fenstern eines Bordells lehnten sich halb nackte Frauen, warfen Kusshände und schüttelten ihr langes Haar. Ein Kleiderhändler hatte seine Waren auf der Straße ausgebreitet, feine Seiden- und Leinenstoffe, gefärbte Wolle, mit Kupferfäden bestickter Samt. Die Pferde liefen darüber und trampelten Blütenblätter ins Gewebe. In den Gassen kreischten Bettler und wedelten johlend mit den Armen.
Hinauf zu den Toren von Malth Tyrenae. Auch hier standen die Torflügel offen, weitere junge Mädchen in Purpur streuten von oben Blumen auf die Straße, eine Trompetenfanfare, Glockenklang. Der Verwalter des Königs empfing sie, kniete nieder und reckte ein Tablett mit der Krone von Ith empor. Diener warfen sich zu Boden und drückten die Stirn auf den Stein. Noch ein Mädchen mit Willkommensbecher, in Purpur und Gold gekleidet. Diesmal war es Hippocras. Jemand hatte sich daran erinnert, was er gern trank. Die Turmwachen schlugen die Schwerter gegen die Schilde. Sangen Lobeshymnen.
Am Eingang kniete ergeben die Königin, von Prellungen übersät, nachdem sie Leos’ Attentäter abgewehrt hatte, noch immer in den blutigen Kleidern, in denen sie von Leos eingesperrt worden war. Sie sah Selerie nicht an, sondern klammerte sich nur wie eine Bittstellerin an Mariths Knie. Sie flehte ihn an, er möge sie ihre Kinder in Frieden beerdigen lassen. Marith nickte nur geistesabwesend. Sie nahm seine Hände. Küsste sie. Entsetzen überkam ihn. Er war den Tränen nahe. Ich habe deinen Gatten verstümmelt, dachte er. Mit diesen Händen. Ihre Lippen waren trocken und heiß. Thalia sah aus, als wäre ihr übel, und er bemerkte, wie sie ihren narbenübersäten Arm berührte. »Großer Tanis. Großer Tanis. Erlöse uns. Erlöse uns.« Osen machte eine Handbewegung; zwei Männer in Rüstungen schleiften die Königin weg, die sich noch immer bedankte.
Marith rieb sich die Augen. Hatha. Alkohol. Seine Hände fühlten sich schmutzig an, als hätte er Hundekot berührt, der sich nicht wegwaschen ließ.
Lord Bemann trat zu ihm. »Die Tore sind geschlossen, mein König. Alle sind in der Stadt. Wir haben alles gesichert. Die Festung. Die ithischen Truppen. Alles untersteht Eurem Befehl.«
Er drehte sich um und musterte die erwartungsvollen Gesichter. Hatte Tränen in den Augen. Blütenblätter. Trompeten. Jubel. Freude. »König Marith! König Marith! Gepriesen sei König Marith!« An den Turmspitzen tanzten zuckend die Schatten.