Vor Kurzem abends in New York. Ich bin im Theater District gestrandet, laufe von Hell’s Kitchen zum Broadway. Ohne Tickets für ein Musical. Doch mit einer kostenlosen Karte für die eigentlichen Dramen. Verlässlich zu finden an den Künstlereingängen. Sie faszinieren mich. Meist an der Rückseite eines Theaters. Hölzerne oder stählerne Zeugen der Bühnennomaden. Schwellen auch des verblassten Ruhms. Immer aber sind es Schwingtüren der Einsamkeit.
Bei einigen drängen sich die Schaulustigen. Meistens dort, wo Late-Night-Shows aufgezeichnet werden. Höhere Prominentendichte als bei vielen anderen Bühnen.
Alugitter oder rote Kordeln bilden die Grenze zur Illusion von Glück. Manche Zaungäste träumen vom Leben jenseits der Absperrung. Eine Mutter wendet sich mit Südstaatenakzent an ihre Tochter:
»Nimm brav weiter Gesangsstunden – und du wirst hier landen.«
Das Mienenspiel des Mädchens lässt den Karriereplan als Farce erscheinen.
Zwei schwarze Chevrolets fahren vor. Geschrei. Handys schnellen in die Höhe. Alle schauen zu den Wägen. Dort passiert – gar nichts.
Sie verpassen den Moment, als sich in ihrem Rücken die Tür zum Künstlerausgang öffnet und eine unscheinbare Gestalt mit zwei Begleitern heraustritt. Die Augen sind leer, er wirkt erschöpft. Er zieht eine Zigarette aus einem scheußlichen Etui. Endlich dreht sich jemand um. Er wird erkannt. Die Zigarette fällt zu Boden. Das graue Gesicht verformt sich in eine strahlende Maske. Sie hält, bis er nach einem Selfie-Marathon in einen der Chevys einsteigt. Dort fällt sie ab. Leere Augen, noch bevor die Tür sich wieder schließt.
Ich ziehe weiter. Ein kleines Theater. Niemand hat sich hierher verirrt. Mitwirkende erscheinen. Sie kommen zu Fuß. Mit dem Taxi. In Gedanken versunken. Einer klopft mit der Faust dreimal an die Mauer neben der Tür. Ein anderer bekreuzigt sich. Rituale der Anspannung. Sie begrüßen sich und wirken doch allein.
Was treibt mich an diese Türen?
Metamorphosen.
Die Verwandlung vom Zweifler zum Entertainer. Von Menschen zu Stars. Und am Ausgang – deren Umkehrung. Ich habe einen Teil meiner Jugend in Konzerthäusern verbracht. Mein Vater war Dirigent.
Neben den Hintereingängen sind auch Künstlergarderoben oft von brutaler Nüchternheit. Kein wärmendes Scheinwerferlicht. Nichts vom Glanz der Säle. Kaltes Halogen leuchtet die Dämonen aus. Hybris, Einsamkeit.
Bühnenmenschen sehnen sich oft nach beidem, Glamour und Normalität. Nur wenige können mit dem Spannungsfeld umgehen. Viele zerreißt es zwischen den Polen. Ich war zu oft Zeuge, wie sich Adrenalin in Elend wandelte, ein Triumph in die Depression drehte. Janusköpfig.
Manche betäuben die Realität des Künstlerausgangs mit Aftershow-Partys. Einige Idioten betäuben nicht nur sich selbst.
Nota bene: Aufzüge in die Chefetagen sind Künstlereingängen nicht unähnlich.