Letzte Woche. Ein Abendessen mit Freunden. Wir diskutieren über Umgangsformen in politischen Parteien. Das Urteil der anderen ist nicht freundlich. Auch meines ist durchwachsen. Ich verweise auf die Gepflogenheiten eines harten Geschäfts. Machtrituale. Eifersüchteleien.
»Ist dir denn jemals etwas Vergnügliches widerfahren?«, fragt mich einer.
»Langweilig sind Parteien nie. Aber Vergnügen? Selten.«
Dann erzähle ich eine Episode vom vergangenen Winter. Fast zwölf Jahre nach meinem Ausscheiden.
Ein Schreiben zu meinem Geburtstag. Via E-Mail. Vom Generalsekretär der CSU. Ich erstarrte natürlich vor Ehrfurcht.
»Lieber Herr Guttenberg« – bereits das Anschreiben eine Wonne. In zweifacher Form:
Stemmte sich die Partei nun sogar bei einfachen Mitgliedern wie mir gegen ein unseliges Gebaren? Die flächendeckende Duzerei. Jeder mit jedem, selbst in der Union. Dem Bruderkuss unter Konservativen sollte wohl unter allen Umständen der Riegel vorgeschoben werden.
Gleichzeitig wird mit dem Verzicht auf Adelsattribute wie »von« und »zu« volksnah der Abschaffung der Monarchie Rechnung getragen. Selbstverständlich nur jenseits der Staatskanzlei, der letzten Bastion des Großfürstentums. Und mit leichter Verspätung, etwas mehr als 123 Jahre nach dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung.
Gerührt nahm ich wahr, dass sich mit der Gratulation »auch die besten Grüße unseres Parteivorsitzenden und Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder« verbanden. Tatsächlich? Von Herrn Dr. Söder persönlich? Ein Menschenfreund. Er hatte wirklich an mich gedacht. Sonst hatte man immer das Gefühl, Politiker kreisten nur um sich selbst.
Es kam indes noch besser: »Als kleines Geschenk dürfen wir Ihnen einen individuellen Fünf-Euro-Gutschein für den CSU-Fanshop überreichen.« (Mindestbestellwert 20 Euro.) Ich sah mir die Auswahl an. Es gab u. a. einen Meterstab »Markus Söder«, den Turnbeutel »Löwe und Raute«, CSU-Kugelschreiber aus Bambus, das Oktoberfest-Sparschwein »O’zapft is’« (klein und groß), ein Herren-Hoodie mit Aufdruck »Immer locker, flockig bleiben«, und, hurra!, eine Baumwolltasche »Söder«.
Bei aller Spöttelei: Ein wirklich heilsames Geburtstagsgeschenk. Hier machte die CSU (auch mal) etwas richtig.
Erinnerte sie doch ihre ehemaligen Generalsekretäre, Abgeordneten und Minister daran, sich nicht so unendlich wichtig zu nehmen. Was schon der Partei scheißegal ist, muss nicht der eigenen Eitelkeit dienen. Ich war den lieben ehemaligen Kollegen dankbar. Selten hatte ich bei einem Gratulationsschreiben so herzlich gelacht.
Bei meinen Freunden kommen Zweifel auf. Könnte es sich bei alledem um ungewollte Resultate gehandelt haben, einen automatisierten Vorgang? Wütete hier etwa ein Algorithmus?
Der Generalsekretär duzt mich doch eigentlich seit Jahren. Und Markus Söder würde eher Keuchhusten bekommen, bevor er mir im realen Leben solche Liebenswürdigkeiten zuflüstern würde. Der Mindestbestellwert wäre womöglich um zwei Nullen ergänzt worden.
Haben sie recht? Teilt die Parteispitze ihre intellektuelle Kraft nunmehr mit künstlicher Intelligenz?
Endlich, mögen einige Bösewichte sagen.
Aber weshalb zweifeln, wenn man sich die Illusion selbstironischer politischer Vertreter bewahren kann.