VI

Sonntagmorgen. Ich blinzele aus dem Fenster in einen klaren Winterhimmel. Ein Ballon tanzt vorbei. Einer der teuren. Silberglänzend, mit Helium gefüllt. Motiv: ein Mops. Er entschwebt mit wohlgenährtem, zufriedenem Gesichtsausdruck. Weshalb er mich an kirchliche oder parteipolitische Würdenträger erinnert, vermag ich nicht zu sagen. Es kann dem Sonntag geschuldet sein, der heutigen Abgeordnetenhauswahl in Berlin oder nur meinem schlechten Charakter.

Womöglich schauen ihm traurige Kinderaugen hinterher. Eine kurze Nachlässigkeit – und die Schnur entgleitet den Händen. Vielleicht sind es aber auch freche Kinderaugen. Mit anklagendem Blick auf hilflose Eltern, die den Ballon nicht mehr zu fassen bekamen. Zielsetzung der kleinen Perfidie: Spiderman statt Mops. Sofort.

Dieser Februar weckt zahlreiche Ballonassozia­tionen:

Die Amerikaner schießen ein weißes chinesisches Objekt vom Himmel. Einen Ballon. Sinnbild transpazifischer »Wiederannäherung«.

Ein New Yorker Shortseller benennt sich nach dem Luftschiff »Hindenburg« und steuert in die Investmentseifenblase eines indischen Tycoons. ­Binnen einer Woche verliert die Adani Group in ihrer Bewertung etwa 110 Milliarden Dollar. Laut IWF hatten 129 Staaten vergangenes Jahr ein niedrigeres Bruttoinlandsprodukt.

In der Türkei ringt ein Autokrat mit seiner Hybris und der Last der Trümmer, nicht nur im Lichte einer mutmaßlichen Veruntreuung der Erdbebensteuer.

Beim Aachener »Orden wider den tierischen Ernst« führen deutsche Spitzenpolitiker ihre aufgepusteten Egos und die Illusion geistreichen Humors vor.

Anmaßende Metaphern? Keineswegs, ich bin selbst einmal ein bunter Ballon gewesen, der gar nicht hübsch genug platzen konnte. Der Knall tat mir gut. Auch der schmerzhafte, aber heilsame Aufprall.

Montagmittag. Der Mops wirkt nach. Den Luftballonstand am Marktplatz hätte ich sonst nicht wahrgenommen. Im Angebot sind fast ausschließlich Motive zum Valentinstag. Der Tag, an dem Verliebtheit bedrohlich werden kann. 20 Millionen Rosen werden hierfür nach Deutschland eingeflogen. Wo ist eigentlich die Empörung über den CO2-Abdruck von schlechtem Gewissen?

Ein Paar steht vor der schwankenden Phalanx rosa­roter Heliumherzen. Beide wirken unentschlossen. Er tastet in seinen Manteltaschen nach Kleingeld. Sie lächelt ihn an: »Lass es sein. Immer ein Scheißmoment, wenn der Ballon dann zu Boden fällt.« ­Verlässlich. Die Luft geht ihm spätestens am 15. ­Februar aus. Wie die Romantik.

In Berlin platzte am Abend zuvor der Traum vom politischen Anstand. Einmal mehr. Wahlverlierer versuchten, sich mit waghalsigen Koalitionsturnübungen an den Zinnen der Macht festzukrallen. Man blies zwar keine Ballons auf, aber die Backen.