Kapitel 19

Miller

In der Woche darauf verbringe ich fast den ganzen Tag in Kais Haus; entweder stehe ich in der Küche, oder ich kümmere mich um Max. Und wenn Kai nach einem der Spiele, zu denen ich nicht gemeinsam mit Max gehe, nach Hause kommt, finde ich immer irgendeine Ausrede, um noch ein bisschen zu bleiben.

Die richtige Inspiration hat mich allerdings noch nicht überkommen. Und das liegt eindeutig an mir, wenn nicht mal eine atemberaubende, hochmoderne Küche mit brandneuen Geräten meine Muse in Gang bringen kann.

Aber heute ist es endlich so weit. Ich spüre richtig, wie es in meinen Fingerspitzen vibriert. Gestern Abend im Bett habe ich das neue Dessert im Geiste vor mir gesehen, bin gedanklich jeden Schritt durchgegangen – meine Version eines dekonstruierten Bananas Flambé.

In der High-End-Welt muss man ein Gericht nur als »dekonstruiert« präsentieren, und es kostet automatisch das Doppelte. Völlig sinnbefreit, wenn man mich fragt, aber ich mache die Regeln nicht.

Einmal habe ich ein Dessert kreiert, das einfach »Flavors of a Banana Split« hieß: Ich habe einen dekonstruierten Bananensplit serviert, der praktisch über den ganzen Tisch verteilt war. Haselnussschokolade auf der einen Seite, Erdbeermousse auf der anderen. Man musste sich echt ins Zeug legen, um einen vollständigen Happen aus allen Zutaten zusammenzustellen, aber die Präsentation war umwerfend, und ich habe eine Auszeichnung bekommen – für ein Dessert, das im Grunde nichts weiter war als ein riesiger, unordentlicher Bananensplit.

Heute aber gehe ich den Bananas Flambé an.

Zumindest war das mein Plan, bevor Max beschlossen hat, dass er heute ganz besonders anhänglich ist. Sobald ich zum Herd hinübergehe, krabbelt er mir schnurstracks hinterher. Eigentlich wollte ich während seines Mittagsschlafs arbeiten, aber es ist so viel Hausarbeit liegen geblieben, dass ich eine Runde angepackt habe, um Kai zu helfen. Obwohl er sicher verärgert sein wird, habe ich die Wäsche gewaschen. Und vielleicht habe ich mir dabei eins seiner getragenen T-Shirts geschnappt und tief den Geruch eingesogen.

Der Typ riecht wunderbar. Verklagt mich doch.

Ich sehe nach unten zu Max, der neben meinen nackten Füßen kauert. »Max, Baby, was ist los?«

Er streckt mir beide Hände entgegen. »Nana«, sagt er.

Inzwischen weiß ich, dass er mit diesem dahingenuschelten Wort eine Banane meint. Neben dem Herd liegt ein ganzer Bund, ich habe sie vor ein paar Tagen gekauft, und sie sind kurz davor, braun zu werden, deshalb muss ich sie heute verwerten.

Ich schäle eine, hocke mich vor ihm hin und breche ihm ein Stück ab. »Bitte sehr, kleiner Käfer.«

Seine blauen Augen leuchten, das Haar ist noch etwas verschwitzt vom Nachmittagsschlaf. Verdammt noch mal, ist er süß.

Der Herd heizt bereits vor, aber ich werde auf keinen Fall an diesem Dessert arbeiten, wenn er in der Küche herumwuselt – Flambieren bedeutet offenes Feuer, also kommt es nicht infrage.

Max sitzt zufrieden auf dem Boden, verzwirbelt mit den Fingern die braunen Haare und mampft Banane.

»Maxie, willst du mit deinen Bauklötzen spielen gehen?«

Er schüttelt den Kopf.

»Sollen wir vielleicht rausgehen und ein paar Seifenblasen machen?«

Ein weiteres Nein.

»Okay, also willst du zusammen mit mir in der Küche abhängen?«

Er sieht mich an und lächelt, Bananenmatsch zwischen den Milchzähnen.

Lachend hebe ich ihn hoch. »Alles klar, mein Kleiner. Dann machen wir uns mal an die Arbeit.« Ich schalte den Ofen aus und stelle Max in den Lernturm, aus dem er mit auf die Arbeitsfläche sehen kann, stütze mich auf die Unterarme und sehe ihn fragend an. »Was wollen wir machen?«

»Nana!«, ruft er.

»Du hast doch noch gar nicht aufgegessen.«

»Nana!«

»Ich kann das Bananendessert nicht machen, wenn du in der Küche bist. Die Flammen sind groß und heiß und aua! « Ich kitzle ihn am Bauch, um sein Lachen zu hören. »Sehr gefährlich. Also müssen wir uns was anderes mit Bananen einfallen lassen.«

»Nana!«

Lieber Gott. Er ist heute ein großer Bananenfan.

»Wie wäre es mit …« Ich sehe mich suchend um. Bananen, Mehl, Zucker. Eine Gugelhupfform. Ich sehe wieder Max an. »Wollen wir Bananenbrot machen?«

Das gilt definitiv nicht als Arbeit. Etwas so Einfaches wie Bananenbrot habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht.

Max klatscht in die Hände.

Na schön, wir backen ein verdammtes Bananenbrot.

In meinem Kopf schwirrt ein altes Rezept herum, das ich als kleines Mädchen für meinen Vater zubereitet habe. Fast wie ein Kuchen mit feuchtem Kern.

Ich wasche erst mir die Hände, dann Max, und rücke seinen Turm dicht an meine Arbeitsfläche, damit er so viel sehen und anfassen kann, wie er mag. Dann schnappe ich mir die Schüssel aus der Küchenmaschine und stelle sie vor ihn. »Also gut. Erst mal müssen wir diese Bananen zerdrücken.« Ich schäle sie und werfe sie in die Schüssel, und Max greift hinein, schnappt sich eine Handvoll und schiebt sie sich in den Mund.

Ich nicke. »So habe ich noch nie gebacken, aber ich bin dabei.« Ich nehme eine Gabel und gebe ihm auch eine, allerdings eine viel kleinere. Er wird damit zwar nichts ausrichten, aber so hat er das Gefühl, mitzuhelfen.

Wir zerdrücken die Bananen. Na ja, ich zerdrücke die Bananen. Max schlägt derweil mit der Gabel gegen die Metallschüssel.

»Ausgezeichnete Arbeit«, lobe ich ihn. »Jetzt vier Eier.« Das erledige ich allein – seine Hände sind noch viel zu klein, um ein Ei zu halten. »Und ein bisschen Rapsöl.« Ich fülle einen Messbecher und gebe ihn Max, achte allerdings sorgsam darauf, meine Hand über seine zu legen.

Ich möchte, dass er das Gefühl hat, dass er das tut. Wer weiß, vielleicht lernt er dabei sogar etwas. Ich hätte gern von meiner Mutter etwas übers Kochen gelernt, aber sie war nicht da, um es mir beizubringen, so wie auch Max’ Mutter nicht hier ist.

Wir gießen das Öl zu den Bananen. Ein bisschen was geht daneben, also gebe ich sicherheitshalber noch einen Spritzer hinzu.

Genau so machen wir es mit Zucker und Salz, dann fügen wir Backpulver und eine Packung Instant-Vanillepudding hinzu. Nie im Leben würde ich bei der Arbeit Instantpudding benutzen, aber wir backen zum Spaß – etwas, das ich seit Jahren nicht mehr gemacht habe. Besonders lustig wird es, als Max das Mehl in die Schüssel kippt und eine gewaltige Mehlwolke aufstäubt, die ihn weiß überpudert.

Er kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen und steckt mich ebenfalls an. Alles ist voll, sein verstrubbeltes braunes Haar, seine Klamotten, aber er grinst übers ganze Gesicht und ringt vor Kichern nach Luft.

»Kleiner Käfer, ich glaube, wir müssen dir auch eine Schürze besorgen.«

Er kichert noch heftiger, und ich strahle ihn an. Ja, seine Familie ist nicht wie aus dem Bilderbuch, und früher oder später wird ihm auffallen, dass die meisten anderen Kinder Mutter und Vater haben, aber Max hat es gut. Er ist glücklich, und mehr kann man sich nicht wünschen.

Ich ziehe ihm das mehlbestäubte Hemd aus – nackte Kleinkinder sind glückliche Kleinkinder –, bevor ich etwas mehr Mehl in die Schüssel kippe. Dann schnappe ich mir Max und die Schüssel, trage beides zur Küchenmaschine und lasse die Schüssel einrasten. Max hilft mir dabei, die Maschine einzuschalten. Mit großen Augen und geöffnetem Mund sieht er zu, wie es losgeht.

Ich achte nicht auf die Maschine. Ich sehe nur Max, fassungslos vor Entzücken, dass ich dabei sein darf, während er das alles zum ersten Mal erlebt. Sein süßes Gesicht strahlt vor Freude so sehr, dass es auf mich überspringt.

Glück und Begeisterung beim Backen.

Es wurde Zeit, dass ich das mal wieder so empfinde.

Normalerweise mag ich im Bananenbrot Walnüsse am liebsten, aber heute entscheide ich mich für Schokoladenchips. Wir lassen sie von oben hineinplumpsen, und Max schiebt sich für die zwei Plättchen, die er in die Schüssel wirft, direkt auch zwei in den Mund.

Ich schiebe die Gugelhupfform in den vorgeheizten Ofen, und ein merkwürdiger Stolz durchströmt mich – und Erleichterung – , weil ich tatsächlich ein Dessert fertiggestellt habe, das ich ganz bestimmt nicht versaut habe.

Dann drehe ich mich um und betrachte die Verheerung, die wir in der Küche angerichtet haben. Max steht immer noch an der Theke und futtert Schokoladenchips, und ich muss lächeln.

Meine Lehrer an der Kochschule wären ausgerastet, wenn mein Arbeitsplatz in der Schule jemals so ausgesehen hätte. Ich wäre angeschrien und beschimpft worden. Während der Jahre in der Gastronomie habe ich mir ein dickes Fell zugelegt, und Sauberkeit und Ordnung sind in den Küchen, für die ich arbeite, nun mal das A und O. Dort berühre ich alles nur mit dem Handtuch, das ich über meiner Schulter trage, mein Haar ist streng zurückgekämmt, die Uniform frisch und meine Haut bedeckt.

Aber jetzt stehe ich hier neben einem nackten Baby, das zerzauste Haar fällt mir auf die Schultern, und ich könnte mich nicht wohler fühlen.

Eine gute Stunde später habe ich uns gerade eine warme Scheibe Bananenbrot abgeschnitten, auf der ein Klecks Butter schmilzt, als die Haustür aufgeht. Kai kommt herein, die Cap mit dem Schirm nach hinten gedreht, und schleicht sich von hinten an seinen Sohn heran.

»Du bist ja ganz nackt!«, sagt er, kitzelt Max am Bauch und bedeckt seine Wangen mit Küssen.

Max zappelt lachend in seinem Griff.

»Nackter Maxie, was machst du da?« Sein Vater hebt ihn hoch und drückt ihn an sich. Sofort legt Max die kleinen Arme um seinen Hals, und ich sehe rasch weg, um nicht zu sabbern bei dem Anblick dieses liebevollen Mannes mit seinem Sohn im Arm.

»Hallo, Mills«, sagt er.

Ich drehe mich wieder um. »Hallo.«

Er hat Max auf seinen unglaublich herrlichen geäderten Unterarm gesetzt und wischt sich mit dem Hemdsaum den Schweiß von der Stirn.

Wie kann es sein, dass er seit Max keine Frau mehr hatte? Er muss doch nichts weiter tun, als vor seinem Haus zu stehen, seinen Sohn im Arm zu halten und vielleicht noch sein Hemd auszuziehen, und alle Frauen der Nachbarschaft kämen angerannt. Es ist, als wäre er einem Porno über alleinerziehende Väter entstiegen.

»Was habt ihr zwei angestellt?«

»Was?«

Ein ärgerlich selbstgefälliges Grinsen zuckt über seine Lippen. »Was habt ihr beiden gemacht, Miller?«

»Bananenbrot.«

Seine Brauen heben sich, und ein Leuchten geht über sein Gesicht. »Du hast ein neues Dessert fertig?«

Es ist süß, wie sehr er mitfiebert. Er kennt sich zwar nicht mit der Materie aus – vermutlich fände er nichts dabei, wenn ich in meinem Food & Wine -Artikel Bananenbrot mit Instantpudding vorstellen würde –, aber süß ist es trotzdem.

»Es ist nicht neu, aber es ist auch nichts angebrannt, das ist doch schon mal was. Max hat mir geholfen.«

»Hast du das?«, fragt Kai seinen Sohn.

Max tut schüchtern, aber ich sehe ein stolzes Lächeln in seinem kleinen Gesicht aufblitzen.

»Willst du probieren?«, frage ich.

»Unbedingt. Hast du denn schon probiert?«

»Noch nicht.«

»Okay, dann du zuerst.«

»Warum das?« Ich lache. »Hast du Angst, dass ich dich vergiften will oder so?«

»Nein, aber du hast dir die Arbeit gemacht und es nicht versaut, da solltest du auch zuerst probieren.«

»Ich backe gern für andere Leute.«

Und ich habe schon viel zu lange nicht mehr für jemanden gebacken, der kein Kritiker ist. Fast hatte ich vergessen, wie schön es ist, für Menschen zu backen, die mir am Herzen liegen. Ich bin nicht immer gut darin, meine Gefühle auszudrücken, also neige ich dazu, meine Liebe zu zeigen, indem ich jemanden füttere.

Kein Wunder, dass in letzter Zeit nichts mehr klappen wollte.

»Aber zuallererst darf Max probieren«, sage ich, spieße einen winzigen Bissen auf eine Gabel und puste darauf, um ihn abzukühlen. Max öffnet den Mund weit und summt entzückt, als das Bananenbrot auf seine Zunge trifft.

»Okay, angesichts dieses begeisterten Kritikers brauche ich auch was davon«, schaltet sich Kai ein.

Ich spieße ein Stück für ihn auf.

»Willst du nicht für mich … blasen?« Er lächelt teuflisch, aber mein Lächeln ist noch viel frecher.

»Oh, ich blase dir gern einen, du musst nur fragen.«

»Mein Gott«, sagt er lachend. »Gib mir endlich das verdammte Bananenbrot.«

Ich weiß selbst nicht, warum, aber ich reiche ihm die Gabel nicht, sondern füttere ihn stattdessen.

Ohne den Blick von mir abzuwenden, schließt er die Lippen um den Bissen. Es hat etwas seltsam Erotisches an sich.

»Miller.« Er kaut und reißt die Augen auf. »O mein Gott, das ist ja unglaublich.«

»Wirklich?«

Das ist es, was ich vermisst habe, die schiere Freude zu sehen, wenn der Zucker die Zunge küsst.

»Ja. Das ist das beste Bananenbrot, das ich je gegessen habe. Ich weiß nicht mal, ob man es Brot nennen sollte. Es ist eher wie Kuchen, und ich möchte das ganze Ding auf einmal verschlingen.«

»Wow.«

»Es ist mein Ernst. Gib mir mehr davon.«

Kichernd füttere ich ihn erneut.

Er stöhnt, und ich presse die Beine zusammen. »Du musst es auch probieren«, sagt er nachdrücklich.

Mit der gleichen Gabel, die eben in seinem Mund war, nehme ich einen Bissen. Ich spüre, wie er mich beobachtet, als wäre ihm ebenfalls überdeutlich bewusst, dass meine Lippen genau dort sind, wo seine gerade waren.

Und wow, er hat recht. Es ist gut. Es ist wirklich gut. Besser als damals, als ich jünger war.

»Du hast recht.« Ich nehme noch ein Stück und kneife Max in den nackten Bauch. »Gute Arbeit, kleiner Käfer.«

Kais große Hand legt sich in meinen Nacken. Sein Daumen streicht sanft über meine Pulsader, bevor er mir zärtlich den Nacken drückt. »Gute Arbeit, Mills.«

Puh. Vor lauter Gefühlen wird mir ganz schwindlig.

Was zum Teufel soll das?

Ich kann mich nicht erinnern, wann mir das letzte Mal persönlich gesagt wurde, dass ich in der Küche gute Arbeit leiste, und Kai sagt es so sachlich. So voller Überzeugung. Das macht Lust, mehr zu backen, damit ich es noch mal zu hören bekomme.

Und ohne zu protestieren, stimme ich ihm zu: Es ist wirklich gute Arbeit.