Kapitel 24

Miller

Die Sonne scheint blendend hell durch die Vorhänge und weckt mich. Ich blinzle und brauche einen Moment, um mich zu orientieren und mich zu entsinnen, wo ich bin.

Boston.

Ich bin in Boston.

Schon fast mein ganzes Erwachsenenleben wache ich so auf … mit der Frage, wo ich eigentlich gerade bin.

Als ich mich umdrehe, trifft mich eine weitere Erinnerung.

Ich bin wund.

Ich bin wund, weil Kai in mir war.

Weil wir Sex hatten.

Atemberaubenden Sex, zehnmal besser als jeder Sex zuvor.

Ich denke an sein dunkles, schweißnasses Haar. An seinen langen, durchtrainierten Körper, der so genau weiß, was er tut. Und an das, was er gesagt hat … Himmel , was hat er im Bett für ein dreckiges Mundwerk.

Bei den Erinnerungen presse ich fest die Oberschenkel zusammen.

Mein Blick fällt auf den kleinen Tisch, auf dem er gestern Abend seine Brille abgelegt hat, aber sie ist weg, ebenso wie seine auf dem Boden verstreute Kleidung. Ich entdecke meine olivgrüne Latzhose und schlüpfe hastig hinein, ohne BH oder Hemd. Ich weiß nicht, ob Kai Max schon aus dem Zimmer seines Bruders abgeholt hat.

Und wie aufs Stichwort höre ich, wie die Tür zu Kais Zimmer aufgeschlossen wird. Die Verbindungstür zu unserem Zimmer steht noch offen, und im nächsten Moment tritt er auch schon über die Schwelle, in jeder Hand eine Tasse. Er trägt eine kurze Sporthose, unter der sein Oberschenkeltattoo aufblitzt, dazu ein graues T-Shirt.

Er sieht so heiß aus und so gut gekleidet, während ich nur meine Latzhose übergestreift habe und mein Haar noch immer das reinste Durcheinander ist, weil er es gestern Abend so gründlich zerwühlt hat.

Er lächelt mich an, süß und sexy und offenbar kein bisschen verärgert darüber, dass ich ihn letzte Nacht aus dem Bett geworfen habe. »Bist du gerade erst aufgewacht?«

»Ja.« Ich wende mich von ihm ab und binde mithilfe des Ganzkörperspiegels an der Wand rasch mein Haar zu einem Knoten zurück. »Es scheint, als hätte mich letzte Nacht irgendwer ganz schön fertiggemacht.«

»Tja, das ist nur fair.« Kai stellt sich hinter mich und sucht im Spiegel meinen Blick. »Weil du mich nämlich jeden Tag fertigmachst.«

Ich lächle unser Spiegelbild an. Ich hätte es gar nicht gebrauchen können, dass Kai hereinkommt und romantische Gespräche über letzte Nacht führen will. Seine frechen Sprüche hingegen sind sehr willkommen.

Er beugt sich vor und küsst mich auf den Hals. »Guten Morgen.«

»Hi.« Ich ertappe mich dabei, wie ich mich an ihn schmiege. »Hast du mir Kaffee mitgebracht?«

»Einen Chai.« Er reicht mir die Tasse.

»Woher wusstest du, dass ich Chai mag?«

»Du hast welchen getrunken, als wir uns das erste Mal trafen und dein Vater dich mir dreisterweise für den ganzen Sommer aufgedrückt hat.«

Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Wie aufmerksam er ist. »Danke.«

Das fröhliche Funkeln seiner Augen verfliegt, und er mustert mich forschend. »Geht es dir gut?«

»In Bezug auf …«

»Ist es für dich okay, was letzte Nacht passiert ist?«

Ein langsames Grinsen breitet sich auf meinen Lippen aus. »Mehr als okay.«

Seine Sorge ist wie weggewischt, und er erwidert mein Grinsen. »Ja?«

»Ja.«

»Wäre es für dich auch okay, wenn es noch mal passiert?«

Himmel, wie süß es ist, dass er sich so vorsichtig rantastet.

»Ich würde mich freuen, wenn es wieder passieren würde.«

Jetzt lächelt er – dieses strahlende Lächeln, von dessen Existenz ich vor einem Monat noch nichts geahnt habe.

Ein hoffnungsvolles Lächeln, das mich daran erinnert, was dieser Mann in seinem Leben schon durchgemacht hat und dass ich nicht der nächste Mensch sein darf, der ihm wehtut, indem er ihn verlässt.

»Aber«, sage ich, »wir sollten ein paar Regeln aufstellen.«

»Wissen wir nicht inzwischen, wie schlecht wir darin sind, uns an unsere eigenen Regeln zu halten?«

Ich hebe eine Braue.

»Okay.« Er lacht leise. »Ich bin nicht sehr gut darin, mich an unsere Regeln zu halten.«

»Ich denke, es wäre gut, wenn wir uns beide darüber im Klaren sind, worum es hier geht.«

»Vertrau mir, Miller … Du hast mir ganz unmissverständlich deinen Standpunkt mitgeteilt, und ich habe dir gesagt, dass ich damit einverstanden bin. Es bleibt unverbindlich.«

»Keine Übernachtungen«, sage ich.

»Ja«, antwortet er ausgesprochen unbeeindruckt. »Das habe ich schon gemerkt.«

»Keine Küsse, es sei denn, wir schlafen miteinander. Und keine Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit.«

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtet er mein Spiegelbild. »Aber wir haben uns schon oft vor den Augen anderer Leute berührt.«

»Stimmt, aber jetzt, da wir miteinander schlafen, sollte das aufhören. Du weißt schon … um die Grenzen zu wahren.«

»Nur damit ich das richtig einordnen kann: Sollen diese Regeln mich daran erinnern, dass das zwischen uns beiden ganz unverbindlich ist, oder vor allem dich selbst?«

Gott, dieser Mann macht mich irre. Weshalb versteht er so gut, wie ich ticke?

Ja, nach der vergangenen Nacht denke ich, dass ich Grenzen brauche und Regeln, die helfen, diese Grenzen zu wahren, damit ich nicht zu sehr an ihm hänge, damit zwischen uns keine Verbindung entsteht, für die ich in meinem Leben und meiner Karriere einfach keinen Platz habe.

Über so etwas musste ich mir nie zuvor Sorgen machen.

»Und zu guter Letzt«, komme ich zur wichtigsten Regel von allen: »Es endet in dem Moment, in dem ich Chicago verlasse. Es gibt keine großen Liebeserklärungen, wenn es vorbei ist. Wir amüsieren uns miteinander, aber wir vergessen niemals, dass es nichts weiter ist als ein Sommerflirt.«

»Ein Sommerflirt«, wiederholt er. »Du fährst weg, und es ist vorbei, einfach so?«

»Einfach so.«

Kai zögert. Dann sagt er: »Wenn du das so willst.«

Genau so will ich es, und auch wenn er es im Moment nicht zugeben würde – es ist auch das, was er will. Langfristig brauchen er und Max eine verlässliche Frau, die bereit ist, sich zu binden. Wir wissen beide, dass ich nicht diese Frau bin.

»Du weißt ja …« Kai schiebt die Hand von der Seite in meine Latzhose und streicht über Rippen und Bauch. »Ich habe heute Abend ein Spiel.«

»Das weiß ich.«

»Und der Aberglaube beim Baseball ist stark. Ich kann es nicht riskieren, das zu ignorieren.« Er fährt mit den Fingerspitzen meinen Bauch hinauf, dann streicht er mit dem Daumen über meinen steinharten Nippel.

Ich lasse mich gegen seine Brust sinken. »Was meinst du damit?«

»Dass ich die Routine nicht brechen darf.« Er küsst die empfindsame Haut direkt unter meinem Ohr und hakt einen meiner Schulterträger aus. Der Stoff klafft auf, und Kai betrachtet im Spiegel meine nackte Brust. »Wenn ich heute Abend gut spiele, ist davon auszugehen, dass es an der letzten Nacht liegt, und dann muss ich den Rest des Sommers über bei jeder Gelegenheit in dir sein. Du weißt schon … wegen des Aberglaubens.«

»Und wenn du schlecht spielst?«

Er lächelt. »Dann müssen wir weiterficken, bis wir wissen, was wir falsch gemacht haben.«

Ich kichere über seine Logik. Ja, ich kichere . Wie ein verknalltes Schulmädchen.

Kai fährt mir mit der Hand über Brust und Bauch und taucht tiefer. Er lässt sich Zeit, berührt und küsst mich, bis endlich sein Mittelfinger meine Klit streift. Er reibt sie in sanften, leichten Kreisen. Es ist ebenso erregend wie letzte Nacht, aber trotzdem ganz anders. Nichts daran ist überstürzt oder fiebrig.

Ich lehne mich zurück und lege eine Hand in seinen Nacken.

Kai summt mir leise ins Ohr, und ich bin kurz davor, den Chai-Tee einfach auf den Boden fallen zu lassen, um diesen Mann mit beiden Händen zu erforschen, aber dann klopft es an der Tür.

Sein Bruder und sein Sohn, jede Wette.

Kai lässt mich los und leckt seine Finger ab, während er mich im Spiegel mustert. »Himmel, schmeckst du gut.«

»Wer zum Teufel bist du eigentlich, und wo kommst du auf einmal her?«

Mit einem kurzen Handgriff schließt er meine Hose wieder. »Ich war die ganze Zeit hier. Ich hatte nur vergessen, wie man genießt.«

Wieder klopft es an seiner Tür.

»Und ich habe noch nie etwas so sehr genossen wie deine Nähe.« Er küsst mich auf die Schläfe und geht in sein Zimmer, bleibt dann aber noch mal stehen und sieht mich an. »Jetzt zieh dir endlich was an, bevor ich noch deinetwegen mein Spiel verpasse.« Mit einem vergnügten Lächeln schließt er die Tür zwischen unseren Zimmern.

Sprachlos starre ich mein Spiegelbild an und frage mich, wer zum Teufel da meinen Blick erwidert. Da ist keine Spur mehr von der Frau, die vor fünf Wochen nach Chicago kam.

»Da ist er ja!«, höre ich Kai auf der anderen Seite der Tür sagen.

»Dadda!«

»Hattest du Spaß mit deinem Onkel?«

»Mmm, ja«, sagt Max – ein neues Wort, das er erst letzte Woche gelernt hat.

»O Mann.« Ich höre Kai aufatmen und sehe richtig vor mir, wie er seinen Sohn fest an die Brust drückt. »Ich hab dich so sehr vermisst, Max.«

Wieder betrachte ich mein Spiegelbild und sehe eine Frau, die vor lauter Rührung über die Liebe zwischen einem Mann und seinem kleinen Sohn fast überfließt.

Isaiah lacht. »War dir so langweilig ohne ihn, ja?«

Kai bleibt ihm die Antwort schuldig.

»Wie siehst du denn aus?«, fragt sein Bruder.

»Wie soll ich denn aussehen?«

»Ich hatte schon fast vergessen, dass du Zähne hast, weil es so lange her ist, dass du so gelächelt hast.«

»Hör auf.«

»O mein Gott, hast du etwa …« Isaiah verstummt, dann ruft er: »Heiße Nanny! Warum grinst mein Bruder wie ein Idiot?«

Ich höre, wie er auf meine Tür zukommt, und haste los. Schließe gerade noch rechtzeitig ab, und im nächsten Moment rüttelt er am Türknauf. »Miller Montgomery, bist du für dieses Grinsen verantwortlich?«

Ich schlage mir eine Handfläche vor den Mund, um Isaiah nicht versehentlich durch ein Geräusch zu verraten, dass ich hier bin.

Er rüttelt noch mal an der Tür.

»Isaiah, hör auf damit.« Kai lacht.

»Du lachst. Warum lachst du? Warum hast du so gute Laune?«

»Hab ich doch gar nicht. Ich freue mich nur darüber, Max wiederzuhaben.«

»Du hattest Sex, stimmt’s?«

Kai bestätigt das weder, noch dementiert er es.

»Also ja! Ich wusste es, verdammt!« Isaiahs Stimme überschlägt sich beinahe vor Aufregung. Er klopft an die Tür. »Hey … gute Arbeit, Miller!«

»Okay, du solltest jetzt mal gehen.« So wie es sich anhört, schiebt Kai seinen Bruder aus dem Zimmer. »Danke, dass du auf Max aufgepasst hast.«

»Hätte ich gewusst, dass ich für Daddy babysitten soll, damit er endlich mal wieder einen wegstecken kann, hätte ich das schon vor Monaten gemacht.«

»Achte auf deine Ausdrucksweise.«

»Ja ja, Ausdrucksweise, bla, bla«, sagt Isaiah spöttisch. »Weil meine Ausdrucksweise natürlich das Unanständigste ist, was in den letzten zwölf Stunden in diesem Zimmer passiert ist.« Ich höre ein Schmatzen, wahrscheinlich küsst er Max zum Abschied auf die Wange. »Danke, dass du mit mir abgehangen hast, kleiner Käfer. Kai, ich bin so verdammt stolz auf dich.«

»Bitte sei still.«

Die Tür schließt sich, aber ich höre Isaiah im Flur rufen: »Miller, ich weiß, dass du da drin bist. Auf dich bin ich auch stolz, Mädchen!«

Der Mannschaftsbus parkt auf dem Privatparkplatz des Fenway-Stadions. Es ist mitten am Nachmittag, und das Spiel beginnt erst um sieben, aber wir haben bis dahin noch einiges vor.

Normalerweise würde ich bei einem so späten Spiel der Warriors mit Max im Hotel bleiben, aber Fenway Park ist eins der berühmtesten Stadien der Liga, und Kai wollte es seinem Sohn unbedingt vor dem Spiel noch mal zeigen.

Ich bleibe zurück und beobachte, wie die beiden aus dem Bus steigen. Es dauert … Seit Max laufen kann, will er es ständig tun und nicht mehr getragen werden.

Sie tragen beide eine nach hinten gedrehte Cap, und Max hat ein winziges Trikot an, auf dem Kais Name und Nummer prangen.

Kai beugt sich vor, um seinen Sohn an der Hand zu nehmen, und Isaiah ergreift die andere. Travis und Cody plaudern und blödeln miteinander herum, passen sich dabei aber völlig selbstverständlich dem langsamen Tempo der anderen an, genau wie alle anderen. Das gesamte Team bewegt sich im Tempo eines sechzehnmonatigen Kindes.

Meine Augen fangen an zu brennen. Diese Menschen sind so lieb zueinander. So lieb zu Kai und seinem Sohn. Nachdem ich viel Zeit in Küchen mit überwiegend männlichem Personal verbracht habe, war ich nicht ganz sicher, ob ich meinen Sommer wirklich schon wieder mit lauter Männern verbringen will, aber diese hier sind schwer in Ordnung.

Ich werde sie sehr vermissen, wenn ich gehe.

»Alles in Ordnung?« Mein Vater legt mir einen Arm um die Schultern, und wir trödeln seinem Team hinterher.

»Allergien, glaube ich.« Ich räuspere mich und versuche, meine sentimentalen Anwandlungen abzuschütteln.

Mein Vater betrachtet Kai und Max. »Ja«, sagt er. »Klar.«

»Bist du optimistisch, was das Spiel heute betrifft?«

»Sehr. Ich hab immer ein gutes Gefühl, wenn Ace anfängt. Außerdem scheint er heute besonders gut gelaunt zu sein.«

»Ist das so? Wäre mir gar nicht aufgefallen.«

Mein Vater lacht leise, und es klingt zu meinem Ärger, als wüsste er viel mehr, als er sollte. »Du hingegen bist tief in Gedanken, scheint mir. Was ist los, Millie?«

»Glaub mir, Dad, du willst es nicht wissen.«

»Na gut. Und, hattest du gestern Abend wenigstens Spaß? Wo ist Kai mit dir hingefahren?«

»Zu einer Bäckerei in North End. Er hat gehofft, dass ich dort Inspiration für die Arbeit finde.«

Mein Vater schüttelt leicht den Kopf. »Er ist ein guter Kerl.«

Ich betrachte Kai. Mit einem stolzen Lächeln sieht er seinen Sohn an, während sie ins Fenway einlaufen. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, aber er hat nur Augen für Max.

»Ja«, sage ich leise. »Das ist er.«

Ich spüre den bohrenden Blick meines Vaters. »Weißt du, was du tust?«

»Ja. Ich hab’s im Griff. Keine Sorge, ich tue ihm nicht weh. Wir haben Regeln aufgestellt, um uns abzusichern.«

Er drückt mich fester an sich. »Und was ist mit dir? Tust du dir daran weh?«

Ich stoße ein Lachen aus. »Natürlich nicht.«

»Natürlich nicht«, wiederholt er trocken. »Weil du, Miller, dich niemals so sehr an jemanden bindest, dass du verletzt werden könntest, richtig?«

»Richtig.«

»Na schön. Aber, um euretwillen, seid vorsichtig, ja?«

Vor einer Woche hätte er mir noch gesagt, ich solle auf Kais Gefühle aufpassen. Aber er sieht genauso klar wie ich: Ich kann mir an dieser Sache ebenso sehr wehtun wie sein Pitcher.

Das Team ist im Clubhaus, Max bei seinem Vater und mein Vater in einer Trainerbesprechung, und ich wandere durch die labyrinthartigen Gänge des Stadions, bis ich den Trainingsraum finde.

Ich öffne die Tür, und vor lauter Erleichterung sacken meine Schultern hinab, weil er leer ist bis auf den Menschen, zu dem ich will.

»Kennedy, ich muss mit dir reden.«

Sie sortiert gerade das mit Spielernamen beschriftete Tape, denn natürlich hat jeder der Jungs eine spezielle Vorliebe für ein bestimmtes Tape. Sie blickt über ihre Schulter, ihr kupferfarbener Pferdeschwanz schwingt mit der Bewegung. »Alles okay?«

»Ja.« Rasch gehe ich auf sie zu. »Nein.«

Sie hebt eine Braue, lehnt sich gegen die Massageliege und betrachtet mich, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie trägt ihre typische Arbeitskluft: Warriors-Poloshirt, schwarze Yogahose, Teamturnschuhe. Ihr ungeschminktes Gesicht ist von Sommersprossen übersät.

»Ich weiß, dass wir uns nicht besonders gut kennen, aber ich habe sonst niemanden, mit dem ich darüber reden könnte. Und du bist die einzige andere Frau hier, da dachte ich …«

»Miller, willst du dich mit mir anfreunden?«

Ich starre sie an. »Funktioniert das so? Man sagt, dass man befreundet ist, und fertig?«

Kennedy klopft mir auf die Schulter. »Wenn ich das mal wüsste. Ich verbringe seit drei Jahren praktisch jeden Tag mit lauter Kerlen.«

Ein Lächeln huscht mir über die Lippen. »Ich auch.«

»Also … Freundinnen?«

Ich hüpfe auf die Massageliege ihr gegenüber. »Freundinnen. Ich muss dir was sagen.«

»Du hast mit Ace gevögelt.«

Ich blinzle sie an. »Woher …«

»Oh, bitte. Der Kerl läuft heute herum, als würde er Gold scheißen. Es ist offensichtlich, dass zwischen euch beiden was vorgefallen ist. Außerdem ist er scharf auf dich, seit du hier aufgetaucht bist.«

»Äh, nicht ganz. Bei unserer ersten Begegnung war er nicht sonderlich begeistert von mir.«

Sie lacht. »Ja, ich bin ganz sicher, dass er nicht sonderlich begeistert war, als er festgestellt hat, dass er scharf auf Montys Tochter ist, aber wir sehen ja alle, wie er dich anstarrt.« Prüfend betrachtet sie ihre Fingernägel, als wäre dieses Gespräch völlig alltäglich. Das gefällt mir. Dadurch, dass sie kein Drama daraus macht, geht es mir gleich besser. »Also, was ist das Problem?«

Was das Problem ist?

»Ich … Ich weiß es nicht.«

»War es schlecht? Hat er einen kleinen Schwanz?« Kennedy reißt die Augen auf, beugt sich vor und fragt entgeistert: »O mein Gott, hat Ace etwa einen Mikropenis?«

»Nein! Glaub mir, die Größe ist definitiv nicht das Problem. Hast du dir mal die Hände dieses Mannes angesehen? Er ist absolut … wohlproportioniert

»Verdammt. Ich habe mit seinen Händen schon gearbeitet. Bist du wund?«

»Mhm!«

»Dann war es also gut?«

Ich schüttle den Kopf. »Es war perfekt.«

Kennedy betrachtet mich lächelnd. »Verwirrt dich sein magischer Riesenpenis?«

»Vielleicht? Aber ich weiß selbst nicht, warum ich so durcheinander bin. Es ist einfach nur unverbindlicher Sex, darauf haben wir uns geeinigt.«

Sie mustert mich eine Weile, ehe sie fragt: »Möchtest du, dass es mehr ist als das?«

»Nein, auf gar keinen Fall. Die Unverbindlichkeit war ja meine Idee. In Kürze kehre ich wieder in mein normales Leben zurück. Meine Karriere wartet auf mich.«

Sie zuckt mit den Schultern, als wäre überhaupt nichts dabei. »Dann hör auf, dir so viele Gedanken zu machen. Ace ist ein großer Junge, und du hast deutlich gesagt, dass du dich nicht binden willst. Hab Spaß und genieß den schrecklich guten Sex, solange du noch hier bist, und wenn es so weit ist, kehrst du in dein normales Leben zurück.«

Wow! Wie überaus schnörkellos. Das ist genau der Rat, den ich mir selbst geben würde, wenn ich doch nur klar denken könnte.

»Außerdem lassen wir nicht zu, dass uns Männer in die Quere kommen, wenn es um unsere geliebte Karriere geht«, fährt sie fort.

»Du hast recht.« Ich nicke. »Verdammt, ich hätte mir schon vor Jahren eine Freundin zulegen sollen.«

»Das war ein leicht zu lösendes Problem. Und ich würde gerade meine linke Niere für verwirrend guten Sex geben.«

»Tja, Kai hat einen Bruder.«

Sie bellt vor Lachen und lässt sich auf die Massageliege sinken. »Fang gar nicht erst damit an.«

»Isaiah ist ein süßer Kerl und steht sehr auf dich.«

»Er steht auf jede. Außerdem werde ich ganz sicher nicht meine Karriere für eine Nacht mit einem Spieler riskieren, am allerwenigsten mit Isaiah.«

»Aber ernsthafte Beziehungen sind doch möglich, oder? Man darf nur nicht einfach mit den Spielern ins Bett hüpfen?«

»Ja. Sexuelle Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Spielern sind ein Grund zur Kündigung, aber vor ein paar Jahren wurde die Frau eines Spielers als Teamfotografin eingestellt. Das war in Ordnung, weil es eine richtige Beziehung war.«

»Werde ich als Mitarbeiterin betrachtet? Wenn jemand herausfindet …«

Kennedy winkt mich ab. »Glaub mir, Miller, alle wissen längst Bescheid.«

»Was?« Ich lache ungläubig auf. »Wie das?«

»Weil er wieder wie der alte strahlende Ace aussieht, der einfach nur glücklich und dankbar ist, Baseball zu spielen. So habe ich ihn letzte Saison kennengelernt, vor der Sache mit Max. Bevor ihn die ganze Zeit die Sorge erdrückt hat, dass er es nicht richtig macht. Ich verspreche dir, dass es hier niemanden gibt, der nicht weiß, weshalb er heute auf Wolke sieben schwebt.« Sie wirft einen Blick auf die Uhr, springt von der Liege und räumt weiter auf. »Außerdem bist du Montys Tochter. Du kannst tun und lassen, was du willst, niemand wird dir reinreden.«

Mein Handy summt.

Baseball-Daddy: Hey, bist du da? Würde es dir was ausmachen, Max abzuholen? Ich muss mich gleich fürs Spiel fertig machen.

Ich rutsche vom Tisch und schlinge von hinten die Arme um Kennedy. »Danke, meine Freundin.«

Sie kichert. »Gern geschehen, meine Freundin.«

Kai und Max warten vor dem Clubhaus auf mich. Kai hat sich bereits bis auf die Kompressionshose ausgezogen und ist bereit für den Trainingsraum. Auch die Kontaktlinsen trägt er bereits, und sein braunes Haar ist ein bisschen zerzaust, weil er ständig mit den Fingern hindurchfährt.

Als er mich sieht, leuchtet sein Gesicht auf, und dann entdeckt mich Max, und auf seinem kleinen Gesicht breitet sich genau dasselbe Strahlen aus.

Bei dem Anblick stockt mir der Atem. Genau das ist es, was mich so verwirrt. Warum bringt der Anblick der beiden mein Herz so sehr aus dem Takt?

Ich jogge den Flur entlang auf sie zu, bleibe ein Stück vor ihnen stehen und hocke mich hin, mit weit ausgebreiteten Armen, und Max läuft auf mich zu.

»Ah, hab ich dich!« Ich tue so, als würde ich mit ihm ringen, und kitzle ihn, um sein Lachen zu hören. Dann hebe ich ihn hoch und zeige auf Kai. »Wünsch deinem Vater Glück für heute Abend.«

»Dadda!«

Kai streicht seinem Sohn das widerspenstige Haar zurück und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. »Wir sehen uns morgen früh, okay? Sei heute Abend schön artig und mach Miller keinen Ärger. Ich hab dich lieb.«

Max schmiegt sich an meine Schulter, und ich sehe Kai lächeln, während er uns betrachtet. Dann streicht er mir das Haar hinters Ohr, und ich sehe ihm an, dass er darüber nachdenkt, mich auf die Stirn zu küssen, so wie er es eben bei seinem Sohn getan hat.

Wir drei müssen wie eine Familie aussehen, wenn wir so dicht beieinanderstehen und er mich berührt, liebevoll und sehnsüchtig.

Ich räuspere mich und weiche einen Schritt zurück.

Wir haben uns immer berührt, von Anfang an. Es war niemals ein Problem, aber jetzt ist das anders. Alles, was wir tun, scheint mit Bedeutung aufgeladen zu sein.

Ich zeige ihm den hochgereckten Daumen. »Viel Glück da draußen.«

Ja. Sehr lässig. Gut gemacht, Miller.

»Hast du mir gerade den Daumen gezeigt?«

Ich wiederhole es, als wäre es nicht das Dümmste, was ich je getan habe. »Japp.«

»Ich war buchstäblich vor weniger als vierundzwanzig Stunden in dir, und du zeigst mir den Daumen?«

Ich verschlucke mich an meiner eigenen Spucke, und Kai grinst. »Nun ja«, stottere ich, »wie ich schon sagte … viel Glück heute Abend. Ich hoffe, du hast ein paar … Goldstern-Momente.«

Er fängt an zu lachen, helle Freude blitzt in seinen Augen. Kennedy hatte recht. Er sieht heute anders aus. So unbeschwert. Und so, so gut.

»Goldstern-Momente, was?« Er zwinkert mir zu, und ich grinse ihn verschwörerisch an. »Danke für die guten Wünsche, aber ich brauche sie heute nicht.«

»Nein?«

»Der Aberglaube ist auf meiner Seite.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen.«

»Oh, ich schon, ich kenne mich mit Aberglauben aus. Und ich weiß, wie wichtig es ist, dass ich heute gut werfe.«

Spielerisch verdrehe ich die Augen. »Tja, es ist ein Freitagabend im Fenway-Stadion, und du bist der Starting Pitcher, also wünsche ich dir auf jeden Fall viel Glück. Das ist eine große Sache und passiert nur ein paarmal in deiner Karriere, also genieß es.«

Er nickt. »Danke, Mills. Das werde ich.«

Dann stehen wir da, unsicher, wie wir uns verabschieden sollen. Fast kommt es mir vor, als wolle er sich zu mir herunterbeugen und mich küssen, aber meine Regeln verbieten ihm das.

Also drehe ich mich rasch um und trage Max Richtung Ausgang.

»Hey, Miller?«, ruft er mir hinterher.

»Ja?«

»Ich verspreche, dass ich dir zwischen den Innings keine Nachrichten schreibe, um nach Max zu fragen. Aber falls du mir zwischendurch mal schreiben willst, wie gut mein Hintern in der Baseballhose aussieht, würde ich es dir nicht übel nehmen.«

Ich lache auf, leicht und unbeschwert. »Mal sehen, was ich tun kann.«

Kai lächelt selbstgefällig, und es steht ihm verdammt gut.

In dieser Nacht sehe ich mir auf dem Fernseher im Hotelzimmer das Spiel an, während Max tief und fest in seinem Bettchen schläft. Kai beginnt jedes Inning mit einem Blick in seine Cap, fährt mit dem Daumen über etwas, das darin verborgen ist, und am Ende des neunten Innings sehe ich seine Teamkollegen vor Freude explodieren, weil er gerade den zweiten No-Hitter seiner Karriere geschafft hat.

Er hat sich einen neuen Aberglauben zugelegt.