Kai
Heute ist Millers Geburtstag, und der Tag hat genau so begonnen, wie ich es am liebsten mag – mit meinem Gesicht zwischen ihren Beinen.
Durch diese Frau habe ich mich in einen gottverdammten Trottel verwandelt. Einen solchen Trottel, dass ich den Vormittag in der Küche verbracht und getan habe, was sonst sie tut – backen. Und zwar einen Geburtstagskuchen für sie. Ich habe ein bisschen Zeit, weil sie mit Monty auswärts frühstückt.
Miller zeigt ihre Liebe gern durch das Essen, das sie zubereitet, also dachte ich mir: Wenn ich es ihr schon nicht sagen darf, dann zeige ich es ihr eben auf dieselbe Weise, wie sie es immer tut.
Wie ich schon sagte, ich benehme mich wie ein verdammter Trottel.
Heute ist nicht nur Millers Geburtstag, sondern auch offizieller Familientag. Der Warriors-Verband hat einen Teil des Spielfelds für das Fest freigegeben, das Büfett ist geradezu grotesk und bietet alles, was das Herz begehrt; dazu gibt es eine offene Bar für Getränke und einen Fotoautomaten.
Normalerweise habe ich für den Familientag nichts übrig. Jedes Team, für das ich bisher gespielt habe, hat einen solchen Tag veranstaltet, und es ist immer etwas unangenehm, allein zu kommen, während der Rest meiner Mannschaftskameraden Geschwister, Partner und Eltern mitbringt. Aber vor Max war Isaiah meine einzige Familie, und er hat immer bis über beide Ohren in den Angelegenheiten seiner eigenen Mannschaft gesteckt. Seit letztem Jahr kommen wir gemeinsam, und dieses Jahr bringen wir auch meinen Sohn mit.
Und obwohl Miller eigentlich wegen Monty da ist, weiß ich, dass sie auch meinetwegen kommt.
Dieser Gedanke bestätigt sich, als ich meinen Wagen parke und sie sehe – zum ersten Mal, seit sie heute Morgen mein Bett verlassen hat. Sie ist direkt vom Frühstück mit ihrem Vater hergekommen und trägt das weiße Nadelstreifen-Trikot der Warriors mit meinem Namen und meiner Nummer auf dem Rücken. Sie hat es nicht zugeknöpft, und darunter blitzen ein enges Tanktop und abgeschnittene Jeansshorts hervor, die wunderbar ihre kräftigen Oberschenkel betonen.
Aber so gut sie auch aussieht, ihre Stimmung ist seit dem gestrigen Fotoshooting sehr gedrückt, und ich weiß nicht genau, weshalb.
Ich umrunde den hohen Tisch, an dem sie steht, und lege ihr eine Hand auf den Rücken. »Kommst du mit zu Travis’ Eltern? Sie wollen Max sehr gern kennenlernen.«
Sie schüttelt den Kopf und trinkt einen Schluck von ihrem Cocktail.
»Warum nicht?«
»Es wäre doch seltsam, Max’ Kindermädchen mitzunehmen, wenn du den Eltern deiner Mannschaftskameraden deinen Sohn vorstellst.«
Perplex starre ich sie an, aber sie richtet den Blick stur geradeaus aufs Spielfeld.
Es ist wunderschön hier draußen, in Chicago herrscht die goldene Stunde. Der Himmel leuchtet in sämtlichen Orange- und Gelbtönen, und das Feld erstrahlt in dem warmen Licht. Aber die Frau neben mir ist heute Abend eisig. Ein krasser Kontrast zu dem hellen Licht, das sie diesen Sommer in mein Leben gebracht hat.
»Du bist nicht nur das Kindermädchen, und das weißt du auch«, erinnere ich sie in einem strengen Flüsterton. »Was zum Teufel ist heute mit dir los?«
Sie zuckt mit den Schultern, nimmt einen weiteren Schluck von ihrem Drink und wirft das Haar über die Schulter.
Ich beuge mich zu ihrem Ohr hinunter. »Wirf dein Haar noch mal so über die Schulter, ja? Das erinnert mich an eine viel glücklichere Miller, die den Mund voll hatte mit meinem Schwanz.«
Endlich umspielt ein kleines Lächeln ihre Lippen.
»Mein Gott«, kichere ich. »Das ist es also, was dich zum Lächeln bringt? Muss ich dir etwa deine schlechte Laune aus dem Leib vögeln, oder was?«
»Wahrscheinlich.«
Ich entdecke Max, der zusammen mit Isaiah quer übers Feld läuft, dann sehe ich wieder das Mädchen neben mir an. Sie hebt gerade wieder ihr Glas an die Lippen, aber ich reiße es ihr aus der Hand und trinke es selbst aus.
»Hey!«
»Du bist heute ein kleines Mistgör.« Ich stelle das Glas zurück auf den Tisch.
Sie schnaubt. »Ich bin der reinste Sonnenschein.«
»Seit dem Fotoshooting gestern bist du schlecht gelaunt und willst mir nicht sagen, warum.«
Sie schweigt. Normalerweise reden wir sehr offen miteinander – außer wenn es um meine Gefühle für sie geht –, und es gefällt mir gar nicht, raten zu müssen, was wohl in ihrem hübschen Kopf vor sich geht.
Wir haben nur noch eine einzige Nacht zusammen, und wenn sie sich jetzt auf diese Weise vorher schon distanziert, damit es ihr leichterfällt, nehme ich ihr das übel. Sie ist es, die geht. Sie ist es, die danach nichts mehr mit mir zu tun haben will. Wenn sich hier jemand mit dem Abschied schwertun darf, dann ja wohl ich.
Ich habe meine Regel gebrochen, keinen Sex mit ihr zu haben, obwohl ich wusste, dass ich mich schnell und heftig verlieben würde, und genau das ist auch passiert.
Einer der Ausrüstungsmanager winkt mir aus einiger Entfernung zu und legt zwei Handschuhe und einen Ball neben die Home Plate. Er nickt mir kurz zu, bevor er sich wieder den Feierlichkeiten widmet.
»Komm mit.«
»Warum?«
»Sei nicht so gereizt und komm mit.« Ich nehme ihre Hand und ziehe sie hinter mir her. Auf dem Weg zum Schlagmal kommen wir an Mitarbeitern, Teammitgliedern und ihren Familien vorbei, und ich lächle nur und nicke grüßend, als wäre es völlig normal, die Tochter meines Trainers hinter mir herzuzerren.
»Ich kann so gereizt sein, wie ich will. Heute ist mein Geburtstag.« Miller hält inne. »Warte. Wir können nicht einfach aufs Feld gehen.«
»Ich habe es mit unserem Platzwart abgesprochen. Sie glätten das Spielfeld heute Abend sowieso, also dürfen wir.«
»Wir dürfen was?«
Ich schnappe mir die beiden Handschuhe und halte ihr den des Pitchers hin.
Ihr skeptischer Blick wandert von dem Handschuh zurück zu meinem Gesicht.
»Ich will dich werfen sehen, Miss All-American.«
Hastig schüttelt sie den Kopf. »Das ist schon lange her.«
»Macht nix. Du kannst es ja langsam angehen.«
»Ich bin bestimmt nicht mehr besonders gut.«
Es fällt ihr wirklich ungewöhnlich schwer, in irgendwas nicht die Beste zu sein. Ein merkwürdiger Widerspruch zu ihrem Entschluss, frei und ungebunden von Stadt zu Stadt ziehen. Aber wenn sie sich ein Ziel setzt, hat sie nun mal das angeborene Bedürfnis, Bestleistungen abzuliefern. All-American Pitcher. James-Beard-Preisträgerin. Es reicht ihr nicht, etwas einfach nur aus der Freude heraus zu tun.
»Es ist mir egal, ob du gut bist oder nicht, Mills. Ich will nur, dass du mit mir zusammen ein bisschen Spaß hast, solange ich dich noch bei mir habe.«
Zögernd nimmt sie den Handschuh.
»Wir spielen um den Ball«, sage ich. »Wenn du einen Strikeout schaffst, höre ich auf, dich zu fragen, was los ist. Bei einem Walk redest du.«
Ein kaum merkliches Zucken um ihre Mundwinkel. Ich werfe ihr den Softball zu und klopfe ihr mit dem Handschuh auf den Hintern, um sie auf den Mound zu schicken.
Sie geht etwa vierzig Fuß von mir weg – nicht ganz die volle Baseball-Distanz vom Mound bis zum Schlagmal, sondern eher die Entfernung, die sie vom Softball gewohnt ist.
»Darf ich mich aufwärmen?«, fragt sie.
Leise lachend hocke ich mich beim Schlagmal hin. So kämpferisch. »Ja, Baby, du darfst dich aufwärmen.«
Miller stopft die zu langen Ärmel meines Trikots in die B H -Träger und stemmt die Füße auf der Suche nach guter Bodenhaftung in den Dreck.
Normalerweise stehe ich an ihrer Position. Sie sieht dort verdammt gut aus, besonders wenn sie meinen Nachnamen trägt.
Die Linke im Handschuh und darin den Ball, geht sie einmal ihre Wurftechnik durch, und dann wirft sie. Der Handschuh schlägt mit einem lauten Knall gegen ihren Oberschenkel, aber noch lauter knallt es, als der Ball in meine behandschuhte Handfläche klatscht und direkt über die Home Plate rollt.
Verdammt, was für ein schöner Wurf.
»Ich glaube, ich bin bereit«, sagt sie und hebt den Handschuh, damit ich den Ball zurückwerfen kann.
»Ja, ohne Scheiß, Mills. Ich hatte schon befürchtet, du wärst eingerostet.«
Sie zuckt nur mit den Schultern, fängt den Ball und nimmt ihre Position ein, um wieder zu werfen. Sie gibt sich sichtlich Mühe, einen Walk zu vermeiden, damit sie nicht ausspucken muss, was mit ihr los ist.
Etwa zehn Minuten später steht es drei zu zwei. Die Pitches, die ihr Vater als Balls und nicht als Strikes gewertet hat, waren kaum außerhalb der Home Plate, und bei einem richtigen Spiel hätte der Schlagmann sie bestimmt erwischt.
Ich schäme mich nicht dafür, dass ich einen Steifen bekomme, wenn ich mein fähiges Mädchen ansehe. Sie sieht so gut aus, das leere Stadion im Rücken und im Licht der untergehenden Sonne. Auf ihrer Stirn steht ein Schweißtropfen. Ich möchte ihn ablecken, aber mit meiner Erektion kann ich nicht hinter dem Schlagmal weg. Inzwischen hat sich eine Handvoll meiner Mannschaftskameraden versammelt, um uns zuzusehen.
Sie stören, aber andererseits – dies ist ein Sommerabend auf meinem Heimplatz. Mein Sohn ist hier, mein Mädchen und mein Bruder, außerdem Monty und all die anderen Jungs aus meinem Team. Meine ganze Familie ist hier, und morgen wird sich alles ändern. Also werde ich diesen Abend in vollen Zügen genießen.
»Full Count, Millie«, sagt Monty, der für uns den Schiedsrichter gibt, während ich den Ball zurückwerfe. Der nächste Wurf entscheidet.
»Das war eigentlich ein Strike«, ruft sie. »Du brauchst eine Brille, alter Mann.«
Monty hinter mir lacht leise. Bei seiner Tochter ist er viel strenger in seinen Entscheidungen, als er es wohl bei jedem anderen wäre.
Miller gräbt die Zehen in den Boden und richtet sich neu aus. Nimmt den Ellbogen zurück und wippt auf den Fersen, ehe sie den Arm schwingt. Ihre Bewegungen sind unglaublich flüssig und routiniert, obwohl sie es seit Jahren nicht mehr gemacht hat, aber so ist es eben mit dem Muskelgedächtnis, wenn man eine Technik tief verinnerlicht hat.
Der neonfarbene Ball fliegt hoch und prallt gegen meine Handfläche. Es ist ein knapper Ball, ganz am Rande der Home Plate, also behalte ich den Handschuh genau dort, wo ich ihn gefangen habe, und warte auf Montys Entscheidung.
Ich würde es als Strike bezeichnen, und zwar nicht nur, weil ich sonst Gefahr laufe, heute Abend keinen Sex zu haben, sondern weil es ein verdammt guter Wurf war.
»Ball«, erklärt er. »Das ist ein Walk.«
»Blödsinn!«
»Hurra!« Triumphierend springe ich auf und reiße die Arme in die Höhe, grinse die fassungslose Miller herausfordernd an.
Monty lacht. Ich kann mir auf einmal sehr gut vorstellen, wie er seiner Tochter im Lauf der Jahre Wettbewerbsgeist und eine hohe Arbeitsmoral eingeimpft hat.
»Die letzten beiden Entscheidungen waren totaler Quatsch, Dad.«
Isaiah hält Max’ Hand. »Killer Miller! Du hast einen verdammt starken Wurfarm, Hot Nanny.«
Ich stürze mich auf sie und werfe sie mir über die Schulter, dann laufe ich mit ihr die Bases ab, als hätte ich gerade einen Grand Slam geschlagen, eine Hand auf ihrem Oberschenkel, die andere zur Faust geballt und in die Höhe gereckt.
»Lass mich runter, Rhodes. Du bist in deiner ganzen Karriere noch kein einziges Mal über die Bases gelaufen. Tu nicht so, als wüsstest du, was du da machst.«
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Miller im Wettbewerbsmodus ist ein bissiges kleines Ding. »Ein Walk?« Ich schnaube spöttisch. »Das ist ein bisschen peinlich, Mills.«
»Ich hasse dich. Du hattest den Schiri in der Tasche!«
Lachend setze ich meinen Weg zum Schlagmal fort. »Gott, ich gewinne so gern!«
»Lass mich sofort runter!« Miller gibt mir einen Klaps auf den Hintern. »Meine Güte. Ich hatte ganz vergessen, wie hart dein Arsch ist.«
»Wie konntest du das vergessen? Er trägt immer noch die Abdrücke deiner Nägel von letzter Nacht.«
Das entlockt ihr endlich ein echtes Lachen.
»Ekelhaft.« Isaiah hält Max beide Ohren zu und dreht ihn zu den Familien und Freunden der anderen Teammitglieder um. »Komm, Maxie. Miller und dein Vater sind nervtötend glücklich, wir alleinstehenden Männer müssen uns das nicht anhören.«
Da mir immer noch zu viele Leute am Schlagmal herumlungern, trage ich sie zum Mound und stelle sie wieder auf die Füße. Sie strahlt übers ganze Gesicht und gleicht wieder viel mehr der Miller, die ich kenne.
Ich möchte, dass sie sich an diesen Tag erinnert, wenn sie wieder sechs bis sieben Tage in der Woche zwölf Stunden am Stück arbeitet. Sie soll nicht vergessen, wie es ist, von den Menschen umgeben zu sein, die sie liebt und die ihre Liebe erwidern. Dass das Leben so viel mehr ist als Geldverdienen oder Status. Es geht darum herauszufinden, was einen glücklich macht.
Aber dann wird Millers Lächeln schwächer, und sie legt den Kopf an meine Brust. »Ich habe das Fotoshooting gestern von vorn bis hinten gehasst«, gesteht sie mir. »Ich habe es gehasst, wieder diese Kochjacke zu tragen und Chef genannt zu werden. Dabei sollte ich eigentlich begeistert sein. Meine Karriere nimmt wie verrückt Fahrt auf, und ich dachte, es würde sich wie ein wahrgewordener Traum anfühlen. Mein wahr gewordener Traum.«
Ich weiß nie, was ich antworten soll, wenn sie so etwas sagt. Soll ich ihr zustimmen? Ihr widersprechen? Ich will nur, dass sie glücklich ist, und bis vor Kurzem dachte ich, sie findet ihr Glück in ihrer Karriere.
»Wenn es nicht wie ein wahr gewordener Traum war, wie dann?«
Sie blickt zu mir hoch, das Kinn auf meiner Brust. »Ein Albtraum.«
Ich streiche ihr die Haare aus dem Gesicht und warte darauf, dass sie weiterspricht.
»Ich bin seit gestern furchtbar schlecht gelaunt, weil ich nicht erwartet habe, dass es so sein würde. Es macht mich so wütend, dass etwas, auf das ich so lange hingearbeitet habe, sich nicht im Geringsten erfüllend anfühlt. Ich bin wütend, weil die Zeit gegen uns ist und ich schon morgen abreisen muss.« Sie birgt ihr Gesicht in beiden Händen und schüttelt den Kopf. »Ich sollte mich freuen auf das, was mich erwartet, bloß freue ich mich leider kein bisschen. Aber ganz egal, was ich empfinde, ich muss trotzdem gehen. Es gibt zu viele Leute, die auf mich zählen. Das alles macht mich völlig fertig.«
Ich ziehe ihre Hände von ihrem Gesicht und streiche ihre Arme hinauf. »Miller …«
Sie blickt zu Boden.
Am liebsten würde ich mir Hoffnungen machen, aber ich weiß, dass sie anders empfinden wird, sobald die Arbeitsroutine sie wiederhat. Es ist wahrscheinlich nur Abschiedsschmerz, was sie empfindet – heute ist ihr letzter Urlaubstag.
Und die letzte Nacht, in der ich mich der Fantasie hingeben kann, dass sie bleibt.
»Tut mir leid. Mir geht’s gut. Gib mir eine Sekunde.« Sie holt tief Luft und blickt Max und meinem Bruder entgegen, die übers Feld auf uns zukommen. »Weißt du, manchmal sehe ich ihn an und werde irrational wütend auf dich, weil du vor mir mit einer anderen Frau zusammen warst. Die Dreistigkeit, dass du damals nicht an mich gedacht hast, weißt du?«
Ein bellendes Lachen. So typisch für Miller, die angespannte Stimmung mit einem Witz zu brechen. Auf ihren Lippen liegt ein verschmitztes kleines Lächeln.
Ich lege einen Arm um ihre Schultern und küsse sie auf den Kopf. »Du bist die eifersüchtigste Frau, die ich je kennengelernt habe, weißt du das?«
Ihr Kopf ruckt zurück. »Du kennst noch andere Frauen?«
»Charmant wie immer, Baby.«
»Es tut mir leid, dass ich heute so schlecht drauf war.«
»Schon okay, Mills.« Rasch küsse ich sie. »Du weißt, dass ich dich mit all deinen Fehlern annehme.«
»Hey. Mir war nicht mal bewusst, dass ich welche habe.«
»Mmmm!« Max kommt mit fliegenden Beinchen auf uns zugestürmt und versucht, Millers Namen zu rufen. »Mmmm.«
Ich hatte wirklich gehofft, dass sie ihren Namen von seinen Lippen hören würde, bevor sie morgen abreist, aber noch klappt es nicht ganz.
»Da ist ja mein Lieblingsmensch«, sagt sie und bückt sich, um ihn in die Arme zu schließen. »Hast du Hunger? Ich bin jedenfalls hungrig. Komm, wir suchen uns ein paar Snacks.« Mit meinem Namen auf dem Rücken und meinem Sohn im Arm steht Miller in der Mitte des Felds und sieht aus, als wäre sie mein.
Sie sollte meine Miller sein. Unsere Miller.
»Kommst du mit?«, fragt sie mich über ihre Schulter.
»Geht ihr zwei schon mal vor, ich will noch kurz mit deinem Vater reden.«
»Alles klar, bis gleich.« Sie will losgehen, aber ich stecke einen Finger durch ihre Gürtelschlaufe und ziehe sie zu mir zurück. Und dann küsse ich sie, mitten auf dem Spielfeld, wo jeder uns sehen kann. Denn dies ist nicht nur eine Affäre. Nichts zwischen uns ist unverbindlich, jedenfalls nicht für mich, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.
Monty lehnt am Geländer des Dugouts und plaudert mit jemandem, den ich nie und nimmer bei unserem Familientag erwartet hätte … dem Third Base Coach von Atlanta.
»Hey, Ace«, sagt Monty und deutet mit einem Nicken auf den Mann an seiner Seite. »Du kennst doch Brian Gould, oder? Er gehört zum Trainerstab von Atlanta.«
»Ja.« Zögernd strecke ich die Hand aus. Warum ist ein Mitglied der Mannschaft hier, gegen die wir gestern gespielt haben? »Schön, dich kennenzulernen.«
»Ebenfalls.« Sein Händedruck ist fest. »Du hast einen verdammt starken Wurfarm.«
»Brian und ich waren damals während meiner aktiven Zeit Teamkollegen«, erklärt Monty. »Wir schwelgen gerade in Erinnerungen an die gute alte Zeit.«
Ah, jetzt ergibt es einen Sinn.
»Es war eine Schande, dass du aufgehört hast.« Brian schüttelt den Kopf. »Du hattest so viel Potenzial, und du hast alles aufgegeben.«
»Ich hatte meine Gründe«, sagt Monty ruhig. »Hey, Miller ist hier, also kann ich euch einander endlich mal vorstellen.«
»Monty, können wir kurz reden?«, unterbreche ich die beiden.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, aber wir müssen uns unterhalten.«
Monty nickt Brian zu, der sich grüßend entfernt. Ich lehne mich neben Monty ans Geländer, und wir blicken aufs Feld hinaus.
»Du hast mich gebeten, zu dir zu kommen, wenn ich jemals den Drang verspüren sollte, Miller darum zu bitten, dass sie bleibt«, beginne ich. »Und ja, tatsächlich möchte ich sie anflehen, nicht wegzugehen, aber ich werde es nicht tun. Wir wissen beide, dass sie nicht bleiben kann, und ich möchte nicht, dass sie sich mir oder Max gegenüber verpflichtet fühlt. Aber ich werde ihr sagen, dass sie bei uns immer ein Zuhause hat. Das wollte ich dir nur mitteilen.«
Monty nickt stumm, den Blick immer noch in die Ferne gerichtet.
»Ich meine, wenn das für dich in Ordnung ist.«
Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr gab es in meinem Leben keine Vaterfigur mehr. Aber Monty ist nicht nur ein enger Freund geworden, sondern auch ein wichtiger Ansprechpartner bei Problemen. Auch dann, wenn es um seine Tochter geht.
»Bittest du sie nicht darum zu bleiben, weil du nicht willst, dass sie sich verpflichtet fühlt, oder weil du Angst hast, dass sie Nein sagen würde?«, fragt er schließlich.
Puh … Scheiße. Ja, natürlich fürchte ich mich davor. Jeder will gewollt werden. Und ich bin schon oft verlassen worden.
Ich bitte normalerweise niemanden mehr um irgendwas – nicht um Hilfe, nicht darum, dass er bleibt. Ich kümmere mich einfach selbst um alles und komme allein gut klar.
Aber die Vorstellung, dass Miller vielleicht doch mit mir zusammen sein will und ich nicht mehr alles allein machen muss, ist fast stärker als meine Angst.
»Ich will nicht, dass sie ihr ganzes Leben für mich aufgibt, nur um dann vielleicht festzustellen, dass ich es nicht wert war.«
Montys Kopf ruckt in meine Richtung, aber ich konzentriere mich aufs Spielfeld.
»Du kennst sie kein bisschen, wenn du nicht merkst, wie sie dich ansieht. Als wärst du das Beste, was ihr in den sechsundzwanzig Jahren ihres Lebens passiert ist.«
Jetzt erwidere ich doch seinen Blick.
»Abgesehen von mir natürlich«, stellt er klar. Bricht die emotionale Spannung mit Humor, genau wie seine Tochter es zu tun pflegt. »Glaub mir, sie empfindet Max gegenüber nicht bloß eine Verpflichtung, also lass den Gedanken ganz schnell wieder sein. Sie liebt ihn so, wie ich sie liebe.«
Wir beobachten die beiden, die inzwischen an einem der mit Speisen beladenen Tische angekommen sind. Miller gibt Max einen Bissen Käse und isst die andere Hälfte selbst auf, bevor sie zum nächsten Snack weitergeht und damit genauso verfährt.
Sie liebt ihn wirklich. Und er liebt sie.
»Sie ist nicht von meinem Blut, aber sie ist mein Mädchen«, sagt Monty. »Und sie sieht deinen Jungen, der nicht von ihrem Blut ist, genauso an, wie ich sie ansehe. Ich beobachte das jetzt schon den ganzen Sommer. Habe gesehen, wie sie sich in zwei Menschen zugleich verliebt hat, und es hat mich so sehr daran erinnert, wie ich sie und ihre Mutter kennengelernt habe. Sie wird sich nicht einfach davon abwenden können, ob du sie nun fragst oder nicht.« Monty sieht mich an, und zu meinem Erstaunen sind seine Augen feucht. »Ich weiß jedenfalls, dass ich es nicht könnte.«
»Scheiße, Monty.« Ich drücke mir mit den Fingerspitzen in die Augen, damit ich nicht mitheule. »Was zum Teufel soll das?«
Er lacht leise, aber seine Stimme klingt belegt. »Ich habe dich gebeten, erst zu mir zu kommen, falls du sie bitten willst zu bleiben. Aber doch nicht, weil ich denken würde, du wärst es nicht wert, meine Tochter darum zu bitten, sondern weil ich mir Sorgen um dich mache. Ich will nicht, dass du daran kaputtgehst. Weißt du, Miller will unbedingt die Beste in ihrem Beruf sein, auch wenn sie ihn nicht wirklich liebt. Kai, du musst verstehen: Vielleicht bleibt sie nicht, aber ich kann dir eins versprechen: Wenn sie geht, dann nicht deinetwegen.«
Ich stoße einen langen Atemzug aus. »Das ist mir schon aufgefallen. Also ihr Bedürfnis, immer die Beste zu sein. Als würde sie nur durch Erfolg spüren, dass sie etwas wert ist.«
»Ja«, sagt er. »Hat sie dir jemals gesagt, warum das so ist?«
»Nicht explizit, aber ich habe das Gefühl, es hat etwas damit zu tun, wie ihr beide zu einer Familie geworden seid. Ich fürchte, es geht dabei um Schuldgefühle. Weil du nach dem Tod ihrer Mutter so viel für sie aufgegeben hast.«
Monty nickt, den Blick wieder aufs Spielfeld gerichtet. Er räuspert sich. »Ja, das ahne ich schon seit einer ganzen Weile. Wir haben darüber geredet, aber ich glaube nicht, dass sie jemals wirklich verstanden hat, dass es für mich niemals ein Opfer war.«
Ich beobachte, wie mein Sohn sich auf ihre Schulter legt und zärtlich an dem zu großen Trikot zupft.
»Liebst du sie?«, fragt Monty.
»Sehr sogar.«
»Sie wird dir das Herz brechen.«
»Ich liebe sie trotzdem.«
»Ich weiß.«
»Ich meine …« Ich zucke mit den Schultern. »Manchmal denke ich immer noch, dass sie vielleicht viel zu wild für mich ist.«
»Oder? Was sie manchmal für ein Mundwerk hat? Wer zum Teufel hat dieses Mädchen aufgezogen?«
Wir lachen und beobachten gemeinsam meinen Sohn und seine Tochter.
Monty stößt einen zufriedenen Seufzer aus. »Vergiss aber niemals, dass ich sie schon länger liebe als du.«
Ich nicke. »Und ich werde sie immer lieben.«
Zu unserer Linken kommt Kennedy die Treppe zum Dugout hinaufgesprungen, mit niemand Geringerem als Dean Cartwright im Schlepptau. Es würde mir bei keinem Mitglied einer gegnerischen Mannschaft in den Kram passen, wenn er einfach durch unseren Dugout läuft, aber ausgerechnet Dean? Sofort bin ich in höchster Alarmbereitschaft.
Ich mag den Kerl nicht, auch wenn er mir persönlich nie etwas getan hat. Aber er hat in unserer Jugend jahrelang meinem Bruder das Leben schwer gemacht, und nach dem Tod unserer Mutter pflege ich meinem kleinen Bruder gegenüber starke Beschützerinstinkte.
Dean ging damals auf eine rivalisierende Highschool und hat es darauf angelegt, mit jedem Mädchen zu schlafen, mit dem mein Bruder ausging, was Isaiah in Bezug auf Beziehungen leider einen riesigen Knacks verpasst hat, weil er ständig betrogen wurde. Außerdem hat ihn Dean auf dem Spielfeld ständig beschimpft, und obwohl mein Bruder gern so tut, als würde ihn das nicht jucken, ist er viel sensibler, als er sich gibt, und es hat ihn schwer getroffen.
Deshalb habe ich Dean jahrelang von ihm ferngehalten, so gut es ging. Jeder, der ein Problem mit meinem Bruder hat, hat automatisch auch ein Problem mit mir. An diesem Wochenende allerdings spielen wir gegen Atlanta.
»Was glaubst du, was du hier tust?«, frage ich und springe vom Geländer.
Mit einem provozierenden Grinsen dreht sich Dean zu mir um.
»Das Spiel ist erst morgen, Cartwright.« Travis steht auf. »Du bist hier nicht willkommen.«
»Doch, ist er«, sagt Kennedy. »Was ist los mit euch? Es ist Familientag.«
»Genau«, ruft Isaiah. »Er gehört nicht hierher.«
Dean wirft meinem Bruder einen Blick zu, seine Miene wäre der Grinsekatze würdig. Er geht einen Schritt auf Kennedy zu.
Mein Bruder sieht rot und will auf sie zustürmen, aber ich fange ihn ab und stemme beide Hände gegen seine Brust.
»Lass sie verdammt noch mal in Ruhe«, ruft er über meine Schulter.
Kennedy verengt verwirrt die Augen. »Warum führst du dich so auf?«
»Ja, Isaiah.« Dean legt einen Arm um Kennedys Schultern. »Warum führst du dich so auf?«
»Nimm deine dreckigen Hände von ihr, oder ich schwöre bei Gott …«
»Hör auf, dich wie ein gestörter Höhlenmensch aufzuführen«, empört sich Kennedy. »Er darf hier sein. Dean ist mein Stiefbruder. Beruhige dich.«
Ich schwöre, bei diesen Worten verstummt das ganze Stadion. Mein Bruder erstarrt. Miller und ich starren einander an.
»Stiefbruder?«, fragt Miller. »Also ist deine Schwester …«
»Ja«, sagt Dean. »Die herzlose Schlampe ist meine Schwester. Aber ich bin Team Kennedy, keine Sorge.«
Ein Lächeln huscht über Millers Lippen. Keine Ahnung, worum es geht, aber das wird sie mir bestimmt später erzählen.
»Kenny«, jammert mein Bruder. »Bitte sag mir, dass das ein schlechter Scherz ist.«
»Du bist so dramatisch. Nein, es ist kein Scherz. Deans Dad und meine Mom haben geheiratet, als wir in der Highschool waren. Also sei nett. Es ist Familientag.«
»Ja, Isaiah.« Dean zwinkert meinem Bruder zu. »Sei nett. Es ist Familientag.«