Miller
»Geht es dir gut?« Ich stehe vor Isaiah, der mit einer Schüssel kleiner Brezeln auf dem Schoß allein im Dugout sitzt und schmollt, während der Familientag auf dem Spielfeld in vollem Gange ist.
»Nein.«
Ich nehme auf der Bank neben ihm Platz und stecke mir eine Brezel in den Mund. »Sie kann nichts dafür, dass sie mit dem Kerl gewissermaßen verwandt ist.«
»Ich mache ihr ja gar keine Vorwürfe. In meinen Augen ist sie praktisch ein Engel, sie kann gar nichts falsch machen. Aber ich werfe ihrer Mutter vor, dass sie einen schrecklichen Männergeschmack hat, weil sie einen Mann geheiratet hat, der der Teufel sein muss, denn Dean Cartwright ist definitiv die Ausgeburt des Teufels.«
Ich breche vor Lachen fast zusammen.
»Das ist nicht lustig, Miller. Das ist das Schlimmste, was passieren konnte.«
»Könnte schlimmer sein.«
Er schnaubt. »Wie zum Teufel kann etwas schlimmer sein als die Tatsache, dass Kenny mit dem verdammten Dean Cartwright verwandt ist?«
»Sie hätten stattdessen miteinander schlafen können.«
Isaiah reißt die braunen Augen auf. »O mein Gott, du hast recht.«
Ich baumle mit den Füßen und schnappe mir noch ein paar Brezeln.
»Übrigens, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagt er und stößt mit der Schulter gegen meine.
»Danke.«
»Es wird seltsam sein, wenn du weg bist. Alle anderen Kindermädchen bisher waren scheiße.«
Lieber Himmel, ich will nicht daran denken, dass es ein anderes Kindermädchen geben wird. Ich habe Kai noch nicht gefragt, wie er das mit der Kinderbetreuung anstellen wird, wenn ich weg bin, weil ich mir nicht vorstellen will, dass jemand anderes meinen Platz einnehmen könnte.
»Hast du …« beginne ich. »Weiß er schon, wer meine Nachfolge antreten wird?«
»Bisher noch nicht. Die Trainer und ein Teil des Teams haben einen Zeitplan aufgestellt, um Kai für den Rest der Saison zu unterstützen. Je nachdem, wie weit wir in den Play-offs kommen, haben wir ja vielleicht nur noch einen knappen Monat Spielzeit vor uns.«
Ich nicke schnell. »Das klingt … gut.«
Er legt mir einen Arm um die Schultern. »Du bist unersetzlich, Miller. Keine andere Frau wird jemals die Hot Nanny sein.«
Ich muss lachen. »Immer so charmant, Isaiah Rhodes.«
»Wie kommst du klar?«
»Nicht gut.«
»Ich nehme an, du bist durcheinander, weil du mich verlassen musst, was? Es hat jedenfalls ganz bestimmt nichts mit meinem Bruder oder mit meinem Neffen zu tun.«
»Du bist jetzt also nicht nur charmant, sondern auch brillant? Du bist wirklich ein ganz neuer Mensch.«
Er lacht leise. »Besuchst du uns bald mal?«
Seine Frage klingt so hoffnungsvoll. Mir ist klar, dass er es vor allem für seinen großen Bruder hofft.
»Ich glaube nicht. Die Arbeit hält mich schwer auf Trab, und auf meiner Warteliste stehen sechzehn Küchen. Das sind vier Jahre Arbeit.«
»Vier Jahre ?« Er klingt erschüttert. »Verdammt, ich weiß nicht mal, was ich in vier Tagen machen werde, geschweige denn in vier Jahren.«
Als ich angefangen habe, meine Beratung anzubieten, habe ich jede Buchung genommen, die ich kriegen konnte. Es gab weder Familie noch Freunde, auf die ich Rücksicht nehmen musste, und ich habe meine ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Beste in meinem Job zu sein. Aber jetzt kommt mir die Vorstellung eines Lebens ohne Freizeit und Sozialleben furchtbar vor.
Und sehr einsam, wenn ich ehrlich bin.
»Darf ich für einen Moment ernst sein?«, fragt er. »Du weißt, wie selten ich ernst bin, es ist also wirklich wichtig.«
»Wir sind beide selten ernst.«
»Ich weiß. Wir machen meinen Bruder verrückt.«
Ich schiebe mir noch eine Brezel in den Mund, während Isaiah versucht, eine bequemere Position zu finden. Bei der Aussicht auf ein ernstes Gespräch ist ihm sichtlich unbehaglich zumute.
»Malakai ist der beste Mensch, den ich kenne. Er ist mein bester Freund und für seinen Sohn ein wunderbarer Vater. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, was er alles für mich getan hat. Kein Fünfzehnjähriger sollte seinen kleinen Bruder allein großziehen müssen. Er hat mich nach dem Tod unserer Mutter getröstet. Er hat mich durch die Highschool gebracht. Er hat mir das Autofahren beigebracht. Verdammt, er hat mich sogar zum Kauf meiner ersten Packung Kondome begleitet.« Er lacht leise. »Was ein bisschen ironisch ist, wenn man bedenkt, dass er es ist, der aus Versehen ein Kind gezeugt hat.«
Wir sehen die beiden an. Max zupft gerade an den dunkelbraunen Haarsträhnen, die unten aus Kais Cap hervorlugen.
»Was ich damit sagen will, ist, dass mein Bruder verdient, was er sich wünscht. Und er wünscht sich nichts auf der Welt mehr als dich.«
Mein Puls rast. In mir tobt ein merkwürdiger Widerspruch, ich wünsche mir nichts mehr, als dass Kai mich ebenfalls will, aber ich will auf gar keinen Fall, dass er meinetwegen verletzt wird. Isaiah muss mir das alles nicht erzählen … Ich weiß genau, was für ein guter Mensch sein Bruder ist, und dass er alles Glück der Welt verdient. Genau deshalb habe ich mich ja gegen meinen Willen in ihn verliebt.
Das ist mir gestern beim Shooting klar geworden. Ich war noch nie zuvor verliebt und wusste nicht, wie es ist, und die Erkenntnis, was mit mir los ist, hat mich furchtbar getroffen. Ich reise morgen ab, und ich bin verliebt in Kai und seinen Sohn. Und auch in das Leben hier und in die Freundschaften, die sich entwickelt haben.
Und nichts davon spielt eine Rolle, denn Chicago war nur ein Zwischenstopp, ehe ich in mein richtiges Leben zurückkehre.
»Wenn es eine Chance gibt, dass du mal zurückkommst, um sie zu besuchen …« Isaiah schüttelt den Kopf. »Ich weiß selbst nicht, worum ich dich eigentlich bitten will. Ich versuche nur, auch mal was für Kai zu tun nach allem, was er für mich getan hat. Ich habe noch nie gesehen, wie er jemanden so ansieht wie dich. Ich habe noch nie gesehen, wie er sich so sehr auf einen anderen Menschen einlässt wie auf dich, und ich weiß nicht, wie du das geschafft hast. Er war so sehr auf Max konzentriert, dass er sich selbst vergessen hat. Aber du … Du hast ihn nicht vergessen. Ich bitte dich, dass du ihn auch dann nicht vergisst, wenn du gehst.«
»Isaiah.« Mit einem tiefen Seufzer lege ich den Kopf auf seine Schulter. »Glaub mir, ich werde deinen Bruder niemals vergessen.«
Ich werde Kai und seinen Sohn niemals vergessen. Sie haben sich tief in meine Seele eingebrannt. Nur leider werde ich das Kai nie sagen können, ohne falsche Hoffnungen in ihm zu wecken. Morgen verlasse ich die Stadt, und schon jetzt hat sich Heimweh tief in meinen Knochen eingenistet.
Das ist eine unserer Regeln – keine Liebeserklärungen.
Ich habe Kai gebeten, nicht zu vergessen, dass dies nur ein Sommerflirt ist. Ich bete für ihn, dass nur ich es vergessen habe und er nicht.
»Hey, bist du Miller? Die Tochter von Emmett?« Ein Mann im Alter meines Vaters kommt die Treppe zum Dugout herunter. Er wirkt erst ganz sympathisch, doch dann entdecke ich das Teamlogo von Atlanta auf seinem Hemd.
Ich hebe den Kopf von Isaiahs Schulter. »Ja, das bin ich.«
»Ich bin Brian. Dein Vater und ich haben früher zusammen in der Oberliga gespielt.«
»Oh, sehr cool. Freut mich, dich kennenzulernen. Und du arbeitest jetzt für Atlanta?« Ich zeige auf das Logo auf seiner Brust.
»Japp. Aber ich würde gern mal mit deinem Vater zusammenarbeiten. Er und ich waren mal ein verdammt gutes Team. Er war mein Catcher, bis er sich mitten in der Saison zurückzog, als wir gerade auf dem besten Weg waren, die World Series zu gewinnen.«
Das Lächeln auf meinen Lippen verblasst. Er hat in dieser Saison meinetwegen aufgehört.
»Er und ich hätten bestimmt schon unsere Ringe, wenn er geblieben wäre und die Saison zu Ende gespielt hätte, aber er hat ja einfach mittendrin aufgehört. Völlig verrückt.« Brian schüttelt ungläubig den Kopf.
»Es war damals eine … harte Zeit für uns.«
»Ja.« Er stößt ein humorloses Lachen aus. »Es ist eine Schande, dass seine überstürzte Entscheidung ihn die Karriere gekostet hat.«
Isaiah mustert den Atlanta-Coach und dann mich. »Wovon redet er?«
Ich schüttle nur stumm den Kopf. Offenbar hat Kai seinem Bruder nicht erzählt, dass Monty nicht mein leiblicher Vater ist.
»Emmett hat mitten in der Saison gekündigt, um sie zu adoptieren.« Brian deutet auf mich. »Sie hatte niemanden mehr, also verließ er die Liga und fing an, als Trainer an einem winzigen Drecksloch von College zu arbeiten. Hat eine Menge Kohle abdrücken müssen, weil er mitten in der Saison verschwunden ist.«
Isaiahs Blick brennt auf meinem Gesicht. Ich senke stumm den Kopf und starre auf meine Füße. Als würde ich mich nicht so schon schuldig fühlen … Jetzt muss mich dieser Kerl auch noch in Anwesenheit von Zuschauern daran erinnern.
»Dein Vater sagte, du bist sehr erfolgreich im Gastronomiegewerbe«, fährt Brian fort. »Er hat erzählt, dass du bald auf der Titelseite von irgendeinem Magazin zu sehen bist. Das ist gut zu hören. Wenigstens machst du was aus deinem Leben, nachdem er seins für dich aufgegeben hat.«
»Hey.« Isaiah steht auf. »Was zum Teufel ist los mit dir?«
Brian sieht ihn aufrichtig verwirrt an, als würde er einfach nur nüchterne Fakten nennen und nicht versuchen, mir mit seinen Worten ein schlechtes Gewissen zu machen.
»Isaiah, ist schon gut.« Ich ziehe an seinem Arm, damit er sich wieder auf die Bank setzt. »Er hat ja recht.«
Sosehr die Worte auch wehtun, sie sind genau das, was ich brauche, um den heutigen Abend zu überstehen und morgen abzureisen.