VIERUNDDREISSIG
Am Kai warteten zwei Streifenwagen, um von Brockdorf und Thomsen in die Polizeidirektion zu bringen, wo sie zunächst einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und anschließend getrennt weiter verhört werden würden. Lena nutzte die Fahrt, um Johann auf Hooge über den Stand zu informieren. Er würde die erste Fähre aufs Festland nehmen und gegen zehn in Husum sein.
Ole Kotten kam mit zwei Tassen Kaffee in der Hand in sein Büro. »Thomsen ist keinen Millimeter von seiner Aussage abgewichen. Entweder hat er panische Angst, dass wir ihn wegen Erpressung drankriegen, oder er hat tatsächlich etwas mit Rieckert zu tun.« Er stellte den Kaffee vor Lena auf den Tisch. »Oder er sagt die Wahrheit.«
Lena trank einen Schluck der heißen Flüssigkeit. »Und wie hätte von Brockdorf sonst erfahren sollen, dass Rieckert der Mörder seines Bruders ist?«
»Privatschnüffler engagieren, selbst auf die Suche gehen.«
»Unwahrscheinlich. Die Kriminaltechnik wird die Brockdorf-Jacht auseinandernehmen und etwas finden.«
»So wie du von Brockdorf beschrieben hast, scheint er sich ziemlich sicher zu sein, dass es dort nichts zu finden gibt. Selbst wenn er kein Alibi für die fragliche Zeit hat, können wir ihm nichts nachweisen.« Ole Kotten stellte die Kaffeetasse auf seinen Schreibtisch und sank auf den Stuhl. »Du weißt genau, was spätestens morgen Nachmittag passiert. Groll wird übernehmen und …«
»Dann brauchen wir vorher ein Geständnis«, fiel Lena ihm ins Wort. »Am besten zwei.«
Ole Kotten nickte. »Thomsen? Zusammen?«
»Ja! Lass uns einen Schlachtplan machen.«
Jan Thomsen sah man seine Erschöpfung an. Beide Unterarme lagen auf dem Tisch, die Hände gefaltet. Der Oberkörper war leicht nach vorne gebeugt, die Atmung schwer. Das Glas Wasser und das belegte Brötchen standen unberührt auf dem Tisch.
»Wann kann ich endlich …«, begann er, brach aber gleich wieder ab, als Lena kaum merklich den Kopf schüttelte.
Sie stellte das Aufnahmegerät an und nannte Uhrzeit, Ort und Anwesende. Die Frage, ob Thomsen einen Anwalt wünsche, verneinte er.
»Wann haben Sie herausbekommen, dass Klaas Rieckert etwas mit dem Tod Ihres Vaters zu tun hatte?«, stellte Lena die erste Frage.
»Davon weiß ich nichts.«
»Okay. Gehen wir die Sache von der anderen Seite an. Alexander von Brockdorf behauptet, Sie hätten ihm den Mord an Rieckert gestanden. Weiterhin hätten Sie ihn bedroht und wollten ihn zwingen, Sie nach Spanien zu bringen.«
»Das ist purer Unsinn. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
»Ich sag Ihnen jetzt mal, wie der Hase läuft. Am Montag übernimmt die SoKo den Fall. Von Brockdorf ist ein einflussreicher Mann, es gibt nicht die geringsten Beweise, dass Ihre Version stimmt. Im Gegenteil. Was sollte ein Unternehmer aus Flensburg mit Klaas Rieckert zu tun haben? Warum sollte er ihn überhaupt kennen? Und noch abwegiger: Warum sollte er ihn ermorden? Nein, Sie sind ein viel besserer Kandidat. Ihre Familie hat seit jeher Streit mit der Rieckert-Familie, Sie konnten Klaas Rieckert nicht ausstehen und sind regelmäßig mit ihm aneinandergeraten. Sie haben ein eindeutiges Motiv, Sie hatten die Möglichkeit, Rieckert mit Ihrer Segeljacht ins Watt zu bringen, Sie waren auf Hooge. Das klingt perfekt und reicht in dem Fall für Untersuchungshaft.«
Lena schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Thomsen zuckte zusammen. »Was meinen Sie«, fuhr Lena fort. »Wie lange halten Sie es in der Zelle aus, bis Sie alles gestehen, was die Kollegen von der SoKo von Ihnen hören wollen?«
»Herr Thomsen«, begann Ole Kotten mit ruhiger und sanfter Stimme. »Meine Kollegin hat recht. Es sieht nicht gut für Sie aus, wenn Sie bei der bisherigen Aussage bleiben. Wenn Sie uns jetzt nicht helfen, werden wir nichts mehr für Sie tun können.« Er beugte sich vor und stellte das Aufnahmegerät aus, bevor er leise sagte: »Ich persönlich halte Sie nicht für einen brutalen Mörder. Nein, ganz bestimmt nicht.« Er nahm das Aufnahmegerät in die Hand und stellte es erneut an. »Herr Thomsen, es ist wichtig, dass Sie uns jetzt die Wahrheit sagen. Haben Sie mich verstanden?«
»Verdammt, ich habe nichts gemacht.«
»Dann haben Sie ja auch nichts zu befürchten«, sagte Ole Kotten lächelnd in seiner ruhigen Art.
Jan Thomsen funkelte ihn an. »Ja, klar. Der dumme Bauer von Hooge lässt sich mal eben so für dumm verkaufen. Und wenn ich dann gesagt habe, was Sie hören wollen, bin ich für Beihilfe zum Mord dran oder besser noch als Mittäter. Vergessen Sie’s.«
Lena beugte sich leicht vor. »Das ließe sich unter Umständen regeln. Sie machen einen Deal mit der Staatsanwaltschaft und bekommen entsprechende Zusicherungen.«
»Straffreiheit?«
»Wie gesagt, das muss der Staatsanwalt entscheiden.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg.
Lena beendete die Tonaufnahme und verließ mit Ole Kotten den Raum.
»Wir kommen da nicht weiter«, sagte Lena. »Ganz offensichtlich hat von Brockdorf ihn tagelang so unter Druck gesetzt, dass er panische Angst hat, mit in den Mord reingezogen zu werden.«
»So ganz unrecht hat Thomsen nicht. Wenn er der Informant war, steckt er schon mit drin.«
»Sehe ich nicht so. Ich rufe jetzt Warnke an. Okay?«
Als Ole Kotten nickte, wählte sie die Nummer. Warnke nahm nach dem ersten Klingeln ab, Lena erklärte ihm die Lage.
»Ich spreche mit Oberstaatsanwalt Kern und melde mich gleich wieder.«
Die folgenden zehn Minuten lief Lena im Büro hin und her und warf immer wieder einen Blick auf ihr Handy.
»Setz dich doch, Lena.« Ole Kotten saß immer noch ruhig auf seinem Schreibtischstuhl.
»Kann ich nicht«, murmelte Lena und war schon wieder auf dem Weg zum Fenster, als ihr Handy klingelte. Ein kurzer Blick aufs Display bestätigte ihr, dass Warnke am anderen Ende war.
»Ja!«
»Wir sind morgen um acht Uhr bei Ihnen in Husum. Die beiden Personen bleiben bis dahin in Gewahrsam.«
»Habe ich verstanden. Bis morgen, Herr Kriminaldirektor.«
»Gute Nacht, Frau Lorenzen.«
Ole Kotten stand inzwischen neben Lena und sah sie fragend an.
»Die beiden sind morgen um acht Uhr hier im Haus. Von Brockdorf und Thomsen übernachten hier. Kannst du das regeln?«
»Klar. Fahr nach Hause. Ich bin morgen um sieben hier.«
»Danke, Ole!«
Erck strich Lena eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Nach einem Glas Wein und einem von Erck vorbereiteten kleinen Abendessen hatten sie sich weit nach Mitternacht auf der Luftmatratze im neuen Haus hingelegt.
»Hast du heute alles geschafft, was du dir vorgenommen hattest?«, fragte Lena. »Entschuldige, dass ich noch nicht gefragt habe.«
»Alles gut! Der Flur ist fertig, den Boden im Schlafzimmer habe ich abgeschliffen und werde ihn morgen ölen. Es wäre gut, wenn wir uns Anfang der Woche in Flensburg wegen der Küche umgucken. Telefoniert habe ich mit denen schon. Die Schränke, die wir ausgesucht haben, stehen in der Ausstellung.«
»Klingt doch gut.«
Erck küsste sie auf die Wange. »Wann stehen wir auf?«
»Du musst nicht …«, begann Lena, bis Erck ihr sanft den Finger auf die Lippen legte.
»Natürlich muss ich nicht. Frühstück um Viertel nach sechs?«
Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte: »Das wäre schön!«
Punkt sieben betrat Lena Ole Kottens Büro. »Moin, Kollege!«
»Hallo, Lena.«
»Wie haben die beiden gestern reagiert?«
»Thomsen hat es klaglos hingenommen, was man von dem großen Herrn aus Flensburg nicht gerade sagen kann. Wundert mich, dass nicht schon eine Armada von Spitzenanwälten vor der Tür steht.«
Lena schmunzelte. »Die Nacht in der Zelle wird ihm sicher gutgetan haben.« Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen. »Dann sollten wir die Protokolle fertig machen und die Unterlagen noch einmal durchsehen.«
»Schon dabei!«
Kurz nach acht klopfte es an der Tür, ein uniformierter Beamter schaute ins Zimmer und kündigte Warnke und Kern an, die direkt hinter ihm in den Raum drängten.
»Guten Morgen«, sagte Oberstaatsanwalt Kern und steuerte den Tisch an, den Johann und Ole vor ein paar Tagen ins Büro getragen hatten. »Wollen wir uns setzen?«
Lena legte über eine halbe Stunde lang alle Ermittlungsergebnisse, Daten und Fakten dar und schloss mit dem Vorschlag, Jan Thomsen einen Deal anzubieten. Oberstaatsanwalt Kern und Kriminaldirektor Warnke hatten intensiv zugehört und sich beide Notizen gemacht.
»Ich kann Herrn Thomsen keine generelle Straffreiheit anbieten, aber wenn er sich bereit erklärt, eine vollumfängliche Aussage zu machen, und wenn er selbst in keiner Weise eine Initiative ergriffen hat, die auf das Gewaltdelikt im Watt orientiert war, sehe ich für ihn keine Notwendigkeit der Strafverfolgung.«
Lena stöhnte innerlich auf. Das konnte alles und nichts heißen und genau das war dem Oberstaatsanwalt auch klar. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. »Wir sollten gemeinsam mit Herrn Thomsen sprechen. Ich fürchte, er hat falsche Vorstellungen von einem Deal. Es wäre gut, wenn wir ihn davon überzeugen könnten, dass er mit einem blauen Auge davonkommt, wenn er sich zur Kooperation entschließt.«
Oberstaatsanwalt Kern warf einen Blick auf Warnke. Der nickte zustimmend. »Dann machen wir das so, Frau Hauptkommissarin.«
Jan Thomsen schien beeindruckt zu sein vom Auftreten des Oberstaatsanwalts. Schon beim Betreten des Verhörraums hatte er ihn aufmerksam gemustert und ihm mit ehrfürchtigem Blick die Hand geschüttelt. Lena begann mit einer kleinen Einführung und überließ dem Oberstaatsanwalt den Rest. Anders als sie erwartet hatte, besaß der Jurist durchaus die Fähigkeit, sich auf die Situation einzustellen. Er erklärte Thomsen in einfachen Worten, welche Anklage auf ihn warten würde, wenn er bei seinen jetzigen Aussagen bleiben würde und die Kriminalpolizei Alexander von Brockdorfs durchaus schlüssige Einlassungen nicht entkräften könnte. Schließlich bot er ihm an, die Angelegenheit mit einem Strafbefehl in geringer Höhe zu beenden, falls Thomsen tatsächlich ausschließlich als Informant für von Brockdorf tätig gewesen sei. Als Jan Thomsen schließlich einwilligte, stand ihm die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Die folgenden drei Stunden verbrachten Lena und Ole Kotten mit Jan Thomsen im Verhörraum. Nach und nach erfuhren sie, was sich aus Thomsens Sicht zugetragen hatte.
Eineinhalb Jahre vor Tom Thomsens Tod war Klaas Rieckert mehrfach bei diesem zu Besuch gewesen. Jan Thomsen war zunächst davon ausgegangen, dass Rieckert sich mit der Familie Thomsen versöhnen wollte, als die Stimmung seines Vaters sich aber zunehmend verschlechterte, sprach er ihn auf die Besuche an. Zunächst verweigerte sich Thomsen senior, aber nach und nach fügte Jan Thomsen die bruchstückhaften Auskünfte seines Vaters zu einem Bild zusammen und konfrontierte ihn schließlich damit. Der Vater gab zu, dass es auf der letzten großen Fahrt einen Unfall gegeben habe. Das Schiff sei in einen Sturm geraten, einige Container hätten sich gelockert und hätten später wieder in ihre Position gebracht werden müssen. Thomsen senior habe die Aufsicht über die Arbeiten gehabt. Ob er sich tatsächlich der Gefahr bewusst gewesen war, hatte Jan Thomsen nie von seinem Vater erfahren, aber Rieckert senior hatte ihn, nachdem er erkrankt war, in Verdacht, mit dem Kapitän unter einer Decke zu stecken. Wie viel sein Vater Klaas Rieckert verraten hatte, wusste Jan Thomsen nicht zu sagen. Auf jeden Fall bekam er heraus, dass sein Vater eine, wie er es genannt hatte, hohe Abfindung von der Reederei bezogen hatte. Da die Summe inoffiziell gezahlt wurde, bewahrte Tom Thomsen das Geld in einem Versteck im Haus auf, das er seinem Sohn erst kurz vor seinem Tod verriet. Später fand Jan Thomsen dort fast vierzigtausend Dollar. Er zweigte hin und wieder etwas davon ab, sodass niemand etwas von seinem geheimen Vermögen ahnte.
Erst als er den Rest des Geldes für die Anzahlung der Segeljacht nutzte, kam Klaas Rieckert ihm auf die Spur und beschuldigte ihn, dreckiges Geld seines Vaters zu besitzen. Erst zu dem Zeitpunkt wurde Thomsen klar, dass Rieckert mehr über den Unfall auf dem Containerschiff wissen musste, als sein Vater verraten hatte. Er ging Rieckert aus dem Weg und vermied jeden Streit. Bei dem Biikebrennen im Jahr zuvor war er aber spät in der Nacht, als sich nur noch wenige Besucher auf dem Gelände aufhielten, auf Rieckert getroffen. Sie waren schnell aneinandergeraten, Rieckert war stark alkoholisiert und hatte ihm gesagt, er könne froh sein, dass sein Vater sich selbst gerichtet habe, da ihn sonst das gleiche Schicksal ereilt hätte wie die hohen Herrschaften von und zu . Jan Thomsen hatte die Worte seines Widersachers zunächst nicht sehr ernst genommen, bis er zufällig über einen Beitrag im Internet gestolpert war, in dem von alten, ungelösten Kriminalfällen berichtet wurde. Als er von Maximilian von Brockdorfs rätselhafter Ermordung las, erinnerte er sich an den Abend vom Biikebrennen. Er begann zu recherchieren und suchte die Nähe von Klaas Rieckert, den er dann mit dem Namen Maximilian von Brockdorf konfrontierte. Rieckerts nervöse Reaktion war ihm Bestätigung genug, dass er etwas mit dem Mord zu tun haben musste.
Thomsen recherchierte weiter und stellte einen Zusammenhang zum Tod von Klaas Rieckerts Vater her. Lange überlegte er, was er mit der Information anfangen sollte, und entschloss sich schließlich, sich anonym mit Alexander von Brockdorf in Verbindung zu setzen. Es folgte ein mehrwöchiges Hin und Her, während dessen sich Brockdorf hartnäckig weigerte, die bloße Preisgabe des Namens des angeblichen Mörders seines Vaters zu honorieren, und Beweise verlangte. Schließlich traf Thomsen sich drei Wochen vor Rieckerts Tod auf Amrum mit von Brockdorf und bekam von diesem fünfzehntausend Euro für seine Informationen. Warum Thomsen am Montagnachmittag auf von Brockdorfs Segeljacht gegangen war, verschwieg er, sagte aber, dass er schon nach wenigen Stunden von Alexander von Brockdorf außer Gefecht gesetzt wurde. Während der Tage auf See stellte von Brockdorf ihn vor die Wahl, zu schweigen oder zu sterben. Obwohl Thomsen ihm versicherte, dass er die Polizei aus dem Spiel lassen würde, schien von Brockdorf ihm nicht zu trauen und stellte ihn immer wieder auf die Probe. Als sie in dänischen Gewässern waren, habe von Brockdorf nicht mehr weiter auf ihn eingeredet. Thomsen hatte den Eindruck, als habe dieser sich dazu entschieden, ihn zu beseitigen.
Nachdem das Protokoll verfasst worden war, unterschrieb Jan Thomsen es. Ole Kotten stellte einen Beamten ab, der ihn nach Hooge begleiten würde, um dort Thomsens Laptop zu beschlagnahmen. Nach seiner Auskunft besaß er ihn seit sechs Jahren. Lena hoffte, auf dem Computer Beweise dafür zu finden, wann und wie Thomsen recherchiert hatte. Auch von den inzwischen gelöschten Mailaccounts, über die Thomsen mit Alexander von Brockdorf in Kontakt getreten war, würden sich vermutlich Spuren finden lassen.
Johann war inzwischen in Husum eingetroffen und hatte sich um die beiden Anwälte gekümmert, die von Brockdorf noch in der Nacht angefordert hatte.
»Wer von uns geht rein?«, fragte Lena ihre beiden Kollegen, nachdem Jan Thomsen von einem Beamten abgeholt worden war und sie mit Oberstaatsanwalt Kern die weiteren Schritte abgesprochen hatte.
Ole Kotten antwortete zuerst: »Zu dritt, würde ich sagen.«
»Richtig, die Gegenseite ist auch mit drei Personen vertreten.« Johann schmunzelte. »Das wäre ansonsten mehr als fahrlässig, oder?«
»Die Jugend von heute«, murmelte Ole Kotten und stieß Johann spielerisch in die Seite. »Auf geht’s!«
Als sie den Verhörraum betraten, verstummte das Gespräch zwischen Alexander von Brockdorf und seinen beiden Anwälten.
Die drei Kommissare setzten sich, Lena startete das Aufnahmegerät und betete die Formalien herunter.
Der ältere der beiden Anwälte meldete sich direkt zu Wort. »Wir haben unserem Mandanten geraten, ab sofort zu schweigen. Wir denken auch, dass Herr von Brockdorf vollumfänglich ausgesagt hat und es von daher keinen Grund gibt, unseren Mandanten weiter hier festzuhalten.« Der Anwalt stand auf, sein jüngerer Kollege folgte ihm.
Lena beachtete sie nicht weiter und wandte sich an Alexander von Brockdorf. »Sie verweigern die Aussage?«
Er stand auf. »Das ist richtig, Frau Kommissarin.«
»Hauptkommissarin. Setzen Sie sich doch bitte wieder.« Sie wandte sich an die beiden Anwälte. »Ihnen steht es natürlich frei, den Raum zu verlassen.«
Alexander von Brockdorf warf einen auffordernden Blick zu seinen Anwälten.
»Wir protestieren aufs Schärfste gegen Ihre Vorgehensweise. Es gibt aus unserer Sicht keinen …«
»Danke, die Herren«, unterbrach Lena den Anwalt. »Entweder verlassen Sie jetzt den Raum oder Sie setzen sich wieder.«
Mit finsterer Miene befolgten die beiden Männer die Anweisung und nahmen wieder Platz.
»Herr Thomsen hat inzwischen seine Aussage ergänzt. Ihre Jacht wird gerade von der Kriminaltechnik untersucht. Ab morgen werden die weiteren Ermittlungen von einer Sonderkommission in Kiel übernommen. Sie, Herr von Brockdorf, werden noch heute in die Landeshauptstadt überführt, wo Sie dem Haftrichter vorgeführt werden.«
Als Alexander von Brockdorf aufspringen wollte, hielt ihn der ältere der beiden Anwälte zurück. »Wir würden gerne allein mit unserem Mandanten sprechen, Frau Hauptkommissarin.«
»Kein Problem. Sie haben eine halbe Stunde Zeit, bis meine Kollegen Ihren Mandanten überführen.«
Sie stand auf, Johann und Ole Kotten folgten ihr. Alexander von Brockdorf starrte sie wutentbrannt an, schwieg aber.
»Wir sehen uns dann morgen vor dem Haftrichter.« Sie nickte den drei Männern zu und wandte sich ab.
Der Haftrichter erließ am Sonntag Haftbefehl gegen Alexander von Brockdorf, setzte allerdings einen weiteren Termin in sechs Tagen an, um erneut die Notwendigkeit der Haft zu überprüfen.
Lena stand am Montagvormittag vor den versammelten Mitgliedern der Sonderkommission und legte über zwei Stunden die kompletten Ermittlungen der letzten elf Tage dar. Kriminalrat Groll saß mit versteinerter Miene in der ersten Reihe, stellte weder Fragen noch machte er sich Notizen.
Der Generalstaatsanwalt hatte sich nach der unerwarteten Entwicklung aus dem Fall zurückgezogen, Oberstaatsanwalt Kern saß mit in der morgendlichen Runde und schlug vor, dass Lena dem Team beratend zur Verfügung stehen würde. Bereits vor der Teamsitzung hatte er mit ihr gesprochen und ihr zugesichert, dass sie nur ihm direkt unterstellt und nicht in die Hierarchie eingegliedert sei.
Die Kriminaltechnik brauchte zwei Tage, um in einer verborgenen Ritze des Holzfußbodens ein fremdes Haar mit Wurzel zu finden sowie Reste von Blut. Beides wurde wiederum zwei Tage später eindeutig Klaas Rieckert zugeordnet. Auf Jan Thomsens Laptop fanden sich Dokumente und Browserverläufe, die seine Aussage untermauerten. Alexander von Brockdorfs Anwälte versuchten vergebens, ein unumstößliches Alibi für die fragliche Zeit zu liefern. Alle weiteren Vorstöße wurden von Oberstaatsanwalt Kern gekonnt abgewehrt, bis die Beweislage ausreichend war. Beim Haftprüfungstermin wurde der Haftbefehl gegen Alexander von Brockdorf bestätigt, in den folgenden zwei Wochen fanden sich weitere Beweise.
Kriminalrat Groll meldete sich eine Woche nach von Brockdorfs Verhaftung krank, Lena übernahm kommissarisch die Leitung der SoKo.