Vorbemerkung des Autors

Eine Version meiner Lebensgeschichte könnte lauten, dass ich 1978 eine Italienerin kennenlernte, sie heiratete, nach Italien zog und seitdem hier lebe. Ohne mir das Land bewusst ausgesucht zu haben oder von ihm ausgesucht worden zu sein. Doch das Schöne an meinem »italienischen Schicksal« ist, dass es sich schon in meiner Jugend auf kuriose Weise abzeichnete. Als Schüler brauchte ich für meine A-Level-Prüfung im Fach Geschichte ein Schwerpunktthema und entschied mich für das Risorgimento, die Bewegung, in deren Verlauf die vielen italienischen Kleinstaaten sich von der Herrschaft ausländischer Mächte befreiten und sich 1861 schließlich zu einer vereinten Nation zusammenschlossen. Unter der Anleitung eines engagierten Lehrers lasen wir ein Buch mit Originaldokumenten aus der damaligen Zeit und erfuhren von den vier großen Architekten des modernen Italien: dem revolutionären Republikaner Giuseppe Mazzini, der sein Leben lang immer wieder bewaffnete Aufstände anzettelte, die ausnahmslos scheiterten; dem machiavellistischen Ministerpräsidenten von Sardinien-Piemont, Camillo Benso von Cavour, der Rivalitäten zwischen Frankreich und Österreich erfolgreich auszunutzen wusste und seinen Staat zum Zentrum der neu entstehenden Nation machte; dem ungeschickten, aber erstaunlich effektiven Viktor Emanuel II., König von Sardinien-Piemont, der zwischen seinem Ministerpräsidenten auf der einen und den revolutionären Patrioten auf der anderen Seite stand und ein doppeltes Spiel spielte; und schließlich Giuseppe Garibaldi, dem herausragenden Guerillakrieger mit südamerikanischer Vergangenheit, der 1860 die Welt verblüffte, als er mit seinen tausend Rebellen an der Westküste Siziliens an Land ging, die Insel einem zwanzigtausend Mann starken Bourbonen-Heer abnahm, nach Kalabrien übersetzte, um in Richtung Norden über Neapel gen Rom zu ziehen, unterwegs weitere Freiwillige einsammelte, bis er schließlich auf die piemontesischen Truppen traf, die nach Süden entsandt worden waren, um ihn aufzuhalten, und daraufhin alle eroberten Territorien Viktor Emanuel überließ, womit er vollendete Tatsachen schuf und das vereinte Italien erschaffen war.

Ein Jahr nach diesen Studien, im Jahr 1974, nutzte ich den neuen Interrail-Pass der Bahn, um zum ersten Mal nach Italien zu reisen. Dort stellte ich fest, dass ich bereits einen großen Teil der Straßennamen kannte. Viale Cavour, Via Mazzini, Corso Vittorio Emanuele, Piazza Garibaldi – die vier Patrioten sind allgegenwärtig, mit zahllosen Denkmälern, Statuen, Tafeln und Plaketten werden ihre Heldentaten gefeiert. Der bei Weitem attraktivste von ihnen, sowohl auf dem Papier als auch in Stein gemeißelt, ist Garibaldi: In den tief liegenden Augen, der bärtigen Ernsthaftigkeit, dem männlichen Gebaren unter der Soldatenkappe und dem Gaucho-Poncho ist seine starke Ausstrahlung immer noch spürbar; die Worte ROMA O MORTE! neben den vielen Balkonen im ganzen Land, von denen er einst den berühmten Schlachtruf verkündete, wirken auch heute noch mitreißend. Eine Schande, dass die Geschichtsbücher ihn in der Regel als einfältigen Kämpfer darstellen, als Werkzeug in den Händen anderer, als einen, der mehr Glück als Verstand hatte.

Die ersten Zweifel an dieser Darstellung kamen mir ein Jahrzehnt später, als ich den Auftrag erhielt, Biografien des Helden zu rezensieren. Garibaldi mag oft manipuliert worden sein, aber er war ganz sicher nicht einfältig. Er war gerissen, gut organisiert, kreativ. Und wenn er oft Glück hatte, was er zugab, dann hatte er sich dieses Glück hart erarbeitet. Dass man ihm derart unrecht tut, ist interessant. Die Italiener, leidenschaftliche Lokalpatrioten, unterteilt in Clans, Fraktionen, Interessengruppen und Gemeinschaften, sind kein Volk, das zu Einheit und Einigkeit neigt. Misstrauen, Verschwörungstheorien und Zynismus grassieren. Interne Machtkämpfe sind die Norm, der Defätismus ist weit verbreitet. Garibaldi hat, und das ist höchst ungewöhnlich, diese negativen Eigenschaften, und mit ihnen seine republikanischen Ideale, beiseitegeschoben, um ein klares Ziel ins Auge zu fassen: Einheit um jeden Preis. Er war überzeugt, dieses Ziel sei noch zu seinen Lebzeiten erreichbar, und indem er andere dazu ermahnte, ihre Streitigkeiten zu vergessen und gemeinsam zu kämpfen, gar gemeinsam zu sterben, hat er es tatsächlich erreicht. So ist er für all diejenigen, die gerne glauben möchten, alle Tapferkeit sei zwecklos und Fortschritt unmöglich, zur Herausforderung, ja zum Vorwurf geworden. Was noch schlimmer war: Er hat überlebt, lange genug, um seine Geschichte zu erzählen. Obwohl der Held sich im Laufe seines vierzigjährigen Kampfes ein Dutzend Kugeln einfing, ist er erst 1882 im Alter von vierundsiebzig Jahren in seinem Bett gestorben.

Verliebt allerdings habe ich mich in Garibaldi erst, als mir das Tagebuch aus Italien 1849 von Gustav von Hoffstetter in die Hände fiel. Hoffstetter war ein bayrischer Offizier, der als Freiwilliger für die kurzlebige Römische Republik gekämpft hat, die im Februar 1849 die päpstliche Herrschaft ablöste und sich nach zweimonatiger Belagerung Anfang Juli den französischen Truppen ergeben musste. Garibaldi gehörte zu den Kommandeuren in dieser Schlacht, einer Schlacht, von der er wusste, dass er sie nicht gewinnen konnte. Was mich so tief bewegte, war jedoch weniger der verlorene Belagerungskampf als vielmehr Hoffstetters Beschreibung des außergewöhnlichen Rückzugs des Helden aus Rom, seines Marsches durch Mittelitalien mit seiner brasilianischen Ehefrau Anita und viertausend Freiwilligen. Er hatte geschworen, sich auf italienischem Boden niemals einem ausländischen Heer zu ergeben. Womöglich hat das, was der Held dabei lernte, und das Beispiel, das er auf diesem verhängnisvollen, sechshundertfünfzig Kilometer langen Marsch setzte, die Grundlage für seinen späteren Triumph geschaffen. Hoffstetter war Garibaldis Aide-de-camp. Beim Lesen seines Berichts habe ich mir so sehr wie sonst nur selten gewünscht, in einer anderen Zeit zu leben und in der Haut eines anderen zu stecken. Oder seiner Uniform.

2019, hundertsiebzig Jahre nach den Ereignissen in Rom, kaufte ich mir ein Paar Trekkingschuhe, überredete meine Partnerin Eleonora, dasselbe zu tun, und brach im Juli auf, um den Weg der Freischärler nachzugehen.