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Ein ziemlich unkomplizierter
kleiner Mord

Es gibt viele Möglichkeiten, diese Geschichte zu erzählen. Ich könnte davon erzählen, wie rot alles auf dieser Welt war. Der rote Wind. Die rote Erde. Die roten Flecken auf dem Boden, wo Mr Townes mit Schrotkugeln in der Brust zu Boden gegangen war. Ich könnte von dem blauen Qualm erzählen, der aus den Schornsteinen stieg, von den eisig blauen Augen des Kriminaltechnikers, dem blau-weißen gepanzerten Polizei-Land-Rover, der mit drehenden Rädern auf der Seite lag, dessen blaues Innere Männer in das vernichtende Feuer eines Maschinengewehrs ausspuckte. Ich könnte von der gelben Sonne erzählen, die über den Sumpf-Seidenpflanzen an der Chesapeake Bay unterging, oder von den gelben Flügeln der Goldzeisige in ihren Nestern entlang der Portpatrick Road oder von den hellen Hunden des Mannes, der Beth damals mit der blanken Faust gedroht hatte. Es gibt natürlich viele Möglichkeiten, all die Geschichten zu erzählen. Halten wir uns allerdings für den Augenblick an die Chronologie, damit uns die Fakten nicht im Kopf durcheinandergeraten, okay? Denn aus diesem ziemlich unkomplizierten kleinen Mord wurde natürlich etwas erheblich Komplizierteres …

Ich ging aufs Revier, um den Einsatzraum des CID herzurichten und mir einen Dienstausweis als »Detective Inspector« ausstellen zu lassen. Dann folgte ich in meinem BMW McArthur, der seinen Volvo Kombi fuhr, zum Tatort. McArthur war ein zögerlicher, nervöser Fahrer, der andauernd auf die Bremse trat, also ließ ich reichlich Abstand.

Eigentlich brauchte ich ihn nicht. Bei all den Blaulichtern auf den Land Rovern, all den Polizisten, die hin und her liefen, und einem halben Dutzend Kriminaltechniker in weißen Overalls, die ihrer sorgfältigen Arbeit nachgingen, war der Tatort nun wirklich nicht schwer zu finden.

Das Haus des Opfers war ein großes, altes edwardianisches Anwesen am Ufer des Lough. Weiden, Kastanien und ein gepflegter Rasen. Ähnliche Häuser links, rechts und gegenüber.

Hier wohnte man, wenn man ein kleines Erbe angetreten hatte oder ein aufstrebender Arzt oder Anwalt war. Vielleicht nicht gerade die Gegend, in der man ständig Gewaltverbrechen sah, aber wenn man auf der Suche nach einem netten Wagen war, um ihn zu klauen, dann war das hier eine gute Gegend dafür.

McArthur stellte seinen Wagen ab und stieg aus. Er streckte mir seine Hand hin, also schüttelte ich sie. »Nun, da wären wir. Kann ich das alles in Ihre fähigen Hände legen, Duffy?«

»Ich denke schon.«

»Sie erinnern sich noch an alle Formalitäten?«

»Schätze, das ist wie Fahrradfahren, Sir.«

»Wirklich? Also gut, dann bin ich mal weg. Ich bringe die Kinder zu Bett und schaue in ein, zwei Stunden noch mal vorbei, ob alles in Ordnung ist.«

»Sie können ruhig schlafen gehen, Sir. Ich bringe das hier zum Abschluss. Alles ziemlich offensichtlich, wie Sie schon sagten, da bin ich mir sicher«, sagte ich.

Da konnte man mal sehen, wie eingerostet ich schon war. So etwas sagte man nicht, wenn die Götter, das böse Omen und das Schicksal zuhörten. Niemals. Was hast du dir dabei gedacht, Duffy? Du Blödmann.

»Nein, nein, ich komme noch mal vorbei, Duffy«, entgegnete er und senkte die Stimme. »Meine Schwiegereltern aus Stirling sind hier. Mein Schwiegervater ist … na ja …«

»Ich verstehe, Sir.«

Ich winkte zum Abschied, schaute zum Ende der Zufahrt hinüber und entdeckte dort das phlegmatische, blasse Gesicht und die hagere, an Raymond Massey erinnernde Gestalt von Sergeant John »Crabbie« McCrabban, der gerade aus einem Land Rover Defender stieg. Wenn man eine hiesige Version von Millers Hexenjagd besetzen wollte, würde man Crabbie nicht die Rolle von Reverend Hale geben, weil er dafür ein wenig zu furchteinflößend und ernst wäre. Doch wenn man ihn genauer kannte, dann ging einem auf, dass sich unter diesen mürrischen presbyterianischen Zügen ein Kerl verbarg, der einen nie im Stich ließ und der einen trockenen — sehr trockenen — Humor hatte.

Ich hatte ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen. Einen Monat etwa. Ich winkte ihm zu. Er nickte zurück.

»Wie geht’s, Mann?«, rief ich.

Crabbie kam herüber. Ich wollte den großen Tölpel schon umarmen, aber ich wusste, das wäre ihm peinlich, also gaben wir uns nur die Hand.

»Wie geht’s, Sean?«

»Nicht schlecht, und selbst?«

»Kann nicht klagen.«

»Klagst du denn jemals?«

»Hab ja keinen Grund dazu. Der Herr war gnädig mit mir.«

»Aber nicht mit dem da«, sagte ich und wies auf die Leiche.

»Ein Mord«, betonte Crabbie.

»Ein Mord«, bestätigte ich.

»Das ist mein erster Fall im letzten halben Jahr«, gab Crabbie leise zu.

»Worum ging es denn da?«, fragte ich.

»Ich habe Sergeant Lawson bei einem bewaffneten Raubüberfall assistiert.«

»Und wie ist es ausgegangen?«

»Wir haben sie erwischt.«

»Wie denn? Mit Hilfe der KT

»Viel einfacher. Lawson hat die Autohändler abgeklappert und nachgefragt, wer sich kürzlich einen protzigen Wagen gekauft hat. Wie eine Spur Brotkrumen bis zur Haustür der Bande.«

»Tja, Mann, da hast du mehr Praxis als ich. Das ist mein erster richtiger Fall seit über einem Jahr. Bin ein bisschen nervös, um ehrlich zu sein.«

»Wie geht es Beth und Emma?«

»Gut. Und deiner besseren Hälfte und den Kindern?«

»Gut.«

Ein, zwei Sekunden standen wir stumm da.

»Ich hoffe, wir wissen, was wir hier zu tun haben, Sean«, meinte Crabbie schließlich.

»Das hoffe ich auch. Nach dem ersten Augenschein handelt es sich um einen Autodiebstahl, der schiefgelaufen ist, das sollte ja eigentlich unsere begrenzten geistigen Fähigkeiten nicht überstrapazieren.«

»Wenn du es sagst, Sean.«

»Sagen wir Frank mal Hallo, hm?«

Frank Payne, der Chef der KT, hatte seine Arbeit offenbar erledigt, denn er stand Tee trinkend und rauchend unter dem kleinen Baldachin, den sein Team aufgestellt hatte.

Wie ich schon sagte, war Frank ein großer, griesgrämiger Mann, der mit Riesenschritten auf einen massiven Herzinfarkt zumarschierte. Er hatte keine Haare mehr auf dem Kopf, und seine blassen Wangen hatten einen rotblauen Schimmer angenommen. Die winzige Zigarette in seinen Riesenpranken wirkte irgendwie komisch.

Ich schüttelte ihm die freie Hand.

»Na, wenn das nicht der gute alte Sean Duffy ist«, sagte er.

»Schön, dich zu sehen, Francis.«

»Hab mich schon gewundert, was aus dir geworden ist. Ich hab schon seit Jahren weder Crabbie noch dich an einem Tatort gesehen! Sergeant Lawson schon, aber euch beide nicht. Was ist denn mit dir passiert, Mann? Hast du die Frau des Deputy Chief Constable flachgelegt, oder was? Haben sie dich erwischt und dir einen Selbstmordjob an der Grenze verpasst?«

»Na ja, das Ganze ist ein wenig prosaischer als …«

»Also, was hast du angestellt? Spuck’s aus!«

»Ich bin jetzt in der Teilzeitreserve.«

Er machte ein verdutztes Gesicht. »Teilzeit? Du? Nein, ehrlich, Mann, was ist passiert?«

»Nichts. Ich bringe nur die Zeit bis zur Pensionierung rum.«

Frank begriff langsam und nickte. Daran war nichts Ungewöhnliches. Die Hälfte der Polizisten, die er kannte, saß die Zeit ab, bis sie in Pension gehen konnten. »Und die haben dich als Detective behalten?«, fragte er.

»Nein. Ich bin nur sechs Tage im Monat bei der Arbeit. Mit so einem Einsatzplan kannst du keine Fälle lösen.«

»Und was machst du stattdessen?«

»Papierkram meistens. Verwaltung und Straßenverkehr.«

»Und was ist mit dir, McCrabban?«

»Dasselbe. Teilzeit bis zur Pension.«

»Du meine Güte, ihr beiden. Wenn ihr in dieser Firma keine Detectives seid, seid ihr nichts. Ich weiß, du hast deine Farm, Crabbie, aber du erstaunst mich, Sean. Das war doch dein Leben.«

»Früher mal, Mann. Ich hab mich anders entschieden. Beth und ich sind nach Schottland gezogen und …«

»Die, die wie ein Junge aussieht?«

»Sie hat eine gewisse knabenhafte Art, aber sie ist ganz …«

»Hast du sie geheiratet?«

»Noch nicht, ich …«

»Kluger Mann. Wenn du Nachforschungen anstellst, wirst du sicher herausfinden, dass sie nicht als Frau geboren wurde, da wette ich. Geschlechtsumwandlung. Klug von dir, wenn du mich fragst. So kann sie nicht schwanger werden und dich damit an sich fesseln.«

»Wir haben ein kleines Mädchen.«

»Aye, na ja, die Wunder der Medizin, hm?«

»Woher kommt das nur, Frank, das jeder es nur eine halbe Minute mit dir aushält, bevor er dir eins auf die verfluchte Schnauze geben will?«

»Keine Ahnung. Mein Dad war ein Arschloch, vielleicht ist der Apfel ja nicht weit vom Stamm gefallen«, antwortete er.

»Und wie geht’s deiner Frau?«, fragte ich.

»Du weißt doch, dass sie mich verlassen hat, Sean.«

»Richtig. Und sie lässt Grüße ausrichten«, sagte ich.

Frank grinste und schlug mir plötzlich auf die Schulter. »Meine Güte, gut, dich zu sehen. Teilzeit oder nicht Teilzeit, nett, es mal wieder mit einem richtigen Polizisten zu tun zu haben!«

»Sergeant Lawson ist ein richtiger …«

»Sergeant Lawson ist der Job zu Kopf gestiegen, und alle anderen hier in der Gegend sind der reinste Witz. Von Newtownabbey RUC oder Larne RUC oder — Gott bewahre uns — Ballyclare RUC ganz zu schweigen. Ich schwimme in einem Meer grassierender Unfähigkeit, Duffy.«

»Na, zumindest hast du genügend Auftrieb dafür, Mann.«

»Witze über Dicke sind unter deiner Würde, Duffy. Als Nächstes kommst du noch mit ›Deine Mutter‹-Gags an.«

»Deine Mutter hat so wenig Klasse, dass ich sie mit einer marxistischen Utopie verwechselt habe … Und? Keiner?«

Frank sah mich von oben bis unten an und seufzte.

Crabbie starrte auf seine Schuhe.

»Und Lawson ist also im Urlaub oder so was?«, fragte Frank.

»Dir entgeht aber auch nichts, Mann. Er ist auf Teneriffa.«

»Teneriffa? Meine Güte, wer will denn da hin?«

»Anscheinend alle.«

Frank nickte. »Na, da habt ihr Glück, oder vielleicht Pech, falls ihr gehofft habt, eine Woche lang Überstunden zu schieben. Die Sache ist ziemlich offensichtlich. Die wollten das Auto von dem Kerl. Er wollte es nicht rausrücken. Sie haben ihn erschossen und den Wagen geklaut. Habt ihr schon mal was von ›Carjacking‹ gehört?«

»Ja.«

»Tja, darum handelt es sich hier.«

»Welche Beweise hast du eingesammelt?«

»Schrotkugeln.«

»Sonst noch was?«

»Nicht viel.«

»Erzähl mir was über den Schrot.«

»Kaliber 12, beide Läufe, aus weniger als anderthalb Metern. Er hatte keine Chance.«

»Name des Opfers, Beruf und all das?«

Frank schniefte. »Geht mich nichts an, ist dein Job. Willst du die Leiche sehen?«

»Eigentlich nicht, aber das lässt sich wohl nicht vermeiden.«

Frank führte mich den Gehweg entlang zu einem weißen Laken, das die Leiche bedeckte. Kriminaltechniker (und eine Technikerin) hatten die Schrotkugeln, die in den Boden gedrungen waren, mit Kreide markiert und machten Fotos von den Reifenspuren des gestohlenen Wagens, der mit ziemlicher Geschwindigkeit davongerast war.

»Man kann an den Reifenspuren erkennen, dass es sich um einen Jaguar handelt«, sagte Frank.

Ich runzelte die Stirn.

Trotz all seiner Fähigkeiten bezweifelte ich stark, dass er die Automarke anhand der Reifenspuren bestimmt hatte. Er musste wohl die Nachbarn befragt haben. Und wenn er das getan hatte, dann kannte er wohl auch den Namen des Opfers, Beruf und all das, wollte aber, dass ich meine eigene Laufarbeit erledigte, der hassenswerte große Scheißer.

Ich hob das Laken und besah mir die Leiche. So etwas hatte ich schon eine Weile nicht mehr machen müssen, wofür ich sehr dankbar war. In vielerlei Hinsicht war ich nicht aus dem richtigen Material für einen Detective der RUC: Ich hatte Schwierigkeiten mit der Befehlskette, hatte Probleme mit den Schwerpunkten, die diese Organisation setzte, und mochte viele Dinge nicht, die zur Arbeit eines Detective dazugehörten, nicht zuletzt, dass man sich jüngst ermordete Menschen anschauen musste.

Diese spezielle Szene hier war eine richtige Sauerei. Eine Sauerei, die früher mal ein denkendes, fühlendes menschliches Wesen gewesen war. Abgesägte Schrotflinte aus allernächster Nähe. Exakt das, was ein in Panik geratener Joyrider tun würde. Das Gesicht des Opfers war zur Hälfte weggerissen worden und das Loch in seiner Brust war riesig.

Er trug ein Jackett, weißes Hemd, braune Hosen und Nikes – eine recht ungewöhnliche Mischung. Ich beugte mich vor und fasste das Jackett an. Eine Leinen-Baumwoll-Mischung, maßgeschneidert. Ich schaute es mir genauer an. Dem Etikett nach stammte es von Thomas Browne & Company, einem gehobenen Herrenschneider aus Dublin.

Ich ließ das Laken fallen und richtete mich auf, um Luft zu schnappen. Das Laken legte sich über den Kopf des Opfers und saugte etwas von dem halb gestockten Blut auf. Eine blutige, gespenstische Silhouette. Ein schrecklicher Anblick.

»Verfluchter Mist«, sagte ich.

Vom Papierkram bekam man nur selten Alpträume. Von so was hier schon eher.

»Alles in Ordnung, Duffy? Du bist ganz grün geworden«, lachte Payne.

»Aye, ich bin es nicht mehr gewohnt. Um Macbeth zu paraphrasieren: Die Unversehrtheit meines Schlafs ist womöglich beschädigt worden.«

»Ach, das ist doch gar nichts. Ich kriege Tag für Tag Schlimmeres zu Gesicht. Ein paar von den Autounfällen, zu denen ich gerufen werde … Enthauptungen. Teil-Enthauptungen. Brand. Kinder, alles Mögliche. Einmal bin ich zum Brand eines Transporters gerufen worden, der behinderte Kinder …«

Ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Heb dir die Geschichte für ein andermal auf, okay?«

»Du bist weich geworden, Duffy.«

»Bei dir klingt das, als wäre das was Schlechtes, Frank. Wie lange liegt er hier schon so?«

»Neunzig Minuten etwa.«

»Wer hat die Leiche gefunden?«

»Ein anonymer Anruf meldete eine Schießerei. Carrickfergus RUC ist hergekommen und hat die KT angerufen.«

»Niemand hat einen Krankenwagen gerufen?«

»Dazu gab es keinen Grund mehr, Duffy, er war schon tot. Schau ihn dir doch mal an.«

»Kaliber 12, aus nächster Nähe, hast du gesagt?«

»Kaliber 12, aus allernächster Nähe. Doppelläufige Schrotflinte. Beide Läufe gleichzeitig oder kurz hintereinander.«

»Bist du sicher?«

»Natürlich. Ein in Panik geratener Bursche, der einen Wagen klauen will. Der Mann wehrt sich, der kleine Scheißer verpasst ihm beide Ladungen. Schneller, wenn nicht sofortiger Tod.«

Ich schüttelte den Kopf und warf Crabbie einen Blick zu. Auf seinem mürrischen Gesicht lag ein skeptischer Ausdruck.

»Also gut, Duffy. Du hast ja deinen Sergeant dabei. Alle anderen sind an der Arbeit. Macht es dir was aus, wenn ich mich verdrücke? Ich habe noch ein halbes Dutzend weitere Fälle wie diesen in Belfast.«

»Morde?«

»Nein. Joyrider. Heute Nachmittag hat es schwere Unruhen nach einem Marsch der Loyalisten auf der Ormeau Road gegeben. Wir haben versucht, sie daran zu hindern, die Falls Road entlangzumarschieren, und dann ging’s schon los. Die haben dutzendweise Autos gestohlen und angezündet. Unsere Oberbosse hoffen, dass es irgendwelche Spuren in den ausgebrannten Wagen gibt. Keine Chance, aber wir werden die ganze Nacht brauchen, um in dem ganzen Haufen Schrott Fingerabdrücke zu finden.«

»Es gibt keine Fingerabdrücke. Sie tragen alle Handschuhe«, sagte ich.

»Woher weißt du das?«

»Ich war dabei«, antwortete ich. »Die haben versucht, meinen Wagen zu klauen.«

»Und warum hast du sie nicht verhaftet?«

»Ich gegen zwanzig Rowdys mit Baseballschlägern?«

»Ich hätte es gemacht«, prahlte Payne.

»Aber sicher, Mann.«

»Hör mal, hast du noch Fragen, oder kann ich gehen? Ein paar von uns haben noch zu tun«, sagte Payne.

»Irgendwelche Spuren rings um die Stelle, wo der Wagen stand, Frank?«

»Wir haben nichts gefunden.«

»Keine Kippen, Streichhölzer, Bierdosen, irgendwas, was unsere Ganoven zurückgelassen haben könnten?«

»Nein.«

»Brieftasche des Opfers?«

»Schon eingetütet.«

»Ausweis?«

»Nein, nur Geld.«

»Keine Kreditkarten, kein Führerschein?«

»Nein.«

»Wie viel Geld?«

»Fünfhundert Pfund, vielleicht. Hab ich schon eingetütet, wie gesagt.«

»Lass mich mal sehen.«

Payne ging zu einem seiner jüngeren Kollegen, der den Asservatenbeutel holte und mir gab. Ich zog Latexhandschuhe an, nahm die Brieftasche mit dem Geld heraus. Die Brieftasche war an sich nicht interessant, aber es handelte sich um eine ziemliche Menge Geld. Nicht nur britische Pfund, auch irische: zehn frische Zwanziger mit W. B. Yeats darauf. Dazu drei französische 500-Franc-Scheine mit einem scheußlichen Porträt von Blaise Pascal.

Ich zeigte Crabbie das ausländische Geld.

»Ziemlich herumgekommen, unser geheimnisvoller Mann«, sagte Crabbie.

»Ich glaube, er stammt aus Dublin. Das Jackett ist von Thomas Browne in der Nähe der Connolly Street. Wenn wir ihn nicht anders identifizieren, werden die eine Liste ihrer Kunden haben.«

»Haben wir einen Ansatz?«, fragte Crabbie.

»Alle scheinen zu denken, dass es sich um einen aus dem Ruder gelaufenen Autoraub durch einen Joyrider handelt.«

»Joyrider bringen so gut wie nie jemanden um«, sagte Crabbie.

»Kommt aber vor«, beharrte Payne.

»Ja«, räumte Crabbie ein. »Nur komisch, dass sie die fette Brieftasche zurückgelassen haben.«

»Sie haben Panik gekriegt und sind abgehauen«, meinte Payne.

»Was ist mit den Patronenhülsen passiert?«, fragte ich.

»Verschwunden«, sagte Payne.

»Unsere in Panik geratenen Joyrider machen sich die Mühe, die Hülsen aufzuheben?«

»Wenn sie zwei Mal in Brusthöhe auf ihn geschossen haben, dann ist es doch merkwürdig, dass keine der Kugeln das Auto getroffen hat«, sagte Crabbie.

»Woher weißt du denn, dass keine der Kugeln das Auto getroffen hat? Das verfluchte Auto ist doch weg!«, erklärte Payne.

»Tja, soweit ich sehe, gibt es keine Lacksplitter und keine Glasscherben«, sagte Crabbie.

»Und schau dir mal die Kugeln im Beton an«, sagte ich.

Frank Payne verschränkte die Arme. »Also gut, ihr Klugscheißer, was ist denn eurer Meinung nach passiert?«

»Ich will deine Theorie mit dem Joyrider nicht ausschließen, aber mir kommt das wie eine Exekution vor. Mit der ersten Ladung haben sie ihm in den Bauch geschossen, und als er auf dem Boden lag, haben sie ihn mit der zweiten den halben Kopf weggepustet. Schau dir mal all die Kugeln an, die in den Beton eingedrungen sind. Die Waffe war nach unten gerichtet.«

Crabbie nickte. »Keine Glasscherben vom Auto rings um die Leiche. Der erste Treffer tief in die Bauchgegend, der zweite, als er am Boden war. Wenn er bei beiden Schüssen am Auto gestanden hätte, dann hätte es höchstwahrscheinlich die Seitenscheiben zerschossen.«

Frank sah uns beide an und nickte. »Na gut, ihr beiden seid die Experten. Ich sammle nur die Beweise«, meinte er mit gespielter Demut. »Wenn es eine Hinrichtung war, dann besteht keine Möglichkeit, auf fahrlässige Tötung zu plädieren, richtig?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Prima. Wenn die kleinen Scheißer jemanden umbringen, wenn sie noch minderjährig sind, kommen sie nach zwei Jahren wieder raus. Eine Schande, wenn ihr mich fragt. Man sollte den Strick wieder einführen, oder?«

»Vielleicht waren es keine Minderjährigen«, sagte ich.

»Es sind immer die Minderjährigen. Das ganze Land geht vor die Hunde! Die verfluchten Kinder haben einfach keinen Respekt mehr. Das Problem liegt natürlich bei den Eltern, die …«

»Wer immer es getan hat, Crabbie und ich werden ihn finden«, sagte ich, um die Brandrede des Jurors Nr. 3 aus den Zwölf Geschworenen abzuwenden.

»Besser wär’s. Ich fahre einen Mercedes. Ich will nicht, dass er mir geklaut wird«, sagte Frank.

»Wir tun unser Bestes«, sagte ich und hielt ihm die Hand hin, um zu signalisieren, dass die Unterhaltung beendet war.

Er schüttelte sie und nickte. »Also gut, ich sammle meine Leute ein und verschwinde. Heute werden wir bis in die frühen Morgenstunden zu tun haben.«

»Das Böse schläft nie, Francis«, sagte ich.

»Denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er«, fügte Crabbie hinzu.

Payne warf uns einen müden verbitterten Blick zu, machte den Mund auf, um weiter herumzujammern, überlegte es sich aber anders und ging.

»Ich denke, so ist es gelaufen, Sean«, griff Crabbie meine Gedanken auf. »Der erste Treffer hat ihn zu Boden geworfen, und dann haben sie ihn im Liegen erledigt.«

»Warum sollten Joyrider so etwas tun?«, dachte ich laut. »Von Autodiebstahl zu Mord ist schon ein ziemlich großer Schritt.«

»Keine Ahnung. Vielleicht sind sie in Panik geraten?«

»Tja, heben Leute in Panik die Hülsen wieder auf?«

Crabbie schüttelte den Kopf. »Im Allgemeinen nicht, nein. Aber einen Menschen sterben zu sehen, ernüchtert einen manchmal umgehend.«

Das Team der Gerichtsmedizin tauchte auf, um die Leiche ins Royal Victoria Hospital zu bringen. Crabbie und ich besprachen, wie es weiterging. Die Tatsache, dass wir beide seit Jahren keinen großen Fall geleitet hatten, war beunruhigend, aber die ganze Prozedur fiel uns schnell wieder ein: Tatort sichern, Zeugen ausmachen, das Opfer identifizieren, das Haus nach Belastungsmaterial durchsuchen, die Angehörigen verständigen.

Da war nichts dabei. Ach ja, und den Mörder finden. Nicht vergessen.