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Die Picassos

Das Haus war ein großer edwardianischer Kasten mit Blick aufs Wasser. Es war möbliert vermietet worden, deshalb verrieten das alte Ledersofa, die Stühle mit den geraden Rückenlehnen und die Standuhr nichts über Mr Townes’ Persönlichkeit. Ebenso wenig wie die überladene Blümchentapete und der dicke rote Teppichboden, der aus der Vorkriegszeit zu stammen schien.

Oben gab es vier Zimmer, doch drei davon waren offenbar zu Lagerräumen für Leinwände und Farbe umfunktioniert worden. Townes’ Schlafzimmer war ein spartanisch eingerichteter Raum an der Rückseite mit einem Einzelbett und einer Kommode. In einem Wandschrank befanden sich ein paar Hemden, ein schwarzer Rollkragenpullover, ein paar T-Shirts und ein Regenmantel, dazu ein weiterer Maßanzug von Browne & Company. Auch dieser war eine Leinen-Baumwollmischung, cremefarben, leicht und weich.

Die gesamte Rückseite des Hauses war zu einem Atelier umfunktioniert worden. Ein recht netter Wintergarten mit einem riesigen Oberlicht und großen, nach Süden gerichteten Fenstern mit Blick auf den Lough.

Überall standen Townes’ Bilder herum, und um ehrlich zu sein, waren sie nicht fürchterlich interessant. Porträts von Ortsansässigen und Landschaften im Stil von Jack B. Yeats. Die Farben sprangen einen nicht sonderlich an, und die Menschen auf den Bildern wirkten recht leblos (doch um ganz ehrlich zu sein, war dies bei den meisten Menschen in dieser Gegend einfach so).

Crabbie und ich widmeten uns ganz polizeimäßig dem Haus: umfassend, sorgfältig, professionell, doch wirkte es ganz so, als sei es bereits umfassend, sorgfältig und professionell von allem Persönlichen befreit worden. Keine Pässe, kein Führerschein, kein Ausweis vom Videoverleih. Wir fanden keine Briefe, Erpresserschreiben oder Wettcoupons. Kein kleines schwarzes Büchlein mit ausführlichen Angaben zu irgendwelchen Affären, kein Tagebuch, kein aufschlussreicher Stapel Pornohefte, kein normaler Stapel Pornohefte.

Ich streifte ein Paar Latexhandschuhe über und ging zur Mülltonne hinaus. Ich wühlte darin herum, fand aber auch dort keine Belege, nicht mal vom Supermarkt.

»Vielleicht ist er einfach nur jemand, der keine Quittungen aufhebt«, sagte Crabbie.

Wir schauten uns den Kamin an, konnten aber an der Asche nicht erkennen, ob er seine Privatkorrespondenz verbrannt hatte.

»Das ist verflucht merkwürdig«, sagte ich. »Lass uns noch mal von vorn anfangen.«

Also schauten wir ein zweites Mal überall nach, ob sich nicht etwas fand, das uns verriet, woher Mr Townes gekommen war oder woher er stammte.

Nichts.

»Aye«, pflichtete mir Crabbie bei. »Merkwürdig.«

Auch eine erneute Befragung der Nachbarschaft brachte nichts. Ein ruhiger Mann, der sich um seine Sachen kümmerte – das größte Kompliment, das man in Ulster erwarten konnte. Und wenn du dutzendweise Prostituierte in irgendeinem Kellerloch umbringst, Hauptsache, du kümmerst dich um deinen Kram, dann werden dich die Nachbarn schon nicht an die Polizei oder die Fernsehreporter verpfeifen.

Es gab übrigens kein Kellerloch. (Wir hatten nachgeschaut.)

Ich ging wieder hinein und besah mir noch mal die Bilder. Halbfertige Porträts von ortsansässigen Kindern und Familien. Stillleben mit Blumen und Blättern. Ein paar der Landschaftsbilder verrieten ein wenig: Er hatte die Küste von County Antrim ausgiebig gemalt, das Seengebiet von Fermanagh und ein paarmal versucht, Ben Bulben im County Sligo zu malen. Es gab sogar einen nach Monet aussehenden Heuhaufen. Er war also ein wenig herumgekommen.

»Möchtest du einen Tee, Sean?«, fragte Crabbie.

»Aye, okay.«

Crabbie setzte den Wasserkessel auf, und ich ging ins Wohnzimmer, in dem sich ein gutbestücktes Bücherregal befand. Obendrauf lagen ein paar große Kunstbände – Kandinsky, Roy Lichtenstein, Rothko und Jackson Pollock. Nicht gerade Künstler, denen Mr Townes in seinen eigenen Arbeiten folgte.

Über dem Bücherregal hingen zwei womöglich echte Radierungen von Picasso – wenn das stimmte, handelte es sich hier höchstwahrscheinlich um die wertvollste Kunst im Haus. Sie waren recht klein und signiert, aber ich konnte nicht erkennen, ob es sich um Nachdrucke oder um Originale handelte. Ich hielt sie ans Licht und besah mir die Rückseiten, bekam es aber nicht heraus. Sie waren klein und wirkten alt, aber es hätte sich genauso gut um Drucke oder Kopien handeln können. Hm.

Ich schaute mir das Bücherregal an. Solche Regale waren hilfreich, wenn es darum ging, Hinweise auf den Charakter einer Person zu finden. Krimis, Kunstbücher, ein paar Geschichtsbände und eine ziemlich große Sammlung an Penguin Classics. Ich blätterte durch ein paar davon und suchte nach Quittungen oder Lesezeichen, doch fiel nichts heraus.

Der lange sommerliche Sonnenuntergang hatte sein Ende gefunden, und ich schaltete das Licht ein. Zu dieser Jahreszeit wurde es erst gegen elf Uhr abends richtig dunkel, es musste also schon recht spät sein. Ich klopfte auf meine Uhr, aber ich hatte vergessen, sie aufzuziehen. Die Standuhr behauptete, es sei 18.17 Uhr, aber das bezweifelte ich. Im Wohnzimmer gab es keinen Fernseher, kein Radio und keine Stereoanlage, nichts, was ich hätte einschalten können, um nachzuschauen, wie spät es im Rest der Welt war.

»Wie spät ist es?«, rief ich zu Crabbie hinüber.

»Ich kann gerade nicht, ich hab das Revier am Telefon!«, rief er zurück.

Ich ging ans Wohnzimmerfenster und sah auf die Straße hinaus. Es war gespenstisch still. Ich hatte alle Polizisten zurück aufs Revier geschickt, bis auf einen Constable, den ich zur Absicherung des Tatorts abgestellt hatte, und eine Kriminaltechnikerin, die ihre Arbeit zu Ende brachte.

Crabbie kam mit zwei Teetassen ins Wohnzimmer und schaute niedergeschlagen.

»Was ist denn?«, fragte ich.

»Keine Spur von dem gestohlenen Wagen. Und kein Quentin Townes im Wahlverzeichnis, im Strafregister oder bei Interpol. Er hat weder nördlich noch südlich der Grenze unter diesem Namen jemals einen Pass beantragt und auch keinen Führerschein gemacht. Hier, dein Tee. Ich habe sie gebeten, jede uns verfügbare Datenbank anzuzapfen, das hättest du sicher auch gewollt.«

»Aye, hätte ich. Und?«

»Das dauert eine Weile. Sie rufen zurück.«

Ich nahm den Becher und sah misstrauisch. »Keine Kekse, Mann?«

»Kam mir nicht richtig vor, Kekse zu stibitzen«, erwiderte Crabbie.

»Aber du trinkst seinen Tee.«

»Tee ist was anderes«, sagte er mit Bestimmtheit. Crabbie hatte feste moralische Grenzen, und wenn man ihn nicht aufregen wollte, dann fragte man ihn besser nicht nach den genauen Koordinaten dieser Grenzen.

»Kann sein. Siehst du die Zeichnungen da drüben? Die kleinen Dinger?«

»Ja.«

»Picassos.«

Selbst Crabbie wusste, wer Picasso war. Er verschluckte sich fast am Tee.

»Originale?«

»Weiß ich nicht, aber ich glaube schon.«

»Die könnten Millionen wert sein!«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das sind nur Radierungen. Davon hat er in seinem Leben hunderte angefertigt. Tausende. Ein paar Pfund sind sie auf jeden Fall wert, aber nicht Millionen.«

»Mr Townes hatte also Geld.«

»O ja. Er fährt einen nagelneuen Jaguar. Er mietet ein großes Haus mit Blick aufs Meer in der nettesten Gegend von Carrickfergus. Er trägt Maßanzüge und besitzt zwei Picassos. Ja, sieht ganz so aus.«

Wir tranken unseren Tee und dachten nach.

»Ich hab eine Frage an dich. Von unserem Johnnie. Er meinte, ich soll mal Onkel Sean fragen.«

»Schieß los.«

»Welcher Posaunist hat den höchsten IQ

»J. J. Johnson?«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. (J. J. Johnson war als Genie an der Posaune bekannt.)

»Glenn Miller«, sagte Crabbie mit einem Funkeln in den Augen, was bedeutete, dass wir gleich eine Rarität zu hören bekamen: einen Witz von Sergeant John McCrabban.

»Warum Glenn Miller?«, gab ich das Stichwort.

»Na ja, Glenn Miller hat die Big Band Theory aufgestellt«, sagte Crabbie, und auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln, das ein wenig an ein uraltes Schiff erinnerte, das knarrend an einem Riff zerschellte.

Man konnte gar nicht anders, als mitlachen.

»Der ist wirklich gut. Kannst Johnnie sagen, er hat mich reingelegt.«

»Mach ich.«

»Ah, das Telefon.« Ich ging dran, doch vom Revier gab es nur weitere negative Meldungen. »Keine Spur von Quentin Townes in irgendeiner uns bekannten Datenbank«, teilte ich Crabbie mit.

»Was ist mit dem Auto?«

»Immer noch nichts.«

»Vielleicht ist er ein Fälscher«, sagte Crabbie und besah sich die Bilder im Wohnzimmer.

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. »Hm, die Idee gefällt mir. Er fälscht ein Meisterwerk, der Händler nimmt das Bild an und schickt einen Killer, damit keine Gerüchte über die mögliche Herkunft durchsickern.«

»Könnte doch sein.«

Ich schüttelte den Kopf. »Aber würde es dann nicht irgendwelche Vorstudien und Entwürfe dieses besagten Meisterwerks geben? Wir haben aber nichts Derartiges gefunden. Keine Entwürfe im Stil eines verloren geglaubten Rembrandt.«

»Er hat sie verbrannt, genau wie all seine Quittungen und Briefe. Er ist ein umsichtiger Mann.«

»Aye, okay, könnte sein. Trinken wir aus und schauen uns noch mal die Bilder an.«

Wir gingen wieder ins Atelier, aber dort sah es aus wie beim ersten Mal. Ganz gewöhnliche Gebrauchsware. Keine heimlichen Meisterwerke oder Zeichnungen und Skizzen dazu.

Zurück ins Wohnzimmer.

In dieser seiner persönlichen Umgebung, an seinem Rückzugsort, bevorzugte er die Arbeiten anderer Künstler.

Ein gerahmter Druck von Rothko, eine sehr große Reproduktion von Gauguin, das Plakat einer Ausstellung von Spätimpressionisten in der National Gallery und die beiden Picassos.

»Was hältst du davon?«, fragte ich Crabbie.

Er zündete sich die Pfeife an, schmauchte vor sich hin und betrachtete mit mir gemeinsam die Bilder.

»Nicht so mein Geschmack, Sean«, meinte er schließlich.

Die Picassos waren zwei Zeichnungen oder Radierungen von einem bärtigen Mann und einer Frau – beide nackt. Sie waren etwa so groß wie ein großes gebundenes Buch, und wenn es sich um Originale handelte, waren sie sicher ein paar Pfund wert.

Ich ging hinaus zur Kriminaltechnikerin, lieh mir ihre Polaroidkamera aus und fotografierte die beiden Picassos.

»Wozu soll das gut sein?«, fragte Crabbie.

»Die zeige ich Archie Simmons, der wird wissen, ob sie echt sind oder nicht.«

»Oder er wird dir sagen, dass es Fälschungen sind, schnappt sie sich für ein paar Pfund bei der Hausauflösung und verkauft sie für ein paar Millionen.«

Archie war tatsächlich nicht der vertrauenswürdigste Mensch auf Erden.

Ich besah mir den großen Gauguin. Er schien den Titel D’où Venons Nous? Que Sommes Nous? Où Allons Nous? zu tragen. Also: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?

Die übliche polynesische Szenerie in gedeckten Farben und mit merkwürdig dargestellten Gestalten. »Liegt das an mir, oder ist Gauguin nicht so besonders?«

Crabbie schaute das Bild an. »Na ja, ich bin kein Experte …«

»Aber du weißt, wenn dir was gefällt.«

»Aye.«

»Und das?«

»Überhaupt nicht mein Geschmack. Gauguin? Der Name kommt mir bekannt vor.«

»Ein Freund von van Gogh. Hat die Familie verlassen, um Maler zu werden, und ist in die Südsee gezogen.« Ich unterdrückte ein Gähnen und schaute aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu nieseln, und der Mond war hinter den Wolken verschwunden. »Wie spät ist es?«

»Viertel vor zwölf.«

»Wir sollten verschwinden, Crabbie«, sagte ich. »Hier kommen wir nicht weiter. Morgen früh in alter Frische.«

»Du bist der Boss, Sean. Ich könnte jedenfalls eine Mütze Schlaf brauchen.«

»Die Picassos können warten.«

Wir spülten gerade die Tassen ab und wollten schon zur Tür hinaus, als wir dem Chief Inspector über den Weg liefen. Pech gehabt.

»Ich bin überrascht, Sie zu sehen, Sir. Ich dachte, Sie wollten nach Hause, Sir. Ich hätte Ihnen sonst einen Tee gekocht.«

»Ich war zu Hause. Ich bin wieder hergekommen. Ich bringe Neuigkeiten.«

»Gute Neuigkeiten?«

»So lala. Haben Sie sich gerade über Kunst unterhalten?«, fragte er und warf McCrabban einen leicht erstaunten Blick zu.

»Ein wenig Kunstkritik. Ein paar Worte über Jazzposaunisten.«

»Ich habe das Wort Picasso aufgeschnappt.«

Ich zeigte ihm die Radierungen, über die wir uns unterhalten hatten. McArthur beugte sich vor, um eine davon zu berühren.

»Vorsicht, Sir, wir glauben, dass sie womöglich echt sein könnten«, sagte ich.

McArthur riss seinen Finger zurück wie ein ertappter Schuljunge.

»Was ist das Zeug wert?«, fragte er und deutete auf die Bilder an den Wänden des Wohnzimmers.

»Nichts, bis auf diese beiden.«

»Nächste Angehörige?«

»Leider haben wir keine Ahnung.«

»Keine Ahnung?«

»Wir glauben, dass Quentin Townes vielleicht ein Künstlername ist.«

»Tatsächlich?«

»Ja, Sir. Er ist nicht im Wählerverzeichnis aufgetaucht, und als wir Namen und Adresse durch den Führerscheincomputer gejagt haben, kam nichts dabei heraus. Keine Kreditkarten, keine früheren Kredite, kein Bankkonto. Er scheint keine Sozialversicherungsnummer gehabt zu haben, und bei Interpol findet sich ebenfalls nichts.«

»Und wie hat er seine Rechnungen bezahlt? Das Licht brennt zumindest.«

»Hat sich bar bezahlen lassen, hat alles bar bezahlt.«

»Ganz schön mysteriös, das Ganze«, sagte McArthur.

»Ja. Es scheint keinen Mr Townes zu geben.«

»Warum sollte er so etwas tun, was glauben Sie? Sich als jemand anderer ausgeben?«, fragte McArthur.

»Um der Ex keine Alimente zahlen zu müssen?«, schlug ich vor.

»Eine Art Versicherungsbetrug?«, warf Crabbie ein.

McArthur runzelte die Stirn.

»Aber Sie sagten, Sie hätten Neuigkeiten, Sir?«, fragte ich.

»Ah, Duffy, ja. Ich bringe tatsächlich Neuigkeiten. Townes’ Wagen ist ausgebrannt in der Sozialsiedlung Glenfield gefunden worden. Zu Schrott gefahren, so die Jungs von der KT, danach ein Molotow-Cocktail auf den Rücksitz.«

»Fingerabdrücke?«

»Keine. Das ganze Ding ist bis auf das Metallgerippe ausgebrannt. Brandbeschleuniger, dann die Benzinbombe.«

»Ziemlich professionell für minderjährige Hooligans«, bemerkte ich leicht skeptisch.

»Die Kleinen von heute sind gewiefter als früher, Sean. Und die hier wissen, dass sie nicht nur einen Autodiebstahl an der Hacke haben, sondern auch noch einen Mord, kein Wunder, dass sie da Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben«, sagte Crabbie.

»Na, schätze, wir sollten mal dorthin fahren, Sergeant McCrabban. Möchten Sie, ähm, möchten Sie mitkommen, Sir?«, fragte ich zögerlich.

»Ja, gern«, antwortete McArthur ganz begeistert. »Wenn ich nicht im Weg herumstehe? Außerdem könnte ich eine Mitfahrgelegenheit gebrauchen. Ich bin zu Fuß von zu Hause gekommen.«

Der Chief Inspector war ein begnadeter Verwaltungsmensch, der auf die Polizeiakademie in Hendon gegangen war und diese als einer der Besten seines Jahrgangs abgeschlossen hatte. Er war Schotte, sah besser aus und war jünger als Crabbie und ich, aber er musste wohl enttäuscht darüber sein, nach all den Jahren noch immer Chief Inspector und in Carrickfergus zu sein. Seine Ortskenntnisse waren nicht die besten, und er war kein Genie, dennoch hätte er durchaus davon ausgehen können, mittlerweile Chief Superintendent zu sein. Aber das Geheimnis des Lebens bestand ja nun mal darin, mit Niederlagen klarzukommen.

Wenn ich seinen Job gehabt hätte, hätte ich nicht um Mitternacht an feuchtklammen Tatorten herumgehangen, wenn es sich vermeiden ließ. Seine Schwiegereltern mussten ja noch schlimmer sein, als ich dachte.

»Es wird wahrscheinlich ziemlich langweilig werden, Sir«, fügte ich noch an, doch er nickte nur mürrisch und folgte uns hinaus.

McArthur wusste natürlich nicht, dass seine Beförderung zum Superintendent nur deswegen nicht fällig geworden war, weil ich wollte, dass er in Carrickfergus blieb, und Special Branch gedrängt hatte, mir das Leben in den Jahren als Agentenbetreuer leichter zu machen, indem sie ihn vor Ort beließen und mir nicht diesen Trottel von Dalziel vor die Nase setzten. Der arme Kerl wusste nicht, dass ich daran schuld war, dass sein Weg die Karriereleiter hinauf sein Ende gefunden hatte. Immerhin hatte ich dafür sorgen können, dass ihm das Gehalt eines Superintendent gezahlt wurde, was zwar nicht dasselbe war, aber besser als nichts.

Wir verließen das Haus und wurden sofort von einer mir unbekannten jungen Polizistin abgefangen.

»Sind Sie Inspector Duffy?«, fragte sie.

»Und wer will das wissen?«, entgegnete ich misstrauisch.

»WPC Green. Sie haben um die Anrufliste der Telefongesellschaft für diese Adresse gebeten«, sagte sie und reichte mir ein Blatt Papier.

»Sehr tüchtig, danke, Constable Green«, sagte ich.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir«, sagte sie. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«

»Ach, tatsächlich?«, fragte ich.

Ein Bubikopf aus schwarzen Locken steckte unter ihrem Käppi, ihre Wangen waren blass, die Augen blau. Sie war sehr schön.

McCrabban spürte, dass Gefahr drohte, und nahm ihr das Blatt ab. »Vielen Dank, Constable Green«, sagte er. »Achten Sie darauf, unter Ihrem Dienstwagen nach Sprengsätzen zu schauen, bevor Sie zum Revier zurückfahren.«

Sie nickte und ging zu ihrem Wagen zurück. Crabbie reichte mir die Liste. Sie weckte sofort meine Aufmerksamkeit, denn die Nummern waren sehr merkwürdig.

Ich zeigte sie Crabbie. »Seltsam«, sagte er.

»Was denn?«, fragte der Chief Inspector. Ich reichte ihm das Blatt und entzifferte ihm alles für den Fall, dass er ein wenig begriffsstutzig war.

»Das Haustelefon ist seit etwa zweieinhalb Monaten angeschlossen. Er hat etwa hundert Telefonate geführt und ungefähr dieselbe Menge an Anrufen erhalten.«

»Okay.«

»Die eingehenden Anrufe kamen von Läden für Malereibedarf, vom Stromversorger, von einem Zeitschriftenhändler, einem Installateur – das Übliche. Und ein paar der ausgehenden Telefonate waren ebenfalls dieser Art, aber schauen Sie sich mal diese Nummer hier an. Fast die Hälfte aller eingehenden und ausgehenden Telefonate wurde mit einer einzigen Nummer geführt. Eine Telefonzelle in der Point Road in Dundalk.«

»Dundalk?«

»Dundalk«, wiederholte ich.

»Okay. Ist das irgendwie signifikant oder verdächtig oder so etwas?«, fragte McArthur.

»Ja, ich würde sagen, das ist ziemlich verdächtig, was meinen Sie, Sergeant McCrabban?«

»Ziemlich verdächtig, aye«, pflichtete er mir bei.

»Und warum um Himmels willen?«, fragte McArthur.

»Nun, Dundalk liegt in der Republik Irland …«

»Das weiß ich doch«, behauptete McArthur.

»Und dort hat der Armeerat der IRA seinen Sitz. Ein Großteil der oberen Ränge der IRA hat Belfast verlassen und ist nach Dundalk gezogen. Auf diese Weise sind sie immer noch in der Nähe und empfangen das nordirische Fernsehen und Radio, sind aber sicher vor Belästigungen durch Polizei und Armee.«

»Die SAS ist schon ein paarmal über die Grenze gegangen«, widersprach McArthur.

»Aber stets nur zu Blitzüberfällen auf kleine Dörfer oder Farmen direkt an der Grenze. Nie war eine größere Stadt wie Dundalk betroffen«, sagte ich.

»Selbst die örtliche Polizei lässt sie in Ruhe. Dundalk ist eine Hochburg der IRA. Die haben die Stadt praktisch in der Hand«, ergänzte Crabbie.

»Sie sehen also, Sir, wenn unser Opfer jede Menge Anrufe von einer Telefonzelle in der Point Road in Dundalk aus erhalten hat, dann ist das äußerst verdächtig«, sagte ich.

»Könnte er in irgendeiner Funktion für die IRA gearbeitet haben?«, fragte McArthur.

»Das könnte sehr gut sein«, erwiderte ich und war froh darüber, dass er es schließlich kapiert hatte.

»Aber als was?«

»Geldwäscher, Fälscher, alles Mögliche.«

»Sie glauben also, dass an diesem Autodiebstahl mehr dran ist, als es den Anschein hat.«

Und ob ich das tat.

Ich klopfte dem Chief Inspector auf die Schulter. »Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Allerdings sollten wir das im Hinterkopf behalten. Jetzt schauen wir uns erst mal den ausgebrannten Jaguar an.«