Ich hielt vor dem Denkmal auf Knockagh Mountain. Es handelte sich um einen massiven Obelisken aus Granit, der zu Ehren der Toten aus den beiden Weltkriegen hier aufgestellt worden war.
Seit ich nach Carrickfergus gezogen war, war ich schon häufig hier oben gewesen. Ein toller Ort, um einen Joint zu rauchen und die Aussicht zu genießen; man konnte endlos weit schauen. In einer sternklaren Nacht konnte man im Norden die Flugzeuge sehen, die auf dem Prestwick Airport bei Glasgow landeten, und an klaren Tagen sah man weit im Süden die Mountains of Mourne.
Aber ich war nicht hier, um einen Joint zu rauchen und die Aussicht zu genießen. Ich war hier, um einen Mörder zu fangen.
Also der typisch halbgare Plan des überschwänglichen, blöden Duffy.
Duffy, das muss man festhalten, war ein Mann, der mit sich selbst auf Kriegsfuß stand. Der erwachsene, verantwortungsbewusste Familienmensch aus dem Vorort, der mit dem durchgeknallten Volltrottel haderte, der bei der erstbesten Gelegenheit nach Ärger Ausschau hielt. Ich fragte mich, ob wohl alle Männer so waren und ob es jemanden gab, mit dem man darüber reden konnte. Gewiss nicht mit Crabbie – wenn die Unterhaltung zu persönlich wurde, dann konnte man sehen, wie der große Kerl nach dem nächsten Ausgang suchte.
Da hast du ganz schön dran zu arbeiten, Duffy, aber richtig.
Wenn du bei diesem kleinen Abenteuer nicht umkommst.
Ich versteckte den BMW im Schatten neben der Steinmauer, die die Schafweide begrenzte, dann rannte ich die Knockagh Lane hinunter und wartete im Gestrüpp.
Ich wusste, dass er kommen würde.
Du brichst ja nicht bei einem Polizisten ein und verwanzt sein Telefon mit einem sündteuren Stück, nur um dann wegzubleiben, wenn der Polizist einen Informanten treffen will, der ihm verraten wird, wer du bist.
Er war gewieft, er kannte sich aus und hatte Zugang zur besten Ausrüstung, aber ich würde ihn mit guter altmodischer Polizeiarbeit drankriegen. Mit einer klassischen Falle.
Aber Sie wissen schon – ungelegte Eier, also klopfte ich schnell auf Holz.
Ich wartete zehn Minuten lang und schaute hinüber zu der Straßenbeleuchtung in Schottland, die übers schwarze Wasser funkelte.
Die Nacht war still und kalt, und ich konnte das Motorrad aus zwei Meilen Entfernung hören. Eine Norton? O ja. Ich möchte ja nicht behaupten, dass ich Experte in Sachen Motorräder bin, aber ich kenne meine Triumph, und ich kenne meine Norton. Wer nicht? Das waren doch die klassischen Dualitäten, von denen ich immer faselte. Liverpool/Manchester United. Sclaverandventil/Autoventil. Beatles/Stones. Triumph/Norton.
Über die Jahre habe ich bei irgendwelchen Observierungen zahllose langweilige Unterhaltungen über die jeweiligen Vorzüge der beiden Firmen und ihrer Maschinen geführt. Das war keine rein akademische Frage; beide Firmen gingen in den Siebzigern zwar pleite, tauchten in den Neunzigern aber wieder auf und bauten Motorräder in kleinen, aber profitablen Stückzahlen. Ich war für Triumph. Die Norton hatte einen Ruf, gut auszusehen, aber schon bei leichtestem Druck zu kapitulieren. Ich hatte schon Nortons gefahren, sehr coole Maschinen, aber ich traute ihnen nicht zu, mich auch nur bis zur nächsten Frittenbude zu bringen. Brandos Motorrad in Der Wilde? – Triumph. James Deans Lieblingsmaschine? Steve McQueens Untersatz in Gesprengte Ketten? Mit welchem Motorrad sprang Evel Knievel durch den Brunnen beim Caesars Palace … Sie verstehen schon, was ich meine. Und welches Motorrad brach andauernd zusammen, als Che Guevera durch Südamerika fuhr? Eine blöde Norton, richtig? Diese spezielle Norton Commando knatterte unverkennbar über die Nebenstraße auf mich zu.
Mich überraschte die Arroganz dieses Scheißkerls.
Obwohl bekannt war, dass er dieses große, schwarze, lärmende Ding fuhr, hatte er sie nicht beseitigt. Nicht verbrannt. Hybris. Klar, es gab vielleicht achttausend Stück davon in Irland, aber trotzdem war er ziemlich dreist, verflucht.
Auf meiner Uhr war es fünf nach halb eins. Er hoffte, eine halbe Stunde früher hier zu sein und uns überraschen zu können.
Er kam mit siebzig Sachen die Knockagh Lane entlang und blieb rutschend vor dem Ehrenmal auf dem leeren Parkplatz stehen.
Ich sah, wie er den Motor ausschaltete und die Maschine im Schatten abstellte.
Ich sah zu, wie er sich vorsichtig umschaute und dann auf die Uhr sah.
Ja, das war mein Mann. So viele Zufälle konnte es gar nicht geben. Das war nicht nur der Mann, der mein Telefon verwanzt hatte, das war der Mörder.
Ich konnte mir schon Lawsons hübsches, unschuldiges, sonnenverbranntes Gesicht am Sonntagabend vorstellen.
Holen Sie mich etwa am Flughafen ab, Sir? Das hätten Sie aber nicht tun müssen. Na, jetzt können Sie ja nach Schottland zurückfahren, Sir, ich übernehme den Fall. Tut mir leid, Lawson, aber Sie sind zu spät. Ich hab ihn erwischt. Er hat alles gestanden. Ha, ha. Alter Hund, neue Tricks, hm, Junge?
Ich ertappte mich dabei, dass ich wohl bei diesem nicht ganz so inneren Monolog laut mit mir selbst gesprochen hatte. Mist, war ich betrunkener, als ich dachte?
Zeit zum Angriff.
Ich zog die Glock aus dem Schulterhalfter und ging langsam auf den Mann zu.
»Carrickfergus RUC! Hände hoch!«
Er wirbelte herum und sah mich.
»Keine Bewegung, du Arschloch! Du bist fällig, Kumpel. Hände hoch, verdammt. Sofort! Hände hoch, oder ich schieße!«
Meiner Erfahrung nach gaben Kriminelle auf, wenn sie vor einem Polizisten mit geladener Waffe standen. Lieber vor Gericht als auf der Stelle tot, richtig? Allerdings war dieser Kerl aus demselben Holz geschnitzt wie die Kerle auf dem Campingplatz, das hätte ich vorhersehen müssen. Statt die Hände in die Luft zu recken, zog er zwei Pistolen aus dem Hosenbund und schoss auf mich. Er war so schnell, dass er mich kurz überraschte, doch dann ließ ich mich zu Boden fallen. Und der Kerl schoss weiter. Kugeln pfiffen mir in der Dunkelheit um die Ohren.
»Himmel!«
Die Schießerei war vorbei und ich blickte auf. Der Mann rannte zu seinem Motorrad.
»Stehen bleiben oder ich schieße!«, rief ich.
Der Mann rannte weiter.
Ich schoss, zielte in seine Richtung, traf den Mistkerl aber nicht.
Irgendwie hatte er es geschafft, an die einzige Norton 750 zu geraten, die beim ersten Kick ansprang.
Er raste die Knockagh Lane entlang, ich stürzte los und fummelte in der Hosentasche nach den Autoschlüsseln.
Mein BMW sprang ebenfalls sofort an, aber ich musste erst wenden.
Ich fuhr die Knockagh Lane entlang; an der Kreuzung blieb ich stehen und lauschte. Kein verdammtes Motorrad zu hören. Links oder rechts? Aber egal, was auch immer ich in dieser verfluchten Nacht wählte, würde falsch sein, richtig? Links nach Belfast. Rechts aufs Land hinaus.
Nach Belfast.
Ich fuhr nach links, folgte der Straße eine halbe Stunde lang, aber natürlich holte ich kein Motorrad mehr ein.
Dann fuhr ich zurück zum Parkplatz am Ehrenmal und sammelte die Patronenhülsen ein.
Wie weiter?
Verdammt, war ich fertig. Ich sollte nicht fahren. Ich sollte keine Waffe in der Hand halten. Für so etwas konnte ich rausgeschmissen werden.
Wie weiter?
Ich hatte keine Wahl. Ich musste die örtliche Polizei herrufen und Special Branch die Wanze melden.
Ich fuhr vorsichtig nach Hause, kochte mir einen Kaffee und fuhr aufs Revier.
Crabbie war noch immer da.
Und er war noch immer sauer auf mich.
»Tu mir einen Gefallen, Crabbie, und schau mal, ob du einen gewissen Superintendent Anthony Clare an die Strippe kriegst. Er arbeitet für Jill Dumont bei der Geheimdienstabteilung Special Branch.«
»Ich schau nach«, sagte Crabbie.
»Und wenn du ihn findest, berichte ihm von der Wanze in meinem Haus. Und dann schicke ein KT-Team zum Ehrenmal Knockagh. Ich habe versuchte, den Verdächtigen hinzulocken, aber es hat nicht funktioniert.«
»Du bist alleine in diesem Zustand für eine Observierung den Knockagh Mountain hinauf?«
»Und welcher Zustand wäre das?«
»Du bist völlig fertig, Sean.«
»Ach ja?«, fragte ich aggressiv.
»Ja. Geh nach Hause ins Bett, Sean, ich kümmere mich um alles hier. Und wenn du ausgeschlafen hast, schicke ich dir Special Branch nach Hause.«
»Nein, das ist keine Nacht zum Schlafen, packen wir’s an.
»Ich finde, du solltest nach Hause in dein eigenes Bett gehen, Sean. Dir zuliebe.«
Ich drehte mich abrupt zu ihm um. »Was zum Teufel meinst du damit?«
»Nichts. Ruh dich aus«, antwortete er ruhig.
»Du hast gesagt, geh nach Hause in dein Bett. Was meinst du damit?«
»Nichts. Gute Nacht, Sean«, sagte er, schloss die Tür hinter sich und ließ mich in Lawsons Büro stehen.
»So ein Arschloch. Selbstgefälliger, presbyterianischer Mistkerl!«, knurrte ich.
Ich goss mir drei Finger breit Whisky ein und leerte es in einem Zug.
Dann setzte ich mich hin.
Mir schwirrte der Kopf.
Ich schenkte nach, stand auf und stürmte in den Einsatzraum. Die Praktikanten, die mit einem Donnerwetter rechneten, stoben auseinander. Gute Instinkte.
»Wo bist du, John?«, brüllte ich.
Keine Antwort.
»Wo bist du?«
Immer noch keine Antwort.
»Dann versteck dich eben! Und ja, kümmer du dich drum, Mann. Kümmer du dich drum, verdammt!«, brüllte ich, schlug mit der Faust auf den Tisch und stürmte hinaus zum BMW. Betrunken fuhr ich nach Hause.
»Vielleicht habe ich ja Glück, komm von der Straße ab und stürze ins Meer«, sagte ich zu Spiegel-Duffy.
Aber Spiegel-Duffy, dieser hinterlistige, hinterhältige blöde Kerl, war nicht da.