16

Der zweite Mord

Samstagmorgen. Kaffee. Toast. Im Radio liefen die Nachrichten. In der Nacht hatte die IRA eine Autobombe vor dem Europa Hotel in Belfast abgestellt und durch die Explosion massiv beschädigt. Sie hatte zwanzig Minuten vorher eine Warnung abgegeben, genug Zeit, um die Gegend zu evakuieren, und es war niemand verletzt worden. Es war das neunte Mal, dass das Europa Hotel seit Beginn der Troubles angegriffen worden war. Das zweite Mal in diesem Jahr. Überall sonst wäre das die Meldung des Tages gewesen, hier im Radio kam sie erst an vierter Stelle.

Dennoch erinnerte mich das an etwas. Etwas, um das ich mich kümmern musste.

Als das Europa Hotel das letzte Mal angegriffen worden war, war ich mit der lächerlichen Aufgabe betraut worden, einen Beamten des Sozialamts zu begleiten, der einen Bescheid zustellen sollte. Das Sozialamt strich einem jungen Burschen die Stütze, weil ein Foto auf der Titelseite des Belfast Telegraph ihn dabei zeigte, wie er auf der Baustelle des Europa arbeitete. Allerdings wohnte der Bursche in einer finsteren Gegend, und das Sozialamt hatte Angst davor, jemanden ohne Schutz dort hinzuschicken. Also wurde die Polizei gerufen. Also ich.

Wir hatten die Wohnung des Burschen schnell gefunden. Er war ein Einzelgänger, der bei seiner Großmutter in der schlimmsten Sozialbausiedlung in Rathcoole wohnte – armer Kerl. Eine alte Dame war an die Tür gekommen. »Ja?«

»Wir suchen nach Michael Forsythe.«

»Michael, die Polizei will dich sprechen.«

Forsythe: dürr, gutaussehend, nervös, mit wildgefährlichen blauen Augen. Als Regionalboss bei den Paras oder welcher Seite er sich auch immer anschließen sollte, würde er sich gut machen. Es wäre besser, ihn in Lohn und Brot zu halten und ihm nicht die Stütze zu kappen – aber was kümmert sich das Sozialamt schon um das langfristige Wohl der Gesellschaft? Der Beamte hatte Forsythe darüber informiert, dass er sich entweder endgültig von der Stütze verabschieden könne oder ein Verfahren am Hals hätte. Forsythe entschied sich für Ersteres. Der Beamte zog zufrieden ab, ich blieb noch und trank den Tee der alten Dame. Ich hatte nicht vor, den jungen Burschen durchs Raster fallen zu lassen. »Was hat du jetzt vor?«, hatte ich ihn gefragt.

»Na, zur Armee kann ich ja wohl nicht zurück, oder?«

»Was ist denn in der Armee passiert?«

»Ich hab einen Laster geklaut, und die haben mich rausgeschmissen.«

»Aye, das war’s dann wohl.«

»Und hier gibt’s ja keine Arbeit.«

Nein, die gab es nicht. Ich aß ein Stück Karottenkuchen, der ziemlich gut war. Der Bücherschrank war voller Taschenbücher. Sie gehörten dem Burschen, nicht der Großmutter. Er war belesen. Das gefiel mir. Seine Platten waren auch nicht so schrecklich. Natürlich stand da jede Menge Krempel aus den Achtzigern, aber daran ließ sich nichts ändern, und zumindest hatte er alle Platten von Led Zeppelin.

Ja, er machte einen recht guten Eindruck. »Sind wir uns schon mal begegnet?«, fragte ich ihn.

»Ich glaub nicht.«

»Bist du schon mal in Carrickfergus verhaftet worden?«

»Nie.«

»Das ist gut. Hör mal, mir tut das ehrlich leid. Das ist schon verdammtes Pech, auf der Titelseite des Belfast Telegraph zu landen, wo einen der zuständige Beamte vom Sozialamt sieht und dieser Beamte auch noch ein Mistkerl ist. Hast du irgendwelche Pläne?«, fragte ich.

»Ich habe einen Freund in Amerika. In New York. Er meint, er kann mir einen Job besorgen.«

»Als was?«

»Barkeeper.«

»Klingt gut.«

»Ich hab n bisschen Geld gespart, aber ich brauch noch hundertfünfzig Pfund für das Touristenvisum und das Flugticket.«

»Du willst mit einem Touristenvisum arbeiten? Ist das nicht …«

»Das machen doch alle.«

»Na dann … hundertfünfzig hast du gesagt?«

Er nickte. Ich zückte meine Brieftasche und zählte fünf Zwanziger und einen Fünfziger ab.

»Echt jetzt?«

»Echt jetzt. Aber lass mich bitte nicht dumm dastehen. Ich will dich nicht nächste Woche im Dobbins sehen, wie du dich mit deinen Kumpels besäufst.«

»Mach ich nicht. Ich gehe nach Amerika. Ich arbeite für Darkey White. Aber tun Sie mir einen Gefallen? Schauen Sie ab und zu mal bei meiner Oma vorbei?«

»Mach ich.«

Danach hatte ich Michael Forsythe ganz vergessen; bis heute Morgen. Ein Versprechen muss man auch halten. Ich zog mich an, fuhr nach Rathcoole und schaute bei seiner Oma vorbei. Sie war eine rüstige alte Dame, ging zur Kirche, pflegte ihre Topfpflanzen und backte. Ich fragte sie, wie es ihr ging, und sie antwortete, dass es ihr gut ginge.

»Und was macht Ihr Enkel in Amerika?«

»Dem geht es bestens. Er hat seine eigene Wohnung und alles.«

»Das ist gut.«

»Er hat das hier für Sie geschickt, falls Sie noch mal vorbeikommen. Das hat sein Freund Tommy gestern vorbeigebracht. Kennen Sie den großen Tommy?«

»Nein, tut mir leid.«

Sie nahm einen Briefumschlag vom Kaminsims, der adressiert war an »Sean Duffy von der RUC«. Im Umschlag steckten drei Fünfziger und eine Notiz, die Tommy wahrscheinlich ausgedruckt hatte und auf der stand: »Ihr Name ist hier in ein paar merkwürdigen Kreisen aufgetaucht, Duffy. Ich bin gefragt worden, ob ich Sie kenne, aber ich habe nein gesagt. Falls Sie jemals nach Amerika kommen, würde ich vorsichtig sein, wenn ich Sie wäre.«

Ich besah mir verblüfft diesen Brief.

»Wo kann ich diesen Tommy finden? Ich muss mehr darüber wissen«, fragte ich die Oma, aber die Belfaster Omertá hatte bereits eingesetzt. Jetzt war sie sich nicht mal mehr sicher, ob er Tommy oder Tony hieß.

»Haben Sie eine Telefonnummer von Michael?«

Nein, die hatte sie auch nicht.

Ich gab ihr meine Nummer und bat sie, mich jederzeit anzurufen, Tag und Nacht. Als ich ging, stopfte ich die Fünfziger in ihre Spardose, als sie nicht hinschaute, und verabschiedete mich.

Ich fuhr aufs Revier, aber ich war völlig verblüfft über diesen kleinen Zwischenfall und fragte mich, ob das irgendwas mit meinem Fall zu tun hatte.

Amerika?

Und was zum Teufel trieb dieser Michael da drüben?

Ich dachte an die verfluchte CIA-Wanze. Das alles hing irgendwie zusammen. Das war Spionageterritorium. Und ich war aus dem Spionageterritorium verbannt worden, hatte keine Kontakte, und es gab keinen Weg zurück.

Ich kaute das alles durch, als das Telefon in Lawsons Büro beharrlich klingelte.

Ich stellte das Whiskyglas ab.

»Carrickfergus CID, Duffy am Apparat.«

»Duffy, ich bin’s, Superintendent Clare.«

»Guten Morgen, Sir, kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Nein. Wir haben alles unter Kontrolle«, sagte er mit jener besonderen Arroganz eines Detective Superintendent von Special Branch.

»Und was verschafft mir das Vergnügen Ihres Anrufs, Sir?«

»Zwei Dinge, Duffy. Erstens habe ich gehört, Sie waren beim Leichenschmaus?«

»Ja, Sir, ich habe gehofft, ich würde ein paar Informationen aufschnappen.«

»Und – haben Sie?«

»Nein.«

»Ich hätte mich neulich klarer ausdrücken müssen. Man sollte sich seinen Untergebenen gegenüber immer sehr klar ausdrücken, um Missverständnissen vorzubeugen. Wir sind dabei, ein Gespräch mit Mr O’Roarke einzufädeln, und Ihr Ausflug hat das gefährdet. Offenbar haben Sie den Mann verärgert, während er den Tod seines Freundes betrauerte.«

»Das tut mir leid, Sir«, sagte ich kleinlaut.

»Sie haben sich außerdem in Gefahr gebracht. Die Republik Irland ist nicht der richtige Ort für einen Detective der RUC, um dort herumzuscharwenzeln.«

»Nein, Sir.«

»Nun, glücklicherweise sind die Verhandlungen über ein Gespräch wieder in der Spur, und glücklicherweise haben Sie sich nicht umbringen lassen.«

»Ja, Sir.«

»Also gut, Duffy. Ich verabschiede mich.«

»Einen Augenblick, Sir. Sie meinten, es gäbe zwei Sachen, über die Sie reden wollten?«

»Ach ja. Es hat einen zweiten Mord gegeben, der möglicherweise mit unserem Fall zu tun hat. Ich glaube es zwar nicht, aber manchmal muss man um die Ecke denken, oder? Kennen Sie Eileen Cavanagh?«

»Das kann ich nicht behaupten.«

»Sie ist in unseren Akten. Sie wird verdächtigt, in den letzten zehn Jahren an sechs Morden beteiligt gewesen zu sein. Verdächtigt, wohlgemerkt, aber es hat nie einen echten Beweis gegeben.«

»Was hat denn ›beteiligt‹ zu bedeuten?«

»Sie war ein rangniedriges Mitglied. 1985 war sie in Libyen. Dort stellte sich heraus, dass sie eine geniale Scharfschützin war.«

»Ich verstehe. Und jetzt ist sie tot?«

»Ist heute früh ermordet worden. Ich bin gerade am Tatort.«

»Wie kommen Sie darauf, dass der Fall mit Brendan zu tun haben könnte?«

»Ähnliche Umstände wie bei Locke. Sie lebte unter falschem Namen in South Belfast. Ich schaue mir gerade die Liste der Anrufe an.«

»Sie hat ziemlich häufig eine öffentliche Telefonzelle in Dundalk angerufen, richtig?«

»Richtig. Hören Sie, ich habe mich nach Ihnen erkundigt, Duffy. Zutiefst widersprüchliche Berichte, um ehrlich zu sein, aber ein paar Leute, denen ich vertraue, meinten, Sie hätten einen guten Instinkt. Wollen Sie herkommen und sich mal umschauen? Ich weiß, das ist nicht mehr Ihr Fall, aber ich dachte, Sie könnten …«

»Ich bin schon auf dem Weg. Adresse?«

55 Holly Street, South Belfast.

Ein kleines Reihenhaus aus roten Ziegeln am River Lagan. Nette Straße. Akademiker. Mittelschicht. Haus Nummer 55 lag am Ende der Reihe. Überall Polizisten. Special Branch und KT.

So viele, dass es ein wenig chaotisch war.

Ich fand einen KTler, den ich kannte. Damian Shaw.

Wir gaben uns die Hand.

»Damian, wie geht’s?«

»Ganz okay. Ich bin überrascht, dich zu sehen. Hab gehört, du hättest dich zur Ruhe gesetzt.«

»Teilzeitreserve.«

»Und was machst du hier?«

»Ach, das ist eine einmalige Sache«, sagte ich und erklärte ihm die Situation mit Lawson und der Ermordung von Alan Locke.

»Tja, die hier ist nicht erschossen worden«, erklärte Damian.

»Todesursache?«

»Bist du empfindlich?«

»Ein wenig.«

»Dann solltest du vielleicht nicht so genau hinschauen.«

»Wie ist sie umgekommen?«

»Es hat einen Kampf gegeben. Sieht so aus, als sei der Killer durch ein Fenster hinten eingebrochen, um sie im Schlaf zu ermorden, aber sie ist aufgewacht und hat sich gewehrt. Gekämpft bis zum letzten Augenblick. Im Schlafzimmer und dann in der Küche, bis er sie schließlich mit einer eisernen Pfanne erschlagen hat.«

»Und keiner der Nachbarn hat etwas gehört?«

»Das Haus nebenan steht leer, und das Haus daneben ist eine Studentenunterkunft, aber die Studenten sind noch nicht eingezogen.«

»Mist … Spuren?«

»Leider nicht. Aber sie hatte ein Messer, der Mistkerl hat also Glück gehabt.«

»Und die Arbeitshypothese? Clare glaubt, es könne ein Anschlag gewesen sein?«

»Nein, glaub ich nicht, nichts Exotisches. Ein Einbrecher, der davon ausgeht, dass das Haus leer ist und die Überraschung seines Lebens erlebt, als er Miss Ninja antrifft. Die beiden geraten aneinander, und er bringt sie um.«

»Also kein professioneller Mord?«

»Viel zu hässlich für einen Profi.«

»Sehr unangenehm?«

»O ja«, antwortete Shaw beeindruckt.

Ich holte tief Luft. »Na, dann schau ich es mir besser mal an«, sagte ich.

Ich ging die Treppe hinauf und kam an weiteren Leuten von der KT vorbei, an Baustrahlern und Ausrüstung. Ich stieß auf Frank Payne, einen weiteren Bekannten bei der KT, doch als ich Hallo sagen wollte, legte Frank einen Finger auf die Lippen.

»Superintendent Clare führt ein strenges Regiment«, flüsterte er. »Kein Schwätzchen, nur Arbeit.«

Ich fand Clare im Wohnzimmer dabei vor, wie er seinen Untergebenen Befehle erteilte. Er stellte mich einer Kollegin und zwei Kollegen vor. DI Siobhan McGuinness, DI Michael O’Leary und DCI Stan Preston. Die beiden Männer waren jünger als ich. Mitte zwanzig, Anfang dreißig, dem Aussehen nach zu urteilen. Karrieristen. Sie kamen herum. Durchtrainiert. Kein Alkohol. Schicke Anzüge. Gewieft. Die neue Art Polizist. Analytiker. Schlampige Polizisten aus den Siebzigern, die wie ich ihren Intuitionen folgten, waren auf dem absteigenden Ast. Siobhan McGuinness war noch jünger, zweiundzwanzig etwa. Überfliegerin frisch von der Uni. Verflucht.

Ich schaute zu, wie sie sich an die Arbeit machten: Effizient, strukturiert, professionell.

»Noch nichts über Ihre Wanze, Duffy«, sagte Clare.

»Nein?«

»Schätze, das hat nichts mit dem Fall zu tun.«

»Das bezweifle ich …«

»Sie haben sich mit ein paar der örtlichen Mitspieler angelegt, die Ihr Telefon anzapfen, um zu sehen, ob Sie sie mit einer Affäre oder sonst was erpressen können, wär doch möglich, oder?«

»Würden die mich nicht einfach erschießen, Sir?«

»Nein. Erpressung ist besser. So als Spitzel in der Truppe.«

»Die Wanze ist ziemlich ausgefeilt für die örtlichen Paras«, meinte ich zweifelnd.

»Heutzutage kriegt man doch auf dem internationalen Waffenmarkt alles, was man will … Hören Sie, wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten, dann möchte ich gern, dass Sie sich mal den Tatort ansehen und mir Ihren Eindruck schildern.«

»Den hätte ich jetzt, Sir.«

»Ausgezeichnet. Hier entlang. Ich hoffe, Sie haben nichts Fettiges gefrühstückt.«

»Nein.«

Ich folgte ihm in die Küche.

Die Leiche lag noch am Tatort. Eileen Cavanagh war der Kopf derart brutal eingeschlagen worden, dass Hirnmasse und Knochensplitter an Fußboden und Wänden klebten. Das Gesicht baumelte herunter.

Ich wollte mich übergeben, aber das konnte ich mir vor all den Typen von Special Branch und den KTlern nicht erlauben.

»Überlegungen, Inspector Duffy?«

Ich schloss die Augen und beugte mich vor, um so zu tun, als würde ich die Leiche begutachten, wollte aber in Wahrheit nur verbergen, dass ich die Augen geschlossen hatte.

»Wir glauben, dass sie gehört hat, wie er zum Fenster hereinkam, aufstand und sich ihm in den Weg stellte, woraufhin der Kampf bis in die Küche ging, wo sie sich ein Messer schnappen konnte. Unglücklicherweise bekam er die Pfanne zu fassen und konnte sie damit erschlagen«, sagte Clare.

Ich schlug die Augen wieder auf. Sie hielt tatsächlich ein Küchenmesser in der Hand. Allerdings hatte sie den Griff so gepackt, dass sie damit nur nach unten stechen, aber keinen Einbrecher verletzen oder bedrohen konnte. Das Messer war ihr nach dem Tod in die Hand gedrückt worden. Ein guter Gerichtsmediziner fand vielleicht sogar Totenflecken auf ihren Handflächen, um das zu beweisen.

»Ich habe Sie hergebeten, Duffy, weil dies der zweite IRA-Killer ist, der in drei Tagen umgekommen ist, aber ich nehme an, Sie stimmen mir zu, dass dies eher nach einem schiefgelaufenen Einbruch aussieht, oder? Der Einbrecher könnte zudem noch bis oben hin zugedröhnt gewesen sein. Kein Profi würde eine solche Szene hinterlassen, oder? Ich meine, selbst an der Zimmerdecke klebt Hirnmasse.«

Ich sah nach oben, und tatsächlich klebte etwas davon an Glühbirne und Decke. Himmel.

»Und?«, fragte Clare.

Ich richtete mich auf und holte tief Luft.

»Tut mir leid, Superintendent, aber ich halte Ihre Hypothese nicht für richtig«, sagte ich mit Bedacht.

»Ach?«

»Wenn sie jemanden in ihr Haus hat einbrechen hören, dann hätte sie nach der Waffe gegriffen, die Sie vielleicht noch unter ihrem Kissen finden oder neben dem Bett. Sie wäre in ihrem Zimmer geblieben und hätte den Eindringling erschossen, sobald er das Zimmer betreten hat. Sie wäre nicht in die Küche gegangen, um sich ein Messer zu holen. Das Messer wurde ihr nach dem Tod in die Hand gelegt.«

Ich stand auf und schaute zum Fenster hinaus auf den Lagan jenseits des Gartens, um meine Nerven zu beruhigen. Der alte Lagan war braun und grau gewesen. Dieser Lagan hier wies stellenweise eine blaue Farbe auf. Die Vernichtung von Belfasts gesamtem Maschinenbau hatte zumindest dem Fluss wieder Raum zum Atmen gegeben.

»Nein, Sir, dieser Bursche ist zu gut, um sich dabei ertappen zu lassen, wie er in ein Haus einbricht. Ein Haus, das er seit Tagen oder Wochen beobachtet. Er ist eingebrochen, hat die Waffe unter ihrem Kopfkissen an sich genommen und sie mit einem Gewehr vor der Nase aufgeweckt. Dann ist er mit ihr in die Küche, hat sie gezwungen, sich hinzuknien, und ihr den Kopf mit einer Pfanne eingeschlagen. Ein einziger Schlag. Er ist sehr, sehr stark und gut bei dem, was er tut. Dann hat er noch ein Dutzend Mal auf die Leiche eingeschlagen, damit es wie ein Kampf aussieht, ihr das Messer in die Hand gelegt und die Fensterscheibe eingeschlagen.«

»Warum?«, fragte Clare.

»Weil er nicht weiß, dass wir ihm auf der Spur sind.«

»Sind wir das?«

»Ja. Das Muster wird langsam deutlich. Seine Opfer sind IRA-Killer, die in Verbindung zu Brendan O’Roarke stehen. Er glaubt, dass er bei den Morden falsche Spuren legen muss, damit Brendan nicht kopfscheu wird. Der Autodiebstahl eines Joyriders, der schiefläuft. Die Frau, die einen Einbrecher in ihrem Haus stellt. Doch dazu ist es längst zu spät. Wir wissen es, und Brendan weiß es wahrscheinlich auch. Jemand legt Brendans Einsatzkräfte um, bevor die einen Umsturzversuch lancieren können. Unser Kerl ist übertrieben vorsichtig. Er ist ein Profi, aber genauso gut hätte er sie einfach im Schlaf umbringen können.«

Clare schüttelte skeptisch den Kopf, aber ich bemerkte, dass DI Preston nickte und etwas in McGuinness’ Ohr flüsterte, worüber diese gedankenverloren ebenfalls nickte – zumindest gab es also jemanden, der mich nicht für einen verrückten Alten hielt.

»Ich schau mich mal um, wenn ich darf«, sagte ich.

»Nur zu.«

Ich nahm mir das Haus vor.

Nichts von Interesse, bis auf ihre Plattensammlung, in der sich ein paar seltene Beatles-Singles fanden, die ich liebend gern stibitzt hätte und vielleicht auch hätte tun können, wenn dies meine Ermittlungen gewesen wären.

Waren sie aber nicht.

Ich ging hinaus zum Teezelt der KT und trank mit Frank eine Tasse.

»Ziemlich bedrückend da drin, nicht wahr?«, sagte Frank und deutete hinter sich. »Bei Special Branch darfst du nicht mal nen Furz lassen. Da arbeite ich lieber in deiner Truppe.«

»Ich bin gerührt, Frank.«

»Komm nicht auf falsche Gedanken. Ich sage nicht, dass du ein guter Polizist bist. Die Arbeit dort ist mir nur lieber.«

»Na, du wirst mich auch nicht mehr lange zu Gesicht bekommen, Francis.«

»Warum das denn?«, fragte er besorgt.

»Der junge Lochinvar kehrt heute Abend heim, glaube ich, morgen übernimmt er Carrickfergus CID wieder, und ich gehe nach Schottland zurück. Clare hat mich heute nur aus reiner Höflichkeit hinzugezogen.«

»Aye, ich hab gehört, wie du da drin versucht hast, ihn zu beeindrucken.«

»Ich habe nicht versucht, ihn zu beeindrucken. Ich fand nur, dass seine Deutung des Tatorts falsch ist.«

»Das heb dir für den Richter auf, Mann. Möchtest du den Rest der Kippe?«, fragte er und reichte mir seine Zigarette.

»Nein, danke.«

»Ach ja, richtig. Hab vergessen, dass du jetzt unter die Gesundheitsapostel gegangen bist. Na, ich mach mich wieder an die Arbeit. Grüß Lawson von mir, und wir sehen uns, okay?«

»Okay, Francis.«

Wir gaben uns die Hand, und ich lungerte noch eine Weile herum, doch niemand schien meine Dienste zu wollen oder zu brauchen.

Ich suchte unter dem BMW nach Sprengsätzen und fuhr nach Hause.