Zwei in die Luft gesprengte, völlig zerstörte Land Rover. Ein Toter. Man sollte meinen, dass die Presse das als Katastrophe ansehen würde; tatsächlich aber stellte die Regionalpresse aus Gründen, die zu verstehen ich zu dumm war, das Ganze als Versagen der IRA und als Triumph der Polizei dar.
Angesichts der Tatsache, dass ein Mann seine Eingeweide übers Land verteilt hatte, konnte ich das nicht für einen Triumph halten. Und ein Scheitern der IRA war es nur im Vergleich zu, sagen wir, dem Massaker von Warrenpoint 1979, keine zwei Meilen von der Stelle entfernt, wo wir beschossen worden waren. Damals hatte die South Armagh Brigade der IRA einem Konvoi der British Army mit zwei großen Bomben aus Semtex und Dünger am Straßenrand aufgelauert. Ein klassischer Guerilla-Einsatz. Die erste Bombe galt einem Laster der British Army, die zweite der Rettungsmannschaft, die hingeschickt worden war, um sich um den ersten Zwischenfall zu kümmern. Aus einem nahe gelegenen Wald eröffnete die IRA das Maschinengewehrfeuer auf die eintreffenden Truppen und Sanitäter. Dabei waren achtzehn Soldaten ums Leben gekommen und ein weiteres Dutzend schwer verletzt worden. Am selben Tag hatte die IRA ein tödliches Attentat auf Lord Mountbatten (Cousin der Queen und Prince Charles’ Ziehvater) verübt. Eine auf dessen Boot versteckte Bombe tötete vier Menschen, darunter einen seiner Enkelsöhne.
Das war ein triumphaler Tag gewesen für die IRA.
Aber die Ermordung eines Chief Inspector der RUC? Das stand zwar auf der ersten Seite des Belfast Telegraph, des Newsletter und der Irish News, schaffte es aber noch nicht mal unter die ersten fünf Themen der BBC-Nachrichten oder auf die Titelseite irgendeiner englischen Boulevardzeitung.
Natürlich würde es in vier, fünf Monaten eine Untersuchung geben. Wir alle würden in Galauniform erscheinen und die offizielle Version vortragen, die uns befohlen werden würde. Nicht die Wahrheit. Niemals die Wahrheit.
Und ich wusste, was mit dem Rest unseres Falls passieren würde. Ein solcher Fall, bei dem es auch um die Ermordung eines Detective von Special Branch ging, konnte unter keinen Umständen Aufgabe eines Teilzeit-Detectives des CID auf einem kleinen Provinzrevier wie Carrickfergus RUC sein.
Als ich mit ein paar Kratzern und blauen Flecken aus dem City Hospital entlassen worden war, zog ich Anzug und Krawatte an und ging aufs Revier, um mein drohendes Schicksal zu erwarten.
Das Schicksal traf am Nachmittag in Form von Superintendent Clare ein, der mich in Begleitung mehrerer neuer junger Schützlinge aufsuchte. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mir ihre Namen zu merken.
»Na, das war vielleicht ein Ding, oder?«, sagte er.
»Ja das war es.«
»Erstaunlich, dass nicht noch mehr Leute ums Leben gekommen sind.«
»Na, einer ist genug, richtig?«
»Ich bin so froh, dass Ihr Team heil davongekommen ist.«
Ich hatte zwei Möglichkeiten. Ich konnte »ja« sagen und es dabei belassen, oder ich konnte einen Superintendent von Special Branch, einen verdammten Superintendent, der auch noch jünger war als ich, auf die Palme bringen und ein wenig Dreck aufwühlen: Wo sind Sie denn gewesen, verflucht noch mal? Was zum Henker haben Sie angestellt?
Crabbie wendete mal wieder seinen alten telepathischen Trick an und schüttelte ganz leicht den Kopf. Belass es dabei, Sean, die Sache ist gelaufen.
»Eine Schande, das mit Chief Inspector Preston«, sagte ich.
»Ja. Er war ein guter Mann. Aber es hätte auch viel schlimmer ausgehen können, oder?«
»Schon möglich, aber wie ich schon sagte, ein Toter ist genug.«
Clare runzelte die Stirn. Die örtliche Presse hatte Superintendent Clare und mich dafür gelobt, unsere jeweiligen Besatzungen in Sicherheit gebracht zu haben. CS Clares Foto war im Newsletter abgedruckt und sein Mut gewürdigt worden.
Ich konnte ihm keine Schuld für Prestons Tod geben, aber soweit ich das beurteilen konnte, hatte er seine Männer im Stich gelassen, »um Hilfe zu holen«.
Hilfe, die nie eingetroffen war.
»Ja, wir sind heil davongekommen«, sagte ich und fügte nach einer langen Pause hinzu, »das haben wir nicht Ihnen zu verdanken.«
»Was soll das denn heißen?«, fragte Clare eisig.
»Man lässt keine Männer allein, über die man das Kommando hat«, erwiderte ich ebenso kalt.
»Ich habe niemanden alleingelassen, ich wollte Hilfe holen.«
Crabbie kritzelte schnell in sein Notizbuch. Dann hielt er es hoch; dort stand 25 und 26.
Ich wusste genau, was er meinte. Noch fünfundzwanzig Monate, dann konnte ich die RUC mit vollen Bezügen verlassen. In sechsundzwanzig Monaten war es bei ihm so weit.
Crabbie hatte recht. Clare war ein Feigling und ein Lügner, aber er war Chief Superintendent und hatte gute Aussichten, zum leuchtenden Vorbild für alle katholischen Polizisten bei der Truppe zu werden.
Dies war ein entscheidender Augenblick. Der Augenblick, wo ich entweder den nächsten Schritt tat oder den Mund hielt. Eine Stille legte sich über den Raum, die man mit einem rostigen Federmesser hätte schneiden können.
Frank Serpico hatte vor einem Jahr eine Rede im Royal Hotel in Glasgow gehalten; ich war dort mit ein paar Freunden von der Strathclyde Constabulary hingegangen. Er hatte seine Rede mit einem Zitat von Burke begonnen: »Wenn das Böse gedeihen soll, dann brauchen die Guten nur die Hände in den Schoß zu legen.«
Aber Crabbies 25 und 26 …
»Aber natürlich, ja, Sie sind Hilfe holen gegangen«, murmelte ich.
»Ich habe niemanden im Stich gelassen«, sagte er, und seine Stimme stand kurz vor einem Wutausbruch.
Er wusste, dass ich wusste, dass er die Fliege gemacht hatte. Aber er wusste auch, dass ich nichts deswegen unternehmen würde. Wer war denn hier der eigentliche Feigling? Der Mann, der wegläuft, um sein Leben zu retten, oder der Mann, der den Mund nicht aufmacht, um seine eigene blöde Pension zu retten?
Ich schaute auf den Tisch. »Nein, sorry, ich habe mich versprochen.«
Clare nickte bedächtig. »Schön, dass wir das geklärt haben. Es wird natürlich eine Untersuchung eingeleitet. Es gab einen Toten, aber da Sie ja jetzt in Schottland wohnen, Inspector Duffy, glaube ich nicht, dass es nötig sein wird, Sie extra wegen einer langen und lästigen Reihe von Anhörungen herzuholen.«
Ich sollte noch nicht mal bei der offiziellen Untersuchung zu Wort kommen? Einer Untersuchung zum Hinterhalt auf zwei Land Rover der RUC jenseits der Grenze? Bei der ein Polizist ums Leben gekommen war?
»Wie soll das denn genau gehen?«
»Sie machen eine Aussage, die dann offiziell für die Unterlagen verlesen wird. Gibt ja keinen Grund, Sie aus Ihrem gemütlichen Heim jenseits des Wassers extra herzuzerren.«
Es war also alles schon geregelt. Alle wurden entlastet, ach, wer weiß, vielleicht wurden sogar alle belobigt.
»Nein, schätze nicht«, sagte ich.
»Und nun möchte ich zum eigentlichen Grund meines Besuchs kommen. Wie Sie wahrscheinlich wissen, hat Special Branch die volle Verantwortung für alle Aspekte dieser Ermittlungen an sich gezogen.«
»Ich weiß.«
»Wir haben alle Beweismittel, aber ich brauche auch diese Picassos. Es handelt sich um Beweismittel, aber sie befinden sich nicht in der Asservatenkammer.«
»Ach ja, natürlich. Zu wertvoll für die Asservatenkammer. Die werden dort nur herumgeworfen.«
»Wo sind sie?«
»Die habe ich eingelagert.«
»Bringen Sie sie heute oder spätestens morgen vorbei, und meine Männer packen den Rest der Unterlagen zusammen. Wir möchten hier doch keinerlei Verdacht auf irgendein Fehlverhalten aufkommen lassen.«
»Welchen Verdacht auf Fehlverhalten?«
Er bemerkte, dass ich noch immer auf einen Kampf aus war, deshalb setzte er nicht nach. Wollte der Mistkerl etwa andeuten, dass ich die Bilder eines Toten stehlen würde? Für wen hielt er sich, verflucht noch mal?
Obwohl, gar kein schlechter Gedanke.
Er redete noch eine Weile weiter. Standardblödsinn. Ich hörte zu, ließ ihn reden, ließ ihn gehen.
Dann ging ich ins Büro des Chief Inspector. »Ist der Fall zu Ihrer Zufriedenheit gelöst? Wenn, dann möchte ich gern nach Schottland zurück«, sagte ich.
»Er liegt nicht mehr in unserer Verantwortung, und das zählt.«
Keine Verurteilungen, keine Aufklärung, keine Antworten, Hauptsache nicht mehr in unserer Verantwortung.
Ich fuhr nach Hause, nahm die Picassos von der Wohnzimmerwand und fuhr zu Archie Simmons.
Misstrauisch öffnete er die Tür. »Was wollen Sie denn schon wieder?«
»Kann ich hereinkommen?«
»Von mir aus.«
Ich ging mit den Picassos unterm Arm hinein. Er schaute sie an und sagte nichts. Ich setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa und legte die Picassos auf den Couchtisch.
»Tee?«, fragte er.
»Nein, danke. Zeit spielt hier eine große Rolle. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
»Schießen Sie los.«
»Was würde es kosten, Kopien von den beiden Bildern anzufertigen. Gute Kopien, die aussehen wie Originale.«
»Was wollen Sie ausgeben?«
»Was soll es kosten?«
»Sagen wir fünfhundert das Stück?«
»Sie machen Witze. Fünfhundert für beide.«
»Achthundert.«
»Treffen wir uns in der Mitte und sagen sieben.«
»Sieben fünfzig.«
»Abgemacht. Schaffen Sie das bis heute Abend?«
»Unmöglich!«, rief er mit aufgerissenen Augen aus.
»Was heißt das, unmöglich? Ich habe gesehen, wie schnell Sie arbeiten, Mann.«
»Das ist eine Radierung, kein Gemälde.«
»Und was heißt das?«
»Das Bild wird in eine Metallplatte graviert. Das ist ein langwieriger Prozess. Man muss die Gravur vornehmen, dann die Platte in ein Säurebad legen, dann erst drucken. Das haut man nicht an einem Nachmittag runter.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Wenn Sie so nah wie möglich ans Original wollen, dann muss ich mit den Farben und dem Arbeitsprozess herumprobieren und …«
»Wie lange?«
»Eine Woche.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte Special Branch unter gar keinen Umständen eine Woche lang hinhalten.
»Schaffen Sie es bis Morgen Nachmittag, wenn ich noch einen Hunderter drauflege? Achthundertfünfzig also.«
Archie schüttelte den Kopf, sagte aber nicht nein.
Ich zückte meine Brieftasche und zählte siebzehn Fünfziger ab. Ich legte die Scheine auf den Couchtisch.
»Dazu müsste ich den ganzen Tag und die ganze Nacht durcharbeiten«, sagte er.
Ich legte noch drei Fünfziger dazu.
»Tausend Pfund.«
Seine Augen nahmen einen arglistigen Glanz an. »Sie sind ein schlimmer Finger, Sean Duffy. Was haben Sie vor?«
»Das kann Ihnen egal sein. Können Sie das oder nicht?«
»Kann ich. Ich habe alles hier, was ich brauche. Ich habe das schon mal für ein paar kleine Jobs hier und da gemacht.«
»Exakte Kopien oder so genau, wie Sie können.«
»Ich bin gut, Duffy. Deshalb sind Sie ja zu mir gekommen, richtig?«
Ich fuhr zurück zur Coronation Road, rief in Portpatrick an und sagte Beth, ich hätte eine Überfahrt auf der 18-Uhr-Fähre am folgenden Tag gebucht. Sie war begeistert.
Ich hatte ihr noch gar nichts über die Schießerei gesagt. Vielleicht würde sie auch nichts darüber erfahren. Die Story hatte es nicht bis in die schottischen Zeitungen geschafft, und sie las weder den Newsletter noch den Belfast Telegraph. Schon möglich, dass ihre Eltern darüber lasen, und wenn sie ihr davon erzählten, dann würde ich sagen, die ganze Sache sei von der Presse aufgebauscht worden, wie üblich.
»Ist dein Fall denn gelöst? Habt ihr den Mörder gefunden?«, fragte Beth.
»Nein. Special Branch hat die Ermittlungen an sich gerissen. Aber das ist fast so gut, als hätten wir ihn gelöst.«
Ich hatte einen Tag totzuschlagen. Ich fuhr nach Belfast und unterhielt mich mit Terry von Good Vibrations, aber er war deprimiert über die Richtung, die die musikalische Welt einschlug, und nicht in Form.
»Magst du denn auch das Zeug nicht, das da aus Seattle kommt?«, fragte ich ihn.
»Soll mich das vielleicht beeindrucken, dass sie schließlich fünfzehn Jahre nach allen anderen auf den Punk kommen?«
»Na, das ist ja nicht Punk, Terry, das ist was Eigenes. Beth und ich haben uns Nirvana im …«
Aber Terry hörte nicht zu. Terrys Taktik bestand darin, neue Kunden abzuwimmeln, indem er sich über ihren Musikgeschmack mokierte, und alte Kunden zu vergraulen, indem er ihnen sagte, sie hätten eine Matschbirne bekommen, weil sie auf die Propaganda der Werbefritzen aus der Musikindustrie und auf John Peel hören würden …
Zurück nach Carrickfergus.
Ich aß allein bei einem neuen Inder an der Belfast Road, der ziemlich gut war.
Dann ging ich ins Bett und schlief.
Am folgenden Morgen war Special Branch immer noch beim Einpacken, aber sie waren fast fertig.
Ich fuhr zu Archie.
»Sind Sie mit den Picassos fertig?«
»Ja, aber sie sind noch nicht ganz trocken.«
»Ich brauche sie jetzt.«
Also nahmen wir den Fön.
Archie war nicht glücklich darüber: »Das ist doch ein Witz, aber ehrlich. Erniedrigend. Unprofessionell.«
Ich brachte die Fälschungen aufs Revier. Clare war da, um das letzte Zeug zu holen und die Formulare zu unterschreiben.
Ich brachte ihm die falschen, gerade erst trockenen Picassos.
»Außergewöhnlich«, sagte er. »Sie sehen so frisch aus.«
»Deshalb sollten Sie sie auch nicht mit fettigen Fingern anfassen. Offenbar sind die ein paar Tausender pro Stück wert.«
»Aber doch sicher mehr als das.«
»Nein, das sind nur Radierungen. Davon hat Picasso hunderte angefertigt. Ich möchte eine Quittung dafür. Ich möchte ungern ein Foto von Chief Constable Anthony Clare im Belfast Telegraph sehen, auf dem die beiden Bilder an der Wohnzimmerwand hinter ihm hängen«, meinte ich scherzhaft.
Aber nicht allzu scherzhaft.
»Ich tippe Ihnen eine«, sagte er.
»Wann? Ich reise morgen ab.«
»Immer langsam mit den jungen Pferden.«
»Ich kann sie auch tippen.«
»Wenn Sie wollen.«
Ich nahm das offizielle CID-Briefpapier und spannte es in die Schreibmaschine.
Entnahme aus der Asservatenkammer CID Carrickfergus RUC und Übergabe an Special Branch. Quittung für zwei Picasso-Radierungen. Vollard Suite B.162. Mit Signatur des Künstlers.
Clare unterschrieb, ich machte eine Kopie und ließ ihn auch die unterschreiben.
Dann verabschiedeten wir uns voneinander.
Als die Männer von Special Branch gegangen waren, warf mir Crabbie einen komischen Blick zu.
»Du heckst doch was aus. Ich rieche das, wenn du was im Schilde führst.«
»Gar nichts hecke ich aus. Ich wollte nur, dass uns diese Bilder auch ordnungsgemäß aus den Händen genommen werden.«
Dann drückte ich ihn fest an mich, was er natürlich hasste.
»Ich muss die Fähre kriegen. Wir sehen uns nächsten Monat, Mann, okay?«
Wenn Lawson uns nicht brauchte, dann hieß das für uns beide zurück zur Verkehrspolizei und zum Papierkram. Aber das war schon okay. Ein Monat weniger bis zur Pensionierung.
»Wenn wir an denselben Tagen arbeiten, kommst du mal zu uns. Helen freut sich immer, wenn du kommst, und die Jungs vermissen ihren Onkel Sean.«
»Zum Essen? Mach ich.«
Er starrte mich an und legte mir seine große Pranke auf die Schulter.
»Ich kenne dich, Sean.«
»Das weiß ich.«
»Ich glaube, ich kenne dich besser als jeder andere.«
»Könnte hinkommen.«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist vorbei, Sean. Das ist nicht mehr unser Fall. Es war nie unser Fall. Sobald es haariger geworden wäre, wäre er sowieso nach oben weitergereicht worden.«
»Und was …«
»Du musst loslassen. Du musst mir versprechen, dass du nicht nach Dundalk zurückfährst oder sonst irgendeine Dummheit machst.«
»Ich bin heute Abend auf der Fähre, Mann. Finito.«
»Gut. Wir sehen uns nächsten Monat.«
Das war rührend.
Crabbie machte sich Sorgen um mich.
Crabbie machte sich Sorgen, dass Sean Duffy einen auf Sean Duffy machen könnte.
Aber was hätte ich denn noch machen können?
Ich ging in Lawsons Büro, um mich zu verabschieden.
»Ich bin dann weg. Vielleicht sehen wir uns nächsten Monat.«
»Ach, Sir, Sie haben zwei Flaschen Whisky …«
»Sie sind der Leiter des CID, Alex. Wenn Vorgesetzte in Ihr Büro kommen, dann bieten Sie ihnen einen Drink an. So macht man das. Okay? Behalten Sie die beiden Flaschen, und wenn einer der Oberen herkommt, bieten Sie einen Drink an. Das hätte ich Ihnen schon früher sagen sollen.«
Lawson nickte. »Danke, Sir, das mache ich … Sind Sie auf dem Weg nach Schottland?«
»Aye.«
»Und der Fall Locke?«
»Typisch PAL.«
»Problem anderer Leute?«
»Ganz genau.«
Ich fuhr nach Larne und erwischte noch die Fähre.
Von Larne nach Stranraer.
Von Stranraer nach Portpatrick.
Ich traf den Nachbarn, den ich ein Jahr vorher vermöbelt hatte. Er hatte schon wieder ein neues Auto. Der Kerl achtete immer besonders auf seine Autos.
Er bemerkte mich.
»Wie geht’s?«, fragte ich.
»Okay.«
»Gut. Neues Auto?«
»Aye, aber das macht nichts, wenn mal ein Kratzer drankommt, ist ja schließlich nur dazu da, dass man von hier nach da kommt, oder?«
»Ja«, pflichtete ich ihm bei.
Dann ging ich hinein und verteilte Umarmungen und Geschenke.
Nach dem Essen unterhielten wir uns.
»Ich hab draußen unseren Nachbarn getroffen. Hat ein neues Auto. Alles okay mit ihm?«, fragte ich.
»Ja, ich hab das neue Auto auch gesehen. Ich weiß nicht, was letztes Jahr passiert ist, also habe ich Vorsichtsmaßnahmen getroffen«, sagte sie.
»Ach ja?«
»Ja. Ich habe zu ihm gesagt: ›Hoffentlich fahre ich nicht wieder Ihr Auto an!‹ Und er hat gelacht. Und dann ist er am Nachmittag vorbeigekommen. Er war ungeheuer freundlich. Hat einen großen Blumenstrauß vorbeigebracht und eine Lisa-Simpson-Puppe für Em. Weißt du noch, dass du ihm letztes Jahr drohen wolltest?«
Das weißt du zwar nicht, Schätzchen, aber ich hätte ihn beinah umgebracht.
»Ja, ich weiß noch.«
»Leuten zu drohen, ist nicht immer die richtige Antwort. Manche Menschen sind einfach nett. Sie erkennen, wenn sie einen Fehler gemacht haben.«
»Das freut mich sehr. Ach, beinah hätte ich es vergessen. Ich habe was für’s Wohnzimmer. Für den Platz gegenüber vom Kamin.«
»Was denn?«
»Ich glaube, das wird dir gefallen.«
»Was ist es denn?«
Ich ging zum Wagen und holte die Picassos. »Echte Picasso-Radierungen. Die habe ich von einem alten Freund.«
Beth strahlte. »Originale! Sind die nicht Millionen wert?«, fragte sie misstrauisch.
»Nein. Leider nicht. Er hat ein paar hundert davon in dieser Serie gemacht, also sind sie nicht so viel wert. Aber trotzdem, schön, nicht?«
»Ja. Und in deinem Arbeitszimmer werden sie toll aussehen. Im Wohnzimmer sind sie vielleicht ein wenig zu skandalös.«
Später, als Beth und Emma schon zu Bett gegangen waren, schaute ich mir die Picassos an der Wand an.
Ich hatte keinerlei Schuldgefühle.
Locke hatte keine nahen Verwandten. Die Bilder wären zwei, drei Jahre in der Asservatenkammer bei Special Branch herumgelegen, bis sie jemand geklaut oder ruiniert hätte, während Clares Ermittlungen nirgendwohin führten.
Oder irgendein Trottel von Special Branch würde sich in zehn Jahren daran erinnern, sie würden versteigert werden und das Geld der Staatskasse anheimfallen.
Scheiß auf die Staatskasse.
Scheiß auf Special Branch.
Und scheiß auf diesen Fall.