Nach dem Abschluss des Geschäfts mit der Witwe überreichte Throll der Frau einen großen Beutel mit Münzen. Jared konnte kaum glauben, dass er sich schon bald als Schmied in dieser fremden neuen Welt niederlassen würde. Metallbearbeitung hatte ihn schon lange fasziniert. Irgendwie konnte er sich nicht des Gefühls erwehren, dass er in einem Traum weilte und jeden Moment aufwachen könnte.
Erstaunt schüttelte Jared den Kopf. »Also abgesehen vom Lagerschuppen ...«
»Der bereits gebaut wird«, fiel Throll ihm ins Wort, »Und in wenigen Tagen fertig sein sollte.«
»... ist praktisch alles andere in der Schmiede bereit?«
»Ja, so ziemlich. Zwar treffen heute noch mehrere Lieferungen ein, aber bis zum Ende des Tages sollte die Schmiede einsatzbereit sein.«
Als Jared mit Throll hinging, näherte sich ihnen aus der Richtung der Stadt ein Reiter. Der Mann bremste sein Pferd auf Trab und kam schließlich vor ihnen zum Stehen.
»Hallo, Jakow«, grüßte Throll und winkte freundlich. »Unterwegs zur Jagd?«
Jakow stieg ab. Statt zu antworten, musterte er Jared abwägend von oben bis unten.
»Tut mir leid«, sagte Throll und schmunzelte. »Das ist Jared, ein Freund von mir aus Cammoria. Wir sind zusammen aufgewachsen. Er ist ein guter Mann. Jared, das ist Jakow, einer der Waldhüter hier in Aubgherle.«
Jared nickte Jakow zu. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
Jakow nickte zurück, dann beugte er sich zu Throll und sprach mit leiser Stimme. »Ich wollte dir Bescheid geben, dass uns die verstärkte Präsenz von Azazels Truppen in der Stadt aufgefallen ist.«
»Ja, das habe ich auch schon bemerkt«, erwiderte Throll, ebenfalls im Flüsterton.
»Hast du gehört, dass sie den Händlern merkwürdige Fragen stellen?«
Throll runzelte die Stirn. »Fragen welcher Art?«
Jakow spähte über die Schulter, als rechnete er damit, es könnte sich jeden Moment jemand anschleichen. Als er weitersprach, ertönte seine Stimme so leise, dass sich Jared anstrengen musste, um ihn zu verstehen.
»Sie suchen nach Fremden in Trimoria. Angeblich bieten sie Belohnungen für Hinweise.«
Throll richtete sich auf, legte dem Mann die Hand auf die Schulter und nickte ihm zu. »Danke für die Auskunft, mein Freund. Ich halte die Augen offen.«
»Nach Fremden?«, fragte Jakow. Sein Blick schwenkte dabei zu Jared.
Throll schmunzelte. »Nein. Nach Azazels Soldaten. Unter uns gesagt hoffe ich, sie fallen alle der Fäulnis zum Opfer.«
»Nun denn«, meinte Jakow. »Ich muss wieder los. Edna erinnert mich ständig daran, dass unser Vorrat an Wildbret allmählich knapp wird.«
Throll schlug mit dem Waldhüter ein. »Viel Glück bei der Jagd.«
Jakow stieg wieder auf sein Pferd und galoppierte weiter.
* * *
Nach einem kurzen Rundgang durch die Schmiede setzten sich Jared und Throll unter einen großen Baum, während sie auf die Lieferungen warteten.
»Klingt so, als wärst du kein Freund von Azazels Soldaten«, merkte Jared an.
Throll Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Man könnte sagen, ich habe eher ein Problem mit Azazel selbst, weniger mit seinen Leuten. Die Männer, die sich als seine Soldaten bezeichnen, sind lediglich gedungene Söldner. Männer mit wenig Ehre. Sie werden dafür bezahlt, eine Aufgabe zu erfüllen, mehr nicht.«
Jared zog eine Augenbraue hoch. »Hinter dieser Feindseligkeit muss sich eine Geschichte verbergen.«
Throll seufzte und lehnte sich an den Baum. Er holte tief Luft. »Mein Vater war Schmied in Cammoria, der Stadt, in der ich geboren wurde. Von mir als seinem erstgeborenen Sohn wurde erwartet, dass ich in seine Fußstapfen trete. Pflichtbewusst habe ich das Handwerk erlernt – dadurch kann ich dir jetzt beim Einstieg helfen. Aber ich habe immer gewusst, dass meine wahre Berufung woanders lag. Kaum war ich alt genug, um mein Können mit Schwert und Bogen zu beweisen, habe ich mich den Waldhütern angeschlossen.«
»Ich wette, dein Vater war darüber nicht glücklich.«
Throll zuckte mit den Schultern. »Zuerst war er wütend, dachte aber, es wäre nur eine vorübergehende Laune. Er war überzeugt davon, ich würde meiner ›Abenteuerlust‹, wie er es nannte, bald entwachsen. Das ist natürlich nie passiert. Mein jüngerer Bruder hingegen hat die Arbeit mit Metall geliebt. Also habe ich ihn gebeten, an meiner statt die Schmiede zu übernehmen. Es war sowohl für ihn als auch für mich eine vernünftige Lösung. Wir mussten nur meinen Vater davon überzeugen.«
Throll verstummte und blickte in die Ferne. »Mit der Zeit hat er erkannt, dass wir beide fest entschlossen waren. Erst da hat er mir seine wahren Bedenken offenbart – und die wahren Gründe, warum er unbedingt wollte, dass ich Schmied werde. Zu meiner Überraschung ging es dabei um Familiengeheimnisse, die bis in die Zeit meines Urgroßvaters zurückreichen.«
Throll sah sich um und senkte die Stimme auf ein Flüstern. »Schon als ich ein kleiner Junge war, dachte mein Vater, ich wäre dazu bestimmt, in die Fußstapfen meiner Vorfahren zu treten. Er sah mein Interesse an der Geschichte Trimorias, meinen ausgeprägten Sinn für Recht und Unrecht und meine natürliche Begabung für den Umgang mit Schwert und Bogen. Und das hat ihn beunruhigt. Weißt du, ich bin der Nachkomme einer langen Linie von Königen, die sich über Jahrhunderte erstreckt.«
Jareds Augen wurden groß.
»Ja, ich habe Könige gesagt. Kriegerkönige. Aber es ist noch mehr dran. Jared, einer dieser Vorfahren – mein zigfacher Ururgroßvater –, war nicht nur ein König und ein Krieger, sondern auch ein Zauberer. Er war der erste Protektor.«
»Meinst du den Mann auf dem Hügel, der die Dämonen vernichtet hat?«
Throll nickte.
»Aber er war ein Held!«, betonte Jared. »Warum sollte es etwas Schlechtes sein, vom ersten Protektor abzustammen?«
Throll zischte und drückte sich einen Finger an die Lippen, um Stille anzudeuten. »Leise. Und bitte sprich darüber nie laut mit jemand anderem als mir. Nicht mal mit deiner Frau oder deinen Kindern. Schwör es mir.«
Plötzlich fühlte sich Jared verlegen. »Ich schwör’s.«
Throll entspannte sich ein wenig, bevor er leise weitersprach. »Ich bin sicher, anfangs wurde er auch als Held gefeiert. Aber nicht lange, nachdem die Dämonen aus Trimoria vertrieben waren, kam Azazel an die Macht. Ich weiß weder, wie, noch woher er gekommen ist. In den Schilderungen, die ich entdeckt habe, fehlen jegliche Einzelheiten über seine Herkunft. Aber ich weiß sowohl aus geschichtlichen Aufzeichnungen als auch von meinem Vater, dass die Nachkommen des Protektors – meine Vorfahren und andere Zweige seines Stammbaums – im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe eigenartiger Unglücksfälle ereilt hat. Kinder sind unerwartet im Schlaf gestorben. Jagdunfälle haben sich ereignet. Manchmal sind die Leute einfach spurlos verschwunden.«
Er sah Jared in die Augen. »Ich bin überzeugt davon, dass Azazel höchstpersönlich hinter diesen ›Unglücksfällen‹ steckt. Seit Jahrhunderten versucht er, sämtliche Spuren meiner Familie zu tilgen.«
Jareds Augen wurden groß. »Seit Jahrhunderten? Wie alt ist dieser Azazel?«
Throll zuckte mit den Schultern. »Die vernünftigeren Stadtbewohner glauben, dass er nicht wirklich außergewöhnlich alt ist, sondern lediglich ein Nachkomme anderer Zauberer, die sich alle Azazel genannt haben. Ein Gerücht, das durch Azazels zurückgezogene Lebensweise glaubhaft erscheint. Trotzdem ... ich glaube es nicht. Die Geschichte meiner Familie, wie mein Vater sie an mich weitergegeben hat, deutet darauf hin, dass der Zauberer Azazel, den wir kennen, derselbe ist, der vor so langer Zeit ursprünglich die Macht ergriffen hat.«
»Und seither bringt er deine erweiterte Verwandtschaft um.«
»Ja.«
»Aber ... du bist nicht untergetaucht. Du bist der Generalprotektor und damit, soweit ich das verstehe, weithin bekannt. Wie kommt es, dass du vor solchem ›Pech‹ verschont geblieben bist?«
»Weil meine Abstammung geheim ist«, antwortete Throll. »Dank meines Urgroßvaters. Vor 80 Jahren hatte er einen Sohn – meinen Großvater. Da er die Geschichte unserer Familie gekannt und um die Gefahr für uns gewusst hat, gab er vor, dieser Sohn wäre bei der Geburt gestorben. In Wahrheit gab er sein Kind einer Frau aus der Stadt, die gerade ihr eigenes verloren hatte. Es hat ihm das Herz gebrochen, seinen Sohn abzutreten, aber er hatte das Gefühl, ihn nur so beschützen zu können – und dessen Kinder und so weiter. Er wollte den Kreislauf der Verfolgung durchbrechen, unter dem meine Familie so lange gelitten hatte.«
Beim Gedanken an das Opfer des Mannes zog sich Jareds Magen zusammen. Den eigenen Sohn wegzugeben ...
»Das war überaus weise von meinem Urgroßvater. Seine anderen Kinder starben alle an rätselhaften Krankheiten und Unfällen – jedes einzelne. Und dann wurde Urgroßvater selbst vergiftet. Nur eines seiner Kinder hat überlebt – der Sohn, der im Haushalt eines Schmieds aufgewachsen war. Mein Großvater.
Für die Welt schien die Linie meiner Familie geendet zu haben. Aber die Frau des Schmieds, die meinen Großvater an Kindes statt angenommen hatte, sie hat die Wahrheit gekannt und meinem Großvater anvertraut. Er hat gelobt, die Linie des ersten Protektors weiterzuführen und unsere Abstammung geheim zu halten, bis es sicher wäre, sich wieder zu offenbaren, wenn wir es wollen.«
Throll lehnte sich auf die Ellbogen zurück. »Jetzt kennst du also mein Geheimnis. Meine Familie bleibt dadurch am Leben, dass sie unerkannt geblieben ist. Und deshalb wollte mein Vater, dass ich Schmied werde. Niemand würde einen Schmied verdächtigen, ein Nachkomme von Königen zu sein. Aber ein Generalprotektor ...« Er seufzte. »Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht ziehe ich zu viel Aufmerksamkeit auf mich. Ich bin, wie du gesagt hast, weithin bekannt.«
Jared schüttelte den Kopf. »Hast du überhaupt eine Ahnung, warum dieser Zauberer deine Familie auslöschen will?«
»Ich kann keinen Grund mit Gewissheit nennen. Allerdings gibt es eine Prophezeiung. Man kennt sie als die Prophezeiung der Wiederauferstehung.«
Throll legte sich vollständig aufs Gras und schloss die Augen, während er etwas rezitierte, das wie eine auswendig gelernte Passage klang.
»Durch die Schlacht, die sich hat begeben, lebte der Protektor für sein Volk. Erst wenn der Protektor und seine Nachkommen sterben, wird er zurückkehren und beenden, was er begonnen.«
»Was bedeutet das?«, fragte Jared.
Throll zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Unabhängig davon bleibe ich am Leben. Wenn die Prophezeiung wahr ist, wird der erste Protektor nicht zurückkehren, solange es mich noch gibt.«
»Aber was, wenn du der wiedergeborene erste Protektor bist?«, flüsterte Jared laut. »Nein, hör mich an. Vielleicht meint die Prophezeiung, wenn alle denken, die Nachkommen wären tot, wie es jetzt der Fall ist. Diese Prophezeiung klingt danach, als könntest du es sein.«
»Ich bezweifle, dass ich der Protektor aus der Prophezeiung bin. Vergiss nicht, der erste Protektor war ein mächtiger Zauberer. Ich besitze keine Zauberkräfte. Und auch die wenigen Bücher, die ich dazu studiert habe, konnten mir nicht helfen, irgendetwas zu lernen.«
»Aber er war auch ein König, richtig?«
Plötzlich kam ein schwarzer Vogel über die Ebene geflattert und ließ sich in dem Baum über den Männern nieder. Throll hielt sich einen Finger an die Lippen, dann beugte er sich vor und flüsterte Jared ins Ohr.
»Es ist bekannt, dass Azazel Vögel als Spitzel einsetzt. Schweig still.«
Mit mehr Fragen als Antworten lehnte sich Jared zurück und dachte darüber nach, was er erfahren hatte.