Ausbildung

Aaron nahm Kampfpose ein, hielt das Schwert anmutig angewinkelt vor dem Gesicht und starrte Ohaobbok an.

»Wenn du nicht die richtigen Bewegungen für ein Schwert beherrschst, könntest du ebenso gut einen Knüppel aus Metall schwingen«, blaffte Throll und wedelte mit der Hand vor Aarons Gesicht, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

»Selbst ein Knüppel ist eine wirkungsvolle Waffe, wenn man stark genug ist«, erwiderte Aaron.

Throll lachte höhnisch. »Denkst du etwa, Stärke könnte alles ausgleichen? Ich könnte deiner Mutter beibringen, dich zu entwaffnen, ohne dass sie auch nur ins Schwitzen dabei kommt.«

Ohaobbok lachte herzhaft. Aaron blieb skeptisch, und man musste es ihm am Gesicht angesehen haben, denn Throll legte den Kopf schief.

»Du glaubst mir nicht?«, fragte der Waldhüter. »Dann gestatte, dass ich es dir zeige.« Er hob das Schwert auf und gab dem Oger ein Zeichen. »Ohaobbok, du bist viel stärker als ich. Greif mich mit dem Schwert an. Ohne Zurückhaltung. Gib ruhig alles.«

Ohaobbok wirkte besorgt, tat aber, wie ihm geheißen. Er griff mit einem Hieb an, der bestimmt einen Ochsen entzweigeschlagen hätte.

Throll wich geschickt zur Seite aus, machte mit dem Schwert eine schnelle, kreisende Bewegung, und die Waffe des Ogers flog davon.

Aaron spürte, wie ihm die Kinnlade runterfiel.

Ohaobbok zeigte sich genauso überrascht. »Das hätte ich nicht für möglich gehalten«, gestand er und starrte auf seine Hand, als hätte sie ihn verraten.

»Man muss die richtigen Techniken üben, um sie zu beherrschen«, sagte Throll. »Nur dann kann man hoffen, einen würdigen Gegner zu besiegen.«

»Also ist Kraft bedeutungslos?«, fragte Aaron niedergeschlagen.

»Natürlich ist sie hilfreich«, entgegnete Throll. »Wenn du stärker bist, ermüdet dein Gegner schneller als du selbst, auch wenn ihr euch an Können ebenbürtig seid. Kämpfen ist wie eine Kiste voll Schmiedewerkzeug, Aaron. Es gibt viele verschiedene für ähnliche Aufgaben, aber immer eines, das sich für etwas Bestimmtes am besten eignet. Kraft ist eines dieser Werkzeuge. Dasselbe gilt für Ausdauer. Und für Schnelligkeit. Und Geschicklichkeit. Und Wissen. Ihr beide habt bisher nur eines dieser Werkzeuge: Kraft. Die Ausdauer wird sich mit der Zeit fast von selbst einstellen. Aber ihr müsst euch mit dem gesamten Werkzeugkasten ausstatten, wenn ihr die Besten werden wollt.«

Throll lief zwischen ihnen hin und her. »Schlitzen, Schlenzen, Heben, Kreisen, Schwingen, Durchdringen, Werfen, Stechen, Durchbohren, Hacken, Schnappen, Schrammen und Schlagen. Das sind alles Grundbewegungen, die ihr lernen müsst, bevor ich euch als annehmbare Schwertkämpfer bezeichnen kann. Ihr müsst jede einzelne davon beherrschen. Das müsst ihr, und das werdet ihr. Ich habe vor, euch beide zu schinden, bis ihr umfallt. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang beginnt unser Tag. Und ihr hört erst auf, wenn ich es euch erlaube.«

Aaron holte tief Luft und nickte.

»Gut«, sagte Throll. »Und jetzt lasst mich euch zeigen, wie man richtig schlitzt ...«

* * *

Als Ryan und seine Mutter die Schmiede betraten, schaute sein Vater auf. »Oh gut, dass ihr hier seid«, sagte Dad. »Macht die Tür zu. Ich hab da eine Idee, die ich ausprobieren möchte, und wir wollen nicht, dass jemand es sieht.«

Ryan schloss die Tür und brachte den Querbalken an. Dad setzte sich an die Werkbank, auf der er mehrere Stapel Metallreste angeordnet hatte, jeder in einer anderen Farbe.

»Wir haben ja schon gesehen, dass Eisen eine magische Ladung halten kann«, begann Dad. »Und wir wissen auch, dass ein geladener Metallgegenstand, wenn man ihn anschlägt, einen Teil der Ladung abgibt. Ich will herausfinden, ob sich diese Eigenschaft auch auf andere Materialien erstreckt.«

Dad ergriff ein münzförmiges Stück Eisen. »Fangen wir mit Eisen an, um eine Vergleichsbasis zu schaffen. Ich denke, wir können messen, wie lange es dauert, bis das Metall keine Energie mehr aufnimmt. Aber für einen richtigen Vergleich musst du bei jedem Durchlauf dieselbe Menge an Energie einsetzen. Okay?«

»Okay.« Ryan wappnete sich für ein langes, mühsames Unterfangen.

»Fang an, wann immer du bereit bist«, sagte Dad.

Ryan ließ eine kaum sichtbare Ranke bläulich-weißer Energie in die Eisenmünze fließen, und Dad begann, laut zu zählen. Die Münze leuchtete zunehmend heller. Als Dad bei vier angelangt war, sprühte die Münze Funken, womit sie anzeigte, dass sie keine Energie mehr aufnehmen konnte.

Dad legte sie beiseite und ergriff eine andere. »Kupfer«, kündigte er an. »Mach es noch mal genau gleich.«

Ryan ließ die gleiche Energie in die Münze fließen. Diesmal setzten die Funken erst bei fünf ein.

Sie gingen zu Silber und Gold über. Bei der Silbermünze dauerte es bis 10, bei der Goldmünze sogar bis 16. Als sie fertig waren, hatten sie vier leuchtende Münzen. Jede schimmerte mit einem eigenen Farbton und mit unterschiedlicher Intensität.

»Okay, und jetzt?«, fragte Ryan. »Was nützt uns das?«

Dad lächelte so, wie er es immer tat, wenn etwas nach einem seiner Pläne verlief. »Wir sammeln Daten. Wir lernen. Man weiß nie, wohin Wissen einen führt.«

Ryan nickte, war jedoch nicht überzeugt.

»Jetzt wollen wir mal sehen, ob du eine mit Energie geladene Münze durchschneiden kannst«, sagte Dad grinsend.

»Durchschneiden? Dad, du weißt schon noch, was mit den Meißeln passiert ist, oder?« Bei früheren Versuchen hatten sie festgestellt, dass mit Energie geladenes Eisen praktisch unzerstörbar war.

»Du bist kein Meißel, mein Sohn. Versuch’s einfach. Ich schlage vor, du benutzt die dünnstmögliche Ranke, die du hinbekommst, mit der größtmöglichen Energie. Aber nur für den Fall, dass ein Problem auftritt ...« Er legte die leuchtende Eisenmünze mit einer kleinen Zange auf einen Ofenstein, dann griff er nach einem Eimer. »... stehe ich mit Wasser bereit.«

Ryan konzentrierte sich, so gut er konnte, und entsandte einen kräftigen Faden auf die Mitte der Eisenmünze herab. Kaum hatte der Faden die Münze berührt, stoben heftig Funken auf. Ryan brach den Versuch sofort ab.

»Warum hast du aufgehört?«, fragte Dad. »Es hat so ausgesehen, als würde es funktionieren.«

»Jared ...«, ergriff Ma das Wort. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«

»Es passiert nichts, Aubrey. Mach weiter, Ryan.«

Ryan versuchte den Schneidvorgang erneut. Diesmal ignorierte er die Funken. Schnell ging es nicht, aber es klappte – es gelang ihm, die Münze genau in der Mitte durchzuschneiden. Dad benutzte die Zange, um die Hälften ins Wasser zu tauchen, dann reichte er sie Ryan und Aubrey. Sie leuchteten immer noch wie zuvor. Zwei Hälften der gleichen Münze.

Ma drehte ihre Hälfte um, tippte mit dem Finger darauf und zuckte mit den Schultern.

»Moment mal!«, entfuhr es Ryan. »Mach das noch mal, Ma.«

»Was meinst du?«

»Tipp auf die Münze.«

Sie klopfte mit dem Fingernagel auf die Münze – und Ryan spürte, wie die Hälfte der Münze in seiner Hand vibrierte.

»Was ist?«, fragte Dad.

»Die Münze«, sagte Ryan. »Als Ma auf ihre Hälfte getippt hat, konnte ich es in meiner Hälfte spüren.«

Dad bedeutete ihnen, ihm die Teile der Münze zu geben. Seine Finger spannten sich erst über einer Hälfte, dann über der anderen. Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. »Du hast völlig recht, Sohn. Wenn ich eine Hälfte drücke, vibriert die andere ständig, während ich Druck ausübe.« Lachend reichte er eine der Hälften Ryan. »Probieren wir es mit etwas Abstand. Stell dich auf die andere Seite der Schmiede und klopf auf deine Münzenhälfte.«

Ryan durchquerte den Raum. »Ich klopfe ... jetzt «, kündigte er an.

Wieder lachte Dad. »Das hab ich gespürt!« Er entriegelte die Tür und ließ das Licht herein. »Lauf am Hügel vorbei«, forderte er Ryan auf. »So weit, dass du die Schmiede nicht mehr sehen kannst. Wenn du weit genug weg bist, dann drück die Münze.«

Mit einem innerlichen Stöhnen lief Ryan zum Hügel. Er brauchte gute zehn Minuten, um oben anzukommen. Dabei ärgerte ihn, dass er so verschwitzt und außer Atem war. Er lief auf der anderen Seite ein Stück hinunter, bis er die Schmiede nicht sehen konnte, dann drückte er die Münze. Schließlich setzte er sich ins Gras, um sich auszuruhen. Wenn er schon hier war, konnte er sich auch einen Moment Zeit nehmen, um die Aussicht zu genießen. Die Scheune der Lancasters, die sanfte Hügellandschaft, das bezaubernde Städtchen mit dem Rauch von zahlreichen Kochfeuern, der sich in den blauen Himmel kräuselte. Alles eingerahmt von grüner Landschaft und felsigem Terrain.

Und dann vibrierte seine Münze. Die Empfindung setzte so plötzlich, so unerwartet ein, dass er die Münze beinah fallen gelassen hätte. Er betrachtete sie auf seiner Handfläche – und sie vibrierte erneut.

Es funktionierte! Dad drückte zurück!

Grinsend trat Ryan den Rückweg zur Schmiede an, drückte dabei von Zeit zu Zeit die Münze und spürte vereinzelte Rückmeldungen.

Dad wirkte noch aufgeregter, als er selbst sich fühlte, als er durch die Tür trat. »Wie weit bist du gelaufen?«

»Bis kurz hinter die Kuppe des Hügels.«

Dads Grinsen wurde breiter. »Wow. Okay, sag mir, was du jetzt fühlst.« Er hielt seine Hälfte der Münze hinter seinen Rücken, und Ryan spürte zwei Vibrationen – eine kurze, eine lange.

»Ich hab ein kurzes und dann ein langes Vibrieren gespürt.« Ryan lächelte, als er begriff. »Dad ... wir können Morsezeichen verwenden!«

»Genau.«

»Kennt überhaupt einer von euch den Morsecode?«, fragte Ma.

Dad wirkte gekränkt. »Natürlich kenne ich den Morsecode.«

Ma verdrehte die Augen. »Warum überrascht mich das nicht?«

Dad ging in den Lehrmeistermodus über. »Beim Morsecode wird jeder Buchstabe aus einer Kombination von Punkten und Strichen gebildet. Zum Beispiel weiß sogar jeder Amateurkapitän, wie man die Buchstaben SOS für das internationale Notrufsignal übermittelt. Im Morsecode besteht der Buchstabe ›S‹ aus drei Punkten – in unserem Fall ein dreifaches Tippen auf die Münze. Drei Striche ergeben den Buchstaben ›O‹ – somit ein dreifaches langes Drücken der Münze. Also ...«

Dad veranschaulichte es, indem er seine Münze drückte.

»Punkt-Punkt-Punkt, Strich-Strich-Strich, Punkt-Punkt-Punkt«, sagte Ryan.

»Genau. Wir haben unseren eigenen magischen Telegrafen, mit dem wir über eine gewisse Entfernung Sofortnachrichten übermitteln können.« Kurz verstummte er und überlegte, dann musterte er Ryan neugierig. »Mir kommt gerade der Gedanke, ob wir mehr Kommunikationsteile erhalten, wenn du die zwei Hälften noch mal halbierst.«

Ryan lächelte. »Den Versuch ist es wert.«

Dad legte seine Münze auf den Ofenstein und trat zurück. Ryan wiederholte den Vorgang von vorhin und teilte eine der Münzhälften präzise in Viertelmünzen. Dad eilte hin, ergriff die neu entstandenen Teile mit der Zange und tauchte sie ins Wasser. Dann jedoch legte sich seine Begeisterung.

»Nein«, sagte er. »Schau. Sie leuchten fast gar nicht mehr. Und wenn ich eine drücke, passiert bei der anderen nichts.«

Ryan hielt noch die andere vollständige Hälfte. »Ich spüre auch nichts. Tut mir leid, Dad. War aber eine gute Idee.«

Eine Weile starrte Dad auf den Boden. Dann schaute er zu Ryan auf und lächelte wieder. »Lass es uns mit der Goldmünze versuchen. Weißt du noch, was ich über Daten gesagt habe? Man weiß nie, wofür Wissen nützlich sein könnte. Wenn Gold mehr Energie aufnehmen kann als Eisen ...«

»... dann können vielleicht auch die Teile die Energie besser bewahren«, beendete Ryan den Satz.

»Ich wette, es funktioniert«, sagte Dad und klang wieder aufgeregt. »Weißt du was? Gehen wir aufs Ganze und zerteil die Münze diesmal von vornherein in Viertelstücke.«

Ryan brauchte nicht lange dafür. Durch die Übung wurde er rasch besser darin. Dad kühlte die Teile, und tatsächlich: Alle vier Viertel der Münze leuchteten noch.

Dad nahm sich zwei Teile, Ryan und Ma je eines. Dad streckte ein Stück vor und drückte es. Das Teil in Ryans Hand vibrierte, und nach der Reaktion seiner Mutter zu urteilen, galt dasselbe für ihr Teil. Bald schickten alle drei Vibrationen hin und her und lachten dabei.

Danach entwarf Dad eine ganze Reihe von Experimenten. Er war voll in seinem Element. Nach einer weiteren Stunde voll Versuchen war es ihnen gelungen, eine mathematische Beziehung zwischen dem verwendeten Metall und der Anzahl der Teile zu ermitteln, in die es gespalten werden konnte, ohne sein Leuchten zu verlieren. Anscheinend entsprach jede Unterteilung, die ein Metall vertrug, je zwei Sekunden Energiezufuhr, wie Dad beim ursprünglichen Experiment gezählt hatte. Eine Eisenmünze – die nach vier Sekunden »voll« geladen war – konnte demnach in zwei Stücke geteilt werden. Bei einer Silbermünze waren fünf Teile möglich, bei einer Goldmünze theoretisch sogar acht – allerdings gelang es Ryan nicht, so kleine Stücke herzustellen.

»Wir sollten vielleicht unsere eigene Abwandlung des Morsecodes entwickeln«, dachte Dad laut nach. »Und alle müssen üben, bis wir sie beherrschen.«

Ryan stöhnte. »Das Lernen nimmt wohl nie ein Ende, was?«

* * *

»Hey, Ma«, sagte Ryan, während er das von ihr aufgetischte Mittagessen betrachtete. »Ich hätte eine Idee für ein weiteres Experiment. Es betrifft vor allem dich.«

Unschlüssig spähte Ma zu ihrem Mann.

»Schau mich nicht so an«, sagte er. »Davon höre ich zum ersten Mal.«

Ma musterte Ryans Züge eine lange Weile. »Erklär es mir.«

»Okay. Also, ich hab mir gedacht, wenn ich Energie auf Gegenstände übertragen und darin einschließen kann, dann kannst du vielleicht dasselbe mit deiner Energie. Aber während ich mit Metall arbeite, könnest du versuchen, deine Energie in Lebensmitteln einzuschließen.« Er deutete darauf, was seine Mutter aufgetischt hatte. Brot, Rinderbraten, Essiggurken, ein Krug Wasser, eine Kanne Milch, eine kleine Dose mit Butter. »Was, wenn du ›Heilnahrung‹ herstellen könntest? Oder zumindest gesünderes Essen. Ich bin mir nicht sicher, wie es funktionieren würde – oder ob überhaupt. Aber falls doch, könnte es uns allen helfen, uns schneller von der Erschöpfung nach dem Einsatz unserer Kräfte zu erholen.«

Plötzlich wirkte Ma interessiert. »Ich bin dabei. Was schwebt dir vor?«

»Fangen wir mit dem Brot an«, schlug Ryan vor. »Versuch einfach, deine Energie darauf zu übertragen.«

Ma schaute skeptisch drein. »Du willst also, dass ich einen Laib Brot heile.«

Ryan lachte. »Nicht ganz. Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht sicher, was ich von dir will. Versuch einfach ... etwas von deiner Energie in das Brot zu pumpen. Obwohl ...« Er lächelte. »Wenn du es als Heilung des Brots betrachten willst, kann es ja wohl kaum schaden.«

Ma schaute zwar immer noch zweifelnd drein, aber sie konzentrierte sich auf den Laib. Ryan und sein Vater beobachteten sie gebannt.

»Das klappt nicht«, verkündete Aubrey fast sofort.

»Woher weißt du das?«, fragte Ryan. »Du hast ja kaum angefangen.«

Ma zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es einfach. Wenn ich damit fertig bin, etwas zu heilen, überkommt mich ein Gefühl wie eine Rückkopplung. Als würde meine Heilkraft zu mir zurückprallen. Und das hatte ich bei dem Brot schon in der ersten Sekunde.«

Ryan war enttäuscht. »Na ja ... den Versuch war es wert.«

»War es wirklich«, bestätigte Dad. »Und ist es noch. Ich glaube, du könntest da etwas auf der Spur sein, Ryan. Wir sollten nicht so schnell aufgeben.« Er schenkte einen Becher Milch ein. »Versuch’s damit. Vielleicht erzielen wir mit einer Flüssigkeit ein anderes Ergebnis.«

»Warum sollte das eine Rolle spielen?«, fragte Ma.

Dad zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wir experimentieren einfach.«

Aubrey runzelte die Stirn, dann atmete sie tief durch und starrte auf den Becher mit Milch. Sie schloss die Augen und hielt die Hände über den Becher. Und lächelte. Eine Minute verging, bevor sie die Augen öffnete und zurücktrat.

»Es hat geklappt!«, verkündete sie strahlend. »Ich hab die ganze Zeit Energie in die Milch übertragen.«

»Sieht unverändert aus«, meinte Dad und kniete sich hin, um die Tasse genauer zu betrachten.

»Hast du das erwartet, Ryan?«, fragte Ma.

Ryan zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, was ich erwartet hab. Wie Dad gesagt hat, wir experimentieren einfach.«

»Probieren wir die anderen Sachen«, schlug Dad vor, allzeit der Wissenschaftler.

Die Experimente setzten sich die nächsten 20 Minuten lang fort. Sie stellten fest, dass der Rinderbraten, das Brot und die Essiggurken nicht in der Lage waren, Energie von Ma aufzunehmen. Eine Tasse Milch nahm ihre Energie für etwa eine Minute auf, während eine Tasse Wasser gerade mal zehn Sekunden schaffte. Am besten klappte es mit Butter. Sie ließ sich erstaunliche fünf Minuten lang aufladen. Die mit Magie durchwirkten Lebensmittel sahen gegenüber vorher unverändert aus, trotzdem war Aubrey überzeugt davon, dass es funktioniert hatte.

Aus Ryans Sicht blieb die größte Frage, was genau seine Mutter gemacht hatte. Wenn ihre Magie wirkte, was genau würden dann diese mit Energie durchwirkten Lebensmittel erzielen?

Lächelnd griff Ryan nach einem Stück Anmachholz vom Stapel neben dem Tisch. Er konzentrierte seine Energie auf ein Ende des kleinen Stocks und entfachte eine Flamme darauf. Dann blies er die Flamme aus und fächerte der Spitze Luft zu, bis sie rot glühte. Schließlich drückte er ohne Vorwarnung an seine Eltern einen Finger auf die Glut.

Seine Mutter schrie auf. »Ryan! Hör auf!« Sie riss ihm den Stock weg.

Ryan ignorierte den Schmerz und untersuchte seinen Finger. Wie beabsichtigt hatte er ihn schlimm genug verbrannt, dass sich eine Blase bildete.

»Lass mich das heilen«, sagte Ma und streckte erwartungsvoll die Hand aus.

Ryan schüttelte den Kopf. »Warte kurz. Ich will etwas ausprobieren.« Er ergriff ein Messer, nahm damit Butter auf und strich sie über seinen verbrannten Finger.

Der Schmerz verschwand fast sofort.

»Und?«, fragte Ma atemlos.

Ryan sah seinen Vater an, der übers ganze Gesicht strahlte. Als die Butter ihren Zauber gewirkt hatte, hielt Ryan den Finger so, dass seine Eltern ihn deutlich sehen konnten. Behutsam wischte Ma die Butter weg.

Der Finger war geheilt.

Dad klatschte in die Hände. »Schatz, ich glaube, du hast soeben eine Heilsalbe erschaffen!«

»Jetzt wollen wir mal sehen, was die Flüssigkeiten können.« Ryan griff nach dem Becher mit Wasser.

»Warte, wir können uns nicht sicher sein, was ...«, setzte seine Mutter an, doch Ryan war schon am Trinken.

Ryan stellte den Becher ab und legte die Stirn in Falten. »Ich hatte Kopfschmerzen und dachte, das würde sie vertreiben. Und ... Na ja, sie sind jetzt wohl besser, aber weg sind sie nicht.«

Ma schob die Milch zu ihm. »Na schön, Versuchskaninchen. Probier es damit.«

Ryan trank. Innerhalb von Sekunden verschwanden die Kopfschmerzen. »Hat geklappt!«

Die drei wechselten einen Blick und grinsten.