Eine Reise durch Trimoria

Während Dad eine Nachricht an Ma schickte und sie um ihre Heilkraft bat, rannte Ryan zu seinem Bruder, der gerade die Benommenheit abschüttelte. Dampf stieg von seiner Rüstung auf.

»Alles in Ordnung?«, fragte Ryan.

Aaron blinzelte, als hätte er Mühe, etwas zu sehen. »Ich war bewusstlos, oder? Was ist passiert?«

Ryan löste das Fläschchen von der Taille seines Bruders. »Trink das. Du siehst aus, als könntest du es brauchen.«

Auch Silver war aufgewacht, und Ohaobbok rappelte sich wackelig auf die Beine und trank aus seinem eigenen Fläschchen. Aber Throll rührte sich immer noch nicht. Von der Rüstung des Waldläufers kräuselten sich Rauchschwaden.

Ma kam aus dem Haus gerannt, dicht gefolgt von Gwen und Sloane. Als sie Throll erblickte, rannte sie sofort zu ihm. Gwen drückte sich Zenethar an die Brust und weinte beim Anblick ihres regungslos auf dem Boden liegenden Mannes.

»Ist er ...« Schluchzend verstummte sie, konnte den Satz nicht beenden.

»Er lebt«, beruhigte Aubrey sie. »Ich muss mich konzentrieren.«

Sloane packte Aaron und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. Er legte den Arm um sie. »Alles wird gut«, flüsterte er. »Wenn meine Mutter sogar Ohaobbok heilen konnte ...«

Nachdem Aubrey einige Herzschläge lang ihre Heilmagie gewirkt hatte, kehrte Throll ins Bewusstsein zurück. Vermutlich war er nicht so schwer verletzt, wie es wirkte.

Benommen setzte sich der Waldläufer auf, nahm den Helm ab und sah sich um.

»Tja, da ihr alle hier seid und ich noch mehr oder weniger in einem Stück bin«, sagte er, »nehme ich an, dass es gut ausgegangen ist.«

»So ist es«, bestätigte Dad lächelnd.

»Ihr müsst mir schildern, was passiert ist. Offenbar habe ich ein kleines Nickerchen gemacht.«

Ma gab Sloane ein Zeichen. »Bring mir eure Fläschchen. Dein Vater hat innere Verletzungen.«

Sloane reichte Aubrey zwei Fläschchen, und sie ließ Throll den Inhalt beider trinken. Danach reichte sie ihm noch den Trank von ihrem eigenen Gürtel. Throlls Müdigkeit ließ allmählich nach, und bald wirkte er wieder hellwach.

»Danke«, sagte er. »Ich glaube, es geht mir gut. Lasst mich nur aufstehen und mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«

Er rappelte sich auf die Beine und schüttelte sich. Wäre nicht der Schimmer des Brustpanzers verschwunden gewesen, Ryan hätte beinah glauben können, der Waldhüter wäre nie getroffen worden.

Dad fiel es auch auf. »Der Treffer muss ganz schön heftig gewesen sein. Deine Brustplatte ist völlig entladen.«

»Besser, als tot zu sein«, gab Throll mit einem schiefen Lächeln zurück. Er wandte sich an Ryan. »Ich verdanke dir mein Leben, Junge. Ohne die Ladung hätte der Zauberer ein Loch durch mich gebrannt.«

Gwen reichte Zenethar an Sloane weiter, dann eilte sie los, um ihren Ehemann zu umarmen. »Bitte kein Kämpfen mehr. Es ist vorbei. Richtig?«

Throll sah die anderen an. »Ist es vorbei?«

Ryan schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Wir haben Azazel zwar verletzt, aber er ist entkommen.«

»Ich fürchte, wir müssen den Kampf zu ihm tragen«, sagte Dad. »Wir können nicht einfach warten, bis er geheilt ist und eine Armee auf uns loslässt. Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir seinem Turm einen Besuch abstatten und Azazel stellen.«

»Ich komme mit, Dad«, sagte Ryan und versuchte, mutiger zu klingen, als er sich fühlte. »Wir brauchen uns gegenseitig, wenn wir hoffen wollen, diesen Kampf zu gewinnen.«

»Du bist zu jung!«, rief Ma.

Dad wandte sich an seine Frau. »Du hättest sehen sollen, wie er sich in der Schlacht geschlagen hat, die wir hinter uns haben. Er war es, der Azazel verletzt hat. Der Junge ist fast erwachsen. Außerdem können wir diesen Kampf nur mit vereinten Kräften gewinnen.«

Ma ließ die Schultern hängen. Ryan konnte es nachvollziehen. Sie war noch nicht bereit dafür, dass ihre Kinder erwachsen wurden. Und erst recht wollte sie nicht, dass sie sich in Gefahr begaben.

»Ich komme auch mit«, verkündete Throll und legte die Hand um den Griff seines magischen Schwerts. Er wandte sich an seine Frau und seine Tochter. »Bevor ihr Einwände erhebt, müsst ihr etwas wissen: Ich gehe wegen der Geschichte meiner Familie. Wir sind schon zu lange Opfer dieses vermeintlichen Pechs, das in Wahrheit der Zauberer über uns gebracht hat. Ich habe vor, das zu beenden.«

Gwen sah aus, als wollte sie Einwände erheben, aber Throll legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Keine Sorge. Wenn nicht mit Schwertern, sondern mit Zaubern gekämpft wird, überlasse ich Jared und Ryan den Vortritt, das verspreche ich dir.« Er blickte auf seinen Brustpanzer hinab. »Ich habe genug davon, von Energieblitzen getroffen zu werden.«

Gwen nickte. »Nur ... bitte sei vorsichtig.«

»Ja.« Der Waldhüter richtete einen väterlichen Blick auf Aaron und Ohaobbok. »Aaron, Ohaobbok, ich habe eine sehr wichtige Bitte an euch beide. Würdet ihr auf meine Familie aufpassen, während wir weg sind?«

Ohaobbok und Aaron nickten. Silver kam herbei und schnurrte, als wollte er sich den Verfechtern der Familie anschließen.

»Es wäre uns eine Ehre«, sagte Aaron.

»Dann hätten wir das geklärt«, meinte Dad. »Ich schlage vor, wir nehmen uns ein bis zwei Tage, um zu planen, uns zu wappnen und unsere Kräfte aufzutanken. Aber nicht mehr. Es ist an der Zeit, dass wir den Kampf zu Azazel tragen.«

* * *

Während die Gruppe durch Trimoria nach Westen aufbrach, begegneten sie einigen Reisenden. Die meisten starrten die ungewöhnliche Truppe unverhohlen an. Dad und Ryan trugen beide lange, wallende graue Roben aus einem feinen, zugleich leichten und warmen Material. Ma und Gwen hatten sie für sie genäht, denn sie waren der Meinung, reisende Zauberer sollten unbedingt wie Zauberer aussehen.

»Wenn unterwegs alle fürchten, ihr könntet sie in Kröten verwandeln, wird sich wahrscheinlich niemand mit euch anlegen«, hatte Ma gemeint.

Ryan fand zwar, ein über zwei Meter großer, von Kopf bis Fuß in einer Rüstung steckender Waldhüter mit einem schimmernden Schwert wäre abschreckend genug, aber es störte ihn nicht, sich wie ein Zauberer zu kleiden, statt zu verbergen, was er war. Tatsächlich gefiel es ihm sogar ziemlich gut.

Gegen Ende des zweiten Reisetags stießen sie auf eine beträchtliche Ansammlung von Wagen am Straßenrand, um die sich etliche Leute tummelten. Ein merkwürdiger Anblick, zumal sie sich mitten im Nirgendwo befanden.

»Was ist da drüben los?«, fragte Ryan.

Throll brummte: »Das ist der Rand der fahrenden Karawane, die unlängst in Aubgherle war. Vielleicht haben sie durch die Tumulte die Zelte vorzeitig abgebrochen, oder die Abreise war ohnehin fällig. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie von einem Tag auf den anderen zusammenpacken und weiterziehen. Aber wir haben Glück, dass sie hier sind. So können wir wesentlich angenehmer lagern.« Er lächelte. »Mit einer feinen Auswahl an Essen und Getränken.«

Ryan schnupperte. »Ich glaub, ich rieche frisch gebackenes Brot.«

»Jungs denken immer mit dem Magen«, meinte Dad lachend. »Ich finde, Hammelbraten würde wunderbar zu dem Brot passen.«

Die Reisenden stiegen ab und führten die Pferde durch das geordnete Chaos der Karawane. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Ryan einen Ruf hörte.

»Aubreys Sohn!«

Ryan blieb stehen, drehte sich um und erblickte das wunderschöne Mädchen, das seine Mutter gerettet hatte. Die junge Frau grinste, als sie sich durch die Menge auf ihn zubewegte.

»Arabelle«, sagte Ryan nervös, als sie vor ihm anhielt. Wieder verschlug ihm ihre Schönheit beinah die Sprache. »Ich ... ich bin froh zu sehen, dass es dir gut geht.«

Arabelle errötete. »Tut mir leid, aber man hat uns einander nie richtig vorgestellt. Deshalb weiß ich nicht, wie du heißt.«

Ryan lächelte. »Ich bin Ryan Riverton.« Er deutete mit der Hand nach hinten auf Dad. »Das ist mein Vater Jared. Und der riesige Kerl hinter mir ist der Generalprotektor von Trimoria, Throll Lancaster.«

Arabelle nickte den beiden Männern nacheinander kurz zu, dann wippte sie aufgeregt auf den Füßen. »Ich hätte nicht erwartet, euch hier zu sehen. Aber da ihr schon mal hier seid ...« Scheu schlug sie die Augen nieder, bevor sie Ryan ins Gesicht blickte. »Ihr müsst mich zum Zelt meines Vaters begleiten. Er wird euch alle sehen wollen. Ich bestehe darauf, dass ihr mit uns zu Abend esst.«

Ryan schaute zu Dad und Throll auf.

Der Waldhüter verneigte sich vor Arabelle. »Wir begleiten dich gern, junge Dame.«

Arabelle strahlte. »Kommt mit.«

Geübt und flink schlängelte sie sich zwischen den Wagen und Zelten hindurch. Ryan musste sich beeilen, um mitzuhalten.

Wie Arabelle ihn von oben bis unten musterte, verunsicherte ihn. Er hoffte, sie bemerkte nicht die Hitze, die ihm ins Gesicht stieg.

»Ich hoffe, du verstehst die Frage nicht falsch«, sagte sie, »aber mir sind deine Roben aufgefallen. Bist du in der Lehre zum Mystiker?«

Ryan schüttelte den Kopf. »Oh ... nein. Ich meine ... also ich bin ... gewissermaßen ... ein Zauberer«, erklärte er schulterzuckend. Es laut auszusprechen, klang albern.

Arabelle lachte. »Komm schon, sag die Wahrheit.«

Ryan schaute über die Schulter zurück. Sein Vater und Throll befanden sich ein gutes Stück hinter ihnen, führten die Pferde und waren in ein Gespräch vertieft.

»Na schön«, sagte Ryan. »Pass auf.« Er zog die Ärmel hoch, drehte die Handflächen nach oben und zeigte Arabelle einen Energiebogen, der sich von seiner Linken zur Rechten wölbte.

Arabelles Augen wurden groß. »A-Aber ...«, stammelte sie. »Wie kann das sein? Mir wurde gesagt, es gäbe in diesen Landen keine Zauberer. Außer Azazel natürlich.«

Ryan zuckte mit den Schultern. »Mein Vater ist auch ein Zauberer ... obwohl er lieber als Schmied arbeitet.«

Arabelle starrte Ryan entgeistert an. »Das in dem Traum warst wirklich du«, sagte sie schließlich und musterte prüfend sein Gesicht. »Aber du warst älter.«

»Also träumst du von mir?«, scherzte Ryan.

Arabelle errötete und schlug ihm verspielt gegen den Arm. »Ich mein’s ernst. Wir hatten den Traum alle. Du musst davon wissen. Du kämpfst darin gegen irgendeinen Dämon.«

»Ich hatte den Traum auch«, gestand Ryan, fügte jedoch nichts hinzu. Was sollte er schon sagen? Jeder in Trimoria träumt von meiner künftigen Begegnung mit einem Dämon?

Zum Glück sprachen sie nicht weiter darüber, sondern gingen gesellig schweigend zu einem großen, von mehreren breitschultrigen Männern bewachten Zelt.

Arabelle wandte sich an den vordersten Wachmann. »Bitte bring die Pferde dieser Männer in den Stall und füttere sie.«

»Arabelle, bist du das?«, drang eine Stimme aus dem Zelt heraus. Ihr Vater schob die Klappe beiseite und trat ins Freie.

Arabelle umarmte ihn. »Hallo, Vater«, sagte sie herzlich. »Erinnerst du dich an Ryan aus Aubgherle? Seine Mutter hat mich damals wiederbelebt.«

Mit beiden Händen ergriff er Ryans Hand und schüttelte sie. »Natürlich. Schön, dich wiederzusehen, junger Mann. Und deine Gefährten auch.« Er verneigte sich vor Throll und Dad. »Mein Name ist Honfrion, und das ist meine Karawane. Willkommen in meinem Zelt.«

Nach der knappen Vorstellung führte der Händlerkönig sie alle in sein Zelt, wo bereits ein üppiges Mahl auf einer langen, prall gefüllten Tafel aufgetragen war. Ryan sabberte bei dem Anblick praktisch. Honfrion bat seine Bediensteten, sie allein zu lassen, doch Ryan fiel auf, dass die Gardisten am Eingang auf ihrem Posten blieben. Hier fühlte er sich sicher.

»Deine Frau hat meinem einzigen Kind das Leben gerettet«, sagte Honfrion zu Dad. »Ich stehe tief in der Schuld deiner Familie und werde sie nicht unbeglichen lassen. Du brauchst mir nur zu sagen, was du möchtest. Nenn mir irgendetwas, und ich mache es mir zur Lebensaufgabe, es zu besorgen.«

Dad nahm den Mann beim Wort. »Ich kann nachvollziehen, wie du empfindest. Würde ich genauso, wenn du so etwas für eines meiner Kinder getan hättest.« Er runzelte die Stirn und überlegte. »Mir fällt nichts Materielles ein ... aber ich könnte ein paar Auskünfte gebrauchen.«

»Auskünfte?« Lächelnd nickte Honfrion. »Auskünfte können sehr wertvoll sein. Worüber möchte ein Mann wie du etwas wissen?«

»Über Geschichte«, antwortete Jared. »Ich muss etwas über die Zeit des ersten Protektors erfahren. Außerdem muss ich alles wissen, was du mir über Azazels Herkunft sagen kannst, über Zauberer vor der Ankunft der Dämonen und über Elfen und darüber, wo sie zu finden sein könnten. Mir scheint, ein so weit gereister Mann wie du sollte doch in der Lage sein, mir Antworten darauf zu geben.«

Honfrion runzelte die Stirn. »Das Wissen, das du suchst, ist gefährlich. Ich weise dein Gesuch nicht zurück, sondern rate dir davon ab. Je weniger du dich in die Angelegenheiten von Fürst Azazel einmischst, desto besser.«

»Dafür ist es leider zu spät«, gab Dad zurück.

Honfrion lehnte sich zurück. »Wie meinst du das?«

Als Dad den Mund zum Antworten öffnete, kam Throll ihn zuvor. »Honfrion«, sagte er, »bist du dem Zauberer gegenüber loyal?«

Honfrion musterte Throll eine lange Weile, als überlegte er, wie er darauf antworten sollte. Schließlich nickte er, als hätte er eine Entscheidung getroffen. »Wie gesagt, ich verdanke euch allen sehr viel. Nur durch eure Freundlichkeit ist meine Tochter noch am Leben. Ich sage euch, was ihr wissen wollt. Aber können wir uns darauf einigen, unsere Geheimnisse gegenseitig zu bewahren?«

Alle im Zelt nickten.

»Gut.« Honfrion winkte alle näher, dann fuhr er mit leiser Stimme fort. »Ich würde den Zauberer nur zu gern tot sehen. Aber ich diene ihm, wenn auch widerwillig. Er hat mich angewiesen, mit der Karawane in einem bestimmten Muster zu reisen, um seine von Stadt zu Stadt ziehenden Handlanger zu begleiten. Ich werde ständig von mindestens zwei Dutzend seiner Männer eskortiert. Außer jetzt«, fügte er hinzu.

»Jetzt? Was ist jetzt anders?«, fragte Throll.

»Das weiß ich nicht genau«, erwiderte Honfrion. »Als wir in Aubgherle angekommen sind, war noch eine Truppe bei uns. Die Männer haben sich in einer der Herbergen einquartiert. Und dann, eines Tages, sind sie verschwunden. Seitdem haben wir sie nicht mehr gesehen. Es hat auch kein Nachschub ihren Platz in unserer Karawane eingenommen. Ich kann nicht behaupten, dass es mich stört.«

Dad lächelte. »Sagen wir einfach, die Soldaten sind tatsächlich und dauerhaft verschwunden«, meinte er düster.

Honfrions Augen wurden groß. »Du ... Willst du damit etwa sagen, dass ...«

Dad nickte. »Sie haben uns angegriffen. Wir hatten keine Wahl. Und es waren nicht nur Azazels Soldaten. Auch der Zauberer höchstpersönlich hat uns überfallen.«

Honfrions Gesichtsausdruck wurde ungläubig. »Verzeih meine Zweifel, aber nur wenige, die Azazel leibhaftig zu Gesicht bekommen, überleben es und können davon erzählen.«

»Das glaub ich gern«, sagte Dad. »Und doch sind wir hier. Tatsächlich hat es Azazel viel schlimmer erwischt als uns. Als er uns verlassen hat, war er schwer verletzt. Aber wir gehen davon aus, dass er sich erholen wird. Und dann eröffnet er die Jagd auf uns wieder. Deshalb sind wir unterwegs zu seinem Turm, um ihm zuvorzukommen und ihm den Garaus zu machen.«

»Das ... das ist unmöglich«, behauptete Honfrion.

»Es ist möglich«, widersprach Ryan.

Fragend schaute er zu seinem Vater, der nickte.

Ryan hob die rechte Hand, holte tief Luft und ließ dünne Fäden knisternder Energie zwischen den Fingern tänzeln. Dann ballte er die Hand zur Faust und löschte die Funken.

Jared sah Honfrion an. »Ich kann dasselbe. Nur ... nicht so kontrolliert wie Ryan, deshalb ist es besser, wenn ich es nicht veranschauliche.«

Der Händlerkönig schien außer sich zu sein. Aus seinen Zügen sprach eine Mischung aus Verblüffung, Entsetzen und Hoffnung. Arabelle hingegen grinste breit, und ihre Augen funkelten im Schein des Feuers.

Schließlich setzte Honfrion ein verschmitztes Lächeln auf. Er erhob sich von seinem Platz, ging zu einer großen Truhe und entnahm ihr ein kleines Kästchen. Dann holte er aus seinem Gewand einen Schlüssel hervor und schloss das Kästchen auf. Es enthielt einen in Seide gewickelten Gegenstand, mit dem er zum Tisch zurückkehrte.

Behutsam legte er den Gegenstand ab und wickelte ihn aus. Unter den Seidenschichten kamen zwei sehr alt wirkende, ledergebundene Bücher zum Vorschein.

»Diese Bücher stammen aus der Zeit vor den Dämonenangriffen. Es sind die ältesten, die ich kenne. Ihr wollt etwas über Azazels Herkunft und über Zauberer vor der Zeit der Dämonen wissen? Dann sind diese Werke eure beste Hoffnung, Antworten zu finden.« Er schob die Bücher über den Tisch. »Sie gehören jetzt euch.«

»Danke, Honfrion.«

»Nein, ich habe zu danken. Glaubt ihr wirklich, dass ihr die Welt von Azazel befreien könnt?«

Dad presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Sagen wir so: Wir werden tun, was wir können, um dafür zu sorgen, dass Azazel nie wieder irgendjemanden behelligt.«

Honfrions Hände fingen zu zittern an. »Wenn ihr das erreicht, stehe ich schon bald wieder in eurer Schuld. Für eine solche Großtat wären diese Bücher eine nichtige Kleinigkeit.«

Dad lächelte. »Tatsächlich ... gäbe es da noch etwas, das du für uns tun könntest«, sagte er verlegen.

»Alles«, antwortete Honfrion.

»Dann bitte ich dich, uns mit deiner Karawane zu Azazels Turm von begleiten. Ich möchte ihn nach Möglichkeit überrumpeln. Das ist unmöglich, wenn wir weithin sichtbar unterwegs sind. Aber versteckt in deiner Karawane ...«

»So soll es sein«, entschied Honfrion. »Und dennoch ist damit nicht ansatzweise beglichen, was ich euch schulde. Aber da ist noch etwas, das ich anbieten könnte.« Er zog eine der buschigen grauen Augenbrauen hoch. »Mir erscheint offensichtlich, dass meine Tochter großen Gefallen an deinem Sohn gefunden hat. Wenn er bereit ist, sie anzunehmen, würde ich mit Freuden eine stattliche Mitgift bereitstellen.«

Ryan war derart verdutzt, dass er einige Herzschläge lang brauchte, um vollständig zu verarbeiten, was der Händlerkönig gerade gesagt hatte. Hat er gerade vorgeschlagen, dass ich seine Tochter heiraten soll? Er spähte zu Arabelle hinüber, die kokett lächelte. Ryan spürte, wie er vor Verlegenheit hochrot anlief.

Dad wirkte genauso überrascht. »Ich, äh ... denke über das Angebot nach«, sagte er. »Ich muss es erst mit meinem Sohn besprechen.«

Danach bekam Ryan kaum noch ein Wort mit. Ebenso wenig konnte er Arabelles Blick begegnen. Er mochte das Mädchen. Aber er fühlte sich nicht ansatzweise für etwas bereit, das einer Ehe auch nur ähnelte.

* * *

Nach dem Abendessen zogen sich Ryan, Dad und Throll in ein eigenes Zelt zurück, das Honfrion für sie eingerichtet hatte. Als sich Ryan auf sein Bett plumpsen ließ, spürte er, dass Throll ihn lächelnd ansah. Wahrscheinlich wirkte Ryan gerade wie ein gefangenes Tier.

»Ich kann verstehen, was du empfindest«, sagte Throll und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Aber weißt du, in Trimoria ist es üblich, dass Väter für ihre Kinder Ehen vereinbaren. Tatsächlich solltest du deinem Vater dankbar sein. Es ist ungewöhnlich, dass ein Vater die Meinung seines Sohnes dazu einholt.«

Dad zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich?«

Throll zuckte mit den Schultern. »Väter wissen über solche Dinge mehr, nicht wahr? Kindern fehlt es an Erfahrung, um bei der Wahl einer Gefährtin oder eines Gefährten klug vorzugehen. Stell dir nur das Chaos vor, das entstehen würde, wenn wir unsere Kinder ihre Ehen selbst einfädeln ließen!«

Dad schmunzelte. »Na ja, das ist schon anders, was wir es von zu Hause gewohnt sind. Andererseits ...« Er kniete sich vor seinen Sohn. »Ryan, mir scheint, du findest Arabelle attraktiv. Habe ich recht?«

Ryan spürte, wie sich Wärme in seinem Gesicht ausbreitete.

»Dein Erröten ist Antwort genug«, meinte Dad. Er stand auf und wandte sich an Throll. »Was würde man in Trimoria von einem solchen Paar halten? Wenn du in meiner oder in Honfrions Lage wärst, was würdest du davon halten?«

Throll runzelte die Stirn. »Arabelle ist hochgeboren und wohlhabend. Obendrein noch wunderschön. Ich könnte mir für meinen eigenen Sohn kaum eine bessere Partie wünschen. Und aus Honfrions Sicht ... unter normalen Umständen wäre ein Schmied eine ausgezeichnete Wahl für fast jedes Mädchen. Allerdings würde er seine Tochter keinem gewöhnlichen Schmied versprechen. Ich vermute, Ryan ist deshalb für ihn verlockend, weil er ein Zauberer ist.«

»Also meinst du, ich sollte das Angebot annehmen?«, fragte Jared.

»Dad!«, warf Ryan empört ein.

Throll schenkte ihm keine Beachtung. »Sie sieht gesund aus. Und sie weiß eindeutig, wann man besser schweigt und wann man sich zu Wort melden sollte. Sie scheint gut erzogen zu sein. Also ja. Wäre ich Ryans Vormund, ich würde zustimmen.«

»Und meinst du nicht, dass Ryan ein bisschen zu jung zum Heiraten ist?«

»Wir sprechen von einer Verlobung, nicht von Heirat«, erwiderte Throll. »Viele Verlobungen werden bereits bei der Geburt vereinbart. Aber vollzogen wird die Trauung in der Regel erst, wenn der Junge den 18. Geburtstag erreicht oder seine Lehre abgeschlossen hat.«

Dad richtete den Blick auf Ryan. »Und? Offensichtlich liegt es an dir. Aber ich merke, dass du sie magst und sie dich. Bis zur Heirat hättet ihr noch mindestens ein Jahr, um euch gegenseitig kennenzulernen. Deine Mutter und ich waren nur sechs Monate lang verlobt, bevor wir geheiratet haben.«

»Ja, aber wart ihr davor nicht vier Jahre lang zusammen?«

Dad zuckte mit den Schultern. »Hör mal, du kannst dir ruhig Zeit lassen. Ich will dir sicher nicht den Zeitplan für deine Verlobung vorschreiben ...«

»Meine was?«

»Was ich damit sagen will: Bis du tatsächlich geheiratet hast, ist nichts endgültig. Lern sie kennen. Aber so, wie du sie ansiehst«, fügte er grinsend hinzu, »wette ich, du wirst schon bald darum betteln, die Sache hier zu beschleunigen.«

Unzählige Gedanken schwirrten Ryan durch den Kopf. Aber er kehrte immer wieder zu dem Gefühl beim allerersten Anblick von Arabelle zurück. Er hatte noch deutlich vor sich, wie sie in jenem Moment ausgesehen hatte: das liebliche Gesicht, die rehbraunen Augen, das rabenschwarze Haar. Es dauerte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass er lächelte.

»Ich denke, ich würde sie wirklich gern kennenlernen«, räumte er schließlich ein, und sein Herz schlug schneller in der Brust. »Also ... ich wäre nicht böse, wenn du der Vereinbarung zustimmst.«

»Du wirst so schnell erwachsen«, meinte Dad und zog Ryan in eine Umarmung. »Jetzt kommt erst der schwierige Teil.«

»Was meinst du?«

Dad zwinkerte. »Jemand wird das deiner Mutter erklären müssen.«

* * *

In dieser Nacht konnte Ryan nicht schlafen; zu sehr kreisten seine Gedanken um Arabelle. Nachdem er sich eine Stunde lang rastlos hin und her gewälzt hatte, beschloss er, aufzustehen und sich die Bücher anzusehen, die Honfrion seinem Vater geschenkt hatte. Er zündete eine Kerze an, holte die Bücher vom Tisch, wo Dad sie liegen gelassen hatte, und kehrte damit ins Bett zurück. Dort lehnte er das Kissen ans Kopfteil und setzte sich. Dad und Throll rührten sich nicht.

Das erste Buch entsprach ganz und gar nicht dem, worum Dad gebeten hatte – es behandelte die Geschichte der Zwerge und ihrer Schmiedetechniken. Trotzdem blätterte Ryan es durch und hielt schließlich inne, als er auf einen Abschnitt über Bergbau stieß, den er recht interessant fand. Mehrere Passagen erwähnten etwas, das die Zwerge die »Saat Trimorias« nannten, was Ryans Neugier weckte. Er schlug im Anhang nach und wurde auf einen Absatz in einem Kapitel mit dem Titel »Bergbauunfälle« verwiesen.

Obschon die Stollen der 34. Ebene der Miene beträchtlichen Reichtum versprachen, wurden sie als zu tief und zu heiß für die Zwerge erachtet . Verschiedene zuverlässige Quellen berichten auch, dass es dort merkwürdige Wesen gibt, unter anderem Wichtel. Dies wurde als Beweis dafür angesehen, dass die Bergleute zu nah zur verbotenen Tiefe vorgestoßen waren. Weisheit gebot, sich zurückzuziehen.

Doch bevor der Betrieb eingestellt wurde, entdeckten einige von ihnen einen großen kugelförmigen Keim, der wie ein Kristall schimmerte und Wärme abstrahlte. Die Bergleute brachten den Keim vor eine Versammlung von Zauberern, die befanden, er wäre ein unreines Element Trimorias, das nie in diese Welt hätte gelangen sollen, wie sie meinten. Sie behaupteten, der Keim beherberge eine dunkle, wankelmütige Macht, die dessen Besitzer auf düstere Weise beeinflusste. Je länger jemand den Keim besäße, desto größer der Einfluss.

Letztlich lautete der Rat der Versammlung, den Keim dorthin zurückzubringen, wo man ihn gefunden hatte. Die Zwerge erklärten sich damit einverstanden.

Nach diesem Erlass wurde von den Clan-Ältesten beschlossen, dass die 34. Ebene von der Welt abgekapselt werden sollte. Der Keim wurde zurück in die Mine gebracht, und der Vorarbeiter sprengte den Eingang. Seither ist der Zugang in die Tiefe versiegelt.

Ryan ging zum zweiten Buch über. Es erwies sich als fast tausend Jahre alt und stammte von einem trimorianischen Volkszähler. Die ersten Kapitel enthielten eine Menge Informationen über die Elfen, Zwerge und Menschen, aus denen sich die Bevölkerung Trimorias zusammensetzte. Auch Schätzungen über die Zahl der Oger waren vorhanden, allerdings wurden in den Fußnoten schwere Zweifel an ihrer Genauigkeit geäußert.

Ryan fand einen Abschnitt über Fertigkeiten und Erwerbsquellen. Dort sprang er rasch zu den Daten über Zauberer, auch wenn er sich ziemlich trocken las.

Kategorien von Zauberern = Weniger als zwei Prozent der Bürger Trimorias

Buschzauberer: 80 Prozent der Zauberer

Kampfzauberer: 10 Prozent der Zauberer

1 Prozent der Kampfzauberer rechtfertigt die Bezeichnung Ober-Kampfzauberer.

Heiler: 10 Prozent der Zauberer

1 Prozent der Heiler rechtfertigt die Bezeichnung Ober-Heiler.

Erzmagier: Nur ein Dutzend Zauberer in den letzten 100 Jahren haben die Fähigkeit gezeigt, Magie zu verformen.

Ryan blätterte die Seiten auf der Suche nach weiteren Erklärungen durch, fand jedoch keine. Am meisten wunderte er sich über die Bezeichnung »Erzmagier« und diese Fähigkeit, »Magie zu verformen«. Was sollte das bedeuten? Könnte es sich auf seine Fähigkeit beziehen, Energie in Gegenstände wie Rüstungen und Waffen zu leiten?

Das fand er interessant, und er würde beide Bücher unbedingt noch einmal genauer lesen müssen. Zugleich jedoch war er enttäuscht. In beiden Büchern stand nichts über Azazels Herkunft, worauf Dad gehofft hatte. Vielleicht war dieses Wissen tatsächlich im Verlauf der Zeit verloren gegangen.

Als Ryan das restliche Buch überflog, fiel eine Seite heraus und flatterte auf seinen Schoß. Er hob sie auf und stellte fest, dass es sich um keine Seite des Buchs handelte, sondern um eine Karte, die darin eingeklebt gewesen war. Es zeigte einen Wald mit einem labyrinthartigen Pfad, der zu einem Ort namens »Ellisanethra« führte. Weitere Beschriftungen gab es nicht, auch keinen Hinweis darauf, wo dieser Wald überhaupt lag. Es schien weniger eine Karte zu seine, eher ein Wegweiser durch das Labyrinth. Er würde Throll am nächsten Morgen danach fragen müssen.

Gähnend stellte er fest, dass er mit der Durchsicht des Buchs zumindest etwas erreicht hatte: Er war müde geworden. Er steckte die Karte in seine Tasche, packte beide Bücher beiseite, blies die Kerze aus und legte sich hin.

Als er in den Schlaf davontrieb, tänzelten durch seine Gedanken Visionen der wunderschönen Arabelle.

* * *

»Hast du gehört, was mein Hornochse von einem Ehemann vorhat?«, tobte Aubrey, als sie in die Küche stürmte.

Natürlich wusste Gwen es. Sie trugen alle die Ringe und erhielten alle die gleichen Botschaften.

Aubrey wartete nicht auf eine Antwort. »Er will vereinbaren, dass Ryan und Arabelle heiraten!«

Gwen lächelte. »Du solltest stolz sein. Sie ist eine wunderbare Partie. Arabelles Vater ist einer der reichsten Männer in Trimoria.«

»Ist mir egal, ob es eine ›wunderbare Partie‹ ist – Ryan ist erst 17! Wie konnte Jared nur?«

Gwen schaute verwirrt drein. »Das verstehe ich nicht. Ich war neun, als meine Eltern meine Heirat mit Throll vereinbart haben.«

»Er kennt sie ja nicht mal«, sagte Aubrey und schüttelte den Kopf. Sie legte die Hände auf den prallen Bauch.

»Ich habe Throll auch nicht gekannt«, verriet Gwen. »Das erste Mal bin ich ihm in der Woche begegnet, in der wir geheiratet haben. Davor war er in einer anderen Stadt unterwegs und hat Soldat gespielt.« Gwen zuckte mit den Schultern. »Außerdem hatte ich den Eindruck, dass diese Arabelle deinem Ryan sehr gefällt. Hast du nicht bemerkt, wie er sie angesehen hat, als sie hier war?«

»Doch, aber ...«

»Und sie schien mir ein nettes Mädchen zu sein. Sehr gesittet«, fügte Gwen hinzu.

»Ja, aber ...«

»Und ich glaube, sie mag ihn auch«, ergänzte Gwen. »Was also bereitet dir Sorgen?«

»Mir bereitet Sorgen ...« Ja, was eigentlich? , fragte sich Aubrey. Dann sackten ihre Schultern herab. »Sorgen bereitet mir, dass er immer noch mein Baby ist. Ich glaube, ich bin dafür noch nicht bereit.«

Gwen lachte. »Das sind Mütter nie. Ich weiß noch, dass meine Mutter nach meiner Verlobung eine Woche lang hysterisch war. Aber nach einer Weile hat sie sich mit der Vorstellung angefreundet. Tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber ich finde, wir Mütter sind manchmal zu gefühlsbetont bei unseren Entscheidungen. Gelegentlich ist es ganz gut, den Ehemann ein paar davon treffen zu lassen.«

Aaron kam in die Küche und wirkte rundum belustigt. »Ich kann’s nicht glauben. Ryan heiratet? «

Bevor Aubrey antworten konnte, sagte Gwen: »Nicht sofort. Es ist üblich, frühestes mit 18 zu heiraten.«

Aaron schmunzelte. »Ryan heiratet

Aubrey starrte ihn an. »Ich lasse nicht zu, dass du deinen Bruder damit aufziehst. Verlier bloß kein Wort zu ihm darüber. Die Männer haben so schon genug Kopfzerbrechen.«

»Ich wette, Ryan hat eine ganze Menge Kopfzerbrechen«, meinte Aaron mit einem breiten Grinsen.

* * *

»Ist das zu fassen, wie sich Ryans Leben plötzlich verändert hat?«, meinte Sloane zu Aaron. Die beiden schlenderten durch den Wald und suchten nach Pilzen. »Mir kommt es wie gestern vor, dass ihr beide hier eingetroffen seid. Und jetzt ist er ein Zauberer und verlobt.«

Aaron lachte. »Ja. Ich wette, derzeit findet er das Leben nicht so toll. Kannst du dir vorstellen, dass man dir auf einmal sagt, du sollst einen Fremden heiraten, den du kaum kennst?«

»Na ja«, erwiderte Sloane nüchtern, »ich nehme an, wir werden auch bald verlobt sein.«

»Ich nicht.« Aaron schüttelte den Kopf. »Niemand schreibt mir vor, wen ich heiraten soll.«

Sloane lachte. »Aaron, du musst dich damit abfinden, dass dein Vater eines Tages deine Ehe arrangieren wird. Mein Vater wird dasselbe für mich tun. Und es wird bald passieren. Ich bin schon 14. Es ist ungewöhnlich für jemanden in meinem Alter, noch nicht verlobt zu sein.«

»Hört sich an, als würdest du das wollen «, stellte Aaron fest. »Wie kannst du zulassen, dass dich dein Vater mit einem Wildfremden verkuppelt? Was, wenn er nicht nett ist? Was, wenn er ein Idiot ist? Oder dich gar nicht leiden kann?«

Aaron hatte größtenteils mit sich selbst geredet, seine Gefühle zu dem Thema ausgedrückt und dabei nicht berücksichtigt, wie sich Sloane fühlen würde. Deshalb war er nicht nur überrascht, sondern schämte sich auch, als sie plötzlich das Gesicht in den Händen vergrub und zu weinen anfing.

»Sloane ... tut mir leid«, sagte er behutsam. »Ich hab damit nicht gemeint, dass ... Sloane, dein Vater ist wirklich klug. Und ausgesprochen nett, obwohl er mich bei der Ausbildung mit Begeisterung anbrüllt. Er wird einen ganz wunderbaren Jungen für dich aussuchen. Das weißt du doch.«

Sloane zog ihn in eine Umarmung, und er spürte ihre warmen Tränen an der Schulter. »Aber was, wenn ihm ein Fehler unterläuft? Was, wenn er den Jungen, den er für mich aussucht, gar nicht wirklich kennt? Was, wenn sich der Junge als schrecklicher Kerl entpuppt, als jemand wie Schneck? Was, wenn er sich nach außen hin nur gut verstellt?«

Als Sloane ihn innig umarmte, spürte Aaron, wie sich ein eigenartiges Gefühl in ihm ausbreitete. Und plötzlich konnte er kaum glauben, welche Worte aus ihm hervorsprudelten.

»Was, wenn wir beide uns verloben?«, fragte er leise.

Sloane hörte zu weinen auf. Sie zog sich zurück. »Ist das dein Ernst?«

Aaron konnte fühlen, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. »Na ja, ich bin für dich kein Fremder. Und ich würde nie gemein zu dir sein, jedenfalls nicht absichtlich. Und ich würde versuchen, mich nicht allzu dumm anzustellen.«

Sloane lachte. »Alle Jungs sind strunzdumm, also versprich mir das lieber nicht.«

Aaron grinste. Dann jedoch stellte sich verlegenes Schweigen zwischen ihnen ein. Plötzlich fiel es ihm schwer, Sloane in die Augen zu sehen.

Schließlich ergriff sie das Wort. »Ich wäre begeistert, wenn wir beide ein Paar werden könnten, aber ... so läuft das nicht. Diese Entscheidung trifft mein Vater.«

Aarons Herz setzte einen Schlag aus. »Du meinst, du wärst glücklich, wenn du und ich zusammenkämen?«

Sloane errötete und schlug die Augen nieder. »Natürlich. Warum nicht?«

Bevor Aaron etwas erwidern konnte, trat sie näher und küsste ihn auf die Wange.

Das Gefühl, das darauf folgte, ließ sich mit nichts vergleichen, was Aaron je erlebt hatte. Es war ... elektrisierend und breitete sich durch seinen gesamten Körper aus.

»Lass mich mit meinem Vater und Throll reden«, sagte er. »Wenn du wirklich so denkst, kann ich sie bestimmt überzeugen.«

Sloane strahlte. »Oh Aaron! Ich hoffe, es gelingt dir.«

Und während sie sich eine unmöglich lange, verlegene Weile gegenseitig tief in die Augen sahen, fühlte sich Aaron unbehaglich und überglücklich zugleich.