Wie sich herausstellte, konnten Matthew und Daisy erst im Spätherbst getraut werden. Hampshire trug Scharlachrot und leuchtendes Orange, an vier Vormittagen in der Woche wurde mit der Meute gejagt, und die letzten Körbe mit Obst waren von den schwer beladenen Bäumen geerntet. Jetzt, da das Heu gemäht war, hatten die lärmenden Kornkrähen die Felder verlassen, und ihr Kreischen wurde durch die sanften Melodien der Singdrosseln und das Geschnatter der gelben Ammern ersetzt.
Während des gesamten Sommers und eines Großteils des Herbstes hatte Daisy viele Trennungen von Matthew erdulden müssen, darunter häufige Reisen nach London, um seine rechtlichen Angelegenheiten zu regeln. Mit Westcliffs Hilfe wurde der Auslieferungsantrag der amerikanischen Regierung abgelehnt, sodass Matthew in England bleiben konnte. Nachdem er sehr geschickte Anwälte engagiert und sie mit den Besonderheiten seines Falles vertraut gemacht hatte, schickte er sie nach Boston, um beim Berufungsgericht Einspruch einzulegen.
In der Zwischenzeit reiste und arbeitete Matthew unaufhörlich, beaufsichtigte den Bau der Fabrik in Bristol, stellte Mitarbeiter ein und baute Vertriebskanäle im ganzen Land auf. Daisy hatte den Eindruck, dass Matthew sich irgendwie verändert hatte, seit die Geheimnisse seiner Vergangenheit gelüftet worden waren … er wirkte irgendwie freier, noch selbstbewusster und charismatischer.
Als Simon Hunt Matthews grenzenlose Energie und seine wachsende Liste von Erfolgen sah, hatte er ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass er jederzeit zu Consolidated Locomotive wechseln könne, sollte er eines Tages nicht mehr für Bowmans arbeiten wollen. Dies hatte Thomas Bowman dazu veranlasst, Matthew eine höhere prozentuale Beteiligung an den künftigen Gewinnen des Seifenunternehmens anzubieten.
»Mit dreißig bin ich Millionär«, hatte Matthew Daisy nüchtern mitgeteilt, »vorausgesetzt es gelingt mir, nicht ins Gefängnis zu wandern.«
Es hatte Daisy überrascht und berührt, wie sich alle in ihrer Familie, sogar ihre Mutter, für Matthew eingesetzt hatten. Ob dies um Daisys oder ihres Vaters willen geschehen war, blieb unklar. Thomas Bowman, der immer so streng zu den Menschen gewesen war, hatte Matthew den Betrug verziehen. Bowman schien ihn sogar mehr als je zuvor als einen De-facto-Sohn zu betrachten.
»Würde Matthew Swift einen kaltblütigen Mord begehen«, hatte Lillian Daisy anvertraut, »könnte man vermuten, dass Vater auf der Stelle sagen würde: ›Nun, der Junge wird wohl einen triftigen Grund dafür gehabt haben.‹«
Da Daisy entdeckte, dass die Zeit schneller verging, wenn sie sich ablenkte, beschäftigte sie sich damit, in Bristol nach einem Haus zu suchen. Sie entschied sich für ein großes Giebelhaus an der Küste, das einst einem Werftbesitzer und seiner Familie gehört hatte. In Begleitung ihrer Mutter und ihrer Schwester, die beide viel lieber einkauften als sie, erstand Daisy große, komfortable Möbel und farbenprächtige Wandbehänge und Stoffe. Und natürlich sorgte sie dafür, dass es in möglichst vielen Zimmern Tische und Regale für Bücher gab.
Wann immer Matthew sich ein paar Tage davonstehlen konnte, eilte er zu Daisy. Zwischen ihnen gab es jetzt keine Zurückhaltung mehr, keine Geheimnisse oder Ängste. Während sie lange Gespräche führten und durch die verschlafene Sommerlandschaft spazierten, fanden sie unendliche Freude an der Gesellschaft des anderen. Und in den Nächten, in denen Matthew im Dunkeln zu Daisy schlich und mit ihr schlief, bereitete er ihren Sinnen unendliche Lust und ihrem Herz Freude.
»Ich habe so sehr versucht, mich von dir fernzuhalten«, flüsterte er eines Nachts, als er sich an sie kuschelte, während das Mondlicht im dunklen Zimmer Streifen auf die Bettwäsche warf.
»Warum?«, flüsterte Daisy zurück und kroch über ihn, bis sie auf seiner muskulösen Brust lag.
Er spielte mit ihrem dunklen Haar, das ihn umfloss. »Weil ich nicht so zu dir kommen sollte, ehe wir verheiratet sind. Es besteht ein Risiko …«
Daisy brachte ihn mit ihren Lippen zum Schweigen und hörte erst auf, ihn zu küssen, als sich sein Atem beschleunigte und seine nackte Haut unter ihr so heiß wie eine Ofenplatte war. Sie hob den Kopf und lächelte in seine leuchtenden Augen. »Alles oder nichts«, murmelte sie. »So will ich dich haben.«
Schließlich teilten Matthews Anwälte ihm mit, dass ein Gremium aus drei Bostoner Richtern die Gerichtsakten geprüft, die Verurteilung aufgehoben und die Klage abgewiesen hatte. Sie entschieden auch, dass der Fall nicht neu aufgerollt werden konnte, was die Hoffnungen der Familie Waring auf eine Verlängerung der Quälerei zunichtemachte.
Matthew hatte die Nachricht mit bemerkenswerter Gelassenheit aufgenommen, die Glückwünsche aller entgegengenommen und den Bowmans und Westcliffs aufrichtig für ihre Unterstützung gedankt. Nur im Gespräch mit Daisy hatte Matthew seine Gelassenheit eingebüßt, die Erleichterung war zu groß, um sie stoisch zu ertragen. Und in einem intimen, innigen Austausch, der für immer nur zwischen ihnen beiden bleiben würde, hatte sie ihn so gut es ging getröstet.
Und nun war ihr Hochzeitstag gekommen.
Die Trauung in der Kapelle von Stony Cross dauerte schrecklich lange, denn der Pfarrer war fest entschlossen, all die wohlhabenden und wichtigen Besucher, von denen viele aus London und einige aus New York kamen, zu beeindrucken. Der Gottesdienst umfasste eine endlose Predigt, eine beispiellose Anzahl von Kirchenliedern und drei ermüdende Schriftlesungen.
Daisy wartete geduldig in ihrem schweren champagnerfarbenen Satinkleid, ihre Füße waren arg eingezwängt in ihren perlenbesetzten Schuhen mit Absatz. Durch den kunstvollen, mit Perlen bestickten Schleier aus Valenciennes-Spitze war ihre Sicht eingeschränkt. Die Hochzeit wurde zu einer Geduldsprobe. Sie tat ihr Bestes, um ernst auszusehen, doch als sie einen Blick auf Matthew warf, groß und gut aussehend in einem schwarzen Cutaway und einem gestärkten weißen Halstuch, hüpfte ihr Herz vor Glück.
Am Ende des Gelübdes küsste der Bräutigam die Braut trotz der vorherigen strengen Ermahnungen von Mercedes, dass dieser Brauch in der besten Gesellschaft nicht üblich sei. Matthew zog Daisy an sich und drückte ihr vor den Augen aller Anwesenden einen festen Kuss auf die Lippen. Hier und da schnappte jemand nach Luft, und aus der Menge ertönte freundliches Lachen.
Daisy blickte auf und sah in die funkelnden Augen ihres Mannes. »Sie sind skandalös, Mr Swift«, flüsterte sie.
»Das ist noch gar nichts«, erwiderte Matthew leise und sah sie voller Liebe an. »Mein schlimmstes Verhalten hebe ich mir für heute Nacht auf.«
Anschließend begaben die Gäste sich in das Herrenhaus. Nachdem sie gefühlt Tausende von Menschen empfangen und ihnen zugelächelt hatte, bis ihre Wangen schmerzten, stieß Daisy einen langen Seufzer aus. Als Nächstes sollte ein Hochzeitsmahl folgen, das halb England hätte ernähren können, und danach stundenlang Trinksprüche und langwierige Verabschiedungen. Dabei wollte sie doch nur mit ihrem Gemahl allein sein.
»Ach, beschwere dich nur nicht«, ertönte die amüsierte Stimme ihrer Schwester neben ihr. »Einer von uns musste ja eine richtige Hochzeit haben. Also warum nicht du?«
Daisy drehte sich um. Lillian, Annabelle und Evie standen hinter ihr. »Ich wollte mich gar nicht beschweren«, sagte sie. »Ich habe nur daran gedacht, wie viel einfacher es gewesen wäre, nach Gretna Green durchzubrennen.«
»Das wäre allerdings ziemlich einfallslos gewesen, meine Liebe, wenn man bedenkt, dass sowohl Evie als auch ich es vor dir getan haben.«
»Es war eine wundervolle Trauung«, versicherte ihr Annabelle herzlich.
»Und eine lange«, erwiderte Daisy bedauernd. »Ich fühle mich, als würde ich schon seit Stunden stehen und reden.«
»Das tust du auch«, erklärte Evie. »Komm mit uns … wir machen ein Mauerblümchentreffen.«
»Jetzt?«, fragte Daisy verwirrt und blickte in die lebhaften Gesichter ihrer Freundinnen. »Das können wir nicht machen. Wir werden beim Hochzeitsmahl erwartet.«
»Ach, sollen sie doch warten!« Lillian nahm fröhlich Daisys Arm und zog sie aus der Eingangshalle.
Als die vier jungen Frauen in einen Gang einbogen, der zum Salon führte, begegneten sie Lord St. Vincent, der in die entgegengesetzte Richtung schlenderte. Elegant und schillernd in seiner förmlichen Kleidung, blieb er stehen und betrachtete Evie mit einem liebevollen Lächeln.
»Ihr scheint vor etwas auf der Flucht zu sein«, bemerkte er.
»Das sind wir«, gestand Evie ihrem Mann.
St. Vincent legte seinen Arm um Evies Taille und fragte verschwörerisch flüsternd: »Wo geht ihr hin?«
Evie dachte einen Moment lang nach. »Irgendwohin, wo wir Daisys Nase pudern.«
Der Viscount warf Daisy einen zweifelnden Blick zu. »Dafür braucht es euch alle vier? Dabei ist es doch nur eine kleine Nase.«
»Es dauert bestimmt nur ein paar Minuten, Mylord«, sagte Evie. »Würdest du uns bei den anderen entschuldigen?«
St. Vincent lächelte sanft. »An Entschuldigungen habe ich einen endlosen Vorrat, Liebes«, versicherte er ihr. Bevor er seine Frau losließ, drehte er sie zu sich herum und küsste sie auf die Stirn. Dabei berührte er mit der Hand einen kurzen Moment ihren Bauch, eine subtile Geste, die den anderen verborgen blieb.
Nur Daisy sah es, und sie wusste sofort, was es bedeutete. Evie hat ein süßes Geheimnis, dachte sie und lächelte. Sie führten Daisy in die Orangerie, wo warmes Herbstlicht durch die Fensterscheiben schien und der Duft von Zitrusfrüchten und Lorbeer in der Luft hing. Lillian nahm Daisy den üppigen Orangenblütenkranz und den Schleier ab und legte beides auf einen Stuhl.
Auf einem Tisch in der Nähe stand ein silbernes Tablett mit einer Flasche gekühlten Champagners und vier hohen Kristallgläsern.
»Das ist ein besonderer Toast für dich, meine Liebe«, sagte Lillian, während Annabelle die perlende Flüssigkeit einschenkte und die Gläser verteilte. »Auf dein Glück. Da du länger darauf warten musstest als der Rest von uns, hättest du eigentlich die ganze Flasche verdient.« Sie grinste. »Aber wir bestehen darauf, dass du sie auf jeden Fall mit uns teilst.«
Daisy nahm den Kristallstiel. »Es sollte ein Toast für uns alle sein«, sagte sie. »Immerhin hatten wir vor drei Jahren die schlimmsten Heiratsaussichten, die man sich nur vorstellen kann. Wir bekamen nicht einmal eine Einladung zum Tanz. Und jetzt seht nur, wie gut sich alles entwickelt hat.«
»Alles, was es b …brauchte, war ein bisschen verschlagenes Verhalten und ein paar Skandale hier und da«, sagte Evie mit einem Lächeln.
»Und Freundschaft«, fügte Annabelle hinzu.
»Auf die Freundschaft.« Lillians Stimme klang mit einem Mal ein wenig heiser.
Und in diesem wundervollen Moment stießen alle vier klirrend ihre Gläser aneinander.