21
Der Overall war gräßlich. Er war viel zu groß, hatte eine schreckliche blassblaue Farbe und war mit flüssigem Quorzan beschichtet, um den Träger vor möglichem Feuer oder extremer Gluthitze zu schützen. Und es war nur die Zweitkombination eines schwitzenden Helikopterpiloten des Metrosicherungsdienstes.
"Seid ihr Igid Lad? Sonderregulator Fleming bittet euch noch ein wenig zu warten. Er kommt gleich nach seiner Besprechung wieder."
Die freundliche Metropolizistin bot Igid ein abgefülltes Energypack an, lächelte ihm noch einmal aufmunternd zu und ließ ihn dann wieder allein in dem ausgemusterten Verhörzimmer zurück.
Nachdem Igid und der Regulator, der sich später als Dahalag Fleming vorstellte, dem Mörder unter dem Abitor entkommen waren und durch einen stillgelegten Versorgungsstollen auf die Oberfläche zurückkehren konnten, liefen sie prompt einer motorisierten Streife in die Arme. Nach einigen kurzen Erklärungen erfolgte der eilige Rücktransport in das Hauptquartier des MSD und die Vernehmung durch einen Sicherheitsoffizier und einen Metrorichter. Dann Essen und frische Kleider. Das war als man ihm den gräßlichen Overall brachte und unter normalen Umständen hätte er auf jeden Fall protestiert, aber der Rohling, der ihm den Overall übergab, schien kein Interesse an einer Unterhaltung gehabt zu haben. Und Dahalag Fleming war zwar sein Lebensretter, aber ein brutaler Unmensch und gegenüber jeder Art von Protest völlig unempfindlich.
Die Tür öffnete sich wieder und ein Mann trat ein. Igid starrte ihn im totalen Unglauben mit offenem Mund an. Stotternd sprang er von seinem Sitz auf.
"Nolava, Sire... ich... wir... oh, Sire, es war grauenhaft!"
Sutra Nolava Xiork, einflußreiches Direktoriumsmitglied des Satelliten A1, einstimmig gewählter Vorsitzender der Orbit-Brüder und stolzer Vater des jüngsten Satelliteninformators aller Zeiten sah mit steinerner Miene auf den Assistenten seines Sohnes hinab.
"Du hast deine Sache gut gemacht, Lad. Und jetzt fürchte dich nicht mehr, ich bin ja hier."
Die undurchlässige Staubwolke hatte sich endlich gelegt und gab nun die Sicht auf Djag-Sanbar wieder frei. Die Explosion hatte scheinbar die gesamte Felsspitze über dem Kastell weggesprengt und die ganze nördliche Ecke der Wüstenfestung mitsamt dem Wachturm unter Megatonnen von Gestein begraben. Unter einem neuen Berg.
Moud starrte vom gerade eroberten Vorbau der Befestigung durch die verschwindenden Sandschleier auf das Inferno. Er brauchte einige Zeit, um zu begreifen. Die Desserter. Das Divine.
"Verfickte Wüstenhunde!"
Einer seiner Bandenführer, eine fette Qualle namens Likx, der kurz zuvor alle Finger seiner linken Hand durch einen Combatorenfixer verloren hatte und nun unter lautem Jammern und Wehklagen die Waffen des Big Black nachlud, hob den Kopf und sah ihn an.
"Was?!"
"Diese dreckigen Wüstenratten! Sie haben die verfluchten Datalogger in der Höhle versteckt und jetzt den verfickten Berg gesprengt... der ganze verfluchte Berg liegt jetzt vor der Höhle."
"Du meinst, das Zeug, das wir wollen, war da drin?!"
"Diese Totfleischer haben sich einfach damit in die Luft gejagt. Die haben das Divine knallhart mit ihren eigenen Leuten weggesprengt... diese Wüstenhunde haben alles weggesprengt!"
Der Big Black schmetterte seine Waffe außer sich vor Wut mehrmals gegen die steinerne Befestigung. Die Datalogger waren weg. Vergraben unter Megatonnen Fels. Das Divine war verloren. Verloren für immer.
Moud sah sich um. Mehr als die Hälfte seiner Leutet waren tot oder verwundet und die Desserter waren zäh und hielten die Stellung. Es war sinnlos. Er gab dem fetten Likx und einem anderen Bandenführer neben sich ein Zeichen. Rückzug. Zurück ins Schutzgebiet. Er musste untertauchen. Schnell untertauchen, denn jetzt würden bald die Centauri-Brigaden, der MSD und die professionellen Terminatoren der Gilden hinter ihm her sein.
In der Ferne schwoll ein bedrohlich surrendes Geräusch immer stärker an. Moud beeilte sich, um von dem Vorbau nach unten zu kommen. Er kannte das Geräusch nur zu gut. Rotoren.
Airam 12 ließ den Kopf des weiblichen Adjutanten auf den karstigen Boden sinken. Eine kleine, drahtige Mannschaftsführerin mit einer Tätowierung am kahlgeschorenen Kopf. Das Mädchen hatte gerade erst das straff geführte Protektorenkollegium beendet und war mit dem Diplom im Marschgepäck zu ihrem ersten Einsatz aufgebrochen, ohne einen einzigen Gedanken an das eigentliche Ziel der Mission zu verschwenden. Ehrgeizig, fanatisch, rechthaberisch. Voll klassenbewußter Naivität. Sie hatte ausser Politveranstaltungen, Taktikschulungen und Drill nichts in ihrem kurzen Dasein erlebt. Die Kopfverletzung war zu schwer gewesen.
Airam sah sich um. Eine Handvoll Überlebender drängte sich in der flachen Bodenmulde aneinander. Verletzt, geschockt und mit den Kräften am Ende versuchten sie sich gegenseitig Mut zu machen. Vergeblich. Das Desaster in der Schlucht war unverzeihlich und mit Sicherheit das Todesurteil für den ersten weiblichen Commander des Protektorats. Denn solch ein Versagen würde vom Großprotektor niemals geduldet werden. Airam lud ihre Waffe durch.
"Durchhalten, Leute. Wir werden uns hier einbunkern, bis die Brigade kommt... und sie wird kommen. Sie werden..."
Der letzte Teil des Satzes ging in einem höllischen Lärm unter, denn im selben Moment jagten unter dem ratterndem Dröhnen der Rotoren die Helikopter über sie hinweg. Einhundert blutrote Helikopter im präzisen Formationsflug. Die Garde des Kanzlers.