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Eine Stunde zuvor hatte Su-Razaal, der Kommandant des Kastells, Danen und seine Begleiter im unterirdischen Thronsaal der Wüstenfestung willkommen geheißen.
Zen und Nomis Fisher hatten sich nach ihrer Rückkehr aus dem Tunnelsystem Nylevas verwirrenden Bericht und Danens noch verwirrendere Erklärung über Enos Attentat schweigend angehört und nur verständnisvoll mit den Köpfen genickt. Sie wurden von einer Gruppe martialischer Desserter begleitet, die Danen mit solcher Ehrfurcht und Achtung behandelten, daß nicht nur der junge Informator mißtrauisch wurde, sondern auch Nyleva Zen und dem Operator fragende Blicke zuwarf. Doch bevor Danen den Schattenmann um eine Erklärung bitten konnte, drängte ihn der Troß schnell und lautlos durch ein Labyrinth aus Stollen und Gängen in den Thronsaal der Befestigungsanlage. Die Begrüßung durch den Kommandanten und seine Männer war kurz und feierlich, und schon kurze Zeit später wurde der Satelliteninformator von seinen Kameraden getrennt und von Su-Razaal selbst in einen versteckten Raum tief unter dem Berg geführt, wo man eine altertümliche Tür aus Stahl hinter ihm wieder verschschloss.
Danen stand plötzlich und unerwartet vor seinem Vater, dessen Albino-Leibwächter und einem schmalen Asiaten mit wachem Blick und er stammelte vor Überraschung einige Grußworte in Satellspeak, das eigentlich nur von der Oberschicht des Weltraumtrabanten benutzt wurde.
Sutra Nolava nahm seinen Sohn wortlos in die Arme und drückte ihn fest an seine Brust, bevor er ihm die Hände auf die Schultern legte und ihm eindringlich in die Augen sah.
"Danen, mein Sohn... du weißt nicht, wie froh ich bin, daß du lebst... du weißt nicht welche Angst ich um dich hatte, welche Qualen..."
Eine einzelne Träne rann seinem Vater über die Wange. Danens Hand fuhr unwillkürlich hoch an sein biogenetisches Ersatzauge.
"... und wie sehr ich wünschte den Platz mit dir zu tauschen, um dir all das zu ersparen, das dir widerfahren ist... aber du musstest deine Rolle spielen, deine Aufgabe übernehmen und ich wusste, daß du es schaffen würdest, denn du hast das Blut aller Wüstenkrieger in dir."
Danen starrte seinen Vater fassungslos an.
Sutra Nolava packte ihn am Arm.
"Du bist Danen Xiork, Sohn des Sutra und der Ave und Urahnsohn des Araveg vom Stamm der Veme. Du bist ein wahrer Nachkomme des ersten Desserter, der als Spion auf den Satelliten geschickt wurde. Du bist ein Sohn der Wüste... so wie Zen und Su-Razaal und ich... und du bist der Zweite der zweiten Generation und ein Leben lang auf diese Aufgabe vorbereitet worden."
Danen Xiork, Alpha-Angehöriger der Personenordnung des Satelliten A1 und freier Informator auf Lebenszeit taumelte einige Schritte zurück und hielt sich erschüttert die Handflächen an die Schläfen.
"Ich bin ein Desserter?"
"Du bist der Union. Du wirst uns in das neue Zeitalter führen."
Nomis Fisher stand schweigsam an der Brüstung des Westturms und beobachtete den Abzug der Truppen des Kanzlers, der sich in einer kleinlauten Ansprache verpflichtet hatte, eine Generalamnestie zu gewähren und die bestehenden Direktoriumsgesetze zu ändern, um alle Wüstenbewohner wieder in die allgemeine Personenordnung der Welthauptstadt Aret aufzunehmen.
Der ehemalige Leibwächter eines einfachen Informators und gegenwärtige Ehrengardist des mythischen Union stand mit verschränkten Armen an einer Schießscharte und kaute auf einem Stück getrocknetem Fleisch.
Zen trat neben ihn. Der Schattenmann grinste ihn an. Er grinste seitdem Danen vor die Menschenmenge in der Versammlungshalle getreten war und mit fester Stimme und erhobener Faust die älteste Parole der Desserter ausrief.
"Wir haben immer gedacht, der Union wird ein galaktischer Gott sein. Ein brennender Stern, der aus dem All auf diese Stadt stürzen wird und alles schlechte darin verbrennt... ein Titan."
Fisher grinste zurück.
"Der Union ist ein einäugiger Junge von einem schwer bewaffneten Schrotthaufen im Weltraum. Ihr hattet Glück."
"Wir hatten Glück... und das Divine."
"Der Kanzler glaubt, ihr seid immer noch im Besitz der Datalogger?"
"Er und die gesamte übrige Menschheit."
Die beiden Kämpfer nickten ungläubig und standen dann schweigend an der Brüstung und sahen grimmig auf die abziehenden Soldaten unter ihnen hinab, doch als Nyleva anmutig wie eine Wüstenfee über ein paar Felsblöcke sprang, um zu ihnen auf die Brüstung zu gelangen, schlich sich ein zärtliches Lächeln in die Augen des ehemaligen RSA-Agenten.
Der Union fühlte sich unwohl, aber er mußte nicht erbrechen.
Er würde sich nie mehr erbrechen. Er war der Union. Sollte es zumindest sein.
Danen lag in einem spartanisch eingerichteten Raum auf einem molekülbearbeiteten körperweichen Boden und starrte an die Decke. Er war noch immer nackt, nachdem ihn die besten Medics der Desserter untersucht und verarztet hatten, und wartete auf neue Kleidung, Su-Razaal und eine Abordnung der Lords der neun Stämme. Allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Sein Leben hatte eine ungewollte und dramatische Wendung erhalten und die Verantwortung war geradezu erdrückend, aber die Aufgabe war groß und lebenswert, und all die Dinge, die in seinem Leben bisher keinen Sinn gemacht hatten, fielen plötzlich an ihren Platz und das gab ihm das Gefühl von Einheit und einer enormen inneren Ruhe.
Er würde der Union sein. Schon bald. Er würde in seiner, vom Schicksal zugedachten Rolle wachsen.
Unvermittelt stand der Asiate mit dem wachen Blick, der seinen Vater begleitet hatte, in der Tür.
"Ich werde alles hier in einem Bericht für den Generalrichter und den Staatssicherheitsdienst erwähnen, der mit absoluter Sicherheit für den gesamten nächsten Zyklus weggesperrt werden wird und ich habe mich eurem Vater gegenüber zur Verschwiegenheit zu eurer Person verpflichtet, aber gestattet mir nur eine Frage... wer hatte euren Navigationscode im Hauptquartier der Sicherheitsabteilung?"
Danen sah Sonderregulator Fleming nachdenklich an, bevor er ihm antwortete.
"Hakon Sook. Ein Mann namens Hakon Sook."
Dahalag Fleming, Sonderregulator 771 des Metrosicherungsdienstes von Aret und Beta-Bewohner asiatischer Abstammung, glitt geschickt durch die aufgebrachten Menschenmassen vor der Medienstation, die gegen die Aufhebung der Sicherheitsgesetze gegen die Desserter, die neuen Zivilbestimmungen der Stadtregierung und den wiederbelebten Militärrat demonstrierten, ohne sein Ziel ein einziges Mal aus den Augen zu verlieren. Ohne auch nur den Schatten seines Ziels aus den Augen zu verlieren.
Allerdings war sein Ziel auch leicht auszumachen.
Der hagere junge Mann mit dem sichtbar implantierten Zusatzrespirator, der inmitten seiner Leibwächter durch eine freiwerdende Gasse in der Menge schritt, hatte sich den auffallenden roten Kaftan der Ratsherren umgehängt und nahm die Huldigungen seiner zahlreichen Anhänger unter den Demonstrierenden mit lauten Zurufen und ekstatischem Händeschütteln entgegen.
Der hagere junge Mann befand sich auf einer Präsentationsplatform.
Und genau da wollte ihn Dahalag Fleming auch haben.
Dahalags V-Mann, der schwitzende kaukasische Spitzel, bewegte sich hundert Metron links von ihm durch die Menge und seine kleinen dunklen Tieraugen ließen ebenfalls keine Sekunde von dem Verfolgten ab. Er warf Fleming einen kurzen Blick zu.
Der Metropolizist gab dem Spitzel einen unauffälligen Wink, tauchte in den Sog der Massen ein und war augenblicklich im Gedränge tausender Demonstranten verschwunden.
Der Kaukasier näherte sich dem Verfolgten von vorne, den Kopf demutsvoll gebeugt und den Blick gesenkt.
"Sire, Hauptoperator Sook, Sire... !"
Die Leibwächter hielten ihn an. Ein Scanner blitzte auf.
Einer der Leibwächter schüttelte verneinend den Kopf und der Spitzel wurde vorgelassen. Schweiß strömte über sein Gesicht.
"Sire, Ergebenheit, Sire... man sagte mir ihr seid der neue Kapitanmajor und ich wollte..."
Hakon Sook, neuernannter Prinzipal der RSA, neugewähltes Mitglied im Hohen Rat und neugeborener Wasserträger der Alphas, wandte sich zu dem untersetzten Kaukasier um. Er hob die Augenbrauen und sah ihn fragend an.
"... ich wollte nur feststellen... ihr seid ein wahrer Diener eures Herrn... ein wahrer Diener."
Der kaukasische Spitzel verbeugte sich noch einmal, drehte sich um und drängte sich fluchend durch eine Menschentraube aus der Sicht.
Die Leibwächter hatten seinen kurzen Auftritt argwöhnisch beobachtet und starrten ihm nun mißtrauisch hinterher.
Sie gaben Dahalag Fleming die Sekunde, die er brauchte, um hinter ihnen aus der Menschenmauer zu treten, seine Waffe zu ziehen und Hakon Sook einen kurzen Satz zuzuraunen. Nur etwas mehr als einen Namen.
"Das ist für Yak Valdazza."
Der Diener schnellte erschrocken herum und glotzte den Sonderregulator verständnislos an.
Dann drückte Fleming die schallgedämpfte Pistole mehrmals ab, duckte sich und verschwand wieder in den demonstrierenden Massen. Wie ein rachgieriger Hologeist. Wie ein Schattenmann.
Rache ist nur die kosmische Konsequenz aus Totschlag, Liebe und Respekt.
Und Dahalag Fleming sandte seinem ermordeten Partner den letzten offenen Kredit hinterher in das Unbekannte.
In das Divine.
ENDE.