11. So rot die Lippen
H
ufnagel, der es nicht eilig hatte, nach Hause zu fahren, wusste, dass seine Mutter zum Mittagessen gekommen war und nicht so schnell wieder gehen würde. Abgesehen davon hätte er auf das Essen verzichten müssen, nur gab es Spargel und die Vorstellung daran ließ ihn wie ein braves Hündchen heimkehren, egal ob sie da war oder nicht.
Bereits beim Eintreten in die Wohnung roch es angenehm, dennoch sorgte es für Unbehagen. Immerhin wirkte das Gemüse harntreibend und ging mit einem übel riechenden Urinieren einher. Doch so weit wollte Hufnagel gar nicht denken, weil der Hunger ihn ins Wohnzimmer trieb, in dem seine Gattin nebst Mutter saß und man sich angeregt unterhielt.
Er begrüßte die beiden mit einem Küsschen auf die Wange und verschwand kurz darauf im Badezimmer. Danach schlüpfte er in die Pantoffeln, setzte sich an den Esstisch, während Christine ihm das Mittagessen aufwärmte. Wie erwartet prasselten auch schon die Fragen auf ihn hernieder, die er mit Ja und Nein beantwortete sowie »Mutter, du weißt genau, dass ich über laufende Ermittlungen nicht reden darf. Bitte hör auf zu bohren.«
Charlotte Kaufmann schaute ihren Sohn versteinert an und gab sich vorerst damit zufrieden, weil ihr bewusst war, dass er mit einem vollen Bauch redseliger wurde. Geschicktes Fragen war nun angesagt.
Hufnagels Gattin brachte eine Sauciere sowie eine Schüssel mit Kartoffeln, stellte beides auf den Tisch und verschwand wieder in der Küche, um eine weitere mit Spargel und einem saftig riechenden Kalbsschnitzel zu holen, während ihrem Mann das Wasser im Munde zusammenlief. Mit einer warmen Mahlzeit konnte man ihn jederzeit für sich gewinnen, das wusste auch seine Mutter. »Na Rudi, was gab es denn Dringendes, dass du am Sonntag arbeiten musstest?«, fragte sie sogleich los.
Hufnagel atmete hörbar und nahm einen Schluck aus dem Bierglas, ohne es wieder abzustellen. »Ach, wir glauben, dass der Mörder die Frauen über ein hiesiges Partnerportal kontaktiert hat«, sagte er mehr zu sich als zu ihr, was beabsichtigt war. Wieder trank er aus dem Glas und stellte es nachdenklich auf den Tisch.
Partnerportal? Hm, warum eigentlich nicht? Wie sollte sonst ein älterer Mann an die jungen Hühner kommen? Das ist anonym und man kann sich die tollsten Geschichten erzählen.
»Du sagst das so eigenartig, als ob du nicht daran glaubst?«
Hufnagel, der ihr gegenübersaß, fixierte sie mit starrem Blick. »Ach, ich weiß nicht. Ich kann es nicht ganz nachvollziehen. Aber die Kollegen halten es für denkbar.«
»Tja, mein Sohn, du gehörst einer anderen Generation an. In deinem Alter hat man sich noch klassisch kennengelernt. Durch die vielen Scheidungen bleibt den Leuten gar nichts anderes übrig, als zum Internet zu greifen. Weißt du, in dieser Altersklasse hat man immer weniger Möglichkeiten, auch dem geschuldet, dass die Jugendfreunde Familie haben oder keine mehr sind. Ich halte die Idee nicht für abwegig. Immerhin kann man sich da unbeschwert unterhalten. Es gibt kein Diktat. Man macht sich älter, jünger, hübscher, aber wohl kaum hässlicher beziehungsweise hängt den Lebemann raus. Habt ihr schon eine Spur?«, fragte sie unbekümmert weiter, weil sie wusste, dass ihr Sohn in Redelaune war.
Hufnagel stellte die Ellenbogen auf den Tisch und wischte sich mit den Händen über sein Gesicht, so weit, dass Nase und Mund bedeckt waren. Im Anschluss kreuzte er die Finger, als wollte er beten. Sein Nicken war ein deutliches Zeichen dafür, dass Charlotte mit ihrer Bemerkung richtig lag. »Frau Andres hat auf ein paar Anzeigen geantwortet. Jetzt muss man abwarten.«
Frau Kaufmann stimmte ihm brummend zu.
Während bei Familie Hufnagel zu Mittag gegessen wurde, saßen Nadine Andres und Daniel Selzer am Konstanzer Hafen auf einer Parkbank. Das schöne Wetter hatte sie nach der Arbeit ein paar Schritte dorthin laufen lassen. Zudem hatten die beiden nichts weiter vor.
»Herrlich«, begann sie auf den See blickend, der von einigen Segelschiffen frequentiert wurde. »Diese Ruhe, einfach schön. Und kein Wind wie auf Sylt. Obwohl ich im Norden aufgewachsen bin, schätze ich den mediterranen Süden doch sehr. Hier fühlt sich das Leben unbeschwerter an. Ebenso die Menschen. Sie sind offener und nicht so maulfaul wie die Norddeutschen.«
Selzer schwieg, gab ihr im Stillen recht.
Aus der Ferne vernahm man ein Kind schreien, dann einen Hund bellen.
»Das zum Thema Ruhe«, warf Selzer lächelnd ein. »Stimmt, was du da sagst, aber vergiss nicht, wir haben zwei Verbrechen aufzuklären. Mich wundert, dass die im Rathaus derart zurückhaltend sind. Normalerweise hätte ich längst beim Alten antanzen müssen«, sagte er und meinte seinen direkten Vorgesetzten Harald Amans.
Nadine drehte sich Selzer zu und schaute ihn von der Seite an. Wie gerne würde ich dich jetzt küssen. Wenn ich es einfach tue? Scheiß drauf.
Im gleichen Moment zog sie sein Gesicht an das ihre und küsste ihn liebevoll auf den Mund. »So, das musste sein. Da du schon nicht den ersten Schritt machst, kommt der eben von mir. Bei dir verwelkt man ja wie eine Blume. Wie lange soll das noch so weitergehen? Und wo bleibt das versprochene Wochenende, das du mir auf Sylt zugesichert hast?«
Selzer schluckte, damit hatte er nicht gerechnet. Gleichzeitig verschlug es ihm die Sprache, was zu einem Typ wie ihm nicht passte. Normalerweise stellte das Reden für ihn kein Problem dar. Doch diese Frau schaffte es immer wieder, ihn zu überraschen, und das seit Jahren. Warum es nie zum Äußersten gekommen war, wusste er nicht. War es die Angst, sich zu verlieben, das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren oder nicht mit der Angebeteten zusammenarbeiten zu wollen? Wegen ihr hatte er sich doch erst nach Konstanz versetzen lassen. »Du weißt ganz genau, was ich empfinde. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Mal bist du mir nah, dann wieder …«
»… dann wieder?«
»In Berlin war alles so einfach. Ich habe mich hierher versetzen lassen, um in deiner Nähe zu sein.«
»Ja und das bist du, als mein Vorgesetzter. Daniel, ich kann bald nicht mehr. Ich kann mich in keinen verlieben, weil du Idiot mir ständig im Kopf herumschwirrst. Wenn du mir wenigstens zu verstehen geben würdest, dass es mit uns zwecklos ist. Aber nein, kaum entferne ich mich von dir, kommst du auf mich zu oder umgekehrt. Daniel, ich will an die Zukunft denken können. Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, von hier wegzugehen.«
Selzers Adamsapfel hob und senkte sich, was sie bemerkte und ihn aufgrund dessen wieder hätte küssen wollen. »Tu das bitte nicht. Davonrennen ist keine Lösung.«
»Ne, aber ich bekäme Abstand.«
»Willst du das wirklich?«
Nadine richtete den Blick auf den See und meinte: »Nein, natürlich nicht. Lassen wir das. Wir reden uns hier nur um Kopf und Kragen. Fakt ist, lange halte ich das nicht mehr aus. Überleg dir was, sonst tue ich’s.«
Selzer schwieg einen Augenblick, bis er gedämpft antwortete: »Mach ich.«
***
Irgendwo nahe der Universität Konstanz zur gleichen Zeit
»Komm zu Papi«, rief eine männliche Stimme ihr zu. »Hab ich nicht gesagt, du sollst etwas Leichtes anziehen? Dein Rock ist zu lang. Kleine Mädchen tragen ihn kürzer. Und erst die viele Schminke.« Er holte ein Papiertaschentuch aus der Hose und wischte über ihr Gesicht. »Böses Mädel. Dafür sollte ich dir den Popo versohlen. Strafe muss sein.« Er setzte sich auf einen Holzstamm, während sie verschämt lächelte. »Komm her!« Das Lachen wird dir schon noch vergehen.
Er packte ihren Arm, zog sie an sich und drückte den Oberkörper auf seine Beine, sodass sie zitterte. Das Strampeln ignorierte er, weil sein Griff fest war, damit sie nicht entweichen konnte.
»Bitte tun Sie mir nichts. Ich dachte, Sie würden scherzen, als sie sagten, ich soll mich wie ein kleines Mädchen benehmen. Aber das bin ich nicht.«
»Halt’s Maul! Strample nicht so, sonst binde ich dir deine gottverdammten Arme und Beine fest. Eine halbe Stunde wirst du mir wohl schenken können. Warum hast du dich erst auf meine Anzeige gemeldet? Und jetzt halt still!« Im gleichen Moment ging ein heftiger Schlag auf ihren Hintern hernieder, der sie aufschreien ließ. Ein zweiter folgte, genau wie ein dritter, vierter und fünfter. »So habe ich das gerne, dein Arsch ist rot wie eine Tomate. Na bitte geht doch. Und hat es dir gefallen? Was, du antwortest nicht? Gut, dann schauen wir nach.«
Er riss ihren Slip beiseite und fasste zwischen ihre Schenkel.
»Siehst du, ich hab’s gewusst. Kleine Schlampe, würdest du es sonst genießen?« Er half ihr hoch und rückte ihren Rock gerade. »Der Schmerz lässt irgendwann nach. Er wird dich eine Weile an deinen Papi erinnern. So, da du schön brav warst und ich mich abreagieren konnte, darfst du gehen. Aber zu keinem ein Wort, sonst muss Papi dir wieder den Hintern versohlen und das willst du doch nicht, oder?« Er sah sie strafend an, was sie artig nicken ließ. Gleichzeitig löste sich eine Träne, die er ihr behutsam mit dem Finger abtupfte. Er hatte das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen, sie wehrte sich jedoch. »Jetzt hab dich nicht so. Papi will dich nur trösten. Schenk mir ein Küsschen, dann bringe ich dich zu deinem Fahrrad.«
Sie schaute ihn böse an. »Nein, Sie tun das sofort
. Ich hatte gedacht, wir quatschen, trinken einen Kaffee und lernen uns erst mal kennen. Was soll diese gottverdammte Scheiße? Das ist pervers. Davon haben Sie mir nichts geschrieben. Gut, einen Rock anziehen, war ja okay, aber gleich so eine Vater-Tochter-Nummer abziehen, ist ekelhaft.« Empört stand sie auf und stellte sich provozierend vor den Unbekannten, was ihn erst recht anstachelte, sie erneut zurechtzuweisen: »So findest du? Es hat dir doch gefallen, Rotzgöre.«
»Sind Sie irre. Ich bin achtzehn und kein Kind mehr«, schimpfte sie wütend.
»So, erst achtzehn? Geantwortet hast du, dass du fünfundzwanzig seist.«
»Na und, machen andere auch. Und Sie sind locker fünfzig oder älter.«
»Danke für das Kompliment, nächstes Jahr werd ich sechzig.«
»Umso schlimmer. Können wir jetzt gehen?« Die junge Frau schaute ihn herausfordernd an.
»Nicht so schnell. Wir sollten uns noch ein bisschen unterhalten.«
»Und worüber?«
Er griff nach ihrem Arm, den sie ihm wieder entriss. Sogleich packte er ihn erneut und hielt ihn fest. »Lass es! Ich bin dir überlegen, gib Ruhe und sprich mit mir.«
»Verdammt worüber denn?«
»Zum Beispiel darüber, dass es dich angemacht hat.«
»Was? Das eben? Ich glaub’s nicht.« Sie griff mit der anderen Hand nach seiner und versuchte sich erneut aus der Umklammerung zu lösen.
»Genau das. Wir sollten es vertiefen. Ich sehe in deinen Augen, dass du es willst.«
»Lassen Sie mich los. Ich mag das nicht. Oder ich schreie.«
Er drückte ihr Handgelenk derart, dass sie zu kreischen begann. »Du plärrst also. Tja meine Kleine, dann wird dir der Onkel jetzt etwas Wunderbares zeigen.« Gleichzeitig nestelte er an ihrem Rock herum, schob ihn bis zum Slip hoch, was sie wie in Schockstarre über sich ergehen ließ.
»Siehst du, es gefällt dir. Ich wusste es.«
Plötzlich vernahm man aus der Ferne einen Hund, dessen Gebell näher rückte. Das Unterholz knackte, jedoch war von dem Tier nichts zu sehen.
Der Fremde legte seinen Zeigefinger auf den Mund und zog die junge Frau an sicher heran, so weit, dass er ihren Oberkörper dicht vor sich spürte, während dieser in sanften Zügen auf und ab vibrierte. Ihr Zittern war ein deutliches Zeichen ihrer Furcht. »Keine Angst, sobald der Köter weg ist, gehen wir. Sei still, es ist in deinem Interesse«, flüsterte er ihr zu, was sie zum Anlass nahm, ihm zu gehorchen. Doch kaum dass er sich sicher wähnte, riss er sie zu Boden und legte seine Hände um ihren Hals. Sogleich drückte er fest zu, bis sie zu ersticken drohte, und ließ erst wieder von ihr ab, als sie hustete. »Hast du jetzt kapiert, dass ich es ernst meine?«, sprach er mit weit geöffneten starren Augen.
Sie nickte und begann zu weinen. Das Blut gefror ihr in den Adern.
»Nur ist es dafür zu spät. Das hättest du dir früher überlegen müssen. Du machst, was der Onkel von dir will. Sonst drücke ich noch mal zu, und glaube mir, das wird dir nicht bekommen. Spreiz die Beine!« Er sah zu ihren Schenkeln hinab. »Weiter! Gutes Mädchen, so gefällst du mir. Und jetzt, ziehst du deinen Rock bis über den Slip! Gut! Und nun das Höschen zur Seite!« Gleichzeitig öffnete er seine Hose und legte sich auf die junge Frau, deren Körper sich mit einem tiefen Seufzer aufbäumte. Dass er sich kurz danach laut in ihr ergoss, ließ sie sich beinahe übergeben.
Für einen Augenblick wurde es still, nur sein Röcheln war zu hören, bis er tief durchatmend zischte: »Was, du fandest es widerlich? Meiner Alten gefällt das auch nicht. Versteh einer die Weiber. Fasst man sie mal richtig an, wehren sie sich, und lässt man sie in Ruhe, gilt man als Versager.«
Plötzlich verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck und sein Blick wurde stechend, was ihr den Angstschweiß auf die Stirn trieb. »Du kleine Fotze lässt dich ficken und tust so, als hätte es dich angewidert?«, spie er ihr hasserfüllt ins Gesicht. »Du
machst dich nicht über mich lustig, DU NICHT!
« Er legte die Hände um ihren Hals, sah sie höhnisch an und drückte so fest er konnte. Dass sie sich mit Händen und Füßen wehrte, brachte ihn nur umso mehr in Rage, bis es leiser wurde und sie schließlich das Bewusstsein verlor. Im letzten Atemzug sah sie ihr kurzes Leben an sich vorüberziehen, welches er ihr gerade nahm und sich gleichzeitig noch einmal in ihr entlud.
»So du Miststück, das wirst du nie wieder vergessen.« Erleichtert stand er auf und starrte auf ihren schmalen Körper, den er entschlossen entkleidete, um sich an ihm zu ergötzen. Das kleine silberne Kreuz, welches sie um den Hals trug, entriss er ihr und steckte es in die Hosentasche. Luder, für dich war’s das. Du wirst keinem mehr den Kopf verdrehen. Hättest besser nicht geantwortet. So rot waren deine Lippen und so gierig. Ich werde jetzt brav nach Hause fahren und es meiner Alten besorgen. Und wehe, die ziert sich genau wie du.
Sein widerwärtiges Schnalzen verschluckte der Wald, ebenso wie ihr junges Leben.
***
Am darauffolgenden Montag
Hendrick trug einen grünen Anzug, Handschuhe sowie einen Mundschutz und schaute konzentriert auf die Leiche. Gleichzeitig gab er seinem Assistenten die wichtigsten Fakten für das Protokoll an. »Hämatome an den Oberarmen. Vermutlich wurde das Opfer gewaltsam festgehalten. Hautabschürfungen an den Handgelenken. Sehen wir uns den Kopf an, hm – schwerwiegende Schädel-Hirn-Verletzungen aufgrund von Riss-Quetsch-Wunden. Kein Wunder bei der dünnen Weichteilschicht. Ergo stumpfe Gewalteinwirkung. Ich würde sagen von einem Stein respektive einem harten Gegenstand herrührend. Auf alle Fälle besaß die Mordwaffe keine scharfen Kanten beziehungsweise geschliffene Flächen. Fragt sich nur, ob die Frau vor Ort zu Tode gekommen ist oder ob der Schlag woanders ausgeführt wurde.«
Der andere sagte: »Vermutlich war Fundort nicht gleich Tatort.«
»Da stimme ich Ihnen zu, Herr Kollege.«
***
Sandra Baumgartner saß zur gleichen Zeit im Büro und erledigte die Ablage, die sie in der letzten Woche nicht mehr geschafft hatte. Wieso kann man das nicht im Computer ablegen? Ständig diese Berge von Papier
, dachte sie, als sie das Piepsen einer eingehenden WhatsApp-Nachricht vernahm, die sie gleichzeitig zusammenzucken ließ. Bitte nicht.
Sie wusste, wer der Absender war, und hatte keine Lust, die Notiz zu lesen. Dennoch entsperrte sie das Handy und sah auf die Zeilen, die Manfred ihr gesendet hatte.
Du hättest dich mehr anstrengen können. Allmählich kommst du dahinter, was mir gefällt.
Dem folgte ein küssender Smiley.
Sandra nickte langsam vor sich hin, immerhin war sie alleine im Büro. Dass sie ihm schnell zu antworten hatte, wusste sie, ansonsten hagelte es Vorwürfe.
Das freut mich, Schatz. Gestern hast du mir endlich mal gezeigt, wie du es magst.
Manfred antwortete sofort, weil der konstante Blick auf das Handy zu seiner Lieblingsbeschäftigung gehörte. Als Geschäftsführer einer mittelständischen Immobilienfirma war er in der Lage, die Arbeiten auf die Mitarbeiter abzuwälzen, was ihm Zeit verschaffte, seine Frau zu kontrollieren. Nicht selten rief er sie wegen irgendwelcher Belanglosigkeiten an oder studierte ihr Handyverhalten, wann und wie oft sie den Nachrichtendienst WhatsApp besuchte. Was hatte sie nicht alles dagegen unternommen? Sie hatte ihn für Nachrichten gesperrt, was er verstand wieder zu unterbinden. Seinem Druck hielt sie nicht lange stand. Zudem überprüfte er abends das Handy. Verweigerte sie es ihm, hing der Haussegen schief.
Das klingt gut. Hast du eine Idee, was du heute kochst?
Lass dich überraschen. Sorry, ich muss, der Chef ruft
, flunkerte sie, um ihre Ruhe zu haben.
Nach dem Schreiben gönnte sie sich eine Tasse Tee, nahm auf ihrem Bürostuhl Platz und atmete zunächst tief durch, bis ihr der Verlauf der letzten Nacht wieder ins Gedächtnis gerufen wurde. Irgendwie kam ihr der Ehemann zurzeit verändert vor. Er forderte den ehelichen Verkehr nicht mehr so aggressiv ein wie früher. Sanftmütiger kam Manfred ihr vor. Ob er eine andere hat?
Doch er war nachts daheim, schlief neben ihr im Bett. Hm, und tagsüber? Da gäbe es Gelegenheit. Und wenn ich ihn frage? Liege ich falsch, gibt es wieder Stress. Außerdem würde er es mir sowieso nicht sagen. Oder sollte ich in seinen Taschen nachsehen? Nein, das geht gar nicht. Das wäre ein Vertrauensmissbrauch, und wenn doch? Ich weiß nicht.
Über ihren Gedanken klingelte das Telefon, dessen Hörer sie abnahm und sich einem Kunden widmete. Danach waren die Bedenken verflogen.
***
Ebenfalls zur gleichen Zeit im Büro der Kripo Bodensee
Nadine schaute links zu Selzer, der etwas in sein Handy tippte und geistesabwesend wirkte. Dass er dabei schmunzelte, war ihr sofort aufgefallen. Wieso lacht der?
»Hast du was von der Rechtsmedizin gehört?«, wollte sie wissen und hoffte auf Antwort, die ausblieb. Stattdessen schrieb er weiter und gab ihr ein kurzes Brummen zurück.
»Also nichts? Aber die müssten längst fertig sein.«
Daniel blickte vom Handy hoch und schaute seine Kollegin überrascht an. »Was sagtest du?«
Nadine wiederholte sich.
»Weiß ich nicht. Ron meinte, er würde sich melden, sobald der Bericht fertig ist.« Danach tippte er weiter.
»Ja und, hat er? Mensch, Daniel, du schreibst hier in aller Seelenruhe deine Nachrichten, während wir den Tisch voller Arbeit haben. Kann das nicht warten?« Ihr Missmut war deutlich zu hören.
»Nein, es ist wichtig.«
»Wichtiger als dein Job?«, bohrte sie weiter.
»Was soll die Frage?« Der Ton einer eingehenden Nachricht war zu hören. »Oh, Hendrick hat gerade eine WhatsApp geschrieben. Warte! Ah, wir können den Bericht in der Rechtsmedizin holen. Bei der Gelegenheit sollen wir uns die Leiche noch einmal ansehen.«
Nadine schaute ihn skeptisch an. »Und das findest du lustig?«
»Nein, wieso?«, plötzlich fiel es ihm ein. »Ach das, ich bekam zuvor eine Bildnachricht auf Instagram.«
»Wozu brauchst du
Instagram?«
»Wieso nicht. Ist eine nette Sache, gerade der Fotos wegen.«