Am Sonntagmorgen wachte ich verkatert auf. Nicht verkatert von einer durchzechten Nacht, sondern verkatert von zu viel Weinen.
»Willst du heute mit zu den AA gehen?«, zog Dad mich auf, als er mein bleiches Gesicht beim Frühstück bemerkte. Ich weiß nicht, ob er wirklich dachte, ich hätte zu viel getrunken. Aber ich war gestern um halb sechs zu Hause gewesen und gleich ins Bett gegangen, und wenn er es dachte, musste er mich für ein Fliegengewicht halten.
»Kannst du den Fernseher leiser stellen?«, sagte ich nur, als meine Mutter fragte, was ich frühstücken wollte.
Mom drückte ein paarmal auf die Fernbedienung. »Bist du krank?« Sie hielt mir die Hand an die Stirn. »Du fühlst dich nicht fiebrig an.«
»Mir geht’s einfach nicht gut«, sagte ich.
»Ich habe es gehört.« Mom reichte mir einen gelben Zettel mit einer Telefonnummer. »Gestern Abend hat ein Mädchen aus der Videothek angerufen. Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Sie hat sich mit Mary Poppins gemeldet. Eigentlich dachte ich, es wäre ein Telefonstreich.«
»Danke.« Ich klebte den Zettel auf den Tisch.
»Heißt sie wirklich so?« Mom zündete sich eine Zigarette an, legte sie in den Aschenbecher und trank einen Schluck Kaffee. »Wer tut seinem Kind so was an?«
»Nein, so heißt sie nur bei der Arbeit.« Ich verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte den Kopf darauf. »Ich weiß nicht, wie sie richtig heißt.«
»Ihr habt bei der Arbeit Decknamen?«, fragte Dad, nachdem er in seinen Toast gebissen hatte. »Wie heißt du?«
»Boss«, sagte ich, weil ich keine Lust darauf hatte, das Thema zu vertiefen.
»Wie Bruce Springsteen?« Mom zog an ihrer Zigarette.
»Nein, Maureen«, korrigierte sie Dad. »Er meint, sie nennen ihn Boss, weil er der Manager ist, weißt du nicht mehr?«
»Ach so.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dein Vater meinte die Frage anders, Joel.«
Dad sah wieder in seine Zeitung. »Das weiß er. Er ist nur naseweis. Es klingt, als hätten sie Namen aus Filmen.«
»Das ist ja clever.« Mom kraulte mich am Kopf. »Wer bist du, Joel? Superman?«
Ich antwortete nicht, aber ich rutschte in ihre Richtung, damit sie besser rankam. Meine Mutter hatte superlange Fingernägel, und ich liebte es, wenn sie mich kraulte. Sie hatte auch schöne Hände.
»Ich wette, du bist Ferris Bueller«, riet Dad. »Oder vielleicht Marty McFly?«
Offenbar ließen sie sich nicht abwimmeln, also gab ich auf und sagte einfach die Wahrheit. »Nein. Ich bin Han Solo.«
Mom zog die Hand weg, als hätte ich sie gebissen. »Wirklich, Joel? Warum?«
Auch Dad war bestürzt. »Keiner braucht eine Erinnerung, Junge.«
»Sie haben mir den Namen gegeben«, log ich. »Ich konnte nicht mitreden.«
Mom seufzte und sah Dad an. »Man könnte meinen, unter den Umständen hätten sie ihn jemand anderes wählen lassen können.« Sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie.
Sie hatte zwar nicht mit mir geredet, aber ich antwortete trotzdem auf ihren Kommentar. »Tja, wenn ich ihnen die Umstände erläutert hätte, vielleicht. Aber ich hielt es für keine tolle Idee, gleich mit der schmutzigen Wäsche ins Haus zu fallen. Außerdem müsst ihr mich ja nicht so nennen, was spielt es dann für eine Rolle?«
»Keiner von uns braucht eine Erinnerung, Joel. Vor allem nicht du«, wiederholte Mom und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Ich gehe in die Kirche.« Sie stand auf, griff nach ihrer Handtasche und ging zur Hintertür hinaus.
Ich schloss die Augen.
»Ich muss auch los.« Dad stand auf, ging zum Kühlschrank und stellte etwas auf den Tisch. Als ich ein Auge öffnete, sah ich eine Dose Bier. »Am besten weitermachen, womit du aufgehört hast. Das ist das beste Katermittel.« Er gab mir einen Kuss auf den Kopf. »Sag’s deiner Mutter nicht.«
»Okay.«
Dad ging, aber kurz darauf machte er noch mal die Haustür auf und warf etwas auf die Couch. »Vor der Tür lag ein Päckchen für dich, Joel«, rief er, dann war er wieder verschwunden.
Ich stellte das Bier in den Kühlschrank zurück, bevor ich mir das Päckchen ansah.
Als ich den Umschlag aufriss, rutschte eine Videokassette heraus. Auf der Plastikschachtel klebte ein Zettel.
Das schuldest du mir. — Baby
Es war Dirty Dancing.
Zum ersten Mal an diesem Morgen lächelte ich.