Die Tür war offen. Ich schloss hinter mir ab. Scarlet stand am Küchenfenster und starrte auf den Parkplatz. Ihr Outfit sah aus, als wäre sie feiern gewesen.
Sie drehte sich um und lächelte mich selbstgefällig an. »Ich wusste, dass du kommst.«
Ich ging auf sie zu, und wir küssten uns. Es war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Sie setzte sich auf die Küchentheke, schlang die Beine um meine Hüfte und küsste meinen Mund, meinen Hals, meine Brust und wieder zurück.
»Trag mich zum Bett«, flüsterte sie mir ins Ohr, und ich hob sie hoch und gehorchte.
Doch es war schwerer als gedacht, weil Scarlets Wohnung viel unordentlicher war als an dem Abend, an dem sie mir die Haare geschnitten hatte.
Tatsächlich sah es aus, als wäre eingebrochen worden. Überall lagen Kleider, Schuhe, Kisten, eine umgekippte Topfpflanze und Teller mit Essensresten. Ganz zu schweigen von den Nestern aus altem Haar, das sie nicht weggefegt hatte, wahrscheinlich von all den Chases, die sie in letzter Zeit unter der Schere gehabt hatte.
Egal — Scarlets Zunge war in meinem Mund. Was kümmerte mich das Chaos?
Als wir die Matratze erreichten, die auf dem Boden lag, musste ich sie erst freiräumen, bevor wir sie benutzen konnten. Ineinander verschlungen fegte ich die Bündel alter Kleider vom Bett. Als ich dachte, wir hätten freie Bahn, legte ich Scarlet ab und rollte mich auf sie.
»Au!«, schrie sie.
Ich richtete mich auf. »Was ist?«
Sie griff unter sich und zog eine leere Wodkaflasche hervor, die ich übersehen hatte. Als sie sie aus dem Weg geschafft hatte, begann sie, meine Brust zu küssen.
Scarlets Hände glitten zu meinem Gürtel, und ich sah auf sie hinunter. Sie machte sich an der Schnalle zu schaffen.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Alle meine Fantasien, in denen sie vorkam, wurden wahr. Seit Valerie hatte ich mich nicht mehr auf ein Mädchen eingelassen, und nun belohnte das Schicksal meine Entbehrungen, indem es mir die verdammte Helena von Troja in den Schoß legte. Ich wagte nicht zu blinzeln, für den Fall, dass sie eine Art Sex-Fata-Morgana war, die jeden Moment verschwinden konnte.
Aber natürlich blinzelte ich trotzdem. Ich musste blinzeln. Nicht blinzeln ging gar nicht.
Als ich die Augen wieder aufschlug, war Scarlet nicht verschwunden, wie ich befürchtet hatte … doch etwas anderes war passiert.
»Was ist?«, fragte Scarlet, während sie mein Hemd aufknöpfte. »Warum machst du nicht weiter?«
Ich sah mich um. Neben der Matratze lag nicht nur eine leere Flasche. Da lagen viele. Mehr als nötig für ein bisschen Spaß. Genug für ziemlich wenig Spaß.
Mein Blick fiel auf die Haarnester und die Müllberge, die in der ganzen Wohnung herumlagen. Es sah nicht aus wie bei NORMALEN Leuten. Es sah irgendwie so aus, als hätte Scarlet eine Macke.
Und plötzlich dämmerte mir, was hier los war. Scarlet hatte eine tiefe Krise. Und sie bediente sich einiger sehr ungesunder Bewältigungsmechanismen. Ich war einer davon.
Ehrlich gesagt war mir das Ganze viel zu vertraut. Ich hatte das Gleiche selbst häufig getan, als ich in der Klinik war. Bedeutungsloser Sex als Ablenkung, als Trostpflaster. Ich kannte das Programm. Es hatte ein schlechtes Ende. Ich hatte mir geschworen, es nie wieder zu tun.
VERDAMMT.
Warum kam mir die Erkenntnis in diesem Moment? Hätte mein Hirn nicht die paar Minuten warten können, bis wir fertig waren (realistisch betrachtet), um das Rätsel zu lösen? Denn jetzt, als mir klar war, warum es geschah … konnte ich es nicht mehr geschehen lassen.
Scarlet hörte auf, meinen Hals zu küssen, und holte Luft. »Hey, was ist los?«
Ich seufzte und schluckte den Frust herunter, und dann stellte ich die Frage, die an meinem verdammten Gewissen nagte. »Scarlet, ist bei dir … alles in Ordnung?«
Sie zuckte zusammen. »Wie meinst du das?«
»Ich meine, geht’s dir gut? Du kommst mir in letzter Zeit traurig vor.«
Sie sah mich genervt an. »Darüber willst du jetzt reden?«
Hätte der triebhafte Teil meines Gehirns gegen mein Gewissen meutern können, hätte er mir sicher das Maul gestopft, bevor ich alle meine Chancen in den Sand setzte, heute Nacht flachgelegt zu werden.
Aber weil er nicht konnte, sagte ich: »Ich mache mir Sorgen um dich. Ich glaube, du hast eine Krise.«
Scarlet kniff die Augen zusammen. »Machst du Witze?«
»Leider meine ich es vollkommen ernst.« Ich seufzte wieder und setzte mich auf. »Du hast gerade eine schlimme Trennung hinter dir. Du hast dir betrunken die Hand verletzt. Deine Wohnung sieht … na ja, so aus.« Ich zeigte auf die Unordnung. »Ich glaube … vielleicht solltest du mal mit jemandem reden.«
Scarlet wich zurück. »Ich will Sex von dir, und du sagst mir, ich brauche einen Psychiater?«
»So meine ich das nicht.« Ich wusste nicht, wie ich es sonst ausdrücken sollte. »Es ist nur, ich weiß, dass Babys Schwangerschaft schwer für dich ist …«
»Wovon redest du?«, fiel sie mir ins Wort. »Warum soll das schwer für mich sein?«
Verdammt.
Ist euch das auch schon mal passiert? Dass ihr aus Versehen etwas sagt, was ihr eigentlich gar nicht wissen dürft?
»Ich weiß nicht …«
Sie durchschaute mich. Ich sah es an ihrem blutrünstigen Blick.
»Du weiß es. Du weißt es.«
Ich nickte langsam.
»Hau ab!«, kreischte sie mich an. Im Bruchteil einer Sekunde stand Scarlet auf den Füßen. »Verpiss dich, Solo!«
»Es tut mir leid.« Ich stand auf.
»Geh!«, schrie sie wieder, und über ihr Gesicht liefen Tränen. »Hau einfach ab!«
Ich stolperte dreimal, bevor ich die Tür erreichte. Dann hatte ich es geschafft und verließ Scarlets Wohnung.