Es war das erste Mal, seit ich in Michigan war, dass mir die Minustemperaturen guttaten. In der Kälte zogen sich meine Eier in meinen Körper zurück, und ich konnte über das, was passiert war, mit dem Gehirn nachdenken statt mit dem Schwanz.
Ich hatte das Richtige getan, beschloss ich für mich. Zwar hätte ich mir dafür am liebsten selbst eine reingehauen, aber es war das Richtige gewesen.
Ich hatte noch nie einer Frau Sex abgeschlagen (Scarlet in der Kammer zählte nicht, weil man mit einer betrunkenen Frau, die ein Baby will, sowieso nie schlafen sollte, erst recht nicht mit siebzehn), und ich wusste nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Ihr ein Entschuldigungskärtchen schreiben? Jemanden anrufen, der nach ihr sah? (Aber wen? Ihre Eltern? Chase?) Ihr vielleicht einen Schuldschein ausstellen, damit wir das Ganze noch mal probieren konnten, wenn es ihr besser ging?
Mir wurde kalt, und ich hatte immer noch keinen Entschluss gefasst. Ich suchte in der Tasche nach meinem Autoschlüssel, bis ich begriff, dass ich in der Eile, Sex zu haben, meine Sachen im Pausenraum hatte liegen lassen.
Auch im Pausenraum? Meine Jacke.
Mist.
Ein kurzer Blick auf die geparkten Autos sagte mir, dass Baby noch da war, also ging ich zur Hintertür und klopfte.
Und klopfte. Und klopfte.
Irgendwann kam eine sehr genervte Baby den Gang heruntergewatschelt, schwangerer Bauch voraus. Sie blieb an der Tür stehen, ohne aufzumachen.
»Du warst ganze acht Minuten weg.« Die Tür dämpfte ihre Stimme (aber nicht ihren Ton). »Scarlet hat ja richtig Glück.«
»Kannst du mich bitte reinlassen?«, flehte ich sie an. »Ich friere mir hier draußen die Eier ab!«
»Ist wahrscheinlich das Beste für sie«, sagte Baby. »Vielleicht tötet die Kälte ein paar der Krankheitserreger ab, die du dir gerade geholt hast.«
»Es war nichts, okay? Wir haben nicht miteinander geschlafen«, sagte ich. »Bitte mach auf!«
Ihr Blick sagte mir, dass Baby mir kein Wort glaubte. Dann bestätigte sie: »Ich glaube dir kein Wort.«
»Aber es stimmt.« Warum dachten ständig Leute, ich würde lügen, wenn ich sagte, ich hatte keinen Sex?
»Solo, vor weniger als zehn Minuten hast du mich sitzen lassen, um deinen Schwanz in Doof-Barbie reinzustecken, und jetzt willst du mir weismachen, du hättest auf die Chance verzichtet?« Sie schüttelte den Kopf.
»So würde ich es nicht ausdrücken. Aber es hat einfach nicht gepasst, okay? Jetzt lass mich bitte rein, bevor ich erfriere.«
Sie hatte die Hand auf dem Riegel, aber sie öffnete ihn nicht. »Warum sollte ich? Du bist angeblich mein bester Freund, aber eben hast du mich hängen gelassen, um eine Frau zu vögeln, die ich nicht leiden kann.«
Ich zog die Hände in die Ärmel zurück, um den letzten Rest meiner Körperwärme zu erhalten. »Es war dumm von mir. Ich tue es nie wieder.« Das Versprechen war leicht zu halten, da Scarlet mich von nun an hasste. »Bitte, ich flehe dich an, lass mich rein!«
Baby überlegte noch ein bisschen. »Na gut«, sagte sie dann. »Aber ich bin immer noch stinksauer.« Schließlich öffnete sie die Tür und ersparte mir den Kältetod. Schlotternd rannte ich in den Pausenraum und zog meine Jacke an.
Baby kam hinter mir her. »Was war los?«
»Es ist kompliziert.«
»Was? Hatte sie schon mit jemand anderem Sex, als du hochgekommen bist? Musstest du eine Nummer ziehen?«
»Nein«, seufzte ich. »Sie war nur völlig durch den Wind. Ich hatte das Gefühl, ich würde ihren Zustand ausnutzen.«
Baby sah mich an. Ich wusste, dass sie wusste, was ich meinte, aber sie weigerte sich aus Prinzip, Mitgefühl für Scarlet aufzubringen. »Egal, Solo. Es interessiert mich nicht, und ich will auch nicht, dass es mich interessiert.« Sie fuhr sich durchs Haar. »Scarlet ist nicht mein Problem.«
»Du hast recht.«
Wir schwiegen eine Minute.
»Ich wollte mir was zu essen besorgen. Kommst du mit?«, fragte Baby schließlich.
Meine Zähne klapperten immer noch. »Bist du nicht mehr sauer?«
»Ich bin sauer und ich habe Hunger«, stellte sie klar. »Aber wenn du mit Nicht-mit-Scarlet-Schlafen fertig bist, kannst du ja mitkommen.«
»Bin ich.«
»Schön«, sagte sie. »Hauen wir ab. Ich fahre.«
Das Headlights wurde immer noch renoviert, aber Baby hatte einen Schlüssel und die Kühlkammer war voll mit Essen, das verderben würde, wenn es nicht bald wegkam.
Wir gingen durch den Kücheneingang. Alles roch neu. Neues Holz, neue Farbe, der zitrusfrische Geruch nach Putzmitteln. Baby hängte ihren Mantel an einen Haken, und dann hängte sie auch meinen auf.
»Worauf hast du Lust?«, fragte sie, als sie die Tür des Kühlraums öffnete. »Steak und Eier?«
Ich war zum ersten Mal in einer Profiküche; alles glänzte und war Hightech und aus Metall. Baby bewegte sich wie zu Hause, als sie aus dem Schrank zwei Teller und aus der Schublade das Messer nahm. Mir fiel ein, dass Kat seit über fünfzehn Jahren im Headlights arbeitete. Wahrscheinlich war Baby hier aufgewachsen.
Einen Moment lang beneidete ich sie. Ich meine, es war zwar nicht ideal, an einer »Tanktopstelle« aufzuwachsen, aber trotzdem. Die Welt ihrer Kindheit war auch die Welt ihrer Gegenwart. An den Orten, wo man aufgewachsenen ist, bewegt man sich mit einer ganz eigenen Selbstverständlichkeit. Bei mir gab es solche Orte nur weit weg von hier, in Virginia, und sie waren seit Jahren Tabu. Als ich Baby in dieser Küche beim Kochen zusah, hatte ich plötzlich Heimweh.
Später setzten wir uns mit unseren Tellern in die gleiche Nische wie an dem Tag, als das Feuer ausgebrochen war. Baby stellte den Getränkespender an und holte zwei Gläser Cola.
»Die Putzleute haben tolle Arbeit geleistet«, bemerkte Baby. Dann zeigte sie auf einen Bereich, wo der Boden mit Planen abgedeckt war. »Da vorne müssen die Dielen erneuert werden. Aber Bob meint, bis zum Hochzeitsempfang wird alles fertig.« Sie steckte die Gabel in ihr Frühstück.
Ich war schon mittendrin. Es schmeckte großartig. Ich wusste gar nicht, dass man von keinem Sex solchen Hunger bekommen konnte. »Wegen der Hochzeit«, fiel mir plötzlich ein. »Was soll ich anziehen?«
Baby kaute und schluckte. »Einen Anzug wahrscheinlich. Hast du so was?«
Hatte ich nicht. Seit dem Schlimmen hatte ich keinen Anzug getragen. »Ich finde schon irgendwas.«
»Ich ziehe ein rosa Kleid an, falls es für dich eine Rolle spielt«, sagte Baby. »Aber bis dahin bin ich gigantisch. Noch dicker als jetzt. Ich werde aussehen wie ein riesiges Marzipanschwein.«
»Nein, wirst du nicht«, sagte ich, obwohl sie wahrscheinlich recht hatte.
»Der Geburtstermin ist der fünfundzwanzigste Februar, aber der Arzt sagt, Frauen in meinem Alter übertragen meistens. Wer weiß, wann es rauskommt.«
»Gibt es irgendwelche Warnzeichen?«, fragte ich. Ich hatte noch gar nicht daran gedacht, dass ich vielleicht mit Baby zusammen war, wenn die Wehen anfingen, und ich wollte vorbereitet sein.
Sie zuckte die Schultern. »Ich schätze, wahnsinnige Schmerzen sind ein Anhaltspunkt dafür, dass der kleine Mensch in mir auszubrechen versucht.«
»Das klingt echt ekelhaft«, sagte ich, ohne nachzudenken.
Baby funkelte mich an. »Danke für die Unterstützung.«
Das Gespräch flaute ab. Ich hätte gerne etwas Ermutigendes gesagt, aber da ich kein Motivationsposter zum Thema Geburt kannte, fiel mir nichts ein.
Baby brach das Schweigen. »Warum, glaubst du, hat sie es getan?«
Seltsamerweise wusste ich genau, wovon sie sprach.
Ich formulierte die Antwort vorsichtig. »Ich kann es natürlich nicht wissen, aber vielleicht hatte sie die gleichen Gründe wie du, als du es fast getan hättest?«
Baby nickte, als hätte ich ihre Vermutung bestätigt. »Glaubst du, Scarlet geht es im Moment so schlecht, weil sie die falsche Wahl getroffen hat?«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn jemand eine Krise hat, heißt das nicht automatisch, dass er einen Fehler gemacht hat. Alle Optionen waren schwer, oder?«
Baby nickte wieder, und wir aßen schweigend weiter.
»Ich habe beschlossen, ans Sarah-Lawrence-College zu gehen«, sagte Baby irgendwann.
Ich wusste nicht, ob ich ihr gratulieren sollte, weil die Nachricht dem anderen sensiblen Thema gegenüberstand, also stellte ich lieber die nächstlogische Frage: »Heißt das, du hast beschlossen, das Baby nicht zu behalten?«
Baby stocherte in ihrem Rührei herum, bevor sie antwortete. »Ich konnte mich nicht entscheiden, bis ich dieses Ehepaar kennengelernt habe, bei denen ich einfach weiß, dass sie super Eltern wären. Sie sagen, mein Baby zu adoptieren wäre für sie, als würde ein Traum wahr«, sagte sie. »Ich wünsche diesem Kind Eltern, für die mit ihm ein Traum wahr wird, und ich weiß, dass es bei mir nicht so wäre.«
»Es ist für jedes Kind ein Traum, wenn mit ihm für jemanden ein Traum wahr wird.«, sagte ich. »Glaube ich jedenfalls. Ich spreche nicht aus Erfahrung, weil ich für meine Eltern ein ziemlicher Albtraum war.«
»Kenne ich. Kat hatte auch nicht geplant, alleinerziehende Mutter zu sein und in einer Kaschemme wie dem Headlights zu arbeiten«, bestätigte Baby. »Sie erzählt immer, dass sie nach Los Angeles gehen und modeln wollte, bevor sie einen Braten in der Röhre hatte. Auch wenn sie es nicht laut sagt, aber ich bin mir sicher, sie gibt mir die Schuld, dass daraus nichts geworden ist.«
Ich wollte Baby versichern, dass Kat nicht wie ein Mensch wirkte, der sein Kind für seine Entscheidungen verantwortlich machte, aber ich glaubte nicht, dass ich sie hätte überzeugen können — Baby hätte sich die Gedanken trotzdem gemacht. Deshalb sagte ich einfach: »Kat hätte es als Model sowieso nicht geschafft. Sie ist viel zu klein. Du hast ihr ein Leben voller Demütigungen erspart.«
Baby lachte, und ich fühlte mich siegreich.
»Es wird eine offene Adoption. Das heißt, dass ich im Leben des Kindes eine Rolle spielen kann. Wie eine coole Tante, die alle paar Monate zu Besuch kommt.« Sie strich sich durchs Haar. »So kann ich mein Leben leben und trotzdem mein Kind kennen.«
»Klingt nach einer Win-win-Situation.«
Baby zuckte die Schultern, und das Gespräch war vorbei.
Wir aßen zu Ende und spülten die Teller. Dann brachte mich Baby zur Videothek zurück, wo mein Wagen stand. Als wir auf dem Parkplatz ankamen, ging die Sonne auf.
»Wir haben 4 himmlische Freunde nicht zu Ende gesehen«, stellte Baby fest, als ich aussteigen wollte.
»Verdammt. Dann müssen wir uns wohl noch mal treffen.«
»Ja. Verdammt.« Sie gähnte. »Ich fahre jetzt nach Hause und schlafe erst mal sechzehn Stunden.« Bei Tageslicht sah Baby gerädert aus.
Ich wahrscheinlich auch. »Gute Nacht.«
Ich saß im Auto und wartete, bis der Motor warm wurde. Sogar der CD-Player war eingefroren und die R.E.M.-CD drehte sich ohne Ton. Ich stellte das Radio an.
»Ihr hört Planet 96.3, wo wir den Montagmorgen mit Bon Jovi starten. Auf Hörerwunsch vom Album Cross Road der Song ›Always‹ …«
Meine Finger bewegten sich unwillkürlich zum Ausschaltknopf, aber ich hielt mich zurück. Ich zögerte ein paar Sekunden, und dann drehte ich stattdessen die Lautstärke auf.
Als ich losfuhr, fiel mein Blick auf mehrere Mülltüten am Fuß der Treppe zu Scarlets Wohnung, die noch nicht dagestanden hatten, als ich heute Nacht gegangen war.
Ich lächelte.
Wenn Scarlets Versuch, mich zu verführen, nicht ihr Tiefpunkt gewesen war, war meine Zurückweisung vielleicht der Weckruf gewesen, den sie gebraucht hatte. Die Tatsache, dass sie direkt nach meinem Verschwinden anfing, ihr Leben in Ordnung zu bringen, war den Verzicht auf meine einzige Chance, mit ihr zu schlafen, wert …
… hoffentlich.