Wie so häufig in Michigan Mitte Februar führte heftiger Schneefall dazu, dass am nächsten Tag die Schule ausfiel. Die Straßen waren erst am frühen Nachmittag geräumt, und dann schleppten die örtlichen Mütter ihre vom Stubenhocken aufgedrehten Kinder zu ROYO Video in der Hoffnung, dem unerwartet schulfreien Tag dank eines Films zwei ruhige Stunden abzutrotzen.
Zumindest war das meine Erklärung, als das schrille Gejammer durch den Flur hallte: »Mom, ich will Die Schwanenprinzessin sehen, nicht In einem Land vor unserer Zeit!« Ein Blick auf die überwiegend minderjährige Menge vorne im Laden bestätigte meinen Verdacht. Wenn Schule war, war nie so viel los.
Nach dem Wut-Schlaf am Vortag war mein Biorhythmus durcheinander, und ich hatte bis vier Uhr früh Videos geglotzt, bis ich auf der Couch im Pausenraum eingeschlafen war. Als ich wieder aufwachte, stellte ich fest, dass bereits Nachmittag war und ich diesmal wirklich den Tag verschlafen hatte.
Ich bediente mich an Pizzaresten und abgestandener Limo, der fadenscheinige Versuch eines gesunden Frühstücks, aber ich hatte sowieso nicht viel Appetit. Das schlechte Gewissen lag mir schwer im Magen. Nachdem mein Vater die Drohung meiner Mutter entschärft hatte, wurde mir erst bewusst, wie mies es war, was ich zu ihr gesagt hatte. Ich weiß nicht, ob es jedem so geht, aber selbst wenn ich meine Mutter manchmal für alles hasste, was sie mir antat, schämte ich mich trotzdem, dass ich ihr wehgetan hatte. Egal ob sie mich provoziert hatte.
Mein Vater hatte recht, dass ich den Ball flach halten sollte, aber ich wusste nicht, wie viel Raum und Zeit ich meiner Mutter geben sollte, bevor ich wieder nach Hause ging. Zu viel oder zu wenig könnte die Lage verschlimmern, und ich wollte auf keinen Fall eine Fortsetzung unseres Streits — wie jeder weiß, waren Fortsetzungen immer schlechter als das Original.
Das Telefon klingelte, als ich gerade fertig gefrühstückt hatte, und weil vorne im Laden Hochbetrieb war, ging ich ans schnurlose.
»ROYO Video, Han Solo am Apparat. Wie kann ich helfen?«
»Hey, Solo.«
Ich schnappte nach Luft. »Baby?«
»Ja. Ich bin’s.«
»Wie geht es dir?« Ich war so glücklich über ihren Anruf, dass mir nichts Originelleres einfiel.
Sie ignorierte die Frage. »Arbeitest du gerade oder hängst du nur so in der Videothek rum?«
»Nur so«, gab ich zu.
»Hätte ich mir denken können.«
»Hör zu«, begann ich, um die Gelegenheit am Schopf zu packen, »es tut mir wahnsinnig leid wegen allem. Du hattest total recht, es war richtig doof von mir, dich zu küssen …«
»Solo, hör auf«, schnitt mir Baby das Wort ab. »Ich will nicht darüber reden, okay?«
»Echt nicht? Aber du hattest recht. Ich habe mich total danebenbenommen.«
»Ich weiß. Jetzt hör auf damit«, sagte sie ungeduldig. »Es ist mir egal.«
Ich war verblüfft. Mit dem Kuss hatte ich eine Million unausgesprochene Regeln unserer Freundschaft gebrochen, und sie hatte jeden Grund, sauer zu sein. Dass mich Baby einfach so vom Haken ließ, war nicht nur überraschend, es war verdächtig. »Ist alles in Ordnung?«
»Kannst du mich bitte abholen?« Sie klang ziemlich müde. »Ich muss wohin und ich will nicht allein gehen.«
Sofort vergaß ich meinen Argwohn und überließ mich dem plötzlichen Gezeitenwechsel. Wenn Baby mich um sich haben wollte, würde ich keine Zeit damit verschwenden, ihre Motive zu hinterfragen.
»Ja, natürlich!«, sagte ich und suchte nach meinem Autoschlüssel. Da fiel es mir ein. »Oh, Mist. Ich habe kein Auto. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs. Es dauert ein bisschen, aber ich fahre gleich los.«
»Mit dem Fahrrad? Was soll das, Solo? Wo ist dein Auto?«
»Lange Geschichte. Es ist eine Menge passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
»Wem sagst du das«, seufzte Baby. »Egal. Komm einfach her. Per Anhalter, wenn es sein muss, mir egal.«
»Alles klar.« Ich zog mir die Jacke an. Ihr Ton weckte wieder meine Sorge, dass etwas nicht stimmte, und ich konnte nicht auflegen, bevor ich noch mal nachfragte: »Ist wirklich alles in Ordnung, Baby?«
»Alles in Ordnung«, war ihre Antwort. »Wir sehen uns gleich.« Dann legte sie auf.
Zwei Minuten später strampelte ich wieder mit dem Zehn-Gang-Rad über die verschneiten Bürgersteige. Doch diesmal ging es besser, weil ich wusste, dass am Ziel Baby wartete und sie mich nicht hasste.
Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich klingelte, sowohl wegen des Rekordtempos, mit dem ich hergeradelt war, als auch aus Vorfreude, sie zu sehen.
»Hey«, sagte Baby, als sie die Tür aufmachte. Sie stand in eine Decke gewickelt im Flur, das Haar in einem struppigen Knoten, das Gesicht kreidebleich.
Sie war ein Labsal für meine müden Augen. »Hey!«, antwortete ich enthusiastischer als sie. Ich widerstand dem Impuls, sie an mich zu reißen, weil ich mit meiner letzten einseitigen Zärtlichkeitsgeste fast unsere Freundschaft zerstört hätte. »Ich freue mich sehr, dich zu sehen.«
»Ebenfalls«, sagte sie ohne ein Anzeichen jeglicher Freude.
Ich zog die Schuhe aus und stellte sie auf den Vorleger, dann folgte ich ihr ins Wohnzimmer. »Bist du froh, dass wegen dem Schnee die Schule ausgefallen ist?«, war mein Versuch, eine Unterhaltung anzufangen.
»Es hat geschneit? Habe ich gar nicht gesehen.«
»Oh. Bist du krank?«, riet ich, indem ich Babys Tod-auf-Latschen-Look und die Tatsache, dass sie nicht in der Schule war, kombinierte.
»So was Ähnliches.« Sie ließ sich auf die Couch fallen und nahm offenbar die gleiche Stellung wieder ein, in der sie sich vor meiner Ankunft befunden hatte.
Ich setzte mich in den Sessel. »Soll ich dich zum Arzt bringen?«
Sie zog das Laken enger um sich und seufzte. »So ähnlich. Ich muss ins Krankenhaus.«
Ich erschrak. »Ins Krankenhaus?«, wiederholte ich. Dann fiel mir ein, dass Baby schwanger war. »Glaubst du, das Baby kommt?«
Vielleicht war die Frage dumm, aber ich kannte mich eben nicht aus. Wie wahrscheinlich die meisten Jungs in meinem Alter hatte ich null Erfahrung mit Geburten. In Filmen kamen keine auf dem Sofa schmollenden Leute vor, wenn es um das Thema ging. Wenn im Kino und Fernsehen Frauen Babys bekamen, hechelten, stöhnten und kreischten sie und schrien nach einer »gottverdammten PDA« (keine Ahnung, was das war), während sie den Kindsvätern die Pest an den Hals wünschten, weil sie sie geschwängert hatten und die Wehen so hardcoremäßig wehtaten.
»Nein, das Baby kommt nicht«, versicherte Baby. Dann hob sie zu meinem Schock die Decke und sagte: »Der Zug ist abgefahren.«
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Der riesige Bauch, den sie bei unserer letzten Begegnung vor sich hergeschoben hatte, war weg, und stattdessen schlug das ausgeleierte, viel zu große T-Shirt von Pauly Shores Jury Duty Falten.
»O Gott!«, rief ich schockiert. »Was ist passiert?«
Baby zuckte die Schultern. »Die ›Krämpfe‹, die ich neulich hatte, als du dich danebenbenommen hast?« Sie verzog das Gesicht. »Anscheinend waren das die Wehen.«
Ich starrte wie gebannt auf Babys eingefallenen Bauch. »Du hast das Baby schon gekriegt? Du meinst, es ist weg? Es ist rausgekommen?«
Baby verdrehte die Augen. »Ja, Joel, mit ein bisschen Anstrengung ist es rausgekommen.«
»Oh«, war meine wortgewaltige Reaktion auf diese gewaltige Neuigkeit. Vielleicht hätte ich nicht so überrascht sein sollen, denn eine Geburt ist das typische Ende einer Schwangerschaft, doch andererseits hatte ich noch nicht damit gerechnet, dass Babys Schwangerschaft zu Ende war, und deshalb war ich überrumpelt.
Weil sie nicht auf eine besser formulierte Antwort warten wollte, redete Baby weiter. »Als ich nach Hause kam, ist die Fruchtblase geplatzt — was übrigens total ekelhaft war. Dann hat Kat mich ins Krankenhaus gebracht, und der Muttermund war schon sechs Zentimeter geöffnet.«
Ich nickte, ohne genau zu wissen, wo die Furchtblase oder der Muttermund waren.
»Ab da war alles verschwommen. In allen Büchern, die ich gelesen habe, steht, solche Sachen können bis zu vierzig Stunden dauern und am Ende müssen die Ärzte einem das Ding trotzdem aus dem Bauch schneiden. Falls das stimmt, weiß ich nicht, wie die Leute es überleben, weil, bei mir hat es nur zwei Stunden auf die altmodische Art gedauert, und es hat so saumäßig wehgetan, dass ich dachte, ich sterbe.«
Es war surreal, Baby zuzuhören, als würde sie mich bei meiner Lieblingsserie auf den neuesten Stand bringen: In einem Baby-und-Solo-Special heute Abend erlebt Baby den bedeutendsten Moment in ihrem Leben, während Solo bei ROYO Video den Staubsauger poliert, um seine fragilen Gefühle zu ordnen. Kanal und Sendetermin finden Sie in Ihrer Fernsehzeitschrift.
Baby erzählte weiter: »Es war, als hätte ich in einem Moment die schlimmsten Bauchschmerzen meines Lebens, und im nächsten drücke ich einen Fußball durch ein golfballgroßes Loch in meinem Körper, und im übernächsten bringt mir die Krankenschwester eine Schüssel Pudding, als wäre nichts passiert.« Sie sah mich an. »In der Zwischenzeit ist die Weltbevölkerung um einen Menschen angestiegen, und niemanden schien es groß zu beeindrucken.«
»Nicht mal dich?« Ich wusste nicht, ob die Frage angemessen oder auch nur fair war, aber sie kam einfach raus. »Ich meine, war alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon. Ich habe das Baby nicht gesehen«, antwortete Baby nach einer langen Pause. »Ich meine, ich habe gesehen, wie die Ärzte es mitgenommen haben, sobald es draußen war, aber ich habe es nicht im Arm gehalten und es mir angesehen oder so was. Ich wollte auch nicht wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Ich wollte, dass die Schwester es direkt zu der Mutter bringt, die es adoptiert. Ich dachte, das wäre das Richtige, verstehst du?«
Baby löste ihr Haar aus dem unordentlichen Knoten und ließ es über ihre Schultern fallen. »Der erste Mensch, der das Baby hält, sollte seine Mutter sein. Ich weiß, dass es wahrscheinlich keinen großen Unterschied macht, aber ich wollte niemanden in Verwirrung stürzen.«
Mit »niemand« meinte Baby das Baby, aber wahrscheinlich auch sich selbst.
»Also, ja. Ich habe ein Baby zur Welt gebracht, das ich nicht gesehen habe, und ich weiß weder sein Geschlecht noch seinen Namen«, fasste sie zusammen. »Ist das verrückt?«
Aus Erfahrung wusste ich, solange jemand den Verstand besaß, jemand anderes zu fragen, ob etwas verrückt war, war es das meistens nicht. Verrücktsein ist ziemlich unbewusst, und es schien mir, als hätte Baby in die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, logisches Denken gesteckt. »Nein. Es klingt, als hättest du getan, was du tun musstest.«
»Ja, und jetzt muss ich noch etwas tun.«
»Was denn?«
Baby sah auf die Uhr. »Ich muss mich zu irgendeiner offiziellen Sache mit den Adoptiveltern treffen, bevor sie das Baby aus dem Krankenhaus mitnehmen dürfen.«
»Was für eine offizielle Sache?«
»Ich weiß nicht genau, aber das Baby wird da sein, und ich auch. Und deswegen bist du hier.« Baby strich sich durchs Haar. »Ich will nicht allein sein, wenn ich das Kleine zum ersten Mal sehe. Ich meine, Kat kommt auch, aber … ich weiß nicht. Ich will einfach noch jemanden dabeihaben.«
Ich fühlte mich geehrt. »Ich bin richtig gut darin, noch jemand zu sein«, sagte ich. »Ich will nicht angeben, aber ich kenne niemanden, der so gut darin ist, noch jemand zu sein, wie ich.«
Baby zwang sich zu einem Lächeln, das nicht halbmondförmig war. »Dann ziehe ich mich mal an.« Sie stand auf, aber dann blieb sie noch mal stehen. »Ich weiß, du hast gesagt, dass dir in den letzten Tagen auch ziemlich viel passiert ist, aber im Moment kann ich mich mit keinem anderen Mist auseinandersetzen als meinem eigenen. Solange es nicht Crystal ist, die mit irgendeiner bahnbrechenden Erkenntnis über das Leben nach dem Tod bei dir aufgekreuzt ist, können wir uns heute bitte nur um mich kümmern?«
»Kein Problem«, sagte ich. »Crystal hat sich nicht blicken lassen. Der heutige Tag gehört ganz allein dir.«
»Verdammt«, sagte Baby. Dann ging sie sich anziehen.
Auf der Fahrt zum Krankenhaus hörten wir Hole, und am Rückspiegel hing ein neuer Kokosduftbaum. Das sind die Details, an die ich mich erinnere, weil unsere Sinnesorgane, wenn wir etwas Außergewöhnliches erleben (wie ins Krankenhaus zu fahren, um das Kind einer Freundin kennenzulernen, von dem du dachtest, es wäre noch nicht geboren), auf Hochtouren laufen. Kein Witz; es stimmt. Unsere Sinne und unsere Gefühle sind eng miteinander verbunden, genau wie unsere Sinne und unsere Erinnerungen. Deswegen musste meine Mutter nach meinem letzten Klinikaufenthalt von Meister Proper zu Pine-Sol wechseln — ich konnte Meister Proper nicht mehr riechen. Deswegen kann ich die Ratschläge sämtlicher Motivationsposter herunterrasseln, die ich in psychiatrischen Einrichtungen gelesen habe. Und deswegen kann mich die Farbe Grün jederzeit aus der Fassung bringen.
Während Baby am Steuer saß, überlegte ich, welche Verbindungen ihr Gehirn wohl in den letzten drei Tagen geknüpft hatte. Ob sie in den kommenden Jahren je wieder Courtney Love »Violet« grölen hören konnte, ohne an die Autofahrt zum Krankenhaus zu denken, um ihr Kind kennenzulernen. Konnte sie je wieder Pudding essen, ohne daran zu denken, dass es das Erste war, was sie nach der Geburt bekommen hatte? Würde sie den Kuss von mir für immer mit ihren Wehen in Zusammenhang bringen? Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich hatte keine Intention, Baby wieder zu küssen. (Beim ersten Mal hatte ich auch keine Intention gehabt, dass möchte ich an dieser Stelle wiederholen.) Aber die Vorstellung, die wandelnde Erinnerung an eine wirklich extreme Erfahrung in Babys Leben zu sein, bereitete mir Sorgen, und zwar aus diesem Grund:
Ich wusste, es war egoistisch, an diesem Tag, an dem es ausschließlich um Baby ging, an mich zu denken, aber nach dem Schlimmen, das passiert war, hatten meine Eltern beschlossen, den gesamten Staat Virginia aus unserem Leben herauszuschneiden, weil er ein großer, dicker Zeigefinger war, der auf schmerzhafte Dinge zeigte. Versteht mich nicht falsch, ich weiß, dass das Schlimme, das passiert war, nicht mit der Adoption von Babys Baby vergleichbar ist, aber beides waren zutiefst emotionale und potenziell traumatische Ereignisse. Je nachdem wie Babys Lebensweg weiterging, konnte es sein, dass sie die Hole-CD wegschmiss und nie wieder Pudding aß, falls diese Dinge sie zu sehr an die schwere Zeit erinnerten. Aus den gleichen Gründen könnte sie dann vielleicht auch mich loswerden wollen, und davor hatte ich eine Heidenangst. Ich hoffte natürlich, unsere Freundschaft hatte genug positive Seiten, um die schmerzhaften Erinnerungen, die ich bei ihr auslösen könnte, aufzuwiegen, aber sicher war ich mir nicht. Schließlich gab es in Virginia außer Fairfax Hunderte von Städten, wo wir hätten hinziehen können, aber wir waren bis nach Michigan gegangen und hatten nie zurückgeblickt.
Nach der Hälfte von »Doll Parts« parkte Baby im Parkhaus des Beaumont Hospital. Sie stellte die Musik ab, aber ließ den Motor laufen.
»Ich glaube, es ist besser, wenn du mir sagst, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist«, sagte Baby. »Ich habe genug zu verdauen, wenn ich das Baby sehe, wahrscheinlich ist es gut, wenn ich eine Überraschung schon hinter mir habe.«
»Bist du dir ganz sicher?« Ich hatte das Geheimnis seit Weihnachten gehütet, was angesichts meiner Übung im Verdrängen nicht schwer gewesen war.
Baby nickte. »Ich will es wissen.«
Ich öffnete meinen Geldbeutel, nahm den Zettel, den Baby mir gegeben hatte, aus dem Scheinfach und reichte ihn ihr.
»Du hast ihn behalten?«
Es war eindeutig eine rhetorische Frage, deshalb antwortete ich nicht. Ich sah nur zu, wie sie den Zettel auseinanderfaltete und las, was darauf stand.
»Mädchen«, sagte sie, nickte und atmete tief durch. »Ich habe eine Tochter bekommen.«
»Das hast du«, sagte ich. »Gut gemacht.«
Sie faltete den Zettel wieder zusammen und behielt ihn in der Hand. »Ich hoffe, sie haben ihr einen guten Namen gegeben«, sagte sie irgendwann. »Wenn sie sie Taylor nennen, mache ich einen Aufstand.«
»Ich dachte, du wolltest den Namen aussuchen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe den Adoptiveltern nur einen Vorschlag gemacht. Ich weiß nicht, ob sie ihn angenommen haben.« Dann sagte sie: »Ich meine, ich habe die Eltern ausgesucht, also kommt der Name am Ende sowieso irgendwie von mir.«
Ich verstand, was sie meinte. Trotzdem fragte ich: »Sagst du mir, wie du sie nennen wolltest? Nur damit ich, wenn wir dort sind, weiß, ob sie ihn übernommen haben?«
»Ich habe keinen konkreten Namen genannt. Ich habe ihnen eher eine Bedeutung empfohlen.« Baby fuhr sich durchs Haar. »Ich habe ihnen gesagt, egal ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, ich hätte gern, dass der Name des Babys ›Sieg‹ bedeutet.«
»Oh«, sagte ich. »Wie deiner.«
»Beinahe. Meiner heißt ›siegreich‹«, berichtigte sie mich. »Was als Bedeutung wahrscheinlich ganz okay ist. Aber das bin nicht unbedingt ich. Ich meine, ein Mensch wird nicht siegreich geboren. Man wird erst siegreich, indem man etwas erreicht. Einen Sieg zum Beispiel.« Baby hatte die gleichen Schlussfolgerungen gezogen wie ich. »Ich weiß auch nicht. Vielleicht ist es blöd, aber wenn der Name des Babys Sieg bedeutet, legitimiert es irgendwie, dass ich Nicole heiße.«
Für mich legimitierte nichts, dass Baby Nicole hieß, aber ich fand es gut, dass sie ihr Baby trotz allem für einen Sieg hielt. Jedes Kind sollte das Glück haben, dass seine Mutter einen Sieg in ihm sah.
»Meinst du, sie haben sie Victoria genannt?«, fragte ich.
»Wahrscheinlich«, sagte sie wenig begeistert. »Aber wenn, nenne ich sie Tori, nicht Vicky«, erklärte sie mir. »Als Kind, das den großen Teil der Grundschulzeit auf dem Schulhof Zicki-Nikki genannt wurde, will ich meiner Tochter ähnliche Demütigungen ersparen.«
»Das ist ein guter Grund.« Aber dann kamen mir Bedenken. »Es könnte auch sein, dass sie sie Idio-Tori nennen. Das wäre noch schlimmer.«
Baby seufzte. »Ich habe keine Hemmungen, ein paar Achtjährige übers Knie zu legen, wenn es sein muss.«
Ich stimmte ihr zu. »Bist du bereit?«
Ich rechnete mit etwas in der Art von: »Jetzt oder nie«, aber stattdessen seufzte Baby wieder und sagte: »Scheiße …«, was wohl aufs Gleiche hinauslief.
Dann stiegen Baby und ich ohne weiteres Wort aus und gingen zusammen los, um ihre Tochter kennenzulernen.