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Dresden, März 1973
Geräusche weckten ihn auf. Rust öffnete die Augen. Noch immer herrschte Finsternis. Er lag auf den Boden, fror und fühlte sich fiebrig. Seine Kehle war trocken, und es fühlte sich an, als wäre sie mit Reißzwecken gefüllt, als er schluckte. Er wälzte sich herum und zog sich hoch. Da draußen tat sich etwas. Da war jemand im Gebäude. Jugendliche vielleicht, die herumstromerten. Rust wollte rufen, doch außer einem Krächzen brachte er nichts zustande.
Plötzlich wurde ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und mit einem Knarren öffnete sie sich. Das Licht einer Taschenlampe drang ein und war so hell, dass Rust die Augen zusammenkneifen und sie mit der Hand abschirmen musste.
»Gut geruht?«, fragte jemand mit leisem Spott. »Schon häuslich eingerichtet, sehe ich!«
Rust wollte wissen, wer da sprach. Voigt war es nicht. Doch er konnte die Augen nicht öffnen. Die Schritte näherten sich, verharrten dicht vor ihm.
»Wie schnell man doch seine Selbstbeherrschung verliert, was? Da bleibt nicht viel Menschliches übrig, nicht wahr?«
Die Taschenlampe war keinen Meter von seinem Gesicht entfernt und das Licht schien sich durch seine Haut brennen zu wollen. Rust hob die Hand wieder, zwang sich, seine Augen ein wenig zu öffnen, sah aber nur grelles Licht. Aber er war sich jetzt sicher, es war die Stimme des Blonden, Schmitgaus Fahrer, dessen Hose er trug.
»Da hat der kleine eifrige Polizist aus Dresden also etwas herausgefunden. Und nun frage ich mich, was stellen wir damit an?«
Nichts, wollte Rust sagen, nur um hier rauszukommen, sich zu retten, ein normales Leben führen zu können. Doch seine Kehle war verklebt.
»Irgendwelche Ideen?«, fragte der Blonde.
Rust krächzte. Wenn er doch wenigstens das Licht wegnehmen würde.
»Ich meine, welches Leben stand dem Kind bevor«, sagte der Blonde. »Ungewollt. Ungeliebt. Bei uns wird es alles bekommen. Bei uns wird es ihm gut gehen.«
Rust drehte sich weg vom Licht, setzte sich und lehnte sich an die Wand. Er versuchte, Speichel in seinem Mund zu sammeln, um schlucken zu können, die Kehle frei zu bekommen.
»Seit Jahren warten wir auf ein Kind, ein Baby, verstehst du? Aber alle Kinder, die sie uns angeboten haben, waren schon zu alt. Die hätten ihr Leben lang gewusst, dass wir nicht ihre leiblichen Eltern sind. Wir wollten eines, das von Anfang an unseres ist, verstehst du? Da habe ich mich eben selbst gekümmert. Das machen nämlich Leute wie ich, sich kümmern. Und dann kamst du!«
Rust öffnete die Augen erneut, blinzelte gegen das Licht, doch hinter dem grellen Lichtkreis war nur Dunkelheit.
»Du könntest natürlich zu deinen Stasileuten gehen, zu Voigt oder wer dein Vorgesetzter ist, könntest erzählen, was du gesehen hast. Aber ich stehe da drüber, verstehst du? Ich spiele da ganz oben mit. Da ist jemand wie Voigt ein kleines Licht. Und jemand wie du, der fällt da erst recht nicht ins Gewicht. Ich habe Zugang zu Mielkes Büro, sogar zu Honecker, die kennen mich. Ich sage etwas und du bist weg vom Fenster. Ich sage, du bist ein Feind. Du arbeitest für die da drüben, bringst die DDR in Gefahr. Kurzer Prozess. Verstehst du das?«
Rust nickte.
»Das ist also eine Sache zwischen mir und dir, oder?«
Rust nickte wieder.
»Und ich meine, deine Frau, die ist doch auch da im Krankenhaus. Du willst doch auch, dass es ihr gut geht, oder? Dass das Kind gesund zur Welt kommt.«
»Was soll das heißen?«, krächzte Rust jetzt.
»Stell dich nicht dumm, du schlauer Polizist. Mein Einfluss reicht weit. Ich habe Ohren und Augen überall, verstehst du. Wenn ich will, kommen Leute und nehmen dich mit und schleppen dich in eine alte Fabrik und sperren dich in einen Keller ein. Die fragen gar nicht, warum sie das machen sollen, die machen das einfach, weil ich es sage. Und wenn ich will, bleibst du hier und wirst vergessen. Und wenn ich will, dann können noch ganz andere Dinge passieren. Unfälle zum Beispiel. Unfälle passieren immer wieder. Verstehst du das?«
Rust nickte wieder.
»Brauchst du noch Zeit zum Nachdenken? Ich bin mir nicht sicher, ob ich deutlich genug war.«
Rust schüttelte heftig den Kopf, doch das Licht der Lampe wich zurück und richtete sich auf die Tür. Rust wusste, er müsste aufspringen, losrennen, dem Mann zuvorkommen. Doch er war zu schwach dafür. Er schaffte es gerade, auf die Beine zu kommen, da war der Mann aus der Tür hinaus und schlug sie hinter sich zu. Rust schleppte sich die wenigen Meter zur Tür.
»Ich habe verstanden!«, krächzte er und riss an der Klinke, doch die Tür war wieder abgeschlossen.