GEORGE

Es war ein Pyrrhussieg, doch George beschloss, dass ihm das egal war.

»Diesmal keine Liebessonette?«, scherzte er.

»Es waren auch letztes Mal keine Liebessonette.«

Er schob die Decke weg und rutschte, immer noch auf allen vieren, zu Charlotte hin. »Jetzt werden es auch keine Liebessonette«, warnte er sie. Seine Worte waren grob, aber ihre Zurückweisung war es ebenfalls gewesen. George hatte geglaubt, dass ihre Hochzeitsnacht etwas bedeutete .

Ihm hatte sie etwas bedeutet.

Aufmerksam schaute er ihr ins Gesicht, prüfte, ob er einem Anflug von Furcht erkannte. Er glaubte nicht, dass er damit leben könnte, wenn sie sich vor ihm fürchtete. Doch er sah nur aufgeregten Trotz. Ihre Augen funkelten lebhaft, und ihr Atem wurde schnell und flach.

Genau wie seiner.

»Ein Jammer, dass du meine Berührung derart verabscheust«, spottete er und ließ seine Finger an ihrem Hals entlanggleiten.

Prompt griff sie zwischen seine Beine und drückte zu. »Ein Jammer, dass du meine Berührung derart verabscheust.«

Aha, so wollte sie das also spielen? Er rollte sich mit ihr herum, bis sie auf ihm saß, umfasste den Saum ihres locker geschnittenen Nachthemds und zerrte es ihr über den Kopf.

»Keine Knöpfe«, kommentierte er beifällig.

Sie schnappte kurz nach Luft, doch falls die plötzliche Nacktheit sie in Verlegenheit brachte, zeigte sie es nicht. Stattdessen drückte sie fester zu.

Ein bisschen zu fest, wenn er ehrlich war.

Aber das hier war noch neu für sie. Sie kannte nicht die Grenze zwischen dem Vergnügen und dem Schmerz eines Mannes.

Zumindest hoffte er das. Andernfalls versuchte sie gerade, ihm ernsthaften Schaden zuzufügen.

»Mit etwas weniger Elan«, bat er und schob die rechte Hand zwischen ihre Finger und sein Gemächt. Sein Morgenrock hatte sich geöffnet, daher war er jetzt im Grunde ebenso nackt wie sie.

»So ist’s besser.« Er zeigte ihr, wie er gern festgehalten und gestreichelt wurde. Aus Gründen der Fairness erwiderte er anschließend den Gefallen.

»Magst du das?«, flüsterte er, während er sie sanft zwischen den Schenkeln berührte.

Sie nickte. »Ja, da. Nein, dort

George grinste. Er hatte seine Finger ein wenig justiert und offenbar den Punkt gefunden, der ihr am meisten Wonne bescherte. Er rieb ganz sanft.

»Oh ja.«

Und dann umkreiste er die empfindsame Stelle. »So?«

Sie nickte heftig.

»Das kann ich sogar noch besser.«

Sie sah nicht aus, als ob sie ihm glaubte.

»Na warte nur«, murmelte er, und bevor sie wissen konnte, wie ihr geschah, drehte er sie um, rutschte an ihrem Körper herunter und presste das Gesicht zwischen ihre Beine.

Überrascht schrie sie auf.

Er begann zu lecken.

»George! Was tust du da? Du kannst doch nicht …«

Kurz hob er den Kopf, um ihr ins Gesicht zu schauen. »Oh doch. Ich kann. Und es wird dir gefallen.«

»Bist du sicher?«

Er zögerte. »Wenn nicht, lass es mich wissen.«

Sie nickte. Wenigstens in dieser Hinsicht vertraute sie ihm.

Er hatte das schon früher gemacht, aber nicht oft. Die Kurtisane, zu der er mit sechzehn von seinem Onkel geschickt worden war, hatte ihm versichert, dass Frauen diese Liebkosung überaus schätzten.

»Sie werden Ihnen für immer ergeben sein«, hatte sie gesagt, direkt nachdem sie ihm einen herablassenden Nasenstüber versetzt hatte. »Vorausgesetzt, Sie machen Ihre Sache gut.«

Er war ziemlich sicher, dass er gelernt hatte, es mehr als passabel hinzubekommen, musste aber, wenn er ehrlich war, zugeben, dass es ihm wie eine lästige Pflicht vorgekommen war.

George war kein selbstsüchtiger Liebhaber, er legte stets Wert darauf, dass auch die Frau Freude an der Vereinigung hatte. Doch dieser Teil war für ihn, offen gestanden, immer ein bisschen langweilig gewesen.

Davon konnte jetzt jedoch keine Rede mehr sein.

Charlotte so intim zu küssen war … eine Offenbarung. Ihr Geschmack, die Hitze, die lustvollen Laute, die sie bei jedem noch so winzigen Lecken und Knabbern ausstieß … Ihre Wonne verstärkte seine auf eine bislang ungeahnte Weise. Jedes Mal, wenn sie unter seinen Lippen stöhnte und sich wand, wurde er härter, auch noch, als er das längst nicht mehr für möglich hielt. Obwohl er nicht wusste, wie lange er seine Erregung auf diesem Stand halten konnte, trieb etwas in ihm ihn dazu an, immer weiterzumachen.

Er würde sie explodieren lassen. Das war unvermutet zu seinem Lebensziel geworden.

Langsam ließ er einen Finger in sie hineingleiten.

»Oh!«, japste sie atemlos. Er lächelte.

»Das gefällt dir, stimmt’s?«, murmelte er und brachte einen zweiten Finger zum Einsatz.

Sie bäumte sich unter ihm auf und schrie seinen Namen. »Warte!«, keuchte sie dann. »Ich kann nicht!«

Wieder lächelte er. Sie konnte, und sie würde. Und er würde sie dazu bringen.

»Nicht weiter«, wimmerte sie. »Nicht weiter.«

Er hob den Kopf, um sie anzuschauen, und fragte sich, ob sie ihre Lust auf seinem Gesicht glitzern sehen konnte. »Willst du wirklich, dass ich aufhöre?«

»Nein!«, stöhnte sie auf – genau genommen war es eher ein lang gezogenes Heulen –, schob ihre Finger in sein Haar und drückte ihn wieder zwischen ihre Schenkel.

Entzückt lachte er auf und verdoppelte seine Anstrengungen. Auch wenn sie gesagt hatte, dass sie ihn nicht wollte, kannten sie beide die Wahrheit. Er würde sie zum Höhepunkt bringen, und sie würde nie mehr behaupten können, dass sie ihn nicht begehrte.

Sie mochte irgendwann zu dem Schluss kommen, dass sie ihn nicht leiden konnte. Ihm würde dann immer das Wissen bleiben, dass sie ihn wollte.

»George«, keuchte sie wieder. »George, George, George.«

Er bewegte seine Finger in ihr, brachte erneut die Zunge zum Einsatz und ahmte den Rhythmus des Liebesspiels nach, angereichert um die ein oder andere kleine Drehung, und dann …

Als sein Name das nächste Mal über ihre Lippen kam, war es ein Schrei.

Er rutschte höher, bis sein Gesicht nur noch einen Atemzug von ihrem entfernt war. »Das hat dir Vergnügen bereitet, oder?«

Sie konnte nicht sprechen.

»Das interpretiere ich als Ja.« Er schob sich zwischen ihre bereits gespreizten Beine, schob sie noch ein Stück weiter auseinander. »Bist du bereit?«

Benommen nickte sie, und im nächsten Moment drang er in sie ein.

Sie war wundervoll feucht, aber es war erst ihr zweites Mal, daher musste er ihr Zeit lassen, sich an ihn zu gewöhnen. »Sag es mir, wenn ich dir wehtue.«

Sie nickte heftig.

Sofort hielt er inne. »Ich tue dir weh?«

»Nein. Ich meinte nur, ich werde es dir sagen.«

Gott sei Dank . Andernfalls hätte er sich aus ihr zurückgezogen. Ganz sicher. Aber vermutlich wäre er dann gestorben.

Er bewegte sich langsam, oder zumindest so langsam er konnte, bis er sie schließlich ganz ausfüllte. »Charlotte«, stöhnte er, denn in diesem Moment war sie wirklich und wahrhaftig seine ganze Welt. Als er sich ein wenig zurückzog, jagte die köstliche Reibung Schauer der Erregung über seinen Rücken.

Sie umklammerte seine Schultern, bäumte sich unter ihm auf, und er stieß zu. Und dann wieder und wieder, bis seine Bewegungen jeden Rhythmus verloren und nur das nackte Verlangen ihn lenkte.

So wild liebte er sie, dass das Bett bebte und knarrte, aber sie kam ihm Stoß für Stoß entgegen, und er spürte, wie sie erneut Erlösung fand. Dabei umschlossen ihre Muskeln ihn so fest, dass er ihr direkt folgte.

»Charlotte!« Er ergoss sich in ihr, heftiger und lustvoller, als er es sich je erträumt hätte.

Erschöpft wandte er sich zur Seite, um sie mit seinem Gewicht nicht zu zerquetschen. »Mein Gott«, sagte er.

Sie atmete nur. Schnell und keuchend.

»Das war … Das war …« Ihm fehlten die Worte. Buchstäblich. Sie hatte ihm den Verstand geraubt. Was man vermutlich als Ironie des Schicksals verstehen konnte.

»Haben wir ein Baby gezeugt?«, fragte sie.

Die Frage verblüffte ihn. »Bis wir das wissen, dauert es noch eine Weile.«

»Wirklich?«

Stirnrunzelnd schaute er sie an. »Ich dachte, du sagtest, dass man es dir erklärt hätte.«

»Das stimmt auch. Sie sagte, dass wir es womöglich öfter tun müssen, aber ich dachte, dass man sofort weiß, ob es geklappt hat.«

»Du weißt es, wenn deine Regel aussetzt. Daran merkt man es.«

»Das ist mir schon klar.« Sie klang ein wenig ungeduldig. »Ich meine, ich weiß, was es bedeutet, wenn die Regel ausbleibt. Ich nahm nur an, dass man es schon vorher mitbekommt. Dass … irgendwie …«

»Dass man spürt, wenn es passiert?«

Sie nickte.

»Nein.« Er blickte wieder zur Decke.

Sie stieß einen verärgerten Laut aus. Charlotte verabscheute es, über etwas nicht im Bilde zu sein, so viel hatte er bereits über sie gelernt. Und offen gestanden konnte er es ihr nicht verübeln.

»Nun«, sagte sie schließlich. »Dann kannst du jetzt wohl gehen.«

»Gehen?«

»Du bist in meinem Schlafzimmer.«

Ja. Und er war davon ausgegangen, dass er dort auch bleiben würde. Immerhin hatten sie die vergangene Nacht gemeinsam in seinem Schlafzimmer verbracht. Natürlich bevor sie so kühl und distanziert geworden war.

Abrupt setzte sie sich auf und zog die Decke um sich. Um sich zu wärmen? Aus Scham? Das erschien ihm absurd nach allem, was er gerade mit ihr gemacht hatte. Aber Frauen waren ihm ein Rätsel, und sie war die rätselhafteste von allen.

Er hatte angenommen, dass sie ihn mochte. Ihr Verhalten hatte darauf hingedeutet, dass sie ihn für ein menschliches Wesen hielt, das ihrer Zuneigung würdig war. Als er sie an diesem Morgen in seinem Bett zurückgelassen hatte, war er überglücklich gewesen. Doch beim Wiedersehen am späten Nachmittag hatte sie kalt und abweisend reagiert. Offenbar war sie irgendwie auf die Wahrheit über ihn gestoßen. Vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber doch annähernd. Er war ihrer nicht würdig. Und würde es höchstwahrscheinlich auch niemals sein.

»Nun?« Sie nickte vielsagend Richtung Tür.

»Du willst ernsthaft, dass ich gehe?« Er klopfte aufs Bett. »Nach dem hier

»Das ändert nichts.«

Mit einer heftigen Bewegung schlug er die Decke zurück. »Offensichtlich nicht.«

»Es ist unsere Pflicht, ein Baby zu zeugen«, entgegnete Charlotte. »Mehr nicht.«

George versuchte, seinen Morgenrock vom Fußende des Bettes zu befreien. Sie hatten sich so akrobatisch bewegt, dass das Gewand sich im Eifer des Gefechts um einen der Pfosten gewickelt hatte. »Mehr nicht«, bestätigte er schroff und riss das verdammte Ding mit Gewalt los.

»Dann sehe ich dich übermorgen«, erklärte sie prüde.

Verärgert zurrte er den Gürtel des Morgenrocks zu einem engen Knoten zusammen. »Und keine Minute früher.«

»Es wird mir ein großes Vergnügen sein, dich nicht zu sehen.«

»Gleichfalls«, erwiderte er. »Je schneller du schwanger wirst, desto eher können wir diese …«, er deutete mit seiner besten royalen Verachtungsgeste aufs Bett, »… Darbietung beenden.«

Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. »Dann haben wir unsere Pflicht erfüllt. Du kannst zu deinen Sternen nach Kew zurückkehren, und ich bleibe vom Anblick deines Gesichts verschont.«

Er verbeugte sich höhnisch. »Eure Majestät.«

Hoheitsvoll nickte sie ihm zu. Ihm! Und zeigte dann in Richtung seines Schlafzimmers. »Und jetzt verschwinde.«

»Mit Vergnügen.« Er riss die Tür auf und ging.

Buckingham House, Monros Labor
18. September 1761

Die nächsten Tage verliefen nicht besser. Nach wie vor hatte George nicht die geringste Ahnung, warum Charlotte derart schlecht auf ihn zu sprechen war. Inzwischen war er allerdings selbst so zornig, dass er nicht mehr sicher war, ob er es überhaupt noch wissen wollte.

Außerdem hatte er keine Zeit, sich ihretwegen den Kopf zu zerbrechen. Monro hatte seine Behandlung intensiviert, und so verbrachte George den Großteil des Tages im Keller von Buckingham House.

Überzeugt davon, dass Georges Fortschritte darunter litten, beklagte der Arzt den Verlust des eisernen Stuhls.

»Auch die Diät ist ein Problem«, erklärte Monro.

»Wenn ich Haferschleim zum Dinner essen könnte, würde ich es tun«, erwiderte George müde. »Nur würde es zu viel Gerede verursachen.«

»Es ist ein Problem.«

George widerstand dem Drang, darauf hinzuweisen, dass der Doktor dies bereits einige Male erwähnt hatte. Frechheit gegenüber dem Doktor zahlte sich nicht aus, sie führte nur zu längeren Perioden im Eisbad, und Monros Gehilfen drückten Georges Kopf nun immer länger unter Wasser.

»Wir müssen diese Defizite auf andere Art ausgleichen«, verkündete der Arzt. »Der Knebel!«

Einer der Handlanger eilte herbei, um den Befehl auszuführen. Georges Hand- und Fußgelenke waren bereits an den harten Holzstuhl gefesselt, sodass er nun vollkommen ausgeliefert war.

»Du darfst nicht sprechen«, sagte Monro. »Also musst du denken, was ich dir auftrage. Verstehst du das, Bursche?«

George nickte.

»Du musst lernen, dich zu unterwerfen. Du musst begreifen, dass du niemand bist. Du bist nichts Besseres als jeder andere Mensch.« Monro ging zur hinteren Wand, an der etliche seiner Instrumente an Haken befestigt waren. Er überlegte eine Weile und entschied sich dann für eine dünne Rute.

»Bei jedem Schlag wirst du denken: ›Ich bin niemand‹. Hast du verstanden?«

Wieder nickte George, die Rute ängstlich beäugend. Bislang hatte Doktor Monro ihn nur mit der Hand geschlagen.

Der Arzt reichte die Rute an einen Gehilfen weiter. »Wir fangen jetzt an.« Er nickte, und der Gehilfe ließ die Rute auf Georges Oberschenkel niedersausen. Es brannte, war jedoch nicht so schmerzhaft, wie George angenommen hatte.

»Hast du es gedacht?«, wollte Monro wissen.

George hatte es vergessen. Er schüttelte den Kopf. Wenn die Behandlung erfolgreich sein sollte, musste er bei der Wahrheit bleiben.

»Fester«, wies Monro den Gehilfen an.

Die Rute klatschte auf seine Beine.

Ich bin niemand, dachte George.

»Hast du es gedacht?«

Diesmal nickte er.

»Hast du es geglaubt?«

George zuckte leicht mit den Schultern. Vielleicht? Ehrlich gesagt war er nicht sicher.

Einen Moment musterte Monro ihn schweigend, schien dann zu dem Schluss zu kommen, dass es dennoch als Fortschritt verbucht werden konnte, denn er nickte und ging zu seinem Arbeitstisch, setzte sich und griff nach seinem Notizbuch. »Noch mal«, befahl er, ohne von seinen Aufzeichnungen aufzusehen.

Peng!

Ich bin niemand.

»Noch mal.«

Peng!

Monro runzelte die Stirn. »Er scheint nicht zu reagieren.«

George riss die Augen auf und grunzte hinter seinem Knebel.

»Schlag auf die Hände.«

George zerrte an seinen Fesseln. Anders als die Oberschenkel waren seine Hände nackt. Das würde sehr viel mehr …

Klatsch!

George stieß einen Schrei aus.

»Viel besser«, grummelte Monro.

Klatsch!

»Befolgst du meine Befehle?«

George nickte.

Klatsch!

Ich bin niemand.

Klatsch!

Ich bin niemand .

Klatsch!

»Pass auf, dass er nicht blutet.« Stirnrunzelnd lehnte der Arzt sich in seinem Stuhl zur Seite, um Georges Hände besser in Augenschein nehmen zu können. »Das würde Fragen aufwerfen.«

Der Gehilfe nickte, und sein nächster Schlag landete auf Georges Unterarm, der bislang verschont worden war.

»Obwohl wir ihm vermutlich einfach Handschuhe anziehen könnten«, fuhr Monro fort.

Ich bin niemand. Ich bin niemand .

Klatsch! Wieder auf die Hände.

Ich bin niemand .

»Befolgst du meine Befehle?«, fragte Monro.

George nickte heftig. Tränen liefen ihm über die Wangen und durchnässten den Knebel. Er war zutiefst gedemütigt.

»Gut. Dann funktioniert es.« Der Doktor nickte seinem Gehilfen zu. »Weitermachen.«

Klatsch!

Ich bin niemand.

Klatsch!

Ich bin niemand.

Ich bin niemand

Zwei Tage später

Er war der König.

Zwar sagte er weiterhin, dass er niemand war, und dachte, dass er niemand war, aber wenn er morgens erwachte, wusste er trotzdem, dass er der König war.

Nur dazu war er geboren worden.

Doch George wollte gesund werden. Und jedes Mal wenn er Charlotte auf dem Flur begegnete und ihr den Abscheu, den sie ihm gegenüber empfand, vom Gesicht ablesen konnte, wuchs seine Entschlossenheit, die Behandlung bis zum Ende fortzusetzen.

War es ihr irgendwie gelungen, seine Fassade zu durchschauen? Hatte sie den Wahnsinn hinter seinen Augen erkannt?

Selbst in den Nächten jener geraden Tage, wenn sie schrien und stöhnten und übereinander herfielen, kam von ihrer Seite keinerlei Zärtlichkeit, nichts, was darauf hindeutete, dass sie mehr in ihm sah als einen Auslöser körperlicher Freuden.

Und den Erzeuger eines Babys. Das durfte er nicht vergessen.

Es war ihm ein Ansporn, seine Bemühungen zu verstärken. Denn sobald sie schwanger war, müssten sie einander nicht mehr sehen. Wäre das nicht wunderbar? Keine Beleidigungen, die ihm aus jeder Ecke an den Kopf geworfen wurden. Und keine finsteren Blicke mehr von diesem nervtötenden kleinen Leibdiener. Wie hieß er doch gleich? Burdock? Bramwell?

Brimsley. Das war’s. Brimsley. Es war derjenige, der George bei jeder sich bietenden Gelegenheit anfunkelte, als trüge er die Schuld an der gegenwärtigen Stimmung im Palast, die zwischen explosiv und lichterloh brennend schwankte.

Dabei lag es an Charlotte. Es war ihr Fehler. George verhielt sich vernünftig – oder zumindest so vernünftig, wie man von einem Verrückten erwarten konnte. Außerdem unterzog er sich in der verzweifelten Hoffnung, dadurch Heilung zu finden, einer verdammten Folter.

Gut, sie war sich dieses Umstands nicht direkt bewusst und ahnte auch nicht, dass er manchmal nicht ganz klar im Kopf war, aber irgendwo zählte bestimmt irgendwer mit, und George leistete in dieser verfahrenen Situation definitiv seinen gebührenden Anteil.

»Verdammt noch mal«, versuchte er zu sagen. Erfolglos, denn wie gewöhnlich war er geknebelt.

»Was war das?« Monro blickte von seinem teuflischen kleinen Notizbuch auf. »Entfernt den Knebel.«

Einer der Gehilfen, den George für sich beschlossen hatte, Helmut zu nennen, tat, wie ihm geheißen.

Sobald der Knebel weg war, spuckte George aus. »Wir machen das hier jetzt schon seit Tagen«, sagte er dann. »Wie lange soll das noch gehen?«

»So lange, bis wir unser Ziel erreicht haben«, erwiderte Monro ruhig. »Das war die Abmachung.«

»Unser Ziel ist, mich wieder zu meinem alten Selbst zu führen. Wenn wir so weitermachen, wird es kein Selbst mehr geben, zu dem ich zurückkehren kann. Ist ein gebrochener König wirklich besser als ein verrückter?«

Monro legte sein Notizbuch weg und begann, mit ausgreifenden Handbewegungen zu gestikulieren, ungefähr so, wie ein Lehrer seine Ausführungen visuell unterstrich. »Ich nenne es nicht umsonst die ›fürchterliche Methode‹. Furcht ist die Basis dieser Behandlung. Doch welches Resultat wird durch diese Furcht erzielt!«

Die Art, wie der Doktor bei den Worten »welches Resultat« vor Entzücken schauderte, war nicht dazu angetan, George zu beruhigen.

»Die Wölfe des Schwarzwalds waren berühmt«, fuhr Monro fort und erhob sich von seinem Stuhl. »Die wildesten der Welt. Sie gaben sich nicht damit zufrieden, Hühner und Schafe zu stehlen, sie verschleppten Kinder und Greise. Doch wo sind diese Wölfe heute?«

George hoffte inbrünstig, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte.

»Sie sind verschwunden!«, dröhnte Monro. »Sie existieren nur noch in Legenden und Märchen. Durch Wissenschaft und Willenskraft haben die Deutschen ihre Wölfe in jämmerliche Kreaturen verwandelt wie jenen Zwergspitz, den ich mal hatte. Denn siehst du, Bursche, die Natur aller Lebewesen ist wie Lehm. Mit ausreichend Kraft kann man sie formen. Ich werde mit dir machen, was die Deutschen mit ihren Wölfen gemacht haben. Dich formen. Bis du so harmlos und fügsam bist wie dieser verdammte Zwergspitz.«

»Der Zwergspitz ist entkommen«, flüsterte George.

Monro wirbelte zu ihm herum. »Ich habe das neue Haustier der Königin gesehen, Eure Majestät

George bemühte sich, keine trotzige Miene zu zeigen. Er durfte dem Doktor nicht trotzen. Er wollte es nicht.

»Du hast dich mir widersetzt«, befand Monro. »Dafür wirst du büßen.«

»Ich bin der König.«

»Du bist niemand!«, brüllte Monro. »Du bist das, was ich dir sage. Verstehst du mich?«

»Ich bin der König«, wiederholte George.

Monro schlug ihn ins Gesicht. »Sag das noch mal«, forderte er ihn heraus.

»Ich bin der König.« Doch Georges Stimme klang diesmal schwächer.

Der nächste Schlag. »Noch mal.«

»Ich bin … der König.«

Der nächste Schlag. »Noch mal.«

»Ich bin … ich bin …«

Er war der König. Aber war es der Mühe wert, es wieder und wieder zu sagen? Gab es einen Grund dafür? Es würde ihm nur die nächste Ohrfeige einbringen, und Doktor Monro versuchte, ihm zu helfen, oder?

»Wer bist du?« Monros Stimme war leise, sein Ton autoritär.

»Ich bin niemand.« George glaubte es nicht wirklich, war aber bereit, es zu sagen. Wenn das hier dafür aufhörte.

Also sagte er es noch mal. Und noch einmal. Doch er dachte dabei an etwas ganz anderes …

Heute war ein gerader Tag.

Und das entlockte ihm trotz allem ein Lächeln.