CHARLOTTE

Buckingham House
Einen Moment später

»Hier entlang.« Sanft führte Charlotte ihren Mann durch die stillen Palastflure.

»Venus.« Er lächelte müde.

George sah aus, als ob er im Gehen einschlafen würde.

»Er ist schwer«, sagte sie zu Reynolds, der sich zwei Schritte hinter ihnen bereithielt. Sofort trat er nach vorn und stützte den König von der anderen Seite.

»Er ist ein Goldkreisel«, erklärte George.

Charlotte und Reynolds wechselten einen ratlosen Blick.

»Goldkreisel sind gut.« Charlotte wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. »Und freundlich.«

»Ich sollte ihn nicht berühren.« George kicherte. »Aber ich tue es trotzdem.« Er tätschelte Reynolds’ Haare.

Seine glänzenden goldenen Haare. Jetzt verstand Charlotte endlich.

»Die Spitze war gar nicht heiß«, verkündete George. »Ich dachte, sie wäre heiß.«

Die Decke glitt von seinen Schultern, und Charlotte blieb stehen, um sie ihm wieder umzulegen. Darunter war er nackt, und sie befanden sich in einem sehr öffentlichen Korridor von Buckingham House. Zwar war es mitten in der Nacht und offenbar niemand in der Nähe, aber trotzdem.

»Brimsley hat den Bereich abgesichert«, sagte Reynolds.

Ratlos schaute Charlotte ihn an. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach.

»Er kümmert sich darum, dass niemand in diesen Teil des Hauses kommt. Ich habe ihn angewiesen, notfalls die Dienstboten in ihren Zimmern einzuschließen.«

»Oh. Vielen Dank. Nehme ich an.« Sie klang in ihren eigenen Ohren ein bisschen leblos. Zumindest abgestumpft.

Was merkwürdig war. Eigentlich müsste sie emotional aufgewühlt sein. Sie sollte Wut empfinden oder Sorgen oder irgendwas Hitziges, Explosives, doch stattdessen fühlte sie sich wie eine Schlafwandlerin. Als ob sie neben sich selbst stünde, Körper und Geist säuberlich getrennt.

Ihr Körper schien irgendwie zu wissen, was er zu tun hatte – den König zurück in sein Schlafzimmer bringen, den Dreck von seiner Haut waschen und ihn ins Bett legen. Ihr Geist hingegen … war irgendwo anders. Und hatte Fragen.

»Wie lange?«, wollte sie wissen.

»Eure Majestät?«

»Wie lange ist er schon so?«

Reynolds zögerte. »Ich … kann es nicht genau sagen, Eure Majestät.«

Charlotte hätte ihn geschlagen, wenn sie die Energie aufgebracht hätte. Doch sie brauchte ihre ganze Kraft, um den König aufrecht zu halten. »Können Sie es ungenau sagen?«

»Ein paar Jahre«, gab er zu.

»Ist das typisch? Wie heute Nacht?«

»Diesmal war es schlimmer als üblich«, räumte Reynolds ein.

Sie hatten das Schlafzimmer des Königs erreicht. George gähnte. »Ich bin sehr müde«, murmelte er.

»Gleich liegt Ihr in Eurem Bett«, versicherte Reynolds ihm.

»Wir müssen ihn waschen«, sagte Charlotte noch immer mit dieser schwerfälligen, dumpfen Stimme.

»Ja«, stimmte Reynolds zu. »Könnt Ihr bei ihm bleiben, während ich Wasser und Seife hole?«

Charlotte nickte. Welcher Teufel auch immer in George gefahren war und ihn dazu brachte, zu rennen und zu brüllen wie ein Wahnsinniger, hatte sich wieder verzogen und einen völlig ermatteten Mann zurückgelassen. Wieder gähnte der König, und sie und Reynolds stützten ihn, während er sanft zu Boden sank. Sie lehnten ihn mit dem Rücken an die Wand – jene, die jetzt von seinen Kohl-Kritzeleien bedeckt war –, und er schloss die Augen.

»Schläft er?«, fragte Charlotte. Es sah aus, als ob er schliefe, aber was wusste sie schon? Noch nie hatte sie jemanden in einem solchen Zustand gesehen wie heute Nacht ihren Ehemann. Vielleicht war dann ja auch kein normaler Schlaf mehr möglich.

»Ich glaube schon«, erwiderte Reynolds. »Er ist für gewöhnlich immer sehr müde nach diesen …«

Sie schaute ihn herausfordernd an, eine stumme Aufforderung, die Dinge beim Namen zu nennen.

»Ich hole Wasser und Seife«, kündigte er erneut an.

»Tun Sie das.«

Nachdem Reynolds gegangen war, blieb Charlotte allein mit George zurück, der immer noch an der Wand lehnte, die Augen geschlossen. Doch er murmelte. Nichts, was sie verstand, nicht mal ein gelegentliches Wort konnte sie erhaschen. Es war, als hätte er einen Feuerantrieb gehabt, und nun war die gewaltige Flamme, die ihn nach draußen katapultiert hatte, zu flimmernder Asche verglüht.

Erschöpft setzte sie sich neben ihn auf den Boden. Er zuckte, und sie nahm eine seiner Hände zwischen ihre, in der Hoffnung, ihn so zu beruhigen.

»Was ist dies hier, George?«, fragte sie laut.

Er seufzte.

»War das der Grund, warum du mich hier zurückgelassen hast und nach Kew gegangen bist? Du wolltest nicht, dass ich dich so sehe.«

Er murmelte. Noch mehr sinnloses Zeug.

Charlotte schloss die Augen und kniff dann die Lider fest zusammen, bis ihr eine Träne über die Wange lief. Sie war mit diesem Mann verheiratet. Und sie mochte ihn. Sie liebte ihn sogar.

Oder nicht? Der George, den sie liebte … Existierte er überhaupt? Oder war er nur ein Stück eines unbekannten Ganzen, und wenn ja, wie groß war diese Scherbe?

Was, wenn Einfach-George – ihr George – nur ein Splitter war?

Er hatte von Mathematik geredet. Nun denn, sie konnte addieren und subtrahieren und auch Prozentrechnung. Wie viel Prozent vom Ganzen besetzte ihr George? Würde sie ihn die Hälfte der Zeit haben? Drei Viertel?

Weniger?

»Was soll ich bloß mit dir machen?«, flüsterte sie.

Er sagte nichts. Sie hatte auch nicht mit einer Antwort gerechnet.

Nachdem es leise geklopft hatte, trat Reynolds ein, ohne auf ihre Reaktion zu warten. Er trug ein Becken voller Wasser. Brimsley folgte ihm mit einigen Handtüchern.

Charlotte starrte ihn an. Hatte Brimsley Bescheid gewusst? Hatte er ihr all diese Wochen hindurch gedient, immer fünf Schritt entfernt, ohne sie darüber zu informieren, dass ihr Mann ein Irrer war?

Brimsley schluckte unbehaglich. »Wenn Eure Majestät sich lieber zurückziehen wollen, sind Mr. Reynolds und ich bestens in der Lage …«

»Ist es mir etwa nicht gestattet, den König zu waschen?«

Brimsley wirkte gequält. »Es ist bloß … ungewöhnlich.«

»Ich gebe zu, dass ich noch viel übers Palastprotokoll lernen muss«, gab Charlotte ungehalten zurück. »Zum Beispiel habe ich gerade den König aus einem Loch im Gemüsegarten gezogen. Wo er angelegentlich mit dem Himmel debattierte. Ist das nicht ungewöhnlich

Brimsley antwortete nicht, zum Glück. Was immer er sagen wollte, sie wollte es nicht hören. Nicht heute Nacht.

Reynolds schaute Brimsley an. »Wir erledigen das. Halten Sie einfach nur Wache im Flur.«

»Selbstverständlich.« Brimsley ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.

»Konzentrische Kreise«, sagte Charlotte.

»Wie bitte?«

»Wir bilden konzentrische Kreise um den König herum. Sie und ich sind der innerste Kreis. Wir waschen seinen Körper. Dann Brimsley, der die Tür bewacht. Dann – nun, ich weiß nicht, wer dann. Seine Mutter, nehme ich an. Lord Bute? Earl Harcourt? Ich vermute, sie wissen alle Bescheid?«

»Ja, Eure Majestät.«

Charlotte tauchte ein Handtuch ins Becken. Das Wasser war warm, aber nicht zu heiß. Sanft begann sie, Georges Hände zu säubern. Reynolds widmete sich den Füßen.

»Sie wussten es alle.« Charlotte schüttelte den Kopf. »Wie müssen sie mich ausgelacht haben.«

»Nein, Eure Majestät. Das haben sie nicht.«

»Und woher wollen Sie das wissen? Ich kann sehen, dass Sie dem König nahestehen. Wahrscheinlich sind Sie sein engster Vertrauter. Aber Sie nehmen nicht an Regierungssitzungen teil. Sie haben keine Ohren im Parlament.«

»Dienstboten hören mehr, als Ihr denkt, Eure Majestät.«

Charlotte stieß ein grimmiges Lachen aus. »Dann haben Sie also über mich gelacht. Das Personal.«

»Nein!«, erwiderte Reynolds bestimmt. Sein Blick war eindringlich, fast glühend. »Wir haben nie – ich habe nie – über Euch gelacht. Im Gegenteil, Ihr seid meine größte Hoffnung.«

Charlotte fühlte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten, aber sie würde nicht weinen. Sie war die Königin. Sie würde nicht vor diesem Mann in Tränen ausbrechen.

»Ihr habt mehr für ihn getan, als ich mir hätte träumen lassen«, fuhr Reynolds fort. »Ihr tut ihm gut.«

Aber ist er gut für mich?

Das war eine Frage, die sie niemals laut aussprechen durfte.

St. James’s Palace
Der folgende Morgen

Charlotte hatte nicht geschlafen.

Nachdem sie und Reynolds den König ins Bett verfrachtet hatten, war sie in ihr eigenes Schlafzimmer gegangen, unter ihre Decken gekrochen, hatte sich in die denkbar weichsten Laken gewickelt und an ihren Betthimmel gestarrt.

Irgendwann war ihre Benommenheit in Verzweiflung übergegangen. Und irgendwann danach war die Verzweiflung blindem Zorn gewichen.

In dieser Phase befand sie sich jetzt.

Rasend vor Wut.

Befeuert von Furor.

Und auf dem Weg zu Prinzessin Augusta.

»Eure Majestät …«

Energisch marschierte Charlotte den Flur entlang. Bei jedem Schritt erzeugten ihre Absätze ein verärgertes Klicken. »Hören Sie auf, mir nachzulaufen, Brimsley.«

»Ich flehe Euch an, das wird nicht gut enden.«

Charlotte wirbelte zu ihm herum. Zweifellos war ihre Miene derart erbittert, dass er einen Schritt zurücktaumelte.

»Sie sagen, dass es nicht enden wird? Jetzt sagen Sie mir, dass es nicht gut enden wird? Wo waren Sie in den vergangenen Wochen? Sie behaupten, hier zu sein, um mir zu dienen. Sie sagen, Sie haben Ihr Leben meinem Wohlergehen geweiht. Und doch wahren Sie dieses Geheimnis?«

»Ich wusste es nicht, Eure Majestät.«

»Sie wussten es nicht«, zischte Charlotte. Sie hatte ihn vergangene Nacht gesehen. »Das nehme ich Ihnen nicht ab.«

»Ich wusste es nicht«, rief Brimsley und streckte eine Hand aus, wie um ihren Arm zu packen. Natürlich tat er es nicht. »Ich hatte meine Vermutungen«, gab er zu. »Aber nicht das. Niemals hätte ich mit so etwas gerechnet. Also, ja, ich wusste, dass etwas im Verborgenen vorgeht. Ich habe versucht herauszufinden, worum es geht. Ich schwöre Euch, dass ich es versucht habe.«

»Bei ihr kann ich es verstehen.« Charlotte gestikuliert aufgebracht in Richtung Prinzessin Augustas Wohnzimmer. »Sie ist selbstsüchtig. Sie denkt ausschließlich an die Krone. Aber Sie hätten auf meiner Seite sein sollen.«

»Das bin ich auch, Eure Majestät.«

Charlotte antwortete nicht. Inzwischen hatte sie das Wohnzimmer erreicht und platzte nun ohne Rücksicht auf Etikette oder Protokoll hinein. Prinzessin Augusta frühstückte offenbar gerade mit einer Freundin.

»Charlotte?« Augusta lächelte überrascht und erfreut zugleich. »Ich habe Euch nicht erwartet. Der Danbury-Ball war ein Triumph. Gut gemacht, mein Mädchen.«

Charlotte konnte sich das nicht länger anhören. »Haben Eure Hoheit jemals versucht, mit einem stumpfen Messer Hammelbraten zu schneiden?«

Prinzessin Augusta wurde sehr still. »Wie bitte?«

»Die Messer in Buckingham House waren mal ausreichend scharf. Bis sie eines Tages plötzlich alle sehr stumpf waren.«

»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.«

»Es war der Tag, an dem der König sich dort zu mir gesellte.« Sie setzte eine friedliche Miene auf, während sie auf Augustas Reaktion wartete.

Die Prinzessin wandte sich ihrer Gesellschaft zu. »Ich fürchte, wir werden unser Frühstück auf einen anderen Morgen verschieben müssen, Lady Howe.«

Lady Howe zog sich mit der gebotenen Hast zurück. Doch noch Sekunden nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, hob Augusta eine Hand, um Charlotte am Reden zu hindern.

»Was meintet Ihr gerade?«, fragte sie dann.

»Die Messer«, rief Charlotte ihr in Erinnerung. »Plötzlich waren sie stumpf. Seltsam, dachte ich, aber gewiss ein Zufall. Ebenso wie es gewiss ein Zufall war, dass an exakt demselben Tag alle Fenster in den oberen Stockwerken versiegelt wurden. Das fand ich ein wenig lästig. Ich atme gerne frische Luft, wenn ich schlafe.«

»Ich …«

»Plötzlich waren überall Schlösser. An der Waffenkammer, in der Küche, an der Scheune, in der die Gärtner ihre Scheren aufbewahren. Sicher reiner Zufall.« Aus verengten Augen funkelte Charlotte ihre Schwiegermutter an. »Allerdings vermochte ich mir nicht mehr einzureden, dass der Shakespeare-Gesamtausgabe in unserer Bibliothek auf einmal rein zufällig King Lear fehlte.«

»Vergebt mir«, Prinzessin Augustas Miene war ausdruckslos, »ich bin keine Shakespeare-Enthusiastin.«

»Ach nein? Dann lasst mich Euch auf die Sprünge helfen. King Lear ist das Stück über den verrückten König.«

»Charlotte. «

Augustas herablassender und beschwichtigender Tonfall, der andeutete, dass ihre Schwiegertochter sich das alles nur einbildete – als wäre Charlotte diejenige, die den Verstand verlor –, brachte das Fass endgültig zum Überlaufen.

»Wisst Ihr, was mir klar geworden ist, Augusta

Bei der familiären Verwendung ihres Vornamens sträubten sich der Prinzessin sichtlich die Haare.

»Dass ich in einem Irrenhaus lebe.« Sie lief ein paar Schritte auf und ab; doch der Versuch, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen, scheiterte kläglich. Charlotte fuhr herum und schrie die Prinzessin praktisch an. »Der König ist verrückt, und ich lebe in einem Irrenhaus. «

»Ihr vergesst Euch«, warf Augusta warnend ein.

»Die ganze Zeit dachte ich, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass ich irgendwie unzureichend wäre. Wenn doch in Wahrheit er derjenige ist, der …«

»Der König ist nicht verrückt«, zischte Augusta und krümmte die Finger zu steifen Krallen, als bräuchte sie diesen Moment der Anspannung, um sich zu beruhigen. »Der König ist einfach nur erschöpft davon, das Gewicht der größten Nation der Welt auf seinen Schultern zu tragen«, sagte sie, jedes ihrer Worte ein präzises Gebilde aus Silben und Lügen.

»Hört auf zu …«

»Nein, Ihr hört auf«, blaffte Augusta, schob ihren Stuhl nach hinten und stand auf. »Ihr kommt hierher, als wüsstet Ihr alles. Aber Ihr wisst gar nichts. Ihr seid ein Kind.«

»Ich bin eine Schachfigur.«

»Vielleicht auch das. Na und? Wollt Ihr Euch etwa beschweren? Ihr seid zur Königin von Großbritannien und Irland gekrönt worden. Wie könnt Ihr es wagen , Euch darüber zu beklagen?«

»Niemand hat mich darüber informiert …«

»Wen schert’s?«, konterte Augusta. »Mich gewiss nicht. Was hättet Ihr denn wissen wollen? Was hättet Ihr verstehen können? Das Gewicht einer ganzen Nation auf den Schultern eines Knaben? Die Bürde einer Mutter, wenn sie sieht, wie ihr Sohn unter dieser Last zu zerbrechen beginnt? Wenn Ihr, so Gott will, je einen Erben zur Welt bringt, dann fangt Ihr vielleicht an zu lernen. Und Eure erste Lektion wird sein, dass Ihr alles tun würdet, um dieses Zerbrechen aufzuhalten. Ihr würdet grauenhafte Ärzte einbestellen, mit ihren tausend widerwärtigen Behandlungsmethoden.«

Sie blickte Charlotte direkt in die Augen. »Und Ihr würdet ganz Europa nach einer Königin absuchen, die dankbar genug ist, um ihm Beistand zu leisten.«

Charlotte zuckte zusammen und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Sie wollte stark und stolz und gefühllos sein. Vor allem gefühllos, das wünschte sie sich mehr als alles andere. Sie wollte dies hier nicht mehr fühlen.

»Ihr findet, ich sollte wegen meiner Hautfarbe besonders dankbar sein?«

»Ich glaube, Ihr habt die Welt verändert.«

»Ich habe nicht darum gebeten, die Welt zu verändern.«

»Und ich habe nicht um einen Sohn mit Ecken und Kanten gebeten. Aber den habe ich nun mal, und ich werde ihn beschützen, mit allem, was in meiner Macht steht.«

»Mit Ecken und Kanten?«, wiederholte Charlotte ungläubig. »Er hat sich mit dem Himmel unterhalten.«

»Na und? Ihr wart niemand. Ihr kamt aus dem Nichts. Und jetzt sitzt Ihr am Ruder der Welt. Was spielt es da für eine Rolle, wenn Euer Ehemann ein paar Eigenheiten hat?«

»Eigenheiten? Ihr nennt das eine Eigenheit? Hoheit, Ihr habt ihn gestern Nacht nicht gesehen.«

»Ich habe ihn schon früher gesehen«, erwiderte Augusta leise.

»Er glaubt, dass ich die Venus bin.«

»Dann seid die Venus.«

Charlotte schüttelte den Kopf, außerstande, das Gehörte richtig zu verarbeiten. »Ich habe nicht darum gebeten, am Ruder der Welt zu sitzen. Ich habe nicht um einen Ehemann gebeten. Aber wenn ich schon unbedingt einen haben muss, wenn ich mein Zuhause, meine Familie, meine Sprache, mein Leben hinter mir lassen muss, dann …«

»Was dann, Charlotte?«, fragte Augusta. Ihre Stimme klang merkwürdig flach. »Was dann?«

»Dann kann es nicht für einen Mann sein, den ich nicht kenne. Den ich nicht kennenlernen darf

»Ihr kennt ihn jetzt.«

»Ihr habt mich angelogen!«

»Und Ihr habt Euch bereitwillig belügen lassen.«

Fast hätte Charlotte gelacht. Welche Rolle spielte es jetzt, ob sie bereitwillig hergekommen war? Sie war mit einem König verheiratet. Das konnte man nicht rückgängig machen. Und sie wusste nicht, ob sie es überhaupt rückgängig machen wollte. Sie wollte nur …

Was?

Was wollte sie? Ehrlichkeit? Die Wahrheit? Vertrauen?

Nichts davon würde sie von Prinzessin Augusta bekommen.

»Sagt mir, seid Ihr schwanger?«, wollte ihre Schwiegermutter wissen.

»Keine Ahnung«, log Charlotte. Sie war ziemlich sicher, dass sie ein Kind erwartete. Doktor Monro schien jedenfalls sehr überzeugt davon zu sein.

»Sobald Ihr es wisst, teilt Ihr es mir umgehend mit«, befahl Augusta.

»Ich teile es Euch dann mit, wenn ich es Euch mitzuteilen wünsche.«

»Ihr werdet noch merken, dass es Euch gar nichts nützt, sich so störrisch zu verhalten.«

»Oh, da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Charlotte. Augustas verkniffene Miene war für sie der einzige Lichtblick dieses Morgens.

Der einzige Lichtblick in ihrem ganzen verdammten Leben.

Keine der Frauen sah den Mann, der draußen im Flur stand, direkt vor der Tür zum Wohnzimmer der Prinzessin. Keine hörte seine Schritte, als er den Palast verließ und wieder in die Kutsche stieg, die ihn von Buckingham House hergebracht hatte. Und keine wusste, dass er anschließend nach Kew fuhr, wo er Doktor Monro in dessen Labor aufsuchte.

»Eure Majestät?«, begrüßte der Arzt ihn. Er war gerade dabei, seine Sachen zusammenzupacken. Mit dem Besuch des Königs hatte er nicht gerechnet.

George ging zielstrebig durchs Zimmer und setzte sich in den schaurigen Stuhl.

»Binden Sie mich wieder fest.«