1883500 Jahre braucht eine Seele, um vom Himmel in den Mutterschoss herabzusteigen

Die Geschichte vom einem Rabbiner, der sich selbst als Lügner bezeichnet und auch wirklich einer ist

Heute findet nach Mitternacht ein sephardischer Slichot-Gebetsdienst in der Jeschiwa Or Hachaim statt. Anschließend bin ich durch die Vermittlung seines Sohns mit dem Leiter der Jeschiwa, Rabbiner Reuven Elbaz, verabredet. Rabbi Reuven Elbaz gehört zu den wichtigeren sephardischen Rabbinern, vor allem was die reuigen Juden betrifft (Baalei Teschuwa: »Rückkehrer zum Judentum«); unser Treffen soll gegen 1.40 Uhr morgens stattfinden.

Ich begebe mich in die Jeschiwa. Hier werde ich Glückspilz meinen nächsten Interviewpartner auch beim Namen nennen dürfen!

Als ich den Saal von Or Hachaim betrete, hält gerade ein jüngerer Rabbi einen Vortrag. Vor dem Gebet ist erst noch eine Lektion fällig, vermute ich. Er spricht über die Ursprünge der menschlichen Seelen. Die Seelen, unterrichtet er uns, kommen von der Spitze des Siebten Himmels. Wo ist der Siebte Himmel? Nun, sehr weit weg. Ein Mensch, sagt er, würde 500 Jahre brauchen, um von einem Himmel zum nächsten zu laufen. 500 Jahre, um ihn der Höhe nach, und 500, um ihn der Breite nach zu durchqueren. Jetzt, führt er aus, muss man nur noch 500 mit sieben multiplizieren, um die Entfernung auszurechnen, die eine Seele, eure oder meine, braucht, um vom Siebten Himmel zur Erde in den Schoß unserer Mütter zu reisen. Und dann, erinnert er uns, braucht Satan vom ersten Moment unserer Geburt an keine Minute, um uns auf Abwege zu führen. Wie dieser ganze Prozess genau funktioniert, wo doch die Schwangerschaft üblicherweise von der Empfängnis bis zur Geburt rund neun Mo189nate dauert, führt er nicht näher aus. Aber wen kümmert’s? Die Geschichte ist ausgezeichnet.

Nach dem Vortrag füllt sich der Saal mit Menschen zumeist jüngeren Semesters. Um viertel vor ein Uhr morgens tritt Rabbi Reuven Elbaz ein, umringt von einer großen Gruppe Soldaten. Findet heute Morgen eine Militäroperation statt? Keine Ahnung, aber Rabbi Elbaz wird mir alles erklären, wenn wir uns unterhalten.

Rabbi Elbaz, den ich noch nie zuvor gesehen habe, bleibt bei mir stehen und schüttelt mir die Hand. Er würde sich freuen, mich zu treffen, wenn der Gebetsdienst vorbei ist, sagt er.

Ich hoffe, er hat nicht vor, bei unserem Treffen die ganzen Soldaten in seinem Schlepptau zu haben.

Er beginnt den Slichotdienst.

Ein Teil der Gebete geht in etwa so: Wir haben mehr gesündigt als jedes andere Volk, wir schämen uns mehr als jedes andere Volk. Wir haben Verfehlungen begangen, wir sind hinterlistig gewesen, wir haben betrogen, wir haben gestohlen, wir haben unseren Samen vergossen.

Die Sache mit dem Samen beschäftigt die Charedim ganz außerordentlich, ob sie Aschkenasen sind oder Sepharden. Für das rabbinische Judentum ist das ein altbekanntes Thema, dem sich 190auch viele jüdische Weise gewidmet haben. Vor Tausenden von Jahren beklagten sie die Existenz des Penis mit den Worten: »Der Mensch hat ein kleines Glied, das, wenn er es hungern lässt, satt ist, und wenn er es sättigt, hungrig ist.«

Gläubige Juden sind nicht die Einzigen, die besessen sind von dem kleinen Glied. Eine der wichtigsten Fragen der fortschrittlichsten westlichen Gesellschaften, denen Gay Pride so heilig ist wie einst Jesus Christus, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Wo darf ein Mann sein kleines Glied einführen und wo nicht?

Doch während ich mich noch frage, warum wir von dem Miniglied so besessen sind, sind Rabbi Elbaz und die Hunderte von anwesenden Studenten, ganz zu schweigen von der Traube Soldaten um ihn herum, damit beschäftigt, Dem Namen zu sagen, was für große Sünder sie sind, wie schlecht sie sind, wobei sie sich als Räuber, Diebe, Lügner, Ehebrecher, als korrupt und kriminell bezeichnen – ja, all das gehört zu ihrem Gebet in dieser frühen Morgenstunde – und wollen, dass Er ihnen trotz allem vergibt.

Ehebrecher. Sind wir alle …?

Könnte es sein, dass jeder Mann hier und in der charedischen Gemeinschaft im Allgemeinen Sex mit verheirateten Frauen hat?

Zum Glück und dank himmlischer Gnade ist diese Selbstanklage irgendwann zu Ende, und Rabbi Elbaz tritt auf mich zu. Nein, er kommt nicht zum Interview. Nein, nein. Er will sich leider nicht mit mir treffen. Und warum nicht? Darum nicht.

Das muss ich ihm lassen: Als er gerade im Gebet gesagt hat, wir sind hinterlistig gewesen, hat er tatsächlich die Wahrheit gesagt. Die Frage ist: Trifft das auch auf den Rest der Gottesdienstbesucher und auf den Rest der Juden zu? Sind die Juden allesamt Lügner und Sünder?