471Sie würden ihr Leben für ihren Glauben hingeben, nur woran glauben sie?

Ein Toter im Tallit am Stadttor

An meinem letzten Sabbat in Mea Schearim spaziere ich noch einmal durch die Straßen des Viertels, dessen Bewohner gerade das achttägige Chanukkafest feiern.

Schau dir nur, meine Liebe, diese Familie an, die vor mir geht. Siehst du sie? Alle Geschwister tragen ähnliche Kleidung, ähnliche Schnitte, ähnliche Formen, ähnliche Farben, und sie sehen so hinreißend aus!

Was soll ich sagen?

Je länger ich hier bin, desto mehr bin ich hin- und hergerissen. Ich mag die Menschen hier wirklich sehr, verstehe sie aber beim besten Willen nicht. Sie sind liebenswürdig, sympathisch, herzlich und witzig, und ich kann nicht genug von ihnen bekommen, aber an was in aller Welt glauben sie? Ja, sie haben es mir erzählt, unzählige Male, und ich verstehe jedes einzelne Wort, das sie mir sagen, aber die Logik dahinter begreife ich nicht. Wenn ich tiefer in ihren Glauben eindringen möchte, jenen Glauben, der sie als Gemeinschaft und als Individuen definiert, dann bleiben sie beim Versuch stecken, mir zu erklären, was sie wirklich tief im Herzen glauben. Ich fürchte, die Wahrheit ist, dass sie ihren Glauben gar nicht kennen, obwohl sie ihr Leben für ihn hingeben würden. Sie warten darauf, dass eines Tages ein weißer Esel erscheint, verstummen aber, wenn man sie nach Details fragt. Sie beten in ihren Synagogen »Du bist heilig und Dein Name ist heilig«, aber der einzige Name, den sie kennen, ist Kein Name. Drei ihrer besten Rabbis haben im Gespräch mit mir tapfer erklärt, dass Kvitels bedeutungslos sind – ganz zu schweigen von Rabbi Shaul, der jedem, der es hören will, ausdrücklich sagt, dass 472er nicht mit dem Heiligen Geist in Verbindung steht –, ihre Anhänger aber glauben felsenfest an das Gegenteil. Glauben sie tief im Innern wirklich, dass es irgendeinen Sinn hat, zu Gräbern zu pilgern? Ihre Hauptaufgabe im Leben ist das Studium der Thora, behaupten sie, aber den Großteil der Bibel, also der Grundlage der Thora, lesen sie gar nicht. Das ganze Jahr über verbringen sie jeden wachen Moment damit, den Herrn zu preisen und zu Ihm zu beten, aber an ihrem heiligsten Tag präsentieren sie sich als ein Haufen inzestuöser Lügner und Diebe vor ihrem Herrn. Sie haben den Judaismus in einen Glauben an züchtige Kleidung für Männer und Frauen verwandelt, doch wenn man sie nach den Ursprüngen ihrer charakteristischen Tracht fragt, erzählen sie bizarre Geschichten über russische Zaren, Katzenschwänze, türkische Sultane und Mütter, die ihre Töchter mit kochendem Wasser foltern. Und als wäre das alles noch nicht genug, glauben sie, dass sich Satan unter den Kleidern der Frauen verbirgt und dass die Heilige Gegenwart über den Köpfen der Männer schwebt. Und dass bei einem Aufeinandertreffen der beiden, oj wej, Satan gewinnt, nicht Gott. Nein, ich habe nichts gegen die chassidische Mode; ich halte sie für die sexyste überhaupt. Aber sie sehen das nicht so.

Andererseits kann man sich fragen, welche Gruppe von Menschen denn überhaupt ein irgendwie nachvollziehbares Bild abgibt. Kann man sich etwa auf die Konservativen in den Vereinigten Staaten einen Reim machen? Viele von ihnen sind gläubige Christen, die darauf warten, dass Jesus, der ihrem Glauben zufolge von den Toten auferstanden ist, als ihr Messias erscheint. Ist das nachvollziehbar? Ist es nachvollziehbar, dass Gott Seinen Sohn, Seinen einzigen Sohn töten würde? Er ist für uns gestorben, für unsere Sünden, sagen die Gläubigen. Als ob Gott ihnen ihre Sünden nicht hätte vergeben können, ohne dass Sein Sohn an einem Kreuz verblutet. Und wenn Jesus wirklich drei Tage nach seiner Kreuzigung auferstanden ist, drei Tage, nachdem er am Kreuz für ihre Sünden gestorben war, wie sie glauben, welchen Sinn hatte es, dass er nur drei Tage lang tot war? Und natür473lich, wenn er tatsächlich von den Toten auferstanden ist, wo hat er sich in den letzten zweitausend Jahren versteckt?

Und dann haben wir die Progressiven. Kann man die amerikanischen oder die europäischen Progressiven etwa verstehen? Wenn sie glauben, wie sie behaupten, dass jeder das Recht auf seine eigene Meinung hat, warum können sie dann niemanden tolerieren, der nicht ihrer Meinung ist? Und warum kümmern sie sich so sehr um sexuelle Themen und schreiben uns Tag und Nacht vor, was wir sagen oder tun oder sehen oder denken sollen und was nicht, als ob sie fromme Mormonen wären? Seit wann, bitte schön, ist es das Vorrecht der Progressiven, sich in die Schlafzimmer der Menschen einzumischen, als wären sie der Rebbe von Ger?

Kann man die Muslime etwa verstehen? Wenn Allah mit Mohammed sprechen wollte, warum ließ Er ihn dann auf einem Al-Buraq herumfliegen? Hätte er sich nicht über einer Tasse türkischen Kaffees in Mekka mit ihm besprechen können?

Oder kann man jene Japaner etwa verstehen, die tagein, tagaus mit den Geistern der Toten konferieren? Oder verstehen, weshalb die australischen Aborigines einen Berg anbeten? Oder die Hindus Kühe? Ergibt es etwa irgendeinen Sinn, dass westliche Schwule und Lesben die Einwohner von Gaza lieben, die größten Feinde der homosexuellen Gemeinschaft?

Unterm Strich ergibt vielleicht niemand von uns irgendeinen Sinn.

Das sind meine Sabbatgedanken.

Ja.

Und dann ist der Sabbat vorbei, die Straßen füllen sich wieder mit Autos. Die Begräbnisse werden wieder aufgenommen, an diesem Abend werden innerhalb einer Stunde gleich zwei angekündigt.

Aber nicht alles ist traurig. Es ist Chanukka, ein Fest der Lichter und Hoffnungen.

Da alle mir sagen, man müsse zu den Reb Arelach gehen, 474wenn man zu Chanukka in Jerusalem ist, tue ich genau das und besuche ihre Feier.

Die Schul ist brechend voll. Ich fühle mich wie eine Sardine in einer hermetisch verschlossenen Dose. Das ist keine Übertreibung und kein Eindruck, wie man ihn vielleicht von einem Klaustrophoben beim Gang über Manhattans Fifth Avenue zu hören bekommt, sondern eine exakte Beschreibung der Realität. Ich kann keine Hand bewegen; der Schtreimel des Mannes hinter mir schmiegt sich an meinen Hinterkopf, mein Bauch drückt gegen den Rücken meines Vordermannes, und meine Füße könnte ich nur bewegen, wenn ich wie ein Bulle beim Rodeo hochspringen würde, was ich nicht ernsthaft in Erwägung ziehe.

Ich weiß nicht, ob ich diese Veranstaltung überleben werde, ohne Schaden an diesem oder jenem Körperteil zu nehmen, genauso wenig wie ich weiß, ob ich unter diesem Druck noch viel länger werde atmen können, aber ich bleibe.

Zum ersten Mal bin ich nun, da sich Fleisch gegen Fleisch presst und Körper ineinander verschlungen sind, eins mit diesen Menschen, charedischen Juden in goldenen Kaftanen und sexy weißen Strümpfen.

Das ist Chanukka bei Toldos Aharon.

Laut der Beschreibung der Encyclopædia Britannica feiert man bei Chanukka »das Andenken der makkabäischen (hasmonäischen) Siege über die Streitkräfte des Seleukidenkönigs Antiochus IV. Epiphanes und die Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 164 v. Chr. […] Als Judas Makkabäus den Tempel betrat, fand er dem Talmud zufolge nur einen kleinen Krug Öls vor, das nicht von Antiochus entweiht worden war. Der Krug enthielt gerade genug Öl, um einen Tag zu brennen, doch brannte das Öl wundersamerweise acht Tage lang, bis neues geweihtes Öl beschafft worden war, und bildete damit die Voraussetzung, dass das Fest acht Tage lang dauern sollte.«

Der Rebbe, den ich vor mittlerweile etlichen Wochen gesprochen habe, betritt den Hauptsaal von Toldos Aharon mit einer großen Menora und stellt diese feierlich auf den Tisch. Dann be475ginnt er, sie anzuzünden, was allerdings eine Ewigkeit dauert. Ich habe keine Ahnung warum, und den Chassidim ist es vollkommen gleichgültig. Sie haben Zeit, und es macht ihnen nichts aus, weitere 40 Stunden aneinandergeklebt dazustehen und dem Rebbe dabei zuzuschauen, wie er versucht, eine Menora anzuzünden. Normalerweise dauert dieser Vorgang vier bis sieben Sekunden, hier jedoch eine Ewigkeit.

Endlich ist, Dem Namen sei Dank, die Ewigkeit zu Ende, und der Rebbe bringt die Menora erfolgreich zum Leuchten. Er setzt sich in ihrem Lichtschein auf einen Stuhl und betet. Was betet er? Das geht nur ihn und Den Namen etwas an. Er betet und betet und betet; dieser Mann hat alle Zeit der Welt. Er hat heute keine weiteren Verpflichtungen mehr und zu dieser Stunde, dem frühen Abend, sowieso nichts Besseres zu tun. Die Chassidim starren ihn mit geschlossenem Mund an und genießen jede Sekunde des Vorgangs. Was sie betrifft, soll er beten, bis der Messias kommt.

Was sehen sie, das ich nicht sehe? Was erleben sie, und warum genießen sie es so?

Nach einer weiß der Herr wie langen Zeit gibt der Gabbai, oder wer immer es ist, der neben dem Rebbe steht, ein Zeichen, und der Pulk der Chassidim beginnt zu singen. Was singen sie? Sehnsuchtsvolle Melodien, wenngleich nicht deutlich wird, wonach sie sich sehnen. Nämlich so: Ja, ja, ja, la, la, la, na, na, na, da, da, da. Nach einer Weile davon wechseln sie zu Jo, jo, jo, lo, lo, lo, di, di, di, ti, ti, ti.

Und so weiter und so fort. Die Goldenen Jungs amüsieren sich prächtig.

Was immer diese Goldenen erstreben, und ich weiß ja nicht, was es ist, so scheinen sie es an einem bestimmten Punkt erreicht zu haben, wenigstens teilweise, denn jetzt gehen sie zu fröhlichem Gesang über. Dieses Lied handelt von der Chanukka-Geschichte, es hat einen Text und erzählt, wie die Griechen sich vor Jahrhunderten gegen die Juden zusammenscharten und den Heiligen Tempel entweihten, bis, o Wunder aller Wunder, 476der Heilige Tempel zurückerobert war und das heilige Licht alles überstrahlte.

Eng zusammengepresst mit den Goldenen Jungs, von Gold umgeben und in den Zauber der Menora versunken, gehen mir in rasender Geschwindigkeit gegensätzliche Bilder aus den vergangenen fünf Monaten durch den Kopf: vom Fastentag des 9. Aw bis zum Chanukkafest, vom Tag, an dem der Tempel verlorenging, bis zum Tag, an dem er zurückerobert wurde, die Geschichte eines tragischen Verlusts, die mit einem wunderbaren Gewinn endet. Und zwischen diesen beiden Extremen war ich, gehend und schlafend, essend und tanzend, redend und betend und mich mit jedermann auseinandersetzend, auf den meine Augen, meine Füße und mein Mund trafen.

Die vielen Eindrücke der vergangenen Monate, von denen einer den anderen befruchtet, bilden einen Kreis von Bildern in meinem Kopf, die sich permanent widersprechen, zugleich aber auch ergänzen.

Weiß ich jetzt mehr als vor fünf Monaten? Verstehe ich diese Leute jetzt?

Vielleicht, womöglich.

Wer sind sie?

Zunächst einmal: Menschen. Genau wie du und ich.

Und dann sind sie einzigartig.

477Ja, meine Liebe, du bist auch einzigartig, nur ist ihre Einzigartigkeit anders als deine.

Inwiefern?

Versuche einmal, für einen Tag oder ein Jahr sie zu sein, und vielleicht erfasst du es dann.

Ihr menschliches Verlangen nach dem Fleisch wird in Verbindung mit dem Verbot, seinen Samen zu vergießen, in eine Sehnsucht nach Dem Namen kanalisiert, und das ist es, was sie antreibt.

Wenn die charedischen Chassidim am Sabbat beten und die Braut begrüßen, rezitieren sie einen Text, der gleichermaßen spirituell und sexuell ist, ein Er und eine Sie, Gott und Sein Volk, wodurch sie sich in eine intime Beziehung vertiefen, die durch das Sexuelle angetrieben ist und vom Spirituellen vollendet wird.

In den Worten des Sohar:

So wie sie sich oben zu Einem vereinigen, so vereinigt Sie sich unten im Geheimnis des Einen, um oben mit ihnen Eins in Einem zu sein. Der Heilige, Gesegnet Sei Er, wird nicht oben auf Seinem Ehrenplatz sitzen, bis Sie nicht im Geheimnis des Einen ist. Um wie Er Eins in Einem zu werden. Und hier haben wir das Geheimnis von »Der Herr ist eins und sein Name ist Eins« erklärt. Das Geheimnis des Sabbats: Der Sabbat vereinigt sich mit dem Geheimnis des Einen, damit das Geheimnis des Einen bei ihr verweilen kann.

In ihren schönsten Kleidern dienen sie als Zeugen und Teilnehmer einer Hochzeit zwischen der Braut Sabbat und Dem Namen, betreten an jedem Sabbat ein Reich, das nicht mit Worten zu beschreiben ist, und sind doch vollkommen davon erfüllt.

Und manchmal nicht nur am Sabbat.

An diesem Festtag, an dem sie jetzt hier sind, ins Licht starren, ihrem Rebbe beim Beten zuschauen und sich mit Dem Namen vereinen, sind sie Zeugen einer Beziehung, die sich zwischen Mensch und Gott vollzieht.

Sie sehen es. Sie sind die lebendigen Zeugen davon.

Und welch würdige Zeugen sie sind! Ihre goldenen Kaftane, Pelzhüte und weißen Strümpfe sind eine heilige Tracht, die 478die Heiligkeit in ihre Körper saugt. Ihre Kleidung ist nicht arabisch, und auf ihren Köpfen befindet sich kein einziger Katzenschwanz. Ihre Kleidung ist heilig, jeder Teil von ihr ist geweiht. Die Verheirateten unter ihnen tragen weiße Socken, die Alleinstehenden schwarze Socken, wie ich jetzt sehe, wo ich zwischen ihnen eingezwängt bin. Die Jarmulkes, die weißen Jarmulkes mit den Chupchiks, wurden für sie, erzählen sie mir, von ihren Müttern, Frauen und Schwestern handgefertigt. Allesamt heilig. 

Sie, diese ganze mich umgebende Masse menschlichen Fleisches, vereinigen sich, genau wie am Sabbat, »im Geheimnis des Einen«, und dieses Verhalten bildet den Glauben, eine Blase des Seins, könnte man sagen, die ihrem Wesen nach immer begehrt, immer herbeisehnt, aber physisch nie ankommt. In ihr, dieser engen Blase, ist für Fragen kein Raum. Wie auch? Kann man »Jo, jo, jo, lo, lo, lo, di, di, di, ti, ti, ti« befragen? Kann man die Heiligkeit der eigenen Kleidung, hinreißender Kleidung, die unsere nackte Haut so anmutig bedeckt, bestreiten? Das Geheimnis des Einen wird vor dem geistigen Auge sichtbar, wenn der Rebbe so viel Zeit damit verbringt, die Menora mit dem Feuer in seinen Händen zu erfüllen, oder wenn der Belzer Rebbe den Gefilte Fisch berührt, den seine Chassidim begierig herunterschlucken wollen. Wir können die Menora mit den Augen sehen, aber wir können das heilige Feuer nicht mit den Fingern berühren; wir mögen um all die wunderschönen Ladys da draußen wissen, können aber unseren Samen auch nicht einmal vergießen; wir können tausend Fragen haben, dürfen aber nicht eine stellen. Und solange wir nicht hinschauen, vergießen und fragen, löst sich die Spannung in uns erst an der Pforte zum Herrn, einer Pforte, die just in dieser Schul sperrangelweit offen steht.

Vielleicht werden Sie sagen, dass all dies womöglich die männliche Seite der charedischen Existenz erklärt, aber was ist mit der weiblichen Seite? Zählen die Frauen, 50 Prozent des charedischen Judentums, denn gar nichts?

Die Antwort lautet: Sie zählen, und zwar uneingeschränkt.

479Sie nennen es Das Geheimnis des Einen. Wie Der Name, der sich mit der Schechina oben, dem weiblichen Heiligen Geist vereinigt, so vereinigen sich auch die Juden mit den Jüdinnen, und alle zusammen vereinigen sich in Einem. Alles, Gott, die Schechina und die beiden jüdischen Geschlechter, ist Eins. Kein Mann ist auf sich gestellt und keine Frau ist auf sich gestellt, kein Rebbe ist auf sich gestellt und keine Chassidim sind auf sich gestellt, kein Gott ist auf sich gestellt und keine Schechina ist auf sich gestellt, sondern sie sind alle Eins. Sie und ich glauben, dass es Männer gibt und dass es Frauen gibt, aber nein. Männer und Frauen sind eins. Und deshalb ist es so entscheidend, einen »Partner« zu haben, weil es sonst keinen Mann und keine Frau gibt. Und selbst sie, auf sich gestellt, existieren nicht unabhängig voneinander, solange sie nicht mit dem Himmel vereinigt sind. Aber auch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Der Mensch, einschließlich der Frau, ist nicht unabhängig vom Engel, und die Lebenden sind nicht unabhängig von den Toten. Es ist alles eins. Das Geheimnis des Einen.

Diese sorgsam konstruierte Blase kann platzen und kaputtgehen, wenn einer ihrer Bestandteile fehlt. Schau eine Frau an, die nicht deine Ehefrau ist, vergieße diesen Samen, stelle eine Frage, und alles ist vorbei.

Das, mögen Sie sagen, ist vielleicht das chassidische Judentum, aber kein Litwak wird sich dazu bekennen. Nun ja, doch. Wie der Rebbe von Shomer Emunim zu mir sagte: »Wir haben gewonnen.«

Wie sie es sehen, so verstehe ich endlich, bedeckt die Kleidung, die der Männer wie die der Frauen, das Fleisch und bringt die Seele heraus. Ja, ja, ja. Ich begreife es endlich, ich begreife endlich ihre Besessenheit von der Kleidung, der Züchtigkeit; warum das Thema »Züchtigkeit« eine so große Rolle für sie spielt und warum sie nicht aufhören, jedermann daran zu erinnern, dass er züchtig gekleidet sein muss. Den Körper zu bedecken und die Seele zu feiern, ist das Wesens ihres Seins. Und damit hat sichʻs.

480Vor über 20 Jahren gab meine Mutter seligen Angedenkens ungefähr um diese Zeit im jüdischen Kalender ihre Seele an den Himmel zurück und wurde in dieser Heiligen Stadt Jerusalem beerdigt. Als ich in diese Stadt kam, war es um den Todestag meines Vaters, und jetzt ist es um den Todestag meiner Mutter.

Wie schnell die Zeit vergeht.

Am achten Tag von Chanukka, als die letzte Kerze bereits angezündet ist, breche ich von Jerusalem, von Mea Schearim auf und fahre nach Bnei Brak, in die Stadt der Charedim, die auch als Stadt der Thora bekannt ist, die Stadt, in der ich gezeugt worden bin.

Ich bin jetzt bereit, spüre ich, den Ort aufzusuchen, der mich geprägt hat.

Auf der breiten Straße an der Zu- und Ausfahrt von Jerusalem staut sich der Verkehr Stoßstange an Stoßstange. Seitlich der Straße, wo keine Autos fahren, sehe ich vielleicht hundert Chassidim, die raschen Schritts in einer Gruppe laufen. Sie werden von vier Chassidim angeführt, die eine Bahre tragen, auf der ein mit einem Tallit bedeckter Leichnam liegt. Das muss ein Trauerzug sein, obwohl ich keinen Leichenwagen oder sonst ein Fahrzeug vor oder hinter ihnen sehe. Nur eine Gruppe von Männern, die den toten Körper eines Freundes tragen.

Ich habe so etwas noch nie gesehen, Menschen, die einen Leichnam auf der Straße tragen, und es ist beängstigend. Es erinnert mich an meinen ersten Tag in Mea Schearim, an das Auto mit dem Lautsprecher auf dem Dach, aus dem es tönte: »Der Trauerzug für den rechtschaffenen Rabbiner …« So, meine Liebe, sieht ein solcher Trauerzug aus.