Wenn Sie in einem Grab kein Mädchen finden können, kommen Sie hierher!
Es ist immer noch der letzte Tag von Chanukka, als ich in Bnei Brak ankomme, der Stadt meiner Kindheit. Meine Tage im Tzefania Hotel sind vorbei, willkommen im Hotel Aristocrat in Kiryat (Kiryas) Vizhnitz, Bnei Brak. Was hat ein solches Wort, Aristocrat, im Wörterbuch des charedischen Bnei Brak zu suchen? Da bin ich überfragt. Als ich ein Kind war, kannte ich die Bedeutung des Wortes Aristokrat nicht und hätte es schon gar nicht buchstabieren können.
Ich buche eine Suite im Aristocrat, weil ich kein anderes Hotel in Bnei Brak finden kann, einer Stadt, die nicht gerade für ihre Hotels bekannt ist. Glücklicherweise liegt das Aristocrat keine zehn Gehminuten vom Haus meiner Kindheit entfernt.
Ich stelle meine Koffer im Hotel ab und gehe hinüber zu meiner Vergangenheit, zu dem reizenden Baby, das ich einst war.
Auf dem Weg begegne ich keiner Patricia und keinen Taliban. Gibt es keine Taliban in Bnei Brak?
Gegenüber der Wohnung meiner Kindheit liegt die Hazon-Isch-Synagoge, auch Lederman-Synagoge genannt, in der ich wochentags oft zum Namen betete. Zu meiner Zeit war es eine kleine Synagoge mit nur einem Stockwerk, heute aber ist sie groß, breit und beeindruckend. Und siehe da: Im zweiten Stock sind gerade in diesem Moment, kurz vor 23 Uhr, alle möglichen Leute mit großen Kameras unterwegs. Findet dort eine Hochzeit statt? Ein Begräbnis? Ich gehe die Treppe hoch und sehe, dass sich die Menschen in der zweiten Etage dicht an dicht drängen. Alles, was sie tun, ist beten. Keine Hochzeit, keine Torten, nicht mal ein Begräbnis. Was ist es dann? Ein besonderes Gebet, ein Notgebet. Worin besteht der Notfall? Genau zu dieser Stunde, lese ich in 482einer Broschüre, die man mir reicht, sind die Tore des Himmels für die Annahme unserer Gebete weit geöffnet. Im Bewusstsein, dass sich die Himmelspforten bald wieder schließen werden, haben sich die Gottesdienstbesucher zu einem Notgebet versammelt. Welcher Art ist der Notfall? Mal wieder ein Finde-deine-Partnerin-Notfall.
Diese Leute sind zweifellos ungebildete Idioten. Wissen sie nicht, dass man zu einem Grab in Amuka, einem Grabmal in Zefat, einem Ohel in New York oder zur Klagemauer gehen muss, um eine Partnerin zu finden? Wissen sie nicht einmal, dass der Himmel nur für Slichot-Tage versprochen hat, sich menschlichen Bitten zu öffnen? Wissen sie nicht, dass sie Heilswein trinken müssen, wenn Gott ihre Wünsche erfüllen soll?
Wer steht hinter einer solchen ignoranten Maßnahme? Wer veranstaltet dieses Gebet?, frage ich mich.
Aus der Broschüre erfahre ich, dass der Veranstalter Rina Shel Torah ist, eine Organisation unter der Leitung eines Mannes, der gleich neben der Synagoge lebt: Rabbi Chaim Kaniewski.
Interessant.
Rabbi Kaniewski hat sogar angekündigt, lese ich, dass er selbst an dem Gebet teilnehmen wolle, obwohl er es offensichtlich nicht geschafft hat. In seinem Alter, mit 94 Jahren, sucht er vielleicht gar nicht nach der passenden Partnerin.
Seine Anhänger aber schon; sie sind auf Partnersuche in der Lederman-Synagoge.
Moment mal! War es nicht Rabbi Kaniewski selbst, der versprochen hatte, sich um alle Singles zu kümmern, die ihm am Vorabend von Tu B’Aw, dem 15. Aw, bis 13.30 Uhr ihre Namen zugesandt haben, wenn die Himmelspforten angeblich für alleinstehende Juden auf der Suche nach einem Zivug, einer Partnerin, geöffnet sind?
Es hat schon seinen Grund, warum die Charedim keine Fragen stellen sollen.
Rina Shel Torah kündigt zudem für heute ein »Geheimgebet« am Grab von Hazon Isch an, einer hochgeschätzten litwakischen 483Autorität, die ihre Seele 1953 dem Himmel zurückgab. Dieses geheime Gebet wird offensichtlich von Rabbi Chaim Kaniewski gebilligt, der sich mit den Worten zitieren lässt: »Auch ich werde zum Beten dorthin gehen.«
Die Leute um mich herum, nehme ich jedenfalls an, freuen sich darüber, dass keine Mühe gescheut wird, um junge Frauen für sie zu finden.
Ich beobachte die einsamen Seelen von Bnei Brak, Männer auf Frauensuche, Männer, die keine Frauen ansehen dürfen, und frage mich, was für Idioten sagen, dass charedische Frauen unter dem Joch der charedischen Männer leiden. Die leidenden Charedim, meine Liebe, sind die Männer, diejenigen, die mit einem Bris geboren wurden. Und wenn du mir nicht glaubst, dann komm her und schau selber.
In ihrer Litwakim-Tracht sehen sie völlig anders aus als die Goldenen Jungs. Sie haben keine Schtreimel, keine Kaftane, und ich kann beim besten Willen nicht sagen, von welcher Farbe ihre Socken sind, da diese von ihren langen Hosen verdeckt werden. Sie tragen Hüte, langweilige Hüte, und schwarze Sakkos, die in Schnitt und Machart der Kleidung eines durchschnittlichen europäischen Buchhalters gleichen, nur von geringerer Qualität. Diese Frauenjäger sollen zumindest ihrer eigenen Überzeugung 484nach Intellektuelle und im Talmud viel besser bewandert sein als jeder andere Chassid im Land. Was, soweit ich sehen kann, durchaus fragwürdig ist. Der Talmud, wenn sie ihn denn kennen würden, widmet sich dem Thema Heiratsvermittlung auf sehr schöne Weise, was sie aber nicht zu wissen scheinen. So ist im Talmud im Traktat Sotah zu lesen, »dass vierzig Tage vor der Bildung der Geburt eine Hallstimme ertöne und spreche: die Tochter von jenem für diesen«. Anders gesagt, meine lieben beunruhigten Junggesellen: Eure Mädchen warten schon irgendwo da draußen auf euch, sodass ihr Den Namen zu dieser späten Stunde gar nicht behelligen müsst. Er hat euch eure Mädels schon gegeben, liebe Litwakim, lange bevor ihr geboren ward, nur hier sind sie mit Sicherheit nicht, weil ihr ja nur von Männern umgeben seid.
Und von Broschüren, mehr als nur einer.
Zwei Arten von Broschüren liegen hier für die Betenden aus. Die eine enthält verschiedene Psalmen und Gebete, die andere Namenslisten von Menschen, die mit ihrem Vornamen und dem Vornamen ihrer Mutter identifiziert werden und auf der Suche nach einer Partnerin sind. Die aufgelisteten Personen, lasse ich mir erklären, möchten, dass die einsamen Gottesdienstbesucher, die selbst auf der Suche nach einer Partnerin sind, Den Namen darum bitten, auch eine für sie zu finden.
Die Kameras surren, als der Gottesdienst eine Stunde vor Mitternacht, um Punkt 23.00 Uhr beginnt.
Ich lese die Gebetstexte zur Partnersuche, einer für Jungen, die nach einem Mädchen suchen, und einer für den umgekehrten Fall. Sie sind identisch, mit einer bezeichnenden Ausnahme. Das Mädchen betet um einen attraktiven Mann, während der Junge um ein gutes Mädchen bittet. Ja, ich erinnere mich noch aus meinen alten Tagen daran: Man darf »attraktiver Mann« sagen, aber auf gar keinen Fall »schönes Mädchen«. Und warum nicht? Weil man sich dann womöglich ein schönes Mädchen vorstellt und, der Herr schütze uns, seinen Samen verschüttet.
Wenn Sie also als Mann Gott darum bitten, dass er ein Mäd485chen für Sie findet, sagen Sie bloß nicht »schönes Mädchen«, sondern eben »gutes Mädchen«.
O ja.
Sie tun mir echt leid. Ein Chassid ohne Partner hat zumindest hervorragende Kugels; diese Litwakim haben nichts, nur Broschüren.
Der Abend der Einsamen Seelen geht weiter.
Zwischen den Gebeten um die Attraktiven und die Guten hält ein Rabbi eine Rede. Er erzählt den Andächtigen, dass der Herr Tränen annimmt, viele Tränen, und fordert sie auf, zu Ihm zu weinen, Ihm zu zeigen, wie verletzt sie sind und welches Leid sie durchmachen.
Sie hören zu, akzeptieren es, und die Tränen fließen.
Ich betrachte die jungen Männer. Sie weinen, sie rufen, sie schokeln. Es lässt einen nicht kalt, wenn man das sieht, so viele einsame Menschen, Männer, die noch nie eine Frau berührt haben und sich nach nichts so sehr sehnen.
Die Geschichte der Einsamen wiederholt sich eine Etage höher im Frauenbereich, wo die Frauen den Himmel darum bitten, attraktive Männer für sie zu finden. Ihre Schar ist allerdings deutlich kleiner und umfasst auch Mütter junger Männer, die für ihre Söhne beten.
486Gebete und Versammlungen wie diese gab es zu meiner Zeit nicht. Wie die Zeiten sich ändern, denke ich nicht zum ersten Mal.
Anders als gestern tanzen und singen diese Gottesdienstbesucher nicht. Die Menschen hier sind keine Chassidim; sie sind Litwakim. Chassidim singen, Litwakim weinen.
Für einen Moment könnte man, wenn man diese Menschen sieht und weinen hört, denken, dass sie heute den Fastentag des 9. Aw begehen, statt das Chanukkafest zu feiern. Nur Litwakim können – wer hätte das gedacht? – einen fröhlichen Tag in einen Tag der Tränen verwandeln. Das muss ihnen erst einmal einer nachmachen.
Was brachte Rabbi Kaniewski und Rina Shel Torah dazu, Chanukka in einen Partnergebetstag der Tränen und Seufzer zu verwandeln?
Mal sehen, ob ich es herausfinden kann.