Vegetarische und vegane Kinderernährung – gewusst wie!

Eine spannende psychologische Studie aus Kanada zeigt, dass Kinder Tiere grundsätzlich nicht als Nahrungsmittel einstufen. Bei der Untersuchung wurden Kindern verschiedene Fotos gezeigt, die sie in die Kategorien essbar und nicht essbar sortieren sollten. Während sie zielsicher Abbildungen von Obst und Gemüse bei essbar einordneten, schoben die meisten Kinder die Fotos von typischen Masttieren wie Kühen und Schafen in die Kategorie nicht essbar, wo sie auch die Bilder von Schraubenziehern oder Autoreifen hinlegten. In der moralischen Weltanschauung eines Kindes sind Tiere also nicht zum Essen da. Erst später ändert sich diese Ansicht: Erinnern Sie sich vielleicht auch an den Moment in Ihrer Kindheit, als Ihnen dieser Zusammenhang klar wurde? Bei vielen Kindern folgt dieser Erkenntnis eine mehr oder weniger lange vegetarische oder vegane Phase, die aber häufig wieder durch das Zureden der Eltern (Nibras erinnert sich noch sehr genau an eine verlockende Bestechungs-Salamipizza) abgebrochen wird. Die Akzeptanz, dass für die Wurst auf dem Brot oder das Schnitzel auf dem Teller ein Tier sterben muss, ist also anerzogen. Und so richtig wollen es viele auch nach der Kindheit nicht wahrhaben. Heutzutage stellen aber immer mehr Erwachsene ihren moralischen Kompass auf diese kindliche Werkseinstellung zurück und lehnen den Verzehr von Fleisch oder tierischen Produkten ab – und das freut uns. Wir gehören auch dazu!

Viele vernünftige Gründe können zu so einer Entscheidung führen: Immer häufiger stehen schmutzige Details über moralisch fragwürdige Praktiken der Massentierhaltung in der öffentlichen Kritik, die einen Boykott dieser Systeme nahelegen. Außerdem wird immer klarer, wie stark die Viehwirtschaft zur Klimakrise beiträgt, sie verursacht beispielsweise mehr Emissionen als der gesamte Verkehrssektor. Sei es nun aus Tierschutz oder Umweltschutz – Menschen, die tierische Produkte in ihrer Ernährung reduzieren oder abschaffen möchten, setzen sich für eine gute Sache ein.

Nur um kurz die Definitionen sicherzustellen: Wer vegetarisch lebt, verzichtet auf Fleisch, isst aber weiterhin tierische Produkte wie Milch, Eier und Käse. Vegan bedeutet, dass sogar gänzlich auf tierische Produkte verzichtet wird. Trotz ehrenwerter Motive stoßen aber viele Eltern hierzulande in der Kinderarztpraxis auf enormen Gegenwind mit dieser Einstellung. Nicht selten müssen sich Eltern einen regelrechten Shitstorm der Kinderärzt*innen gefallen lassen, die ihnen das Gefühl vermitteln, sie würden ihre Kinder schädigen, wenn diese kein Fleisch oder keine Kuhmilch erhalten. Dabei sind die meisten Kinderärzt*innen nicht unbedingt bewandert, was das Thema Kinderernährung angeht. Bisher kommt es nur rudimentär in der Ausbildung vor. Und wenn es mal oberflächlich um veggie geht, dann werden meistens altmodische Stigmata bedient, die aktuelle Daten und Studien längst entkräftet haben. Die Einstellung vieler Ärzt*innen beruht oft einfach auf den verstaubten und nicht mehr zeitgemäßen Ansichten ihrer Mentor*innen.

Besonders kurios ist die hartnäckig verbreitete Ablehnung einer vegetarischen Kinderernährung, die selbst von der relativ konservativen Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bereits seit 2011 empfohlen wird. Vegan lehnt die DGE aber trotz vieler positiver Studien für Kinder weiterhin ab und steht damit im internationalen Vergleich ziemlich allein da. So erteilen führende Ernährungsgesellschaften der USA, Kanadas und Australiens bereits seit Jahren einer veganen Ernährung in allen Lebensphasen grünes Licht – wenn sie richtig gemacht wird. Warum ist eine vegane Kinderernährung hierzulande dann noch ein solches Schreckgespenst?

Ein Kritikpunkt, der häufig angebracht wird: Eine vegane Ernährung sei ohne Supplemente nicht möglich. An der Aussage ist zunächst nichts auszusetzen – tatsächlich ist das Supplementieren von Vitamin B12 bei einer veganen Ernährung unumgänglich! Pflanzen enthalten nicht ausreichend nutzbares Vitamin B12, das ist korrekt. Aber ehrlicherweise – so what? Warum soll es verwerflich sein, sich für eine Supplementierung und gegen den Verzehr von Tieren zu entscheiden? Das Ergänzen der Nahrung mit Supplementen ist in der Kinder- und Jugendmedizin bereits etwas ganz Übliches. Schwangere sollen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, damit ihre Kinder gesund heranwachsen. Säuglinge erhalten standardisiert Vitamin-K-Supplemente bei den ersten drei U-Untersuchungen. Vitamin D soll mindestens bis zum zweiten erlebten Frühling substituiert werden und viele brauchen es auch darüber hinaus, wenn man berücksichtigt, dass etwa ein Drittel aller Kinder in Deutschland einen Vitamin-D-Mangel hat. Die Jodsupplementierung haben die meisten nicht einmal mehr auf dem Schirm, weil sie ganz unterschwellig und flächendeckend über das Speisesalz abläuft. Macht das Vitamin B12 den Braten dann so fett, dass es diesen Wirbel wert ist? Besonders paradox: Wussten Sie, dass die allermeisten Schweine, Rinder und Hühner in der Massentierhaltung selbst eine Vitamin-B12-Supplementierung über ihr Futter erhalten müssen, um nicht krank zu werden? Das Tier nimmt also die Vitamin-B12-Tablette, damit der Mensch es nicht muss. Ist es dann nicht eine vernünftige und vertretbare Entscheidung, auf den Verzehr dieser Tiere, die unter meist sehr unethischen Bedingungen gehalten und getötet werden, zu verzichten, um stattdessen selber das Supplement zu nehmen?

Eines muss aber klar sein: Wer sein Kind auf sichere Weise vegetarisch oder vegan ernähren möchte, kommt nicht umhin, sich mit den Grundlagen der Ernährung zu beschäftigen. Know your enemy! Eltern müssen sich gerade mit den Lebensmitteln, die man nicht verwenden möchte, gut auseinandersetzen, um den Wegfall adäquat ausgleichen zu können. Sie lassen Fleisch weg? Kein Problem, solange Sie darauf achten, dass genug gut verwertbares Eisen aus anderen Quellen wie Linsen, Tofu oder Hülsenfrüchten auf den Tisch kommt. Sie streichen Kuhmilch aus dem Essensplan? Fein, aber berücksichtigen Sie, dass damit auch eine gute Kalziumquelle entfällt, und planen Sie den Ausgleich durch Mineralwasser oder kalziumangereicherte Milchalternativen. Fisch und Meeresfrüchte ade? Die Meere danken es Ihnen, aber Sie müssen andere gute Quellen für Omega-3-Fettsäuren wie Lein- oder Mikroalgenöl auftreiben.

Vor allem die vegane Kinderernährung setzt also ein umfangreiches Wissen über Lebensmittel und deren Nährstoffe voraus. Für die richtige Umsetzung und Supplementierung sollte deswegen ernährungsmedizinische Unterstützung an Bord geholt werden, z. B. durch entsprechend fortgebildete Kinderärzt*innen oder Diätassistent*innen.

Wenn Ihnen für eine solche Auseinandersetzung mit der Ernährung Ihres Kindes die Zeit oder Lust fehlt, dann ist insbesondere eine vegane Ernährung nicht ratsam. Wer nicht achtgibt, riskiert gefährliche Nährstoffmängel, die desto folgenschwerer sein können, je jünger das betroffene Kind ist. Das kann sich nicht nur negativ auf die Knochengesundheit und das Wachstum, sondern auch auf die neurologische Entwicklung und Intelligenz auswirken.

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Am liebsten sind uns immer Fakten. Was sagen denn Studien zur vegetarischen und veganen Kinderernährung? In der deutschen VeChi-Diet-Studie wurden 1- bis 3-jährige Kinder untersucht, die ungefähr zu gleichen Teilen entweder vegetarisch, vegan oder omnivor (also ohne Einschränkung) ernährt wurden. Unter den drei Gruppen konnten keine relevanten Unterschiede bei Größe, Gewicht oder Energieaufnahme festgestellt werden. Auch die Zufuhr von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten war in allen Gruppen absolut ausreichend. Vegan ernährte Kinder nahmen sogar signifikant mehr gesunde Ballaststoffe zu sich, wohingegen omnivore Kinder mehr als doppelt so viel zugesetzte Zucker aßen. In der ergänzenden VeChi-Youth-Studie wurden auch ältere Kinder (6–18 Jahre) untersucht, die bereits im Schnitt seit 4 bis 5 Jahren vegetarisch oder vegan lebten. Im Hinblick auf Mineralstoffe und Vitamine konnten keinerlei Nachteile einer vegetarischen oder veganen gegenüber einer omnivoren Ernährung festgestellt werden. Vegane Kinder zeigten sogar bei Vitamin E, K, B1, B6, C, Folsäure, Betacarotin und sogar Eisen die besten Werte. Besonders wichtig: Die vegan ernährten Kinder wiesen keine relevanten Vitamin-B12-Mängel auf, was auch demonstriert, dass die nötigen Supplementationen von Eltern ernst genommen und gut umgesetzt werden.

Außerdem zeigte die Studie, dass vor allem die vegan ernährten Kinder viel Gemüse, Obst, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte und Nüsse aßen, was präventiv gegen viele chronische Erkrankungen wie z.B. Diabetes oder Übergewicht wirkt.

Wir möchten an dieser Stelle niemanden bekehren und von einem Umstieg auf eine pflanzenbasierte Kinderernährung überzeugen. Aber wir wollen denjenigen Mut machen, die diesen Weg bereits gegangen sind oder es noch möchten. Es ist alles gut! Wenn Sie auf die wichtigen Aspekte achten, kann Ihr Kind gesund groß werden, egal ob vegetarisch, vegan oder omnivor. Umgekehrt kann eine einseitige Ernährung zu Mängeln führen oder ungesund sein, unabhängig davon, ob man tierische Produkte isst oder nicht. Auch Kinderärzt*innen müssen den verstaubten Mantel der kategorischen Ablehnung ablegen und eine moderne Sichtweise gemäß aktueller Studien an den Tag legen, egal was bei ihnen selbst auf den Teller kommt. Schluss mit dem Einsortieren in Schubladen und dem Anprangern von Eltern, nur weil sie pflanzenbasiert leben wollen. Hierfür gibt es keine Gründe mehr!