Resilienz – die Widerstandskraft von Kindern stärken

Was Kindern nicht nur im Falle von erfahrener Gewalt, sondern generell in ihrer Entwicklung hilft, ist eine gut ausgeprägte Widerstandsfähigkeit. Diese auch Resilienz genannte Fähigkeit bedeutet, in oder nach einer schwierigen Situation oder Krise wieder zu Stärke zu finden.

Sie fragen sich, wie man die Resilienz entwickelt? Zunächst einmal ist bekannt, dass die eigene Resilienz nicht angeboren ist, wohl aber genetisch veranlagt. Was aus dieser Anlage am Ende aber wird, entscheiden unsere Umgebung und vor allem unsere Persönlichkeit.

In allen möglichen Situationen und Lebenslagen ist unsere Resilienz gefragt, vor allem aber, wenn es stressig wird. Und mal ehrlich: Wann haben wir und unsere Kinder keinen Stress? Die Hausaufgaben, Klassenarbeiten, der Sprint zum Schulbus, der Streit mit den Geschwistern. Stress, Stress und noch einmal Stress. Je resilienter aber ein Kind ist, desto weniger kann ihm der Stress anhaben und desto schneller hat es die damit verbundenen Unannehmlichkeiten weggesteckt.

Und unsere Widerstandsfähigkeit wird maßgeblich von unserer Umgebung beeinflusst. Das ist eine gute Nachricht, denn es verleiht den Eltern eine aktive Rolle bei der Entwicklung dieser Kraft. Es gibt sogar sechs sogenannte Schutz- oder Resilienzfaktoren, die bei Kindern entwicklungsfördernd und schützend wirken können. Je ausgeprägter und besser verankert diese Faktoren sind, desto eher kann ein Kind mit widrigen Umständen, Rückschlägen oder Stresssituationen umgehen.

Aber natürlich können Sie sich mit Ihrem Kind nur schwer hinsetzen und eine Stunde Resilienz pauken. »Heute steht Selbstwahrnehmung auf dem Stundenplan.« Das ist nicht machbar. Vielmehr ist es eine andauernde Aufgabe, Impulse für die Weiterentwicklung der Resilienzfaktoren zu setzen und das Kind dabei zu unterstützen, sich in diesen Kompetenzen wiederzufinden. Eltern sollten diese Hilfestellungen aktiv in ihren Alltag, ihr Familienleben und ihre Erziehung einfließen lassen.

AUF EINEN BLICK
Die sechs Resilienzfaktoren

Resilienzfaktor

Beispiel

Selbstwahrnehmung

die Entwicklung eines Gespürs für den eigenen Körper und die eigenen Gefühle

Selbststeuerung

die Einordnung der eigenen Bedürfnisse und ein konstruktiver Umgang mit Gefühlen und Impulsen

Selbstwirksamkeit

Kennen der eigenen Fähigkeiten und Stärken

Soziale Kompetenz

Kontaktaufnahme zu anderen Menschen, Einfühlsamkeit und Konfliktfähigkeit

Probleme lösen

die Fähigkeit, Wege und Strategien zu erkennen, mit denen ein Problem realistisch gelöst werden kann

Adaptive Bewältigungskompetenz

Einschätzen von Stresssituationen und der Notwendigkeit von Unterstützung

Lassen Sie uns die sechs Faktoren etwas genauer betrachten, damit klarer wird, wie das funktionieren kann.

Der erste Faktor ist die Selbstwahrnehmung eines Kindes. Gerade in jungem Alter kann das Selbstbild durchaus von der Realität abweichen. Kindern mit sehr gering ausgeprägtem Selbstwertgefühl und auch sehr selbstbewussten hilft dann gleichermaßen der Abgleich mit der Realität, um sich selbst besser einzuschätzen. Der erste Schritt ist die Einordnung der eigenen Stärken und Schwächen. Was kann ich gut? Vielleicht Malen, Singen, Klettern usw. Was kann ich nicht gut? Vielleicht Rennen, Schreiben, Schlittschuhlaufen usw. Wenn das Kind weiß, wozu es in der Lage ist, was es kann, dann wird es sich Herausforderungen suchen, die es in der Entwicklung weiterbringen. Und Sie können es dabei unterstützen, indem Sie es z. B. zu gegebener Zeit mit Tätigkeiten wie Schwimmen, Radfahren oder Lesen vertraut machen. Außerdem dient das Wissen um eigene Schwächen auch als Mechanismus, der Kinder vor einem Gefühl der Niederlage und Enttäuschung bewahrt. Vielleicht ist es noch zu früh, die große Kletterwand auszuprobieren, alle Kinder, die daran hängen, sind schon älter. Schlagen Sie stattdessen alternative Herausforderungen vor, die zu schaffen sind. Ganz nach dem Motto: »Pick your fight.« Begleiten Sie Ihr Kind dabei, sich selbst kennenzulernen, und geben Sie ihm Ermutigung und Bestätigung, aber auch eine realistische Wahrnehmung an die Hand.

Der nächste Faktor ist die Selbststeuerung. Damit ist der Umgang mit den eigenen Emotionen gemeint. Kinder sollten die Erfahrung machen, dass ihre Impulse und Gefühle ernst genommen und individuell beantwortet werden. Wut und Verzweiflung sollten Eltern zulassen und nicht automatisch mit Schimpfen oder Unterdrückung beantworten. Wenn diese Episoden stattdessen konstruktiv begleitet werden, ermöglicht das Ihrem Kind, Situationen bewusster zu erleben. Fragen Sie Ihr Kind, wieso es im Moment so fühlt, was hat den Ausbruch der Emotionen ausgelöst? Zeigen Sie Verständnis. Darüber hinaus können Sie Bewältigungsstrategien vermitteln, die ihm helfen, Gefühle wahrzunehmen und zu kanalisieren. Was wünscht es sich gerade? Welche Aktivität könnte nun helfen, neue Kraft zu schöpfen? Hierzu gehören z. B. Sport oder Musikhören bei Wut und Stress oder Haustierstreicheln oder Malen bei Trauer und Unsicherheit. Sie werden genau wissen, was Ihrem Kind Freude bereitet oder Ablenkung verschafft. Vielleicht geht es aber auch einfach nur darum, da zu sein und Nähe zu vermitteln.

Kommen wir zum nächsten Resilienzfaktor: Selbstwirksamkeit. Entwickeln Kinder Selbstwirksamkeit, dann ändert sich nicht nur ihr Bild von sich selbst, sondern auch das von den eigenen Taten. Kinder, die in alltägliche Abläufe eingebunden werden und dabei erfahren, dass ihre Taten und Überlegungen eine Auswirkung haben, lernen, dass ihre Entscheidungen Konsequenzen haben. Was soll gekocht werden, welches Möbelstück soll ins Kinderzimmer kommen? Kinder, die in Entscheidungsprozesse eingebunden werden und deren Meinung zählt, entwickeln ein gutes und gesundes Selbstvertrauen, das wiederum mit der Selbstwirksamkeit Hand in Hand geht. Sie merken, dass sie selbst etwas bewirken und schaffen können.

Leben Sie Ihrem Kind außerdem soziale Kompetenz vor. Das ist gleich der nächste Resilienzfaktor. Dazu gehört, sich in seine Mitmenschen hineinversetzen zu können und Situationen auch aus ihrer Warte zu betrachten. Dieses Einfühlungsvermögen, die Empathie, ist eine äußerst wichtige Fähigkeit im Umgang mit unseren Mitmenschen. Aber auch ein guter Umgang mit Konflikten, wenn es um die eigenen Interessen oder die anderer geht, zeichnet resiliente Menschen aus. Das heißt natürlich nicht, dass resiliente Personen immer recht haben. Vielmehr stärkt das Vertreten des eigenen Standpunktes auch das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl und macht uns und unsere Kinder in schwierigen Situationen robuster. Gleichzeitig ist es wichtig zu wissen, wann die anderen die besseren Argumente haben. Auch nachgeben zu können ist eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft.

In puncto Probleme lösen widmen Sie sich am besten gemeinsam mit Ihrem Kind den abwechslungsreichen Herausforderungen des Alltags. Haben Sie dann mit Ihrem Kind ein derartiges Problem identifiziert, machen Sie erst einmal gar nichts. Ja, das könnte schwer werden, aber halten Sie sich zurück und trauen Sie Ihrem Kind zu, eine kreative und konstruktive Lösung zu finden. Sie werden überrascht sein! Gleichzeitig sollten Sie Ihr Kind in die Entwicklung anderer Problemlösungen einbeziehen. Dadurch wird es lernen, eine realistische Einschätzung davon zu bekommen. Oder ermöglichen Sie etwas Selbstverantwortung zu Hause. Zum Beispiel eine Pflanze, um die sich Ihr Kind kümmern kann, oder eine Aufgabe im Haushalt.

Jedes Mal, wenn ein Kind mit einer Herausforderung konfrontiert wird, lernt es, was die Situation mit ihm gemacht hat und wie es daraus hervorgegangen ist.

Diese adaptive Bewältigungskompetenz ermöglicht es Kindern, festzustellen, ob sie eine Stresssituation selbstständig bewältigen können oder ob sie dafür Unterstützung brauchen. Das heißt nicht, dass resiliente Kinder grundsätzlich weniger Unterstützung in kritischen Situationen brauchen. Vielmehr wird ein widerstandsfähiges Kind schneller und verlässlicher für sich selbst herausfinden, ob es in der Lage sein wird, diese Situation ohne Hilfe zu meistern. Ein wichtiger Mechanismus, der zum Erreichen dieser Kompetenz führen kann, ist die gemeinsame Reflexion von stressreichen Situationen mit den Eltern.

All dies wird das Selbsterleben Ihres Kindes nachhaltig verändern und ihm für Krisensituationen Werkzeuge an die Hand geben, um echte Probleme besser lösen zu können.

Nun sind wir schon am Ende des Kapitels zur psychischen Gesundheit angelangt und hoffen, Sie konnten das eine oder andere lernen, mitnehmen, vielleicht auch bereits anwenden. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und Kraft bei der Bewältigung aller Schlaf- und Autonomiephasen, bei der Eingewöhnung in der Kita und den sicher bevorstehenden zu bewältigenden Konflikten. Sie werden es schaffen und Ihr(e) Kind(er) auch!