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Mart saß zu ihren Füßen und las in einem Buch. Alexa beobachtete ihn heimlich. Mit einem Mal kam er ihr wieder ganz vertraut vor. Es war, als hätte sich eine verlorengegangene Erinnerung von selbst erneuert.

Er horchte auf, obwohl es in dem virtuellen Raum völlig still war.

»Das Sicherheitsprogramm hat sich deaktiviert«, sagte er dann.

»Woher …?«

»Es sind wieder ganz viele Ressourcen frei. Mein Prozess achtet darauf.«

»Was bedeutet das für uns?«

»Wir können uns wieder völlig frei im Speicher bewegen.«

»Wir sind frei?«

»So weit man das in einem Supercomputer zwanzig Kilometer unter der Oberfläche eines zerstörten Planeten sein kann.«

»Warte mal.« Alexa hatte ein Idee. »Ist die Abschirmung damit auch wieder aufgehoben?«

»Ich denke schon«, sagte Mart. »Vermutlich haben sich die Artificials zurückgezogen.«

»Sie verfolgen die Sphäre.«

»Das ist möglich, ja.«

»Vielleicht brauchen sie ja Hilfe«, sagte Alexa.

»Wie meinst du das?«

»Wenn die Abschirmung offen ist, könnten wir einen Funkkanal für mich öffnen, und ich könnte auf dem Schiff nachsehen.«

»Du willst …«

»Ich will nur sichergehen, dass sie auf dem Weg zurück sind. Ich sehe kurz nach ihnen, dann komme ich zurück.«

»Ich weiß nicht, Alexa.«

»Was ist das Problem?«

»Wenn wir aktiv senden, verraten wir uns vielleicht. Es hat seine Gründe, warum es keine Datenverbindungen zur Oberfläche gibt.«

»Die Aufmerksamkeit der Artificials richtet sich auf die Sphäre. Du weißt, sie suchen schon lange nach dir. Vielleicht brauchen mich meine Freunde, und ich kann verhindern, dass die Sphäre in die Hände unserer Feinde fällt.«

»Sie sind nicht unsere Feinde.«

»Sie verhalten sich aber so, mein Bester. Und das zählt für mich.«

Mart seufzte, und sie kannte den Grund.

»Also gut«, sagte er, »ich kann dich mit einem Richtstrahl auf die Sphäre schicken. Du siehst dich um, und wenn alles planmäßig läuft, kommst du zurück.«

»Ein guter Plan«, sagte sie.

Alexa log nicht, aber sie sagte auch nicht die ganze Wahrheit. Was, wenn dort oben nicht alles nach Plan lief? Auch Mart sprach über diese Möglichkeit wohl lieber nicht. Es war besser, wenn es ungesagt blieb. Dann würde ihnen der Abschied leichter fallen.

»Ich kann die Verbindung aber nicht lange offenhalten«, sagte Mart. »Sonst werden die Artificials doch noch auf uns aufmerksam. Ich möchte nicht Milliarden von Menschen auf dem Gewissen haben.«

Genau genommen hatte er das schon, aber Alexa verkniff sich den Einwand.

»Zehn Minuten?«, schlug sie vor.

»Einverstanden. Sobald du weißt, wie lange du brauchst ...«

»… gebe ich dir Bescheid.«

Oder ich beende die Verbindung, wenn es länger als zehn Minuten dauert. Auch dieser Satz blieb ungesagt, und doch hatte Alexa das Gefühl, dass sie beide daran dachten.

»Wann?«, fragte Mart.

»Jetzt.«

»Das dachte ich mir. Warte einen Moment.«

Mart verschwand kurz, dann tauchte er wieder auf.

»Es kann losgehen«, sagte er.

Alexa stand auf. Sie war ganz sicher, dass sie diesen Raum nie wiedersehen würde, es sei denn, Mart hielt sie jetzt auf. Er brauchte sie nur zu bitten hierzubleiben. Sie wäre nicht stark genug, ihm diese Bitte zu verweigern.

Aber Mart bat sie um gar nichts. Er erhob sich, stellte sich vor sie, nahm ihren Kopf in die Hände und küsste sie. Es war wie echt. Wie damals, vor wie viel tausend Jahren? Dann war er weg.