Dreihunderttausend Jahre später – Die Ankunft

Es war der aufregendste Moment während der letzten hunderttausend Jahre, an den sich Mart erinnern konnte.

Vor vielen Zyklen war er zu der Ansicht gelangt, dass es möglich sein musste, in andere Universen vorzustoßen. Jahrzehntausende hatte er mit dem Studium von Hyperfraktalen, mehrdimensionalen Polytopen und den Wechselwirkungen von geschlossenen Gravitonenstrings mit D-Branen verbracht, in der Hoffnung, den Zugang zu einem anderen Universum zu finden. Dieses Universum hielt er inzwischen für langweilig und weitgehend erforscht. Es hatte für ihn nichts Neues mehr zu bieten.

Und nun das!

Fremde kamen in das Sol-System. Und nicht nur eine Spezies, sondern gleich zwei!

Zunächst hatten sich zwanzig Wurmlöcher am Rand des Sol-Systems geöffnet, aus denen zwanzig walzenförmige Raumschiffe in den Normalraum gebrochen waren. Mart hatte die virtuelle Nase gerümpft. Wurmlochtransfer war eine primitive, fast gewaltsame Methode, die Lichtgeschwindigkeit zu überwinden. Unelegant und brachial!

Die andere Spezies war noch primitiver. Sie war auf einem Generationenschiff, einem ausgehöhlten Asteroiden, hier angekommen. Und ihr Bremsmanöver war noch rabiater gewesen als der Wurmlochtransfer. Es hatte den Merkur zerstört!

Es war Shra, die ihn auf dieses Ereignis aufmerksam gemacht hatte. Doch zunächst war er enttäuscht gewesen.

»Es ist weder außergewöhnlich noch überraschend. So etwas ist in der Geschichte des Universums unzählige Male geschehen.«

»Das ist statistisch nicht korrekt, Mart. Zwei Spezies, die einander begegnen, sind außergewöhnlich. Wie du weißt, schaffen es die meisten nicht, ins All vorzustoßen, geschweige denn Kontakt herzustellen.«

»Das ist nicht ganz richtig, meine liebe Shra. Die meisten haben es nicht geschafft, weil sie einander begegnet sind! Na ja, falls sie sich nicht bereits vorher selbst ausgerottet hatten. Spezies gehen nicht unter, weil sie einfach so aussterben – sie gehen unter, weil sie sich entweder selbst vernichten oder von anderen vernichtet werden. Das Leben überlebt auf Dauer nicht, weil es sich letztlich immer selbst vernichtet! So einfach ist das.«

Sie hatten sich noch eine Weile gestritten und dann war etwas geschehen, das Mart dazu gebracht hatte, Shras Drängen nachzugeben und seine selbst gewählte Isolation zu verlassen.

Die beiden Spezies waren, wie er es vorausgesagt hatte, in einen kriegerischen Konflikt verwickelt worden. Doch dann war daraus eine Bedrohung für die Erde erwachsen – was natürlich nicht zugelassen werden konnte.

Mart musste eingreifen, weil er der Einzige war, der eingreifen konnte.

Die Anderen waren längst auf eine Existenzebene gewechselt, die ihnen eine physische Interaktion mit den Eindringlingen unmöglich machte. Ihre Essenz hatte sich völlig mit der Substanz des Planeten vereint und sie waren jetzt Mutter Erde. Sie existierten nur noch als das, was die Menschen einst 'Dunkle Energie' genannt hatten, und sie konnten durch die Manipulation von 'Dunkler Materie' die Erde nach ihren Wünschen gestalten.

Mart musste zugeben, dass dies tatsächlich eine höhere Existenzebene war, aber er hielt es auch für eine evolutionäre Sackgasse. Es musste noch einen anderen Weg der Erkenntnis geben und er war davon besessen, ihn zu finden.

Auch die menschlichen Ego-Matrizen in den Hyperfeldern der Subraummatrix des Quantencomputers tief unter der Oberfläche der Erde, wo einst Madagaskar gelegen hatte, waren nicht mehr in der Lage, mit dem Einstein-Universum – Mart wunderte sich, woher er plötzlich diese Bezeichnung kannte – zu interagieren. Selbst Shra, die von allen anderen menschlichen Bewusstseinskopien noch die stärkste Verbindung zum Realraum besaß, war nicht in der Lage, die Fremden zu stoppen. Nur Mart, der immer noch Zugriff auf einen Klonkörper und das Feldsphärenschiff hatte, konnte das Unglück schließlich aufhalten.

Es gelang ihm, Frieden zwischen den beiden Spezies zu stiften, zudem ermöglichte er es ihnen, sich im Sol-System anzusiedeln. Nicht ganz ohne Hintergedanken! Mart hoffte, mehr über das Universum, das Leben und den ganzen Rest in Erfahrung bringen zu können, wenn er die beiden Spezies während der nächsten paar Tausend Jahre studieren konnte.

Doch dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Am Systemrand erschien abermals ein Raumfahrzeug und Mart konnte eine lange verschüttete Erinnerung aus den Quantenspeichern abrufen, die ihm klarmachte, was dies zu bedeuten hatte.

Das Sol-System und alle biologischen Lebewesen, die sich darin angesiedelt hatten, standen vor der Vernichtung.

Und diesmal gab es nichts, was er dagegen hätte tun können!