Seattle, zwei Monate später
Corina holte die verschwitzten Sportsachen aus ihrer Tasche und warf sie zu den anderen gebrauchten Klamotten in die Wäschekammer. Morgen würde Consuela sich darum kümmern. Für heute hatte sie ihr spontan freigegeben, um den gestrigen Autounfall zu verdauen. Die Bremsen hatten plötzlich nicht mehr funktioniert. Consuela hatte Glück im Unglück gehabt: Im dichten Stadtverkehr war sie nur in Schrittgeschwindigkeit auf den Vordermann aufgefahren. Das Ergebnis war lediglich ein Blechschaden.
Einen kleinen Schock hatte die junge Frau dennoch, was Corina verstehen konnte, Elise Savage jedoch mit einem zynischen »Himmel, wie kann man nur so hysterisch sein!« quittierte.
Mit bissigen Bemerkungen Corina gegenüber war jedoch Schluss. Was Robert seinen Eltern gesagt hatte, wusste sie nicht. Aber er musste mit ihnen gesprochen haben, denn inzwischen blieben sowohl unangekündigte Besuche als auch Belehrungen seitens ihrer Schwiegermutter aus.
An drei Tagen die Woche war Corina nun für Catherine Bennett Bishop tätig – inzwischen nicht mehr als Fitnesstrainerin, sondern in einer Office-Position. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Premium-Mitglieder zu werben und zu betreuen – eine Tätigkeit, die ihr leichtfiel. Trotzdem hatte sie nicht vor, sich damit zufriedenzugeben. Mit eiserner Beharrlichkeit würde sie sich nach oben arbeiten und sich holen, was ihr als Turnerin versagt geblieben war: die Spitzenposition auf dem Treppchen. Glücklicherweise sah Catherine die Fitnesskette für sich weiterhin als Vorruhestandsprojekt.
Robert übte sich in distanzierter Höflichkeit. Die Sache mit den Listen wurde nicht mehr thematisiert. In stillschweigender Übereinkunft lebten sie so, wie es Corina angeboten hatte. Bei offiziellen PR-Terminen stand sie mit strahlendem Lächeln an seiner Seite und brillierte in ihrer Paraderolle der glücklichen Ehefrau eines erfolgreichen Mannes. Abgesehen von diesen offiziellen Terminen sahen sie sich kaum. In letzter Zeit verbrachte Robert auffällig viele Nächte außer Haus. Ein paarmal hatte sie mitbekommen, wie er telefonierte – eindeutig mit einer Frau. Sein Tonfall verriet, dass es sich um eine sehr private, ja, intime Unterhaltung handelte. Aus seinen vielen Affären hatte sich wohl eine klare Favoritin herauskristallisiert.
Letztlich hoffte sie, dass diese unbekannte Geliebte Robert irgendwann ein Ultimatum stellen würde: Corina oder ich. Es gab dabei allerdings einen Schönheitsfehler: Robert würde niemals seine Aussicht auf ein politisches Amt riskieren. Eine Trennung wäre für seine konservativen Wähler unverzeihlich. Für die galt: Bis dass der Tod euch scheide …
Ein Schauder lief Corina über den Rücken, als sie erkannte, dass ihr Ableben für dieses Klientel die einzig akzeptable Alternative war. Zweifelsohne würde Robert die Rolle des trauernden Witwers mit Überzeugung spielen, während er innerlich ein Feuerwerk abbrannte, weil er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hatte.
Sie schüttelte sich angesichts dessen, was sie ihm da zu unterstellen bereit war. Robert war so nicht. Er liebte sie nicht mehr, fühlte sich von ihr aufs Glatteis geführt, weil sie die einzigen Beweisstücke hatte verschwinden lassen, die es über die Sache von damals noch gab. Aber das hieß noch lange nicht, dass er ihr nach dem Leben trachtete!
Sie musste die Situation, so, wie sie jetzt nun einmal war, akzeptieren und sich auf die Zukunft vorbereiten. Sie würde ihren Plan mit der Fitnesskette konsequent weiterverfolgen, um dann endgültig den Schlussstrich unter ihre Ehe setzen zu können – ob sie damit nun Roberts politische Karriere riskierte oder nicht. Doch den Zeitpunkt würde sie bestimmen. Noch war es nicht soweit. Und die Geliebte würde entweder warten oder sich anderweitig umschauen müssen.
Corina sah das alles sehr klar, so, wie sie ihr Leben lang die Dinge klar gesehen hatte. Allerdings gab es eine Sache, die sie einfach nicht losließ. Tabor war nicht von Ani, sondern von seiner Tochter erstochen worden. Doch Ani war in dieser Nacht in Tabors Wohnung gewesen. Was um alles in der Welt hatte sie von ihm gewollt?